Neue Vorschläge – alter Streit: „Wissenschaftsschranke“ in der Diskussion
Als Katharina de la Durantaye ihre Untersuchung zur Wissenschaftsschranke Anfang Mai im Rahmen einer Tagung in der Berliner Humboldt-Universität vorstellt, kommen zahlreiche Vertreter aus der Politik sowie Juristen von Verbänden und Institutionen zusammen, um sich über die neuen Vorschläge auszutauschen. Insbesondere die in der 320-seitigen Studie (PDF) enthaltenen Handlungsoptionen für eine Änderung des Urheberrechtsgesetzes werden lebhaft diskutiert.
Die politische Zeit für Urheberrechts-Reformen und damit für neue Kompromisse scheine besser denn je, sagt Katharina de la Durantaye zum Auftakt der Konferenz. Dafür zumindest spreche der Beschluss der Bundesregierung im Koalitionsvertrag: „Beim Urheberrecht werden wir eine Allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke einführen.“
Die Studie komme genau daher zum richtigen Zeitpunkt und leiste einen wichtigen Beitrag, bekräftigt Bettina Klingbeil vom Bildungsministerium. Die Bundesregierung sei auf einem guten Weg, den genannten Koalitionsbeschluss umzusetzen. Im Rahmen ihrer „digitalen Agenda“ werde gerade ein Rat für wissenschaftliche Infrastrukturen und eine Open-Access-Strategie entwickelt, so Klingbeil.
Wie gangbar der von de la Durantaye entworfene Weg wirklich ist, daran scheiden sich auf der Konferenz die Geister. Nachdem die meisten Rednerinnen und Referenten die Studie als hervorragende wissenschaftliche Arbeit loben, entspinnen sich an Einzelheiten der neuen Vorschlägen alte Streits und hinlänglich bekannte Gegensätze – zwischen den Forderungen der Bildungs- und Wissenschafts-Einrichtungen nach einer Schranke einerseits, der ablehnenden Haltung gegenüber einer solchen Schranke besonders durch Verlage andererseits.
Urheberrechts-Richtlinie: Vorschläge konform oder nicht?
Zu den wesentlichen Botschaften der bereits Ende März vorgestellten Studie (iRights.info berichtete) gehört, dass es durchaus möglich sei, eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke ins deutsche Urheberrecht einzuführen, ohne die europäischen Vorgaben zu verletzen, die in der EU-Urheberrechtsrichtlinie aus dem Jahre 2001 festgeschrieben sind. Dies bestätigt auch Bettina Klingbeil.
Ganz anders Irene Pakuscher, seit zehn Jahren für Urheberrechtsfragen zuständige Mitarbeiterin im Justizministerium. Sie begrüßt zwar die Vorschläge der Studie, betrachtet es aber als unumgänglich, zunächst den europäischen Rechtsrahmen anzupassen, also die Richtlinie. Zudem müssten in diesem Zuge auch Regelungen für Datennutzungen im Bereich Web-Harvesting und Data Mining weiter diskutiert werden, die die Studie eher offen lasse.
Diesem Verständnis folgt auch die Völkerrechtlerin Silke von Lewinski. Generell sei zwar im internationalen und europäischen Recht genügend Freiraum, um bestimmte nationale Urheberrechts-Ausnahmen vorzusehen. Der europäische Gesetzgeber müsse aber deren Grenzen festsetzen und auch ändern, sagt von Lewinski mit Verweis auf die EU-Konsultation zum Urheberrecht: „Ich glaube wir sind auf EU-Ebene ganz am Anfang der Überlegungen, an der Urheberrechts-Richtlinie etwas zu ändern. (…) Ich persönlich könnte mir vorstellen, dass die kommende Regelung ähnlich wie bei verwaisten Werken ausfallen wird.“
Pauschalvergütung: nutzungsgerecht oder marktgerecht?
Die zentralen Vorschläge – zum einen eine Schrankenregelung für Bildungs- und Wissenschaftsinstitutionen, zum anderen für Bibliotheken und Archive – formuliert die Studie Durantayes als sogenannte Generalklauseln mit einer Pauschalvergütung der Rechteinhaber und Verwerter. Zusätzlich benennt die Studie Nutzungsbeispiele, für die die Schranke gelten sollen, in beiden Fällen für nichtkommerzielle Zwecke. Bedingung dafür ist im Regelungsvorschlag die „Gebotenheit“, womit die Bedingungen eingegrenzt werden, unter denen urheberrechtlich geschützte Werke verwendet werden dürfen.
Aus Sicht von Thomas Pflüger, Vertreter der Kultusministerkonferenz und damit der Kämmerer der öffentlichen Hand der Bundesländer, würden diese Vorschläge den Beschaffungsetat von Bildungseinrichtungen und Bibliotheken um mehrere Millionen Euro entlasten. Auch stimmt Pflüger dem Ansatz der Studie zu, dass die Vergütung der Rechteinhaber im Rahmen der Schranken nur pauschal zu bemessen sei.
Kuhlen: Bei nutzungsbasierter Abrechnung droht Überwachung
In diese Kerbe schlägt auch Rainer Kuhlen vom Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft.“* Die momentan praktizierte Pauschalvergütung über die Geräteabgaben ließe sich seiner Meinung auch für die vorgeschlagene Reform anwenden. Robert Staats von der Verwertungsgesellschaft Wort wirft ein, dass Gerätehersteller nichts zahlen würden, wenn die Art und Weise der Abgabe nicht genau beschrieben sei.
Die von der Studie präferierte Pauschalvergütung für bestimmte Nutzungsszenarien sei immer ungerecht, entgegnet Christian Sprang vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Deshalb plädiere der Börsenverein für Vergütungen auf Lizenzbasis, maschinenlesbar und EU-weit. Diesen Ansatz wiederum hält Rainer Kuhlen für falsch: „Mit einer nutzungsbezogenen Abrechnung würden wir uns Überwachung einhandeln, und die ist nicht tragbar“, so Kuhlen.
Außerdem, so gibt Urheberrechtler Till Kreutzer (auch Redakteur bei iRights.info) zu bedenken, würden bei Einzellizenzen allein die Verlage die Preise bestimmen und die Preise in die Höhe stiegen. Er verweist auf bisherige Preissteigerungen bei Kopien aus Werken für den Bildungs- und Wissenschaftsbereich. Auch Bibliotheksjurist Eric Steinhauer sagt: „Die Nutzungsrealität der Studenten spricht dagegen, weil alles, was lange dauert oder teuer ist, einfach nicht genutzt wird“ – davon hätten am Ende auch die Verlage nichts.
Sprang: Schranke gefährdet Primärmarkt der Verlage
Für Börsenvereins-Justiziar Christian Sprang steht die Freiheit der Märkte im Mittelpunkt. Hier habe die Studie Defizite: „Sie lässt unklar, wo für Verlage noch ein Primärmarkt zur Verfügung stehen soll“. Dem Wissenschaftler bliebe nur noch die Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND, alles andere würde durch die Wissenschaftsschranke weggefiltert. Doch es müsse dem Wissenschaftler überlassen sein, ob er kommerzielle Verwertung will oder Creative Commons, so Sprang.
Insbesondere der Begriff der „Gebotenheit“ sei diffus, sagt Sprang. Ähnlich kritisch äußert sich Robert Staats: „Ein Lehrer, der seinen Unterricht vorbereitet, kann nicht abwägen, was ‚zum Zwecke der Nutzung geboten‘ sein könnte, weil dies zu unklar ist.“ Im Zweifel bliebe es den Gerichten überlassen, zu definieren, was in konkreten Fällen „geboten“ ist. Hier sollte der Gesetzgeber besser klarere Regelungen vorgeben.
Erlaubnis für Nutzung „im Unterricht“ oder für „Lehr- und Lernzwecke“?
Die Vorschläge für explizit erlaubte Nutzungsszenarien seien eher zu eng als zu weit gefasst, entgegnet Informationswissenschaftler Rainer Kuhlen. So sei die Beschreibung einer Nutzung (von Werken) „im Unterricht“ nicht mehr zeitgemäß, weil es beispielsweise auch Tele-Lernen gebe. Daher schlägt er vor, im Gesetzestext Nutzungen für „Lehr- und Lernzwecke“ zu erlauben.
Auch der im Regelungsvorschlag verwendete Begriff „Terminals“ greife zu kurz, besser wäre die Formulierung „Lesegeräte“ oder gar „Punkt-zu-Punkt-Verbindung“, weil auch Smartphones, Tablets und andere Geräte zum Lernen benutzt werden. Katharina de la Durantaye verweist auf gleichlautende Formulierungen in der EU-Urheberrechtsrichtlinie, dort sei eben von „Unterricht“ und „Terminals“ die Rede. Durantaye: „Wir wollten nicht träumen oder idealisieren.“
Forderungen an die Politik
Ein Kompromiss schälte sich auf der Tagung nicht heraus, aber den muss ohnehin die Politik finden und umsetzen. Vielleicht nahmen die anwesenden Politikerinnen und Politiker deshalb eher übergeordnete Gedanken zu einer Bildungs- und Wissenschaftsschranke mit: „Der Gesetzgeber sollte sich klar zu einer Priorität von Freiheit des Zugangs bei Wissenschafts- und Bildungsinhalten bekennen“, fordert Rainer Kuhlen. Oliver Hinte vom Deutschen Bibliotheksverband sekundiert, das solche Schranken für jene, die sonst gar nicht an Bildung herankommen, eine humanitäre Aktion seien. Den geforderten Interessenausgleich zwischen den Beteiligten – Urhebern, Verwertern und Nutzern – dürfe man nicht den Gerichten überlassen, er müsse vom Gesetzgeber kommen.
* Rainer Kuhlen ist auch Mitglied des Beirats von iRights.info.
Was sagen Sie dazu?