Neue Aufträge für die öffentlich-rechtlichen Sender?
Nach eigenen Angaben verzeichnete die Republica in diesem Jahr knapp 20.000 Besucherinnen und Besucher. Damit ist sie längst mehr als die „nerdpolitische Konferenz“, als die man sie nach ihren Anfängen als Bloggertreffen viele Jahre sehen konnte. Mit insgesamt 19 Bühnen – nicht nur in der Station Berlin, sondern auch im nahegelegenen Technikmuseum – ist die Republica längst so etwas wie das Lollapalooza unter den Medienkongressen im deutschsprachigen Raum: ein Großereignis mit Happening-Charakter.
Dieser Eindruck soll jedoch nicht schmälern, dass auch in diesem Jahr vielfältig, konstruktiv und engagiert über aktuelle medien- und netzpolitische Fragen diskutiert wurde. Doch angesichts der enormen Anzahl an Einzelveranstaltungen zu den unterschiedlichsten Themen ist es schwierig, echte Schwerpunkte zu benennen. Zumindest den mittlerweile fest etablierten Programmstrang der Media Convention Berlin durchzog die Debatte um die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.
Debatte um die Öffentlich-Rechtlichen auch in Deutschland
Der Zeitpunkt für dieses Thema ist günstig: Einerseits nimmt die Diskussion unter den Landesregierungen an Fahrt auf, den übergreifenden Rundfunkstaatsvertrag erneut zu reformieren. Einzelne Staatskanzleien machen konkrete Vorschläge, wissenschaftliche Gutachten empfehlen den Umbau, Rundfunkräte und Sender öffnen sich dem Publikum mit Konsultationen oder in Foren.
Andererseits sind kürzlich in der Schweiz und in Dänemark medienpolitische Entscheidungen gefallen, die aus deutscher Perspektive analysiert werden sollten. So sprachen sich die Schweizerinnen und Schweizer Anfang März in einem Volksentscheid mehrheitlich dafür aus, den öffentlich-rechtlichen Sender „Schweizer Radio und Fernsehen“ (SRF) zu erhalten und weiterhin via Rundfunkgebühren zu finanzieren. Hingegen entschied die liberalkonservative Regierung in Dänemark ebenfalls im März, dass der dortige öffentlich-rechtliche Rundfunk zukünftig durch Steuergelder statt durch Gebühren finanziert wird und mit deutlich verkleinertem Budget auskommen muss.
Während mehrerer Podien und Vorträge der Media Convention erklärten die Teilnehmenden angesichts dieser beiden Ereignisse, dass auch in Deutschland die öffentlich-rechtlichen Anstalten unter Beschuss stünden. Die Kritik komme sowohl aus der Bevölkerung als auch von Interessenvertretern aus der Wirtschaft und von Politikern. Zu debattieren sei, wie sich die Sender in der digitalen Medienlandschaft neben den mächtigen Abspielplattformen und Streamingdiensten wie Youtube, Netflix, Amazon und Spotify konzeptionell aufstellen und programmatisch verhalten sollen.
Durchgängig beschworen die meisten Diskutanten, dass eine breite gesellschaftliche Diskussion notwendig sei, die die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verhandeln und definieren soll. Danach müssten sich Politik und Gesetzgebung und im Anschluss die Anstalten richten. So kündigte Patricia Schlesinger, Intendantin des RBB, Online-Anhörungen und eine neue Image-Kampagne an. Mit diesen Maßnahmen wolle die ARD auf die Bürger zugehen und die Identifikation mit den Öffentlich-Rechtlichen erhöhen. Auch ZDF-Intendant Thomas Bellut versprach auf der Bühne, dass das ZDF offen sei, sich den Wünschen und Bedarfen der Öffentlichkeit zu stellen.
Vision einer Supermediathek von Sendern und Kultureinrichtungen
Aus dem Saalpublikum heraus fragte der ARD-Quizmaster Eckhart von Hirschhausen (im Videomitschnitt ab Minute 32″40), ob es dem ZDF möglich wäre, öffentlich-rechtlich produzierte Inhalte über freie Creative-Commons-Lizenzen langfristig zugänglich zu halten und eine offenere Plattform zu bieten, ähnlich wie die der britischen BBC. In seiner Antwort gab sich Bellut unkonkret. Er fände diese Idee schick, sagte er. Das ZDF würde an einer Kulturplattform arbeiten, für die es sich mit mit Museen vernetzen wolle, das sei viel Arbeit. Was er von freien Lizenzen für ZDF-Produktionen hält, ließ er unbeantwortet.
Vielen gingen derartige Kooperationen innerhalb nur einer Sendeanstalt aber nicht weit genug. Häufig fiel der Begriff „Supermediathek“, die nicht nur die Archive von ARD, ZDF und Deutschlandfunk verbinden soll, sondern auch die möglichst vieler europäischer Sender. Dafür gebe es in den Anstalten selbst nach wie vor viel Sympathien, sagte beispielsweise eine Vertreterin des WDR in einer Wortmeldung aus dem Publikum. Der erste Versuch, so etwas für Deutschland unter dem Namen „Gold“ aufzubauen, scheiterte ihrer Ansicht nach vor allem daran, dass die Kartellbehörden eine gemeinsame Vermarktung untersagten. Gegen kooperative Mediatheken als solche spreche hingegen wenig.
European Public Open Space aus Sendern, Europeana, Wikipedia und Nutzern
Medienwissenschaftler stellten mehrere Konzepte vor, die weit über bloße Synergien von Mediatheken und Archiven hinausgehen. Sie forderten, dass sich öffentlich-rechtliche Sender radikal wandeln müssen, um sich der digitalisierten und vernetzten Medienwirklichkeit zu stellen und den non-linearen, emanzipierten Nutzungsgewohnheiten der Menschen gerecht zu werden. Denn nur damit könnten sie den übermächtigen Internetplattformen entgegentreten, die mehr und mehr Publikumsaufmerksamkeit auf sich zögen.
Der Mediensoziologe Volker Grassmuck, Mitautor der „Zehn Thesen zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, stellte das Konzept eines European Public Open Space vor. Dieses könnte auf vier Säulen stehen: erstens die öffentlich-rechtlichen Anstalten; zweitens und drittens zivilgesellschaftliche Organisationen und Einrichtungen, wie der europäische Bibliotheken-Verbund Europeana und die Wikipedia, und viertens die Öffentlichkeit selbst, also die Nutzerinnen und Nutzer. In der Summe entstünde entweder eine gemeinsame europäische Plattform in 24 Amtssprachen oder ein dezentrales System vieler Plattformen, die via Metadaten zusammengeführt werden, ähnliche wie bei der Europeana. Der Weg dorthin könne über Forschungsprojekte sowie runde Tische der avisierten Beteiligten führen, so Grassmuck.
Aus Sicht des Organisationswissenschaftlers Leonhard Dobusch, Professor in Wien, geht das Konzept eines Public Open Space in die richtige Richtung, sofern es transnational, also europäisch, gedacht werde. Den öffentlich-rechtlichen Sendern komme dabei eine Schlüsselrolle zu. Sie könnten mit den bereits erwähnten nichtkommerziellen Anbietern kooperieren, also mit Archiven, Museen und ähnlichen. Vor allem aber sollten sie publizistischen Aktivitäten außerhalb des Mainstreams eine Bühne eröffnen, etwa Bloggern, Selfpublishern, Projekten und Initiativen.
Generell sei die Offenheit solcher Plattformen entscheidend dafür, wie im Internet digitale Öffentlichkeiten entstehen. Das heißt, die öffentlichen Plattformen sollen es den Nutzern ermöglichen, wie bei Facebook oder Youtube Inhalte hochzuladen und möglichst frei zu nutzen. Dazu gehört für Dobusch eine Diskussion darüber, wie sich bei solchen öffentlich-rechtlichen Mediaplattformen die Auswahl-Algorithmen von denen bei Facebook unterscheiden würden, wo Empörung belohnt und damit Fakenews und Hassbotschaften begünstigt würden.
Um den öffentlich-rechtlichen Plattformen diesen neuen Auftrag zuzuschreiben, müsste zwar der Rundfunkstaatsvertrag geändert werden – aber wie sich am Beispiel Funk zeigte, sei dies keineswegs undenkbar. Funk ist ein ausschließlich online verfügbares Angebot von ARD und ZDF, das sich an 14- bis 29-Jährige richtet.
Als organisatorischen Rahmen für eine offene, öffentlich-rechtliche Internetplattform schlägt Dobusch die Einrichtung einer „Internetintendanz“ vor. Das wäre eine Person, die von allen Rundfunkräten gewählt würde. Stünden ihr 2,5 Prozent der Rundfunkabgabe zur Verfügung, wären das rund 200 Millionen Euro. Das ist etwa das Fünffache davon, was Funk derzeit bekommt.
Im Gegensatz zu Funk soll die Internetintendanz aber keine Eigenproduktionen erstellen, sondern in erster Linie die Plattform aufbauen und funktionabel halten. Zudem soll sie 75 Prozent der Mittel an externe Produzenten und „Innovationsführer außerhalb der Anstalten“ ausschütten, deren Inhalte sie dann für die Plattform kuratiert. Wer wolle, könne dies dann als öffentlich-rechtliche Internetplattform à la Youtube sehen.
Offenes Diskussionsforum „Unsere Medien“
Ob nun European Public Open Space oder Internetintendanz, für Lorenz Lorenz-Meyer, Kommunikationswissenschaftler an der Hochschule Darmstadt, benötigen die Sendeanstalten mutige Entwicklungsprojekte, Offenheit zwischen allen Ebenen und Andockfähigkeit zu anderen öffentlichen Einrichtungen und Projekten. In einem ergebnisoffenen Strategieprozess müsse diskutiert werden, wie man vom linearen Paradigma weg zu einem erweiterten „Versorgungsauftrag“ kommen könnte, der die Zuschauer sowohl in der Nutzung der Inhalte als auch als interaktive Teilnehmer mit einschließt. Zudem sei zu debattieren, ob und wie man die Quoten als Bewertungskriterium ablösen, die Aufsichtsgremien stärken und größere Staatsferne gewährleisten könnte.
Um all diese Fragen transparent und demokratisch zu diskutieren, plant Lorenz-Meyer das Forum Unsere-medien.de zu betreiben, für das er sich von der britischen Plattform OURBEEB (The Future of the BBC) inspirieren ließ. Mit OURBEEB sei eine offene gesellschaftliche Bühne entstanden, die mit Formaten wie „100 Ideas for the BBC“ auch konkrete Vorschläge hervorbringe. Die Seite soll offiziell im September an den Start gehen und redaktionelle Beiträge aus der Zivilgesellschaft, aus den Anstalten und deren Gremien, aus der Wissenschaft, und der Politik versammeln. Lorenz-Meyer plant zudem einen kuratierten Newsfeed und eine Veranstaltungsreihe.
3 Kommentare
1 Thierry Chervel am 1. Juni, 2018 um 10:03
Warum soll man Ideen für die Öffentlich-Rechtlichen entwickeln? Wir bräuchten eher eine neue Idee öffentlich-rechtlicher Information. Das ist beileibe nicht dasselbe.
2 Hanko am 22. Januar, 2019 um 02:19
Der öffentlich-rechtlinche Rundfunk ist eine wichtige demokratische Errungenschaft und unverzichtbar. Aber ich finde es eine Frechheit, dass dessen Produkte, die uns doch allen gehören, nicht unter freien Lizenzen ins Netz gestellt werden, sondern fast immer unter unfreien Lizenzen z. B. gerade mal zwei Wochen lang in einer der unzähligen Mediatheken eingestellt werden. Wieso nicht eine europäische oder besser noch globale Plattform für solche Inhalte schaffen? Z. B. mit englischsprachigen Untertiteln in Wikinews einspeisen? Dann kommt unsere Rundfunkgebühr auch tatsächlich uns allen zugute.
3 MartinPer am 21. Februar, 2020 um 16:48
Als Beispiel fur politischen Einfluss in den offentlich-rechtlichen Rundfunk sei die Regierung unter Richard Nixon genannt, die versuchte, die Sender zu weniger kontroversen, konservativen Sendungen unter starkerer Betonung der Regierungsansicht zu bewegen. Dazu wurden vor allem die Mittel gekurzt, um die Sender zu einer „Selbstreform“ zu zwingen. Andere Politiker haben in der Vergangenheit gefordert, die staatliche Unterstutzung ganz einzustellen.
Was sagen Sie dazu?