Neues Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft: Das gilt ab dem 1. März
Wichtigster Teil des Gesetzes sind eine Reihe neu gestalteter Ausnahmeregelungen (Schranken) des Urheberrechts. Schranken ermöglichen es, urheberrechtlich geschützte Werke zu verwenden, ohne eine Erlaubnis von Urhebern oder Verlagen einholen zu müssen.
Wie geschützte Werke an Unis und Schulen, in Bibliotheken, Archiven und Museen genutzt werden dürfen, regeln sechs neue Abschnitte (Paragraf 60a bis 60f) des Urheberrechtsgesetzes. Erlaubt werden darin bestimmte Nutzungen
- zur „Veranschaulichung des Unterrichts und der Lehre“,
- zur Herstellung von Schulbüchern und anderen Lehrmedien,
- zur wissenschaftlichen Forschung,
- zur automatisierten Auswertung von Texten und Daten (Text- und Data-Mining),
- durch Bibliotheken und
- durch Archive, Museen und Bildungseinrichtungen.
Erklärtes Ziel der Reform war es, mehr Klarheit in die verästelten und komplexen Regelungen zu bringen und die Nutzungsfreiheiten teils zu erweitern. Die Novelle war zugleich stark umkämpft: Ein Kompromiss der Koalition führte unter anderem dazu, dass die meisten Regelungen mit einem Ablaufdatum versehen sind. Sie gelten zunächst für fünf Jahre, bis zum 1. März 2023. Ein Jahr vor Ablauf sollen sie evaluiert werden.
iRights.Law veröffentlicht Interview-Studie zum Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz
Seit März 2018 ist das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz – abgekürzt UrhWissG – in Kraft. Um zu erfahren, wie sich das Gesetz in der Praxis macht, gab das Bundesministerium für Bildung und Forschung eine qualitative Interview-Studie in Auftrag. Die Studie wurde von iRights.Law durchgeführt und ist nun veröffentlicht. » mehr
Digitale Semesterapparate, Unterricht und Lehre: 15-Prozent-Regel kommt
Wie schon vor der Reform legen die Schrankenregelungen unter anderem fest, wann und wie geschützte Werke erlaubnisfrei für Unterricht und Lehre verwendet werden dürfen. Die Befugnisse gelten für Schulen, Hochschulen und weitere Bildungseinrichtungen, wenn dabei nicht-kommerzielle Zwecke verfolgt werden.
Dazu dürfen zum Beispiel Auszüge aus einem wissenschaftlichen Fachbuch digitalisiert und auf einer Lernplattform bereitgestellt werden. Neu sind konkrete Angaben zur Länge solcher Auszüge im Gesetzestext: Von umfangreichen Werken dürfen 15 Prozent verwendet werden, sogenannte „Werke geringen Umfangs“ wie einzelne Artikel aus einer Fachzeitschrift weiterhin vollständig.
Wie bislang muss der Zugang auf geschlossene Nutzerkreise beschränkt sein. Der Kreis wurde etwas weiter gezogen und umfasst neben den Teilnehmern einer Lehrveranstaltung nun auch Prüfer und andere Lehrende einer Hochschule. Hochschulen müssen nicht mehr prüfen, ob die verwendeten Texte kommerziell erhältlich sind, der „Lizenzvorrang“ entfällt.
Neue Einschränkung: Keine Presseartikel
Eine neue Beschränkung gibt es für Presseartikel. Unter Verweis auf die Sorgen von Presseverlegern strich die Bundesregierung alle Erwähnungen von „Zeitungen“ und „Zeitschriften“ aus dem Gesetzestext.
Damit entfällt die gesetzliche Erlaubnis, Artikel aus Zeitungen und Publikumszeitschriften für Unterricht, Lehre und Forschung zu verwenden, etwa als Scan auf einer Lernplattform. Falls nicht noch spezielle Lizenzverträge geschlossen werden, bleibt für Presseartikel vorerst nur die 15-Prozent-Regel oder die Möglichkeit, daraus zu zitieren.
Zitatrecht gilt auch für Abbildungen
Unabhängig von der neuen 15-Prozent-Regel bleibt es dabei, dass aus Büchern und anderen Medien zitiert werden darf, um etwa eigene Ausführungen zu belegen. Wie bislang sind die Anforderungen an ein zulässiges Zitat sehr eng.
Das neue Gesetz stellt allerdings klar, dass beim Zitieren auch Abbildungen des zitierten Werks benutzt werden dürfen. Das bedeutet, dass eine Autorin etwa ein geschütztes Foto einer Skulptur als Zitat verwenden darf, auch wenn ihre Ausführungen sich nicht mit dem Foto, sondern der darauf abgebildeten Skulptur beschäftigen. Bislang war diese Erlaubnis nicht eindeutig.
Pauschale Vergütung ausreichend
Für die meisten erlaubten Nutzungen sammeln Verwertungsgesellschaften wie die VG Wort auch weiterhin Vergütungen ein. Lange Zeit umstritten war das Verfahren dazu, vor allem bei digitalen Semesterapparaten: Die VG Wort pochte auf eine Einzelabrechnung der verwendeten Texte, die Hochschulen auf Pauschalen.
Das neue Gesetz legt nun fest, dass Pauschalvergütungen ausreichend sind, die per Stichprobe ermittelt werden. Noch haben sich VG Wort und die Kultusminister allerdings nicht auf einen neuen Vertrag geeinigt, der die genauen Modalitäten regelt.
Forschung und Data-Mining
Auch in der wissenschaftlichen Forschung gilt ab dem 1. März die 15-Prozent-Regel, wenn umfangreiche Werke genutzt werden. Wissenschaftler dürfen die so bereitgestellten Werke nun auch innerhalb von Forschungsverbünden verwenden. Für ihre eigene Forschung dürfen sie bis zu 75 Prozent eines Werks kopieren.
Eine weitere Regel soll das Text- und Data-Mining erleichtern. Dabei werden große Datenbestände computergestützt ausgewertet. Eine neue Gesetzesnorm stellt klar, dass die dabei entstehenden Kopien erlaubt sind und Forscherteams sowie Gutachter im Peer Review darauf zugreifen dürfen.
Haben Forscher beispielsweise Zugang zu einer wissenschaftlichen Datenbank, so dürfen sie diesen Zugang nutzen, um Inhalte auszulesen und eine Datenbasis zur weiteren Auswertung (Korpus) anzulegen. Die Erlaubnis ist auf nicht-kommerzielle Zwecke in der wissenschaftlichen Forschung beschränkt und sieht vor, dass die Forscher das Korpus später löschen müssen, aber zur Archivierung an Bibliotheken oder andere Einrichtungen übermitteln dürfen.
Bibliotheken: Textversand per E-Mail, begrenztes Abspeichern
Weitere Regelungen betreffen die Befugnisse von Bibliotheken. Neu geregelt werden unter anderem Kopien auf Bestellung. Die bisherige Beschränkung, nach der Bibliotheken nur nicht-durchsuchbare Grafikdateien verschicken dürfen, fällt weg. Parallele Verlagsangebote stehen dem Kopienversand an nicht-kommerzielle Nutzer nicht mehr im Weg.
Zudem ist jetzt gesetzlich geregelt, dass Bibliotheken ihre digitalisierten Werke auch zum Ausdrucken oder Abspeichern auf USB-Stick anbieten dürfen. Ob solche „Anschlusskopien“ erlaubt sind, hatte über viele Jahre die Gerichte beschäftigt. Neu ist allerdings die Beschränkung, dass dabei nicht mehr als 10 Prozent eines umfangreichen Werks kopiert werden dürfen.
Museen und Archive, Internet-Archivierung
Weitere Regelungen sollen es Museen und Archiven leichter machen, eigene Sammlungen aufzubauen, ihre Bestände dauerhaft zu sichern und diese zu digitalisieren. Auch die Befugnisse der Deutschen Nationalbibliothek wurden erweitert. Sie darf nun systematisch frei zugängliche Webseiten per Web-Harvesting archivieren und die gesammelten Seiten mit einigen Landesbibliotheken austauschen.
Weiterführende Informationen
iRights.info hat zwei Ratgeber in neuer Auflage veröffentlicht, die auch die neuen urheberrechtlichen Regelungen näher erläutern:
Der Praxisleitfaden „Rechtsfragen zur Digitalisierung in der Lehre“ (PDF) behandelt die Themen E-Learning, OER und Open Content. Er wurde von Till Kreutzer und Tom Hirche im Auftrag des Multimediakontor Hamburg (MMKH) verfasst. Der Leitfaden ist zum 1. März in einem besser lesbaren Layout erhältlich.
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Die Handreichung „Neue rechtliche Rahmenbedingungen für Digitalisierungsprojekte von Gedächtnisinstitionen“ (PDF) richtet sich speziell an Museen, Archive und Bibliotheken und soll eine erste Orientierung in urheberrechtlichen und weiteren Rechtsfragen ermöglichen. Sie wurde von Paul Klimpel, Fabian Rack und John Weitzmann im Auftrag der Servicestelle Digitalisierung des Landes Berlin (Digis) verfasst.
Einen aktualisierten Cheat-Sheet zu den Befugnissen in der Lehre und bei digitalen Semesterapparaten hat die TU Darmstadt veröffentlicht:
Das niedersächsische E-Learning-Netzwerk ELAN hat ein Erklärvideo für Lehrende erstellt:
Eine ausführliche „Urheberrechts-FAQ Hochschullehre“ (PDF) hat die Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt veröffentlicht. Eine kurze tabellarische Übersicht (PDF) der Neuerungen hat Christiane Müller (Universitätsbibliothek Tübingen) erstellt. Auch der Deutsche Bibliotheksverband informiert in einem Schreiben über die neuen Regelungen für Bibliotheken (PDF).
14 Kommentare
1 Michael Heinecke am 1. März, 2018 um 13:11
Vielen Dank für die schöne Übersicht! Dass fasst die wesentlichen Punkte sehr übersichtlich zusammen.
Was mich interessiert: Können wissenschaftliche Veröffentlichungen, in denen Bildzitate regelkonform verwendet werden, unter eine offene Lizenz gestellt werden (etwa cc-by)?
2 Frank am 1. März, 2018 um 13:21
“Die Befugnisse gelten für Schulen, Hochschulen und weitere Bildungseinrichtungen, wenn dabei nicht-kommerzielle Zwecke verfolgt werden.”
Wie sieht das ganze für private Hochschulen aus? Hier sind ja durchaus kommerzielle Zwecke zu erkennen …!? Danke!
3 David Pachali am 1. März, 2018 um 15:55
Dazu wird in der Gesetzesbegründung (S. 36) ausgeführt:
4 David Pachali am 1. März, 2018 um 17:34
@Michael Heinecke: Einen Tipp für so einen Fall gibt es in diesem Artikel, dort Nr. 7.
5 Hans-Ulrich Wagner am 1. März, 2018 um 21:00
Vielen Dank für die gute Darstellung.
Meine Frage bezieht sich auf AV-Materialien:
Ändert sich durch diese Fassung des UrhWissG etwas an dem, was Paul Klimpel und Eva-Marie König 2015 in ihrem Gutachten “Urheberrechtliche Aspekte beim Umgang mit av Materialien in Forschung und Lehre” (IRights law) geschrieben haben?
Danke!
6 Rebecca König am 1. März, 2018 um 21:40
15 % sind doch ein Witz …
7 David Pachali am 2. März, 2018 um 10:13
Ursprünglich waren übrigens 25 Prozent vorgesehen, worüber vor allem Verleger nicht erfreut waren. Im Regierungsentwurf des Gesetzes hat die Koalition dann 15 Prozent vorgesehen.
8 Jan am 5. März, 2018 um 13:59
Vielen Dank für die Zusammenstellung und Erklärung.
Aktuell hätte ich eine Anschlussfrage:
Wie sieht es aus, wenn ich ein Korpus aus Zeitungsartikeln zusammenstelle und dieses mittels Text-/Data-Mining weiterverarbeite?
9 Susanne am 30. März, 2018 um 12:54
Hallo,
ich hätte eine Frage. Warum wurden prozentuale Unterscheide zwischen §§ 60 a und c (15%) und §§ 60 b und e (10%) gemacht? Diesen Unterschied verstehe ich insbesondere zwischen § 60 a und § 60 b nicht.
Danke und Grüße
10 David Pachali am 4. April, 2018 um 16:07
Bislang gab es da eine ganze Reihe an Interpretationen von Gesetzesbegriffen wie „Teile eines Werks“, „kleine Teile“ u.ä., an die auch das neue Gesetz teils anknüpft.
Letzten Endes sind die Prozentzahlen geronnene Politik, also ähnlich wie z.B. Verhandlungsergebnisse in einer Tarifrunde zu lesen.
11 JR am 30. April, 2018 um 17:15
Vielen Dank für diese kompakten Infos!
Aber es gibt immer noch etwas, was mir einfach nicht ganz klar wird (und ich habe schon ausgiebig danach gegoogelt, aber entweder ich finde es nicht oder ich kapiers einfach nicht) >>
Mein Problem behandelt das “Zeigen von Filmausschnitten in einer Seminarsituation”: Im Erklärvideo auf dieser Seite wird gesagt, dass Filmausschnitte zwar genutzt (im Seminar gezeigt) werden dürfen, aber – Zitat: “…aber Vorsicht: Der Kreis der Nutzerinnen und Nutzer muss beschränkt sein. Nach wie vor darf das Material nicht allen Studierenden der Hochschule, sondern nur den Lernenden der jeweiligen Lehrveranstaltung zukommen.”
Wenn ich den § 60a recht verstanden habe, dann gilt:
Filmvorführungen (z. B. legal (aber privat) erworbene DVDs ohne weitere Bildungslizenzvereinbarungen) können auch unter § 60a
1. nur als maximal 5-minütige Ausschnitte in einem Hochschulseminar gezeigt werden (das geht aber auch mit ganz aktuellen Kinofilmen)
2. wobei Hochschulseminar hier – wie früher im im alten UrhG – immer (noch) als “Öffentlichkeit” verstanden wird (also als “öffentliche Vorführung”)… oder? (Korrekt?)
Problem dabei:
Bei Hinterlegung von solchem Material in z. B. E-Learning-Plattformen (als .mp4) verstehe ich das, was im Erklärfilm gesagt wird und das geht auch relativ einfach, weil die E-Learning-Plattform-(Moodle-)Kurse “geschlossen” sind. Aber was ist mit “Zeigen von Filmausschnitten im(!) Seminar selbst”? Seminare und Vorlesungen sind grundsätzlich öffentlich, da kann ich nicht verhindern, dass dort auch Menschen sitzen, die nicht zu meinem Seminar “gehören” (wobei “gehören” sich auf diejenigen bezieht, die sich für mein Seminar angemeldet haben)… zu dieser Konstellation finde ich einfach nichts…
Weiß jemand was dazu?
12 Leser am 26. August, 2020 um 08:09
Sie geben ein angebliches Gesetz vom 01.03.2018 an, welches weder von Ihnen zur Einsicht angeboten noch im Internet mit Stand 26.08.2020 zu finden ist, außer ein laufendes Änderungsverfahren ab 2017 …
Das von Ihnen über einige Wörter verlinkte Gesetz ist vom 01.09.2017, dort steht nichts von 01.03.2018.
Bitte, wo ist das Gesetz!? Danke.
https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/BGBl-UrhWissG.pdf?__blob=publicationFile&v=1
13 H. Steinhau, Redaktion am 26. August, 2020 um 11:45
@Leser: Das „Gesetz zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (UrhWissG)“ wurde im September 2017 beschlossen und trat zum 1.3.2018 in Kraft. Im Artikel verlinken wir auf die geltende Fassung vom 1.9.2017. Näheres zum betreffenden Gesetzgebungsverfahren finden Sie auf der Webseite des BMJV: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/UrhWissG.html
14 FD Ver am 17. Januar, 2022 um 13:23
Dazu eine Frage: Wenn ein kleines Archiv in öffentlicher Trägerschaft eine von 1929-1933 erschienene Zeitungsbeilage online stellen möchte, darf es das?
Die Druckerei, die sie herstellte, gibt es nicht mehr. Der Herausgeber ist noch vorhanden (Kirchenkreis). Muss ich das dann von Seite des Herausgebers absegnen lassen? Danke.
Was sagen Sie dazu?