NetzDG: Facebook und Co. müssen Hatespeech vorerst nicht an das BKA melden
Seit dem 1. Februar 2022 sollen Anbieter sozialer Netzwerke potenziell strafrechtlich relevante Inhalte direkt an das Bundeskriminalamt (BKA) melden. Das ist die wichtigste Neuerung der Gesetzesänderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG), die im Sommer 2021 beschlossen wurde.
Anlass für die Gesetzesverschärfung waren der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke sowie die Anschläge in Hanau und in Halle. Die damalige Bundesjustizministerin Christine Lambrecht hatte das „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“ 2019 in den Bundestag eingebracht, das auch Änderungen am bestehenden NetzDG vorsah. Die Änderungen wurden bereits 2021 im Bundestag beschlossen.
NetzDG: Anwort auf Hass im Netz
Bereits 2017 trat das NetzDG in Kraft. Das Ziel: Anbieter sozialer Netzwerke stärker für Inhalte, die auf ihren Plattformen veröffentlicht werden, in die Verantwortung zu nehmen und den Umgang mit Beschwerden von Betroffenen und Nutzenden stärker zu reglementieren. Adressaten des Gesetzes sind also die Betreiberfirmen großer Plattformen. Es wird deshalb umgangssprachlich als „Facebook-Gesetz“ bezeichnet.
Das NetzDG legt Anbietern von sozialen Netzwerken verschiedene Pflichten auf: Sie müssen etwa ein Beschwerdemanagementsystem einrichten und strafrechtlich nicht zulässige Inhalte schnell löschen. Wer das wiederholt und systematisch nicht tut, dem drohen Strafen in Millionenhöhe.
Zudem wurden große Plattform-Anbieter verpflichtet, jährliche Transparenzberichte zu veröffentlichen, in denen sie Rechenschaft über den Umgang mit Beschwerden auf ihren Plattformen ablegen müssen (der Transparenzbericht von Google für 2021 ist hier einsehbar, auch Facebook hat seit 2018 jährlich einen Bericht veröffentlicht).
Die alltägliche und politische Kommunikation hat sich in den letzten Jahren stärker in soziale Netzwerke verschoben: Im Januar 2021 lag die Anzahl der monatlich aktiven Nutzer*innen von sozialen Netzwerken weltweit bei rund 4,2 Milliarden; ganze 2,9 Milliarden monatlich aktive Nutzer*innen fielen dabei auf Facebook (laut des eigenen Berichts für das erste Quartal 2021). Auch die Verbreitung von sogenannter Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten online nimmt zu.
Neu seit Februar 2022: Meldung schwerer Straftaten direkt an das BKA
Die nun geltenden Änderungen haben die Pflichten für die Betreiber nochmal verschärft: Sie müssen Inhalte, die schwere Straftaten betreffen, wie zum Beispiel Volksverhetzung oder die Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung, nun unmittelbar an eine zentrale Meldestelle beim BKA melden. Bei der Meldung müssen sie den Inhalt und die zur Verfügung stehenden Daten der verfassenden Person (inklusive der letzten Log-In IP-Adresse) an das BKA übermitteln. Die Behörde identifiziert die Täter*innen und leitet deren Daten an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden weiter.
Das Bundeskriminalamt geht davon aus, dass die Gesetzesänderungen etwa 150.000 Strafverfahren pro Jahr nach sich ziehen werden, wie das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) berichtet. Aus diesem Grund seien 200 Beamt*innen für den Einsatz in der Meldestelle eingeteilt. Damit soll dem Gesetz zu mehr Wirksamkeit und Durchsetzungsvermögen verholfen werden. Bislang verliefen die Beschwerden der Betroffenen häufig im Sand, weil die Täter*innen nicht ermittelt werden konnten.
Wirksamkeit des NetzDG umstritten
Es stellt sich auch die Frage: Wie wirksam kann das NetzDG sein? Das war von Anfang an umstritten. Kritik gab es aus verschiedenen Gründen: Manche sahen die Meinungsfreiheit bedroht, weil die Plattformbetreiber auch nicht rechtswidrige Inhalte aus Furcht vor Geldbußen löschen könnten. Andere sahen die Transparenzberichte als nicht aussagekräftig an, weil die Plattformen beispielsweise nicht Auskunft über den Einsatz von Algorithmen zum Aufspüren solcher Inhalte geben mussten.
Zudem wurden in den ersten Jahren nur wenige Inhalte nach dem NetzDG bei den Plattformen überhaupt gemeldet, weil Meldeoptionen nach dem NetzDG bei manchen Netzwerken nur schwer auffindbar sind. Vor allem Facebook lenkt seine Nutzer*innen lieber auf die eigenen Beschwerdewege nach den eigenen Gemeinschaftsstandards, anstatt beanstandete Inhalte nach dem NetzDG zu prüfen. Diese Vorgehensweise wird auch als „Flucht in die AGB“ bezeichnet.
Laut des eigenen Transparenzberichts wurden im zweiten Halbjahr 2020 bei Facebook nur 4.211 Beschwerden eingereicht. Die Zahl stieg 2021 rapide an: Insgesamt 77.671 NetzDG-Beschwerden meldeten Facebook-Nutzer*innen an das Unternehmen in der ersten Jahreshälfte 2021. Hintergrund für die enorme Zunahme sind auch die Änderungen des NetzDG: Diese schreiben den Plattformen nun vor, die Meldewege besser zugänglich zu machen.
Doch keine Meldepflicht? Plattformen klagen
Für Betroffene von Hass und Hetze ändert sich vorerst gar nicht so viel: Weil verschiedene Plattformen, darunter YouTube, Facebook, TikTok und Twitter, gegen die Meldepflicht zum BKA geklagt haben, passiert erstmal gar nichts. Das berichtet die Süddeutsche Zeitung mit Verweis auf Aussagen aus dem Bundesjustizministerium: Dort wolle man, so heißt es in der Berichterstattung, „den Unternehmen Google und Facebook entgegenkommen“ und sie „erst einmal zu nichts zwingen“.
Rechtlich verpflichtet dazu ist das Ministerium nicht: Die Klagen der Plattformen vor dem Verwaltungsgericht haben keine aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung besagt, dass eine gerichtliche oder behördliche Entscheidung nicht vollzogen werden darf, bis über den Widerspruch oder die Klage entschieden worden ist.
Praktisch heißt das: Für die Strafverfolgung von Hasskriminalität im Netz tritt vorerst keine Verbesserung ein, weil es keine direkten Meldungen von den Plattformen gibt. Wann die im Gesetz vorgesehene Meldepflicht tatsächlich umgesetzt wird, ist unklar. Das Verwaltungsgericht Köln, das in den Verfahren zuständig ist, hat noch nicht entschieden.
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