Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ministerin in bleierner Zeit
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Zwei Entwicklungen haben das Urheberrecht binnen weniger Jahre an seine Grenzen gebracht: Die Digitalisierung und das Internet stehen für eine Zeitenwende im Umgang mit urheberrechtlich geschützten Gütern. Digitale Güter lassen sich mit ein paar Klicks kopieren, kopieren und nochmals kopieren. Das ist die Errungenschaft der Digitalisierung. Das Internet vernetzt die Welt ohne hohe Kosten.
Dieses Daten-Verteilungssystem, gepaart mit der einfachen Vervielfältigung ist es, das neue Kulturtechniken ermöglicht und neue Wirtschaftskreisläufe in Gang gesetzt hat. Und dann gibt es da noch das gesetzlich kodifizierte Urheberrecht und die Vertreter der bis dato höchst erfolgreichen Industriezweige. Allzu oft werfen sie sich noch zwischen die Technik und versuchen, in voller Fahrt so viele Stöcke wie möglich in die Speichen zu schieben. Es knackt, knirscht und kracht gewaltig.
Nachjustieren reicht nicht
Recht gestaltet. Technik gestaltet aber auch. Es gilt also, einen Weg zu finden, der beide Kräfte zum Vorteil der Gesellschaft vereint. Das sollte das Ziel einer Reform des Urheberrechts sein. Es wäre zu überprüfen, mit welchen technischen Entwicklungen und welchen rechtlichen Eingriffen die gesellschaftlich gewünschten Ziele erreicht werden können – und mit welchen eben nicht. Schnelle, überhastete Reformen an kleinen Stellschrauben sind kontraproduktiv. Am Ende zählt die genau begründete, feine Ausarbeitung.
Dafür hat eine Ministerin, wenn nötig, lieber mehr als zu wenig Zeit. In diesem Jahr hat sich die Justizministerin für vieles Zeit genommen. Ihr vorzuwerfen, sie kümmere sich nicht um die nötigen Reformen, ist falsch. Doch es waren wieder die kleinen Stellschrauben: Ein Gesetzentwurf zu Abmahnungen, einen zum Umgang mit verwaisten Werken, schließlich die Verlängerung der urheberrechtlichen Regeln für Unterricht und Forschung (Paragraf 52a).
Dazu kommt die europarechtlich bindende, auf siebzig Jahre zu verlängernde Schutzfrist für Tonaufnahmen und das Leistungsschutzrecht für Presseverlage. Beide Vorhaben sind auf erhebliche Kritik gestoßen – zu Recht. Bei der Schutzfristverlängerung hätte Deutschland erwägen müssen, ob es tatsächlich eine gesellschaftliche Berechtigung für sie gibt, und zwar noch bevor die EU-Richtlinie verabschiedet wurde. Daran gibt es große Zweifel.
Leistungschutzrecht für Presseverlage: Was regelt es eigentlich?
Beim Leistungsschutzrecht für Presseverlage gab es jahrelang keinen Entwurf. Nun gibt es einen, der in diesem Jahr das Ministerium verlassen und den Bundestag erreicht hat. Hier hätte sich die Ministerin mehr Zeit nehmen müssen, um die Auswirkungen und nicht zuletzt die Frage, was eigentlich geregelt werden soll, genau zu überprüfen.
Die Kritik ist stark, der Lobbyismus auch. Dass den Entwurf am Ende nicht das Justizministerium, sondern das Kanzleramt auf freundliches Hinwirken durch wenige Lobbyvertreter geschrieben hat, ist ein offenes Geheimnis.
Hätte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger anders handeln sollen? Es ist gut, dass sie jahrelang verhindert hat, dass es einen Entwurf gibt. Noch besser wäre es gewesen, sie wäre standhaft geblieben. Am Ende hat die Machtarchitektur in der Bundesregierung zum jetzigen Entwurf geführt. Jetzt sind die Abgeordneten im Deutschen Bundestag gefragt, zu überprüfen, ob diese Lobbyidee die gewünschte gesellschaftliche Wirkung erzielt oder nicht.
Gestalten statt Blockieren
Die Vertreter jener Interessengruppen, die sich in der „Content-Allianz“ zusammengeschlossen haben – ein trojanisches Pferd, denn sie schaffen keine Inhalte, sondern verwerten sie –, sie könnten eigentlich zufrieden mit ihrer Ministerin sein. Doch das Gegenteil ist der Fall. Auf offener Bühne stellen sie sich gegen sie. Es ist kaum zu glauben: Die Hauptprofiteure eines betonierten und verschärften Urheberrechts boykottieren den Dialog.
Das zeigt zwei Dinge: Ihr Einfluss schwindet, sie wollen die Politik zum Parieren zwingen. Und es zeigt die fortschreitende Hilflosigkeit dem digitalen Wandel gegenüber. Das mag man ihnen vorwerfen, muss man aber nicht. Man kann auch gemeinsam nach Lösungen suchen. Das Auftreten der bis dato eminent wichtigen Player in der Urheberrechtsindustrie wird sich ändern müssen. Ändert es sich nicht, werden sie als Diskussionspartner kaum mehr ernst genommen werden.
Eine neue Architektur des Urheberrechts ist nötig. Wir befinden uns in einer Zeit des Übergangs, der Transformationen. Doch es ist eine bleierne Zeit, ein luftleerer Raum, der von Stillstand und zaghafter werdenden Urheberrechtsverschärfungen geprägt ist.
Erste positive Signale
Es bleibt festzuhalten, dass die Justizministerin die aktuellen Gesetze nicht aufgehalten hat. Sie hat es auch nicht vermocht, diese Zeit ins Positive zu kehren und die Grundfrage zu stellen: Was wollen wir mit dem Urheberrecht erreichen und wer soll davon profitieren?
Doch man muss die Frage stellen: Um die Interessen von Kreativen zu sichern, um Bildung, Wissenschaft und nicht zuletzt den Bürgern jenen Zugang zu Wissen zu sichern, der für den Wohlstand einer auf Bildung angewiesenen Volkswirtschaft erforderlich ist. Doch bislang setzt man auf Bewahrung, Verfolgung und Betonierung.
Dabei gibt es sie, die ersten positiven Signale; die Bereitschaft, dem anderen zuzuhören und gemeinsam nach vorne zu gehen. Es ist die Macht des Faktischen, die die Beteiligten aller Seiten nach und nach an einen Tisch bringt. Der kindische Trotz, den Dialog und die Reformbereitschaft zu verweigern, wird vorübergehen.
Die Ministerin könnte Mitgestalterin des Übergangs und nicht nur Vollzugsorgan der Lobbyinteressen sein. Eine offene, digitale Gesellschaft sollte dabei all ihre Kompetenz aus sozialer, ökonomischer und wissenschaftlicher Sicht aus dem Schlaf erwecken. Und am Frühstückstisch zusammenbringen.
Philipp Otto ist Redaktionsleiter von iRights.info und Partner des ThinkTank iRights.lab. Er arbeitet als Journalist, Verleger, Berater und Rechtswissenschaftler insbesondere im Bereich von aktuellen und strategischen netzpolitischen Fragen.
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