Musik im Wahlkampf – was geht, was geht nicht?

Roberto Faccenda, Neil Young mit Band auf der Bühne, lizenziert unter CC-BY-SA 2.0.
Kontrolle – das will das Urheberrecht Musikern garantieren, wenn es darum geht, wer ihre Werke nutzt und zu welchen Bedingungen. Bei jedem Live-Cover, jeder Kneipenmusik, jedem Senden im Radio, jedem Abspielen im Supermarkt oder auf Straßenfesten müsste an sich individuell geregelt werden, was die Nutzenden, also Kneipe, Radio, Supermarkt oder Konzertveranstalter den Komponisten, Textern, Musikern und Musikverlagen dafür bezahlen, ihre Musik einzusetzen.
Das wäre in der Praxis aber viel zu aufwendig. Und deshalb läuft es so: Wer Musik schafft und öffentlich stattfinden will, organisiert sich im Kollektiv und verleiht einer zentralen Stelle das Recht, anderen die genannten und weitere Nutzungen zu erlauben – und dafür Geld einzusammeln. Diese Stelle vergibt dann Lizenzen für Aufführungen, Sendungen, Vervielfältigungen.
Das ist vereinfacht beschrieben das, was Verwertungsgesellschaften leisten. So kann man zum Beispiel in Deutschland bei der GEMA das weltweite Repertoire für Musik lizenzieren – für Konzerte, Radio, Clubs, Feste und so weiter. Die Bedingungen sind in Tarifen festgelegt, zum Beispiel für Radio, Konzerthallen oder Podcasts.
Alle zu gleichen Bedingungen, Kontrahierungszwang
Die Kehrseite von Verwertungsgesellschaften aus Sicht der Urheber: Man gibt Kontrolle ab – zumal hier auch das Gesetz klare Regeln aufstellt: Eine Verwertungsgesellschaft muss den Nutzenden – Kneipe, Radio, Veranstalter – Rechte einräumen, und zwar allen zu gleichen Bedingungen. Das ist gesetzlich so festgelegt; Gleiches muss gleich behandelt werden.
Der sogenannte „Kontrahierungszwang“ und das Diskriminierungsverbot verbieten es der GEMA, einzelnen oder bestimmten Nutzenden die Lizenzierung zu verweigern: So wie das Wasserwerk Haushalte anschließen, mich das Taxi mitnehmen oder die Versicherung versichern muss, muss auch die GEMA das Musikstück lizenzieren. Haben zwei verschiedene Kneipen eine gleich große Fläche, zahlen beide auch das Gleiche.
Die Folge davon ist nun, dass es auch zu Nutzungen kommen wird, die Musikerinnen nicht gefallen: sei es, weil ihnen das Publikum auf der öffentlichen Party nicht passt oder ihr Song beim Empfang einer Sekte gespielt wird.
Auch Wahlkampfveranstaltungen gehören dazu: Da will man als Musiker möglicherweise gar nicht gespielt werden. Doch können Musiker rechtlich gegen unerwünschte Nutzungen vorgehen? Und wenn ja, wie?
Geplänkel oder Endorsement?
In der Regel schließen politische Parteien sogenannte Gesamtverträge mit Verwertungsgesellschaften ab. Diese legen pauschal die Bedingungen für die Musiknutzung am Wahlkampfstand und in der Stadthalle fest. Und üblicherweise stört sich selten jemand daran, wenn am Wahlkampfstand „Girl from Ipanema“ gespielt wird. Dafür wird ja bei der GEMA bezahlt.
Doch was ist, wenn Musik fürs Überbringen oder Verstärken einer politischen Botschaft verwendet wird? Oder wenn sie eine Kandidatin hofiert? Wenn sie etwa eine Bewegung empowern soll, die der Musikerin überhaupt nicht passt, oder wenn der Parteivorstand zu ihr nach der Wahl schunkelt und singt? Dann gerät die Nutzung des Werks für die Urheberin in einen Grenzbereich, in dem das Abgeben der Kontrolle schmerzen kann.
Dass die Songauswahl häufig oberflächlichen Kriterien folgt, scheint die Politik-Campaigner weniger zu stören: Was etwa hatte der Rolling Stones-Song „Angie“ mit Angela Merkel zu tun, vom Namen mal abgesehen? Oder Bruce Springsteens Anti-Kriegs-Song „Born in the USA“, dem Ronald Reagan in seinem Wahlkampf 1984 eine patriotische Botschaft andichtete? Man übersieht also geflissentlich Inhalte und Bedeutungen, man projiziert sie hinein. Oder man klammert sich an einzelne Namen oder Weisheiten, weil sie Signale setzen und zusammenhangslos einfach gut passen.
Neil Young will sich nicht von Trumps Wahlkampf vereinnahmen lassen
Ob eine solche eigensinnige Umdeutung künstlerischer Intentionen für politische Auftritte verboten oder erlaubt ist, wird seit Jahren immer wieder diskutiert – immer dann nämlich, wenn Bands sich daran reiben oder gar ihre Missachtung äußern.
Und so ist es zuletzt auch bei Neil Young gewesen, den schon in Trumps erstem Wahlkampf genervt hat, dass dieser seine Songs gespielt hat. Young geht neuerdings zum Angriff über – und klagt gegen Donald Trump (genauer: seine Wahlkampffirma). Young will nicht, dass seine Musik den Titelsong für einen „unamerikanischen“ Wahlkampf „voll Ignoranz und Hass“ darstellt.
(Wie) lässt sich dagegen vorgehen?
Wie ist das also rechtlich mit Vereinnahmung durch Politik oder Weltanschauung? Daraus ergibt sich zunächst die Frage nach dem passenden Kontrollinstrument: Wenn Urheber die Nutzung verbieten wollen – aus welchem Recht heraus tun sie das?
Der Ausgangspunkt: Ohne Lizenz keine Musik auf einer öffentlichen Veranstaltung. Für eine nicht lizenzierte öffentliche Wiedergabe kann die GEMA in Deutschland einen Strafzuschlag verlangen. Sie ganz zu untersagen, liegt aber üblicherweise nicht in ihrem Interesse.
Die Situation in den USA
In den USA ist Ansprechpartner für die Musiknutzung unter anderem die American Society of Composers, Authors and Publishers (ASCAP). Sie stellt als eine „Performance Rights Organisation“ (PRO) ein Pendant zu den hiesigen Verwertungsgesellschaften dar.
Die Lizenzierung von Musik im Campaigning läuft dort so: Erstens müssen Campaigner selbst eine Lizenz einholen (nicht nur die Veranstaltungshallen). Zweitens gibt es „blanket licences“, mit denen man sich pauschal die Musiknutzung lizenzieren lässt.
Viele Bands und Musiker haben allerdings ausdrücklich politische Kampagnen aus ihrem Katalog der von ihnen erlaubten Nutzungsarten ausgeschlossen. Die Folge: Der Einsatz der Musik für politisches Campaigning muss individuell geklärt werden. Darauf weist die ASCAP in einem FAQ-Papier explizit hin.
Auch Young hat die „political licence“ für seine Songs aus ASCAPs „blanket license“ zurückgezogen. Nur: Ob das nachträglich möglich ist, ist in den USA rechtlich nicht geklärt. Denn auch dort sind die PROs gewissen Regularien unterworfen, die Experten zufolge auch das Zurückziehen von Musik aus dem Rechtekatalog nicht ganz einfach machen.
Die Situation in Deutschland
Und in Deutschland? Die GEMA-Tarife lassen sich – anders als die ASCAP – zu politischen Kampagnen nicht aus. So hatte die NPD 2014 eine GEMA-Lizenz eingeholt, als sie einen Song der Kölner Musikgruppe „Höhner“ spielte. Die Musiker wollten sich das damals nicht gefallen lassen und klagten.
Dabei kam ein weiterer Hebel ins Spiel: nämlich das im Urheberpersönlichkeitsrecht verankerte Recht, „Entstellungen“ oder „andere Beeinträchtigungen“ eines Werkes zu verbieten. Die Prüfschritte dafür lauten: Ist es objektiv eine Entstellung oder Beeinträchtigung des Werkes? Kann sie zu einer Gefährdung der Interessen des Urhebers führen? Wiegen die gefährdeten Urheberinteressen schwerer als die Gegeninteressen?
„Wenn es sich tatsächlich um politisches Endorsement handelt, muss eine Partei die Rechte dafür bei den Urhebern selbst einholen. Die GEMA kann dafür keine Rechte einräumen“, so Ursula Goebel, Direktorin Kommunikation der GEMA gegenüber iRights.info. Sie verweist dabei auf die Urheberpersönlichkeitsrechte, für die die GEMA gar nicht das Mandat habe. Die GEMA bewerte nicht, welchen politischen oder weltanschaulichen Hintergrund eine Veranstaltung habe. Um welche Titel es sich handele, erfahre die GEMA schließlich auch erst im Nachhinein, nachdem der Veranstalter die Titel eingereicht habe. Und: „Wenn ein Urheber sich gegen politisches Endorsement wehren will, muss er auch selbst dagegen vorgehen“, so Goebel.
Das Urheberpersönlichkeitsrecht ist ein Teil des Urheberrechts. Es beinhaltet das Recht, über die erstmalige Veröffentlichung eines Werkes zu bestimmen, namentlich benannt zu werden und gegen Entstellungen des Werkes vorzugehen. Verwertungsrechte und Persönlichkeitsrechte bilden mit ihren Wurzeln den „Stamm“, der sich in den einzelnen Rechten verästelt. Auch ausübende Künstler:innen genießen weitgehend ähnliche Persönlichkeitsrechte.
BGH betont das Kriterium der „Entstellung“
2018 entschied der Bundesgerichtshof im Höhner-Fall, dass die Band nicht dulden muss, auf einer NPD-Veranstaltung gespielt zu werden – trotz GEMA-Lizenz. Die Musik war damals nicht nur Hintergrundgeplänkel für Wartezeiten, sondern wurde „in die Dramaturgie der Wahlkampfveranstaltung integriert“, indem sie vor einem „Bürgergespräch“ gespielt wurde.
Die Höhner konnten also durchsetzen, nicht von einer verfassungsfeindlichen Partei vereinnahmt zu werden. Ihre Interessen wogen aus Sicht des Gerichts schwerer als das Recht der NPD, GEMA-lizenzierte Musik nach eigenem Wunsch einzusetzen.
Das heißt: Trotz der oben beschriebenen Kontrollabgabe – ihre Musik ist generell über die GEMA lizenzierbar – konnten die Höhner auf Grundlage ihres Urheberpersönlichkeitsrechts gegen die Nutzung vorgehen.
Eine Entstellung liegt also nicht nur dann vor, wenn ein Verwender das Musikstück im künstlerischen Sinne verhunzt, sondern auch wenn klar ist, dass die Urheberinnen (oder auch die Sängerinnen und Musikerinnen selbst – siehe Helene Fischer) ziemlich sicher „Nein“ zu einer Verwendung gesagt hätten.
Und genau hier wird es schwierig, Grenzen zu ziehen. Könnten die Toten Hosen der CDU verbieten, ihren Song „An Tagen wie diesen“ auf einer Parteiveranstaltung zu spielen? Reicht es, wenn den Urheberinnen die Nutzung oder der politische Kontext einfach nur nicht gefällt?
Es wird immer von der Interessenabwägung abhängen: Die CDU ist keine verfassungsfeindliche Partei wie die NPD, und daher wird bei einer Musiknutzung durch die CDU aus Urhebersicht eine Entstellung deutlich schwerer zu begründen sein.
Den Entstellungsschutz gibt es nicht überall
Doch der Entstellungsschutz gilt nicht überall, denn die Urheberpersönlichkeitsrechte sind unterschiedlich ausgeprägt. In den USA beispielsweise steht das Copyright Law auf einem anderen Fundament: Es folgt dem Gedanken, dass es sich bei geschützten Songs (und anderen Werkarten) primär um Wirtschaftsgüter handelt.
Eine solche wirtschaftliche Perspektive führt aber zu einem ganz anderen Grundverständnis als dem des Urheberrechts an einem Werk, das sich eine Künstlerin aus der Seele schneidet und mit dem sie ein Leben lang in einer untrennbaren moralischen Verbindung steht.
Deshalb konzentriert sich in den USA die rechtliche Prüfung solcher Klagen wie von Neil Young auf die Frage, ob die ASCAP und ähnliche Verwertungsgesellschaften die nötigen Lizenzen für die entsprechende Musiknutzung generell einräumen oder nicht.
Und doch gibt es auch in den USA Mittel neben dem Copyright: etwa das „right to publicity“, das Markenrecht und das „false endorsement“. Problematisch dabei aus Urhebersicht: Das US-Copyright besagt, dass nicht andere Rechtsgebiete, die durch die einzelnen Bundesstaaten geregelt sind, zu unterschiedlichen Schutzstandards führen dürfen. Wenn also das Campaigning nicht ausgeschlossen ist, gibt es für Urheber derzeit weniger rechtssichere Möglichkeiten als in Deutschland, wo erwähnter Entstellungsschutz existiert.
Creative Commons und Endorsement
Die Open-Content-Lizenzen von Creative Commons enthalten zum Endorsement eine Aussage: Wer CC-lizenziertes Material nutzt, darf nicht den Eindruck erwecken, mit dessen Urheberin „in Verbindung (zu) stehen oder durch sie gefördert, gutgeheißen oder offiziell anerkannt (zu) werden“. Die klassische Rechteverwertung ist da weniger klar.
Missbilligung: Ein wirkungsvolleres Mittel?
In Ländern mit stark persönlichkeitsrechtlich geprägtem Urheberrecht (droit moral), darunter Deutschland, ist es also immer möglich, gegen die Musiknutzung im politischen Campaigning vorzugehen – mit offenem Ergebnis, versteht sich.
Zu diesem Befund kommt auch der Medienrechtler Stefan Michel. In seinem lesenswerten Beitrag von 2018 vergleicht er die Rechtslagen in den USA, Großbritannien und Deutschland. Er schließt damit, dass sich Musikerinnen nicht unbedingt des Rechts bedienen sollten: Es könne erfolgsversprechender sein, öffentlich Statements zu setzen und sich gegen die politische Vereinnahmung der Musik auszusprechen. Neil Young hat beides getan: Kurz nach seiner Klage konterte er mit einem Anti-Trump-Song.
2 Kommentare
1 DJones am 23. September, 2020 um 09:35
Leider fehlt der Hinweis auf die GVL (Gesellschaft für Leistungsschutzrechte), die für die Lizenzierung der Rechte an Musikaufnahmen zuständig ist.
Welche Rolle spielt die GVL in Bezug auf “Musik im Wahlkampf”?
Danke!
2 Fabian Rack am 29. September, 2020 um 11:20
@DJones:
Sie Fragen zurecht nach den Leistungsschutzrechten, die ja beim öffentlichen Abspielen von Musik regelmäßig auch lizenziert werden müssen. Hierfür übernimmt die GEMA in vielen Konstellationen das Inkasso: Sie hat sogenannte Repräsentationsvereinbarungen mit der GVL geschlossen – u.a. für die öffentliche Wiedergabe der Musik. Lizenzierung und Vergütung laufen dann also allein über die GEMA und nicht zusätzlich noch über die GVL (siehe https://www.gvl.de/rechtenutzer/allgemeine-informationen/repraesentationsvereinbarungen).
Für Persönlichkeitsrechte im Endorsement-Zusammenhang gilt das im Artikel zur GEMA Gesagte entsprechend: Die GVL wird diese Rechte nicht einräumen können.
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