NFTs verändern den Handel mit digitaler Musik und Kunst: Fordern sie auch das Urheberrecht heraus?
In den vergangenen Wochen überboten sich geradezu die Schlagzeilen über Rekordpreise bei NFTs: Ein Hip Hop-Produzent erzielte innerhalb weniger Minuten 1,5 Millionen Dollar beim Verkauf seines Musikstücks. Ein zehn Sekunden langes Video wurde im Herbst 2020 zuerst für 67.000 Dollar, im Frühjahr 2021 dann für fast das Hundertfache wieder veräußert.
Auch in der Kunst mischt man mittlerweile mit: Ein Kunstwerk, bei dem 5.000 digitale Bilder als Collage zusammengebunden sind, wurde kürzlich beim Auktionshaus Christie’s für gut 69 Millionen Dollar versteigert. Das bringt auch das Konkurrenzhaus Sotheby’s dazu, sich mit NFTs zu befassen.
Es ist also derzeit sehr viel Geld im Spiel, vermutlich auch, weil viele in NFTs eine Geldanlage und ein Spekulationsobjekt sehen. Das dürfte auch für den ersten Tweet des Twitter-Gründers Jack Dorsey aus dem Jahr 2006 gelten: Sein Tweet-Debüt wurde im März für knapp 3 Millionen Dollar versteigert.
Und die US-amerikanische Basketball-Liga NBA bietet NFTs von Videos an, in denen besondere Spielzüge zu sehen sind. Aus einem Video entstehen quasi digitale Sammelkarten (vergleichbar mit Fußball-Sammelalben), die in begrenzter Anzahl angeboten und wegen ihrer Knappheit gehandelt werden können.
Das Eigentum an solchen digitalen Dateien lässt sich via NFT erwerben. Wie das funktioniert, wie NFTs zum Urheberrecht stehen und welche Anwendungsmöglichkeiten sich aus ihnen für die Musikindustrie ergeben könnten, das erläutern wir in diesem Text.
NFT: Grundbucheintrag für digitale Dateien
Ein NFT ist vergleichbar mit einem Grundbucheintrag für digitale Dateien. Im Grundbuch ist die Eigentümer*in eines Grundstücks festgelegt – in einem NFT ist festgeschrieben, wer Eigentümer*in eines digitalen Objekts ist, wie zum Beispiel einem Bild, Video oder Musikstück.
Die Abkürzung NFT steht für „non-fungible token“: „Non-fungible“ lässt sich mit „nicht austauschbar“ oder „einzigartig“ übersetzen. „Token“ bedeutet in diesem Zusammenhang etwa Ausweis oder Wertmarke.
Ein NFT verknüpft in einer nicht-austauschbaren Weise eine Information (wie zum Beispiel die Eigentümerschaft) mit einem digitalen Objekt. Das NFT gilt als unveränderbar und fälschungssicher, da es in einer Blockchain dauerhaft abgespeichert wird. Auf diese Weise wird ein NFT zu einer Art Echtheitszertifikat für Eigentümerschaft.
Aus digitalen Dateien werden handelbare Güter
Das ist für den Handel von virtuellen Objekten in der digitalen Welt ein Vorteil: Denn während physische Objekte wie Grundstücke, Häuser oder Autos nur an einem Ort sein können (man spricht auch von „rivalen Gütern“), sind digitale Dateien kopierbar.
Sie lassen sich je nach Objekt beliebig oft vervielfältigen, teilen und verschicken, speichern und bearbeiten. Beim Internetphänomen der Memes etwa entwickeln Nutzer*innen ihre eigenen Varianten von Bildern oder Videosequenzen, die sie vor allem über Social Media verteilen.
NFTs machen aus digitalen Objekten handelbare Güter: Diese lassen sich kaufen und verkaufen, ersteigern und versteigern. Oder wie der Journalist Dirk von Gehlen schreibt:
„In der Welt der digitalen Kopie, in der dauernd Daten dupliziert werden, versprechen NFTs etwas Einzigartiges: Unkopierbarkeit!“
Das via NFT gespeicherte Zertifikat über das Eigentum an einer digitalen Datei ist unkopierbar und unveränderbar – und wird so zu einem handelbaren Gut, in manchen Fällen auch zu einem Spekulationsobjekt. Das Werk, auf das sich das NFT bezieht (zum Beispiel ein Meme oder ein Tweet), bleibt selbst aber kopierbar.
Mit NFTs können Fans ihren Lieblingskünstler*innen nahe sein
Warum sind NFTs gerade in der digitalen Kunstwelt und im Musikgeschäft so gefragt? Der Kunstwissenschaftlerin Anika Meier zufolge eignen sich digitale Objekte besonders gut für ihre Vermarktung durch NFTs, weil sie mit der Logik der Sozialen Medien kompatibel sind: „Endlich hat virale Kunst einen Wert, der sich nicht mehr nur in Likes und Views bemerkbar macht“, beobachtet sie in einer Kolumne beim Monopol-Magazin.
Denn in den Sozialen Medien gilt das als erfolgreich, was Reichweite, Sichtbarkeit und eine hohe Anzahl an Follower*innen, Likes und Shares erhält. An diesen Faktoren lässt sich der Erfolg beziffern und messen. Auf TikTok etwa werden nur solche audiovisuellen Inhalte erfolgreich, die viral gehen, sich also in den eigens angefertigten Versionen ihrer Nutzer*innen als Memes verbreiten.
NFTs erzeugen also eine potentielle Geldquelle, die vor allem für Künstler*innen mit großer Reichweite in den Sozialen Medien interessant sein kann – aus Follower*innen werden Sammler*innen, wie es die Kunstwissenschaftlerin Meier ausdrückt: „Meist folgen sie den Künstler:innen schon seit Jahren, endlich können sie eine Arbeit besitzen und das für kleines Geld.“
In der Regel handelt es sich bei NFT-Transaktionen um eher kleinere Beträge, die sich in der Summe aber läppern. So können Fans ihren Lieblingskünstler*innen nahe sein, ein Werk ihr Eigen nennen und es präsentieren. Sie sind aus diesen Gründen bereit, in digitalen Auktionen das Eigentum an einem Inhalt zu erwerben, den sie in vielen Fällen auch kostenlos erleben könnten.
Was bedeuten NFTs fürs Urheberrecht?
Die Juristin Sophie Beaucamp forscht am Berliner Weizenbaum-Institut zum Urheberrecht sowie zur Blockchain-Technologie. Beaucamp hält NFTs für eine mögliche Ergänzung bei der Vergütung von Urheber*innen – insbesondere in der digitalen Welt, in der Dateien prinzipiell beliebig oft kopiert und ohne Aufwand verbreitet werden können.
Sie vergleicht NFTs mit einer Lizenzierung, also dem Einräumen eines Nutzungsrechts unter bestimmten Bedingungen: „Der Kauf eines NFTs, das ein Werk repräsentiert, kann als eine Einigung über die Übertragung eines einfachen oder ausschließlichen Nutzungsrechts an dem digitalen Werk gesehen werden.“ Das heißt: Mit einem NFT erwirbt man bestimmte Rechte, wie man mit einem Kunstwerk verfahren kann.
Dass NFTs das Urheberrecht ersetzen, hält sie für unwahrscheinlich: „Eine Ablösung des Urheberrechts durch NFTs würde bedeuten, dass eine technische Infrastruktur die Nutzungsmöglichkeiten bestimmen würde. Eine rechtliche Absicherung bestünde nicht mehr.“
In genau dieser rechtlichen Absicherung sieht Beaucamp aber eine Errungenschaft des Urheberrechts. Denn das Urheberrecht legt auch fest, wie Nutzer*innen geschützte Werke nutzen dürfen. Die Ausnahmen vom urheberrechtlichen Werkschutz (wie beispielsweise das Zitatrecht oder die Privatkopie) sind in Schrankenbestimmungen geregelt.
Hier sieht Beaucamp ein Problem im Zusammenhang mit NFTs: „Ausdifferenzierte Wertungen des Urheberrechts, wie zum Beispiel die Schrankenbestimmungen, müssten entweder technisch abgebildet werden, oder sie würden wegfallen.“
Der Wert der Unikate
Trotz potentieller rechtlicher Schwierigkeiten stehen die Chancen gut, dass NFTs längerfristig bestehen bleiben und nicht bloß ein kurzzeitiger Hype sind. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass es einen Markt gibt, auf dem Käufer*innen wie Verkäufer*innen mit Geld um NFTs handeln. Dafür müssen beide Seiten NFTs einen Wert zuschreiben. Sind Güter knapp, kann ihr Wert schneller steigen.
Auf Seite der Käufer*innen gibt es durchaus eine Nachfrage für knappe Güter: Seit einigen Jahren werden bestimmte Konsumgüter zunehmend als Unikate vermarktet und verkauft. Egal ob Sneaker in limitierter Auflage oder durchnummerierte Whiskeyflaschen, die Grundlogik ist, eine Einzigartigkeit des Produkts zu suggerieren – in der Hoffnung dadurch höhere Preise erzielen zu können.
Aus Ökonomie und Soziologie, aber auch aus der Marktforschung weiß man, dass der Wert solcher Konsumgüter nicht alleine aus ihrem Gebrauch entsteht. Er entsteht vor allem daraus, dass Menschen durch besondere oder einzigartige Produkte den eigenen sozialen Status gegenüber anderen signalisieren möchten. Genau hier setzen NFTs an.
Musikindustrie: Aus Werken werden „Assets“
Im Gegensatz zur bildenden Kunst, die meist Originale produziert und daher im Kern an die Logik der Einzigartigkeit anschließt, arbeitet die Musikindustrie stark mit Verbreitung. Zwar hat sich die Vermarktung von Musik durch Social Media und Streaming in den letzten Jahren strukturell verändert: Insbesondere Live-Auftritte werden verstärkt als einzigartige Ereignisse beworben. Der Kern der Verwertungslogik hat sich seit dem Aufkommen des Radios jedoch nicht verändert: Das Ziel ist Masse.
NFTs kombinieren also zwei Mechanismen: Einerseits bieten sie die technische Möglichkeit, handelbare Musik- und Kunstereignisse herzustellen; andererseits können sich Konsument*innen mit Unikaten oder personalisierten Konsumprodukten schmücken.
Wie aber funktioniert die Verknappung auf Seite der Verkäufer*innen? Um dies besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die Wirtschaftssoziologie: Hier spricht man von „Assetization“. Das Wort lässt sich nicht ohne weiteres ins Deutsche übertragen, aber das Prinzip lässt sich wie folgt erklären: Ein Asset ist ein Gegenstand, der durch Verknappung einen Wert erhält. Das Asset bleibt dafür im Besitz einer Person, die mit dem Asset eine Rendite erzielen will, bestimmte Nutzungen werden aber lizenziert.
Beispiel Mietwohnung: Durch einen Mietvertrag erhält die Vermieter*in Einkünfte, kann also eine kontinuierliche Rendite erwirtschaften. Gleichzeitig wird durch den Abschluss des Mietvertrags die Nutzung des Wohnraums auf die Mieter*in beschränkt, woraus sich für die Mieter*in ein Wert ergibt. Als Eigentümer*in ist die Vermieter*in jedoch (weitgehend) in der Lage, diesen Wert nach ihren Vorstellungen zu bepreisen.
Wie NFTs sich auf die Musikindustrie auswirken könnten
Für Rechteinhaber*innen stellen NFTs also eine neue Verwertungsmöglichkeit dar, die nicht auf dem Verkauf der Rechte an ein Label beruht – sondern im Gegenteil eine Profitabschöpfung aus dem Erhalt der Rechte erlaubt. Anders als bei einer Wohnung lassen sich dabei aber aus einem einzigen Asset prinzipiell unbegrenzt viele Renditekanäle eröffnen.
Beispielsweise lässt sich über NFTs das Recht verkaufen, ein Album noch vor seiner Veröffentlichung hören zu dürfen. Dieses Recht kann einmal oder auch vielmals verkauft werden, ohne dass dabei die Rechteinhaber*innen in ihren zukünftigen Verwertungsmöglichkeiten eingeschränkt werden.
Da der Wert der verkauften Ereignisse in ihrer Knappheit begründet liegt, nimmt der Wert einzelner NFTs durch die Verbreiterung des Zugangs allerdings ab. Ein NFT, das es beispielsweise erlaubt, ein neues Album als erste*r hören zu dürfen, verliert unmittelbar an Wert, je mehr Menschen dieses NFT kaufen können und dadurch Zugang zu dieser einzigartigen Erfahrung haben.
NFTs haben das Potential, den stark konzentrierten Musikmarkt aufzuwirbeln, der gerade in den USA von der Veräußerung von Rechten geprägt ist. Davon könnten insbesondere diejenigen Künstler*innen profitieren, die bisher keinen Zugang zu einer Vermarktung ihrer Musik durch Labelverträge erhalten. Diese Musikschaffenden könnten durch NFTs die Möglichkeit bekommen, ihre Musik an bestehenden Verwertungsstrukturen vorbei direkt zu verwerten.
Demokratisierung oder Verstärkung bestehender Strukturen?
Die Blockchain-Befürworter*innen beschwören geradezu eine solche Demokratisierung des Musikgeschäfts: Der Ausschluss der bisher eingebundenen Intermediäre (wie Labels und Verlage) aus der Wertschöpfungskette sei für die Musiker*innen ein Befreiungsschlag.
Gerade weil Musikschaffende und -konsumierende bisher weitgehend von der Singularisierungsbewegung abgekoppelt waren, haben NFTs das Potential, neue Allianzen zu erzeugen und damit wirtschaftlich erfolgreich zu werden. Entgegen der Demokratisierungswünsche der Blockchain-Befürworter*innen ist jedoch zu erwarten, dass bestehende Intermediäre alles daran setzen werden, selbst von der Vermarktung neuer Knappheiten durch NFTs zu profitieren.
In ihrem Erfolgspotential liegt jedoch auch die größte Herausforderung für NFTs: Gerade weil sie die technologischen Möglichkeiten zu einer nahezu endlosen Vervielfältigung von Einzigartigkeit erlauben – und durch ihr Disruptionspotential einen enormen Partizipationsdruck auf Künstler*innen und Labels entfalten – untergraben NFTs die Grundlage ihres Werts: Knappheit.
Historisch betrachtet war es häufig die Verwaltung von Knappheit, die die Entstehung von Intermediären bedingt hat. Da NFTs jedoch keine rivalen Güter sind, ist ihre Knappheit prinzipiell unbegrenzt – und bestehende Verwertungsstrukturen schaffen starke Anreize für bestehende Intermediäre, so viele NFTs wie möglich zu vermarkten. Die Einlösung ihrer „demokratisierenden“ und marktwirtschaftlichen Potentiale bleibt für NFTs, jenseits des Hypes, eine Gratwanderung.
Wie verbreitet werden NFTs nach der Pandemie sein?
Auch jenseits der Knappheit bleiben Unwägbarkeiten: nur weil Güter knapp sind, werden sie nicht automatisch wertvoll. Für Käufer*innen bieten NFTs zwar neue Wege zur Signalisierung des eigenen Status, oder die Möglichkeit, Künstler*innen besonders nah zu sein. Jedoch sind NFTs immer auch digitale Objekte und unterscheiden sich damit von analoger Musik- und Kunsterfahrung.
Diese ist durch die COVID-Pandemie gegenwärtig stark eingeschränkt, so dass NFTs attraktive Alternativen teilweise fehlen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir nach der Pandemie digitalmüde sein werden und uns nach analogen Erfahrungen sehnen – in einer solchen Situation wird es schwerer für NFTs, sich zu behaupten.
Ein (vorläufiges) Fazit
NFTs sind digitale Echtheitszertifikate für verschiedene Objekte. Sie bieten verschiedene neue Verwertungsmöglichkeiten gerade im Kunst- und Musikbereich und in der digitalen Welt.
Anstatt Eigentumsrechte zu verkaufen, ist es mit NFTs möglich, Musik- und Kunstereignisse zu schaffen, künstlich zu verknappen und dabei die Eigentumsrechte zu behalten. Mit diesem Ansatz fordert die NFT-Technologie auch das Urheberrecht heraus. Wie sich Urheberrechte und NFTs im Detail zueinander verhalten, ist nicht abschließend geklärt.
Für Vermarkter*innen entstehen durch NFTs prinzipiell unendlich viele neue Vermarktungsmöglichkeiten, die auch Künstler*innen ohne Labelverträge neue Chancen bieten. Da jedoch auch bestehende Intermediäre an dieser Entwicklung mitmischen dürften, bleibt es fraglich, inwiefern NFTs die beschworene „Demokratisierung“ von Kunst- und Musikindustrie einlösen.
Ebenso fraglich bleibt, inwiefern Käufer*innen in einer post-pandemischen Zeit digitalen Musik- und Kunsterfahrungen einen finanziellen Wert beimessen werden – in erneuter Konkurrenz zu analogen Erfahrungen mag die Lust am Digitalen schwinden.
Was sagen Sie dazu?