Neue Rechte für Webcasting heftig umstritten
In dem Vertrag, kurz „Broadcast Treaty“ genannt, soll festgelegt werden, dass Sender, die Sendungen über Rundfunk oder Web öffentlich machen, 50 Jahre lang darüber bestimmen dürfen, wer außer ihnen diese Sendungen ausstrahlen darf. Dieses Recht soll nicht nur – wie bisher – für Rundfunkanstalten gelten, sondern auch für Anstalten, die Sendungen über das Internet „öffentlich zugänglich machen“, so genannte Webcaster. Dieser Begriff wurde gewählt, weil Sendungen über das Internet nicht als Rundfunk definiert sind.
Der Vertragsentwurf, der die bisher geltenden Schutzfristen um 30 Jahre verlängern soll, sei „ein Skandal, aber bei der WIPO ist das das normale Tagesgeschäft“, empört sich James Boyle, Jura-Professor an der Duke University, in einem Kommentar im britischen Wirtschaftsblatt Financial Times. Es gebe keine Belege dafür, dass der Schutz von Rundfunksendungen, der bereits seit 1961 bestehe, in irgendeiner Weise dazu geführt habe, dass Rundfunksender in neue Übertragungsnetze investieren – und das sei die ursprüngliche Rechtfertigung für seine Einführung gewesen.
Stattdessen sei der damals verabschiedete „Internationale Vertrag zum Schutz von ausübenden Künstlern, Herstellern von Tonträgern und Rundfunkanstalten“ (International Convention for the Protection of Performers, Producers of Phonograms and Broadcasting Organizations) ein unnötiges Geschenk an die Sender gewesen. Dass nun die Schutzdauer von 20 auf 50 Jahre verlängert und auch noch auf Anbieter ausgedehnt werden soll, die Sendungen über das Internet verbreiten, sei völlig falsch und schade dem gesellschaftlichen Zugang zu Wissen und Kultur.
Schutz für Webcaster und Fernsehsender
Die WIPO begründet die geplante Verlängerung der Schutzdauer damit, dass die Investitionen von Rundfunksendern und Webcastern durch „Signal Piracy“ gefährdet seien, also dadurch, dass andere als die, die Sendung produziert oder für ihre Produktion bezahlt haben, sie übertragen. Das ist etwa dann der Fall, wenn eine US-Fernsehsendung in den USA aufgenommen und über eine Tauschbörse angeboten wird, so dass Zuschauer in Deutschland sie sehen können, bevor sie hier von einem Fernsehsender ins Programm genommen wird. Dadurch werden vor allem die Werbeeinnahmen der Sender wegfallen, so dass auf Dauer ihr Geschäftsmodell gefährdet ist, meinen die Befürworter.
Mit einem eigenen Recht am „Ausstrahlungssignal“ könnten die Sender selbst gegen derartige Kopien vorgehen, nicht nur diejenigen, die die Rechte an den Inhalten haben. Jonathan Potter, Direktor der Digital Media Association, sprach sich daher in einem Leserbrief an die Financial Times für neue Rechte speziell für Webcaster aus, da sie nur so in der Lage wären, ein Ausstrahlungssystem aufzubauen, das mit den Rundfunkanstalten konkurrieren könne. Die Digital Media Association vertritt Firmen wie AOL, Apple, Microsoft und Yahoo.
Kritik von Bürgerrechtlern und Internet-Unternehmern
Bürgerrechtler, aber auch prominente Internet-Unternehmer sehen hingegen die Gefahr, dass ein Recht für diejenigen eingeführt und verlängert würde, die selber keine Werke schaffen. Dieses Recht würde auch für Sendungen gelten, deren Inhalte nicht mehr dem Urheberrecht unterliegen.
Sollte der Vertrag in der vorliegenden Fassung in Kraft treten, kritisiert die US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF), würde er Rundfunkanstalten und Webcastern eine urheberrechtsähnliche Kontrolle über die Inhalte ihrer Sendungen verschaffen: „Ein Fernsehsender, der einen Creative-Commons-lizenzierten Film ausstrahlt, könnte verlangen, dass niemand anderes ihn sendet – und jeden verklagen, der es dennoch tut.“ Es ist noch unklar, ob das Ausstrahlungsrecht tatsächlich auch in einem solchen Fall gelten würde, oder ob nur die gesamte Sendung, deren Teil ein derartiger Film ist, geschützt wäre, aber die Ausstrahlung des einzelnen Films weiterhin erlaubt.
Auch die 20 Unterzeichner eines offenen Briefs an die WIPO, darunter der Computerbuch-Verleger Tim O’Reilly und Elliot Noss, Chef des Software-Downloadportals TuCows, fürchten, dass der aktualisierte „Broadcast Treaty“ zu dem von der EFF beschriebenen Szenario führen könnte. Mark Cuban, Besitzer der Fernsehproduktionsfirma HDTV und einer der bekanntesten Unternehmer der US-Medienbranche, hat den Brief formuliert. In ihm heißt es unter anderem, es gebe keine Sicherheit dafür, dass das neu geschaffene Recht irgendeinen Nutzen habe. Hingegen sei es aber völlig sicher, dass ein neu geschaffenes „Pseudo-Urheberrecht Innovationen in Internet-Märkten verlangsamen werde, indem es alle Unternehmen, die mit Inhalten zu tun haben, dazu zwingt, noch mehr Lizenzabkommen zu schließen, bevor sie Kunden neue Produkte oder Dienste anbieten können“.
Die Bürgerrechtsorganisation CP Tech weist außerdem darauf hin, dass sich nahezu alle Organisationen der Rechteinhaber in den vergangenen Anhörungen der WIPO dagegen ausgesprochen haben, Webcasting in die Verhandlungen zum „Broadcast Treaty“ aufzunehmen – darunter die „Internationale Vereinigung der Autoren- und Komponistengesellschaften“ (CISAC) oder die „Internationale Journalistenvereinigung“ (IFJ).
WIPO-Entscheidung vertagt
Kritik gibt es auch am Verfahren der WIPO. Am vergangenen Wochenende hatte ihre Generalversammlung darüber abgestimmt, für das nächste Jahr eine so genannte diplomatische Konferenz einzuberufen. Auf einer solchen Konferenz wäre der Vertrag dann verabschiedet worden. Nach Protesten mehrerer Mitgliedsländer, darunter Brasilien, Südafrika und Ägypten, dass dies im gegenwärtigen Stadium des Entwurf bei weitem verfrüht sei, entschied die Generalversammlung aber letztendlich, zuerst zwei Folgetreffen des ständigen Ausschusses zu Urheber- und verwandten Schutzrechten zu veranstalten, in denen der Vertragsentwurf weiter verhandelt werden soll. Die Verabschiedung wird nun für 2007 anvisiert.
Die Staaten, die sich gegen den Vertragsentwurf ausgesprochen hatten, betonten, das es viel zu früh sei, Entscheidungen zur Regulierung vor allem beim Webcasting zu treffen. Diese Technik sollte daher aus den Verhandlungen ausgeklammert werden. Noch dazu seien, wie der Vertreter Südafrikas mitteilte, bei den regionalen Verhandlungen in Afrika nur 14 von 53 Ländern vertreten gewesen, was nicht am Desinteresse der Staaten, sondern an der schlechten Organisation der Regionalkonferenzen gelegen habe.
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