Neu und doch nur Mittelmaß: Die Open-Source-Strategie der EU-Kommission
Freie Software – Computerprogramme, die jeder nach Belieben verwenden, verstehen, verbessern und verbreiten darf – hat für Organisationen des öffentlichen Sektors viele Vorteile: Sie schafft Unabhängigkeit von einzelnen Softwareanbietern, beseitigt Barrieren in der Kommunikation mit Bürgern und Behörden, und spart in vielen Fällen Geld. Darüber hinaus ist freie Software heute eine Selbstverständlichkeit in der IT-Landschaft. Es gibt kaum noch Behörden, Firmen oder Individuen, die sie nicht irgendwo nutzen: Etwa den Browser Firefox, Webserver wie Apache und Nginx oder den VLC-Mediaplayer.
Status quo statt wirklicher Strategie
Die Europäische Kommission veröffentlichte nach eigenen Angaben zuerst im Dezember 2000 eine „Open-Source-Strategie”. Das Dokument wurde in den Folgejahren immer wieder überarbeitet. Die Strategie ist nicht als politisches Dokument gedacht. Es handelt sich dabei um eine Handreichung für den Gebrauch freier Software innerhalb der EU-Kommission. Der Text spiegelt aber dennoch die Haltung der Kommission zu freier Software wieder. Er stellt sozusagen den kleinsten gemeinsamen Nenner dar, auf den sich die verschiedenen Abteilungen der Kommission einigen konnten.
Und klein ist dieser Nenner in der Tat – so klein, dass die Bezeichnung „Strategie“ viel zu hoch gegriffen scheint. In Wirklichkeit handelt es sich bei dem Dokument nur um eine Beschreibung des Status quo. So will die Kommission im Rahmen ihres üblichen Software-Einkaufs auch freie Software beschaffen. Das sollte im Jahr 2015 selbstverständlich sein, denn sonst würde sich die Kommission schnell wieder dem Vorwurf aussetzen, einzelne Anbieter im Markt zu benachteiligen.
Gesamtkosten, aber keine Wechselkosten berücksichtigt
Dennoch hat die Kommission mit der neuesten Version der Strategie, veröffentlicht Ende März 2015, einige Schritte in die richtige Richtung zumindest angekündigt. So soll bei der Software-Beschaffung nicht mehr allein das Preis-Leistungs-Verhältnis die Richtschnur sein. Statt dessen will die Kommission die Gesamtkosten einer Softwarelösung während der gesamten Dauer ihres Einsatzes in Betracht ziehen.
Das dürfte zwar zu einer realistischeren Bewertung von Angeboten führen. Die Free Software Foundation Europe (FSFE) hatte der Kommission jedoch geraten, weiter zu gehen und auch die sogenannten exit costs in die Bewertung einfließen zu lassen: Jene Kosten, die beim späteren Wechsel auf eine Lösung eines anderen Anbieters entstehen. Genau diese Kosten für die Bergung von Daten und Vorlagen aus geheimen, unfreien Formaten wie etwa Microsoft Word sind es, die immer wieder dazu führen, dass Behörden den Einsatz freier Software vermeiden – auch im Fall der Kommission selbst. Die britische Regierung hat bereits vor einiger Zeit festgelegt, dass exit costs bei der Beschaffung von Software mit einkalkuliert werden müssen.
Neu ist, dass die Kommission ihren eigenen Software-Entwicklern erlauben will, aktiv an externen Projekten für freie Software mitzuarbeiten. Das ist sinnvoll, denn es ist die einfachste Art, eigene Anpassungen langfristig in solchen Programmen unterzubringen. Die oberste EU-Behörde wird dazu interne Regeln entwickeln müssen, ähnlich wie jene, die größere Firmen für die Mitarbeit ihrer Angestellten an freier Software haben.
Europas Bürger müssen Technik kontrollieren können
Der deutlichste Fortschritt in der neuen Version der Strategie ist, dass es einen „action plan“ geben soll. Damit will die Kommission – und es wird offenbar niemand rot dabei – sicherstellen, dass die Strategie auch tatsächlich umgesetzt wird. Allerdings ist der Plan nicht zur Veröffentlichung vorgesehen. Wir werden also möglicherweise nie erfahren, ob die Kommission die geschilderten Vorhaben, so bescheiden sie auch sind, auch wirklich durchführt.
Damit bleibt die Strategie auch in ihrer neuesten Version das, was sie schon immer war: Eine Absichtserklärung. Das ist bedauerlich. Das Leben der Bürger Europas ist immer stärker durch Computer und Netzwerke geprägt. Selbstbestimmt leben können sie aber nur, wenn sie auch die Möglichkeit haben, die Technik, die sie nutzen, selbst zu kontrollieren. Freie Software ermöglicht genau das und ist deswegen ein unverzichtbarer Baustein für ein europäisches Haus, in dem wir alle in Freiheit leben können.
Was es für die Kommission zu tun gibt
Mit etwas Mut könnte die Kommission freie Software nutzen, um so viel mehr für die Bürger Europas zu erreichen. Dafür müsste sie freie Software allerdings als politisches Werkzeug einsetzen, nicht nur als Mittel zur internen Effizienzsteigerung.
- Die Kommission könnte dem Europäischen Parlament dabei helfen, dafür zu sorgen, dass auch Nutzer freier Software endlich die Video-Streams aus dem Plenarsaal verfolgen können. Solche Transparenz ist ein Minimalgebot für eine Demokratie.
- Die Kommission könnte auch die Entwicklung von Technologien zur Verschlüsselung fördern, die es den Bürgern und auch den Unternehmen in Europa möglich machen, ihre Privatsphäre und ihre Daten zu wahren. Dass der Entwickler eines weltweit führenden Programms wie des Verschlüsselungswerkzeugs GnuPG nach vielen mageren Jahren auf Spenden angewiesen ist, ist schlicht kein akzeptabler Zustand.
- Schließlich könnte die Kommission dafür sorgen, dass wir die Geräte, die wir kaufen, auch wirklich besitzen können. Wer einen Computer kauft, muss – egal, ob es sich dabei um ein Smartphone, einen Router oder einen Kühlschrank handelt – das Recht haben, die Software auf dem Gerät zu modifizieren oder zu ersetzen.
Mit ihrer neuen „Strategie“ schließt die Kommission zum Status quo bei freier Software auf. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr.
1 Kommentar
1 Roland Alton am 9. Mai, 2015 um 12:13
Die Kommission sollte auch die Pflege der EUPL (European Public License) voran treiben. Seit zwei Jahren gibt es Vorschläge für die Weiterentwicklung von der Version 1.1. zur Version 1.2, aber wie es scheint kümmert sich niemand darum. Die EUPL 1.2 wäre dann nicht nur mit der GPL Lizenz, sondern auch mit der CC-by-sa kompatibel und für den europäischen Rechtsraum optimiert (was man bei der GPL oder der CC 4.0 nicht behaupten kann).
Was sagen Sie dazu?