Maximilian Haedicke über „geistiges Eigentum in der Krise”
„Geistiges Eigentum in der Krise“ heißt es im Untertitel des Büchleins. Wie sich diese Krise äußert, das beschreibt Maximilian Haedicke, Urheberrechtsprofessor an der Universität Freiburg, im Vorwort: Er attestiert, dass sich eine „massive Protestwelle gegen das geistige Eigentum formiert“ habe. Dies sei auch nicht verwunderlich angesichts der vielen Menschen, die von Abmahnungen betroffen seien oder – wegen geistiger Eigentumsrechte – ihrem kreativen Drang nicht so freien Lauf lassen können, wie sie es wollen.
Der Autor geht dem Streit über Urheber- und Patentrechte auf den Grund, indem er die wesentlichen Konfliktfelder jeweils kurz beschreibt und auch bewertet. Schließlich gibt er einen kleinen Ausblick darauf, wie sich Patent- und Urheberrecht im 21. Jahrhundert weiter entwickeln könnten oder sollten.
Interessant sind an dieser Stelle vor allem die Kapitel zwei bis sieben. Sie untersuchen genauer spezifische Themenkomplexe wie „Abmahnwahn und Netzsperren“, „Kopierschutz und Privatkopie“ oder „Urheberrechtliche Beschränkungen kreativer Werknutzungen“. Neben diesen Themen geht Haedicke auf die Providerhaftung für Urheberrechtsverletzungen, den Streit um Google Books und das Leistungsschutzrecht für Presseverleger, ein.
In den Kapiteln acht bis elf geht es dann um Softwarepatente, Patente auf pharmazeutische Erzeugnisse und Genpatente. Im letzten Abschnitt stellt der Autor „Die Systemfrage: Warum geistiges Eigentum?“. Das Buch enthält neben Literaturverweisen auch Verweise auf Online-Quellen – bei Publikationen von Juristen ist das tatsächlich auch heute noch bemerkenswert .
Urheberrechtliche Problemfelder
In den Ausführungen zu Urheber- und Leistungsschutzrechten zeigt sich deutlich eine ebenso differenzierte wie kritische Haltung zu den dort behandelten Einzelfragen. Maximilian Haedicke äußert sich kritisch unter anderem zur Länge der Schutzdauern, zum Problem der verwaisten Werke und zur Komplexität des Urheberrechts, insbesondere soweit es verbraucherbezogene Regelungen wie die Privatkopie betrifft. Zudem beklagt er – aus Sicht eines Hochschulprofessors nur allzu verständlich –, dass im Forschungs- und Lehrkontext viel zu wenig Nutzungsfreiheiten bestünden. So sei es etwa in fast jeder Form verboten, Inhalte aus dem Internet in Vorlesungen oder in der Schule zu verwenden. Konkret mahnt Haedicke hier an, die „Unterrichtsschranke“ aus Paragraf 52a des Urheberrechtsgesetzes zu erweitern.
Ebenso kritisch äußert er sich zum Verhältnis zwischen Wissenschaftlern und Wissenschaftsverlagen. Dass Wissenschaftler den Verlagen umfassend Rechte einräumen müssten, erweise sich als „Hemmschuh für die Wissenschaft“. Dass hieraus keine radikalen Forderungen abgeleitet werden, zeigt sich an Haedickes Stellungnahme zu Open Access. Hierin liege keine Alternative, sondern eine Ergänzung zum wissenschaftlichen Literaturbetrieb. „Die Tätigkeit der Verlage spielt in der Wissenschaftslandschaft nach wie vor eine entscheidende Rolle“, resümiert der Autor.
Interessant sind auch die Ausführungen zu “kreativen Werknutzungen“. An Beispielen wie dem „Grey Album” von DJ Danger Mouse oder Fanfiction beschreibt Haedicke das kreative Schaffen von Internetnutzern. Dass all dies – fast ausnahmslos – verboten ist, eben darin liegt für Haedicke das Problem: Es bestehe ein erhebliches gesellschaftliches Interesse daran, dass solche Kulturtechniken gefördert werden, während dagegen – und damit für das geltende Recht – nur wenig spreche. „In den seltensten Fällen entgeht dem Urheber ein Gewinn dadurch, dass ein Dritter aus seinem Werk ein Mashup anfertigt. … Wer das Grey Album hört, wird deswegen nicht auf den Kauf des White Album [der Beatles, TK] verzichten, eher dürften viele jüngere Internet-Nutzer durch den Mashup auf das White Album erst aufmerksam geworden sein.“ (S. 51). Im Ergebnis schlägt Haedicke vor, eine Schrankenbestimmung für die kreative Nutzung einzuführen (wie ich an anderer Stelle auch, siehe Seite 9 der Studie „Verbraucherschutz im Urheberrecht“).
Zum Leistungsschutzrecht für Presseverlage
Ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage lehnt Haedicke – jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt – ab. „Ein solches Recht stünde im Widerspruch zu dem grundlegenden Prinzip des Urheberrechts, wonach Informationen als solche nicht schutzfähig sind und der Werkgenuss als solcher frei ist“ (Seite 68).
Schlussfolgerung zum geltenden Urheberrecht
Haedicke bilanziert, dass die Forderung nach einem immer höheren Schutzniveau des Urheberrechts heute nicht mehr zu rechtfertigen sei. „Die Bemühungen der Gesetzgebungsorgane müssen sich in weit stärkerem Maße als bisher der Aufgabe stellen, den verschobenen Interessenausgleich im Urheberrecht wieder geradezurücken. Ein zeitgemäßes Urheberrecht in der Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts muss den Interessen der Nutzer einen höheren Stellenwert einräumen.“ Damit ist sicherlich alles gesagt.
Ausblick in die Zukunft: „Die Systemfrage“
Der „visionäre Teil“ des Buches, in dem sich Haedicke mit den Perspektiven für Urheber- und Patentrechte auseinandersetzt, ist im Vergleich zur Analyse des geltenden Rechts, recht knapp geraten. Hier zeigt sich der Autor auch deutlich weniger progressiv.
So spricht sich Haedicke, nachdem er sich hiermit auseinandergesetzt hat, dafür aus, den Begriff des „geistigen Eigentums“ beizubehalten (Seite 171). Dies steht sinnbildlich für die Kernaussage des Buches: Das Urheberrecht muss hiernach in vielen Einzelheiten angepasst werden, wobei mehr Augenmerk auf diejenigen Interessen zu richten ist, die einem weit gehenden Urheberrecht entgegenstehen. Ein systematisches Problem sieht Haedicke jedoch nicht; es geht ihm also nicht darum, auch die Grundzüge des Urheberrechts zu überdenken. Schade ist hierbei, dass sich der Autor mit den diesbezüglich entwickelten, konstruktiven Ansätzen aus der Wissenschaft nicht beschäftigt, sie nicht einmal konkret erwähnt oder kurz streift. Dies hätte man – in der gebotenen Kürze – meines Erachtens erwarten können.
Fazit
„Patente und Piraten” ist lesenswert. Es greift viele der gegenwärtigen Probleme im Patent- und Urheberrecht auf, fasst sie knapp und präzise zusammen und bietet einige Lösungsvorschläge an. Erfreulich ist vor allem, dass sich Haedicke nicht auf eine reine Darstellung der Diskussion beschränkt, sondern auch selbst Stellung nimmt. Dass hierbei nicht jedes Thema, nicht jeder Lösungsvorschlag tiefgehend begründet und erläutert wird, liegt in der Natur eines solchen Buches begründet und ist kein Manko. Erfreulich ist auch, dass Haedicke sich traut, einen Schritt zu gehen, den viele Juristen in der Regel scheuen: Ein Buch zu schreiben, das sich nicht vorwiegend an andere Juristen richtet. Der – aus eigener Erfahrung häufig schwierige – Spagat zwischen rechtswissenschaftlicher Präzision und allgemeiner Verständlichkeit ist gut gelungen. Als persönliche Kritik bleibt dagegen stehen, dass die meines Erachtens „großen Themen“, die darin liegen, das „Geistige Eigentum“ systematisch zu hinterfragen, nicht behandelt werden. Aber das wäre wahrscheinlich ein anderes Buch, auf das ich sehr gespannt wäre.
„Patente und Piraten” von Maximilian Haedicke ist bei C. H. Beck, München 2011, erschienen. ISBN 978-3-406-61391-3, 196 S., Hardcover, 38 Euro.
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