Malte Stieper: Die Rechtslage ist nicht so unklar, wie es scheinen mag

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iRights.info: Herr Stieper, ist das Anschauen von Video-Streams eine Urheberrechtsverletzung im Sinne einer „Zwischenspeicherung“?

Malte Stieper ist Professor für Bürgerliches Recht, Recht des geistigen Eigentums und Wettbewerbsrecht (GRUR-Stiftungsprofessur) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Foto: Privat
Malte Stieper: Dabei muss man zwei Aspekte auseinander halten: Das Ansehen eines gestreamten Films als solches ist als privater Werkgenuss vom Urheberrecht ebenso wenig erfasst wie das Lesen eines Buches oder das Anhören einer CD. Der Unterschied zu einem Buch oder einer CD liegt aber darin, dass beim Streaming der Werkgenuss aus technischen Gründen eine Zwischenspeicherung der übertragenen Daten im Arbeitsspeicher oder auf der Festplatte des Nutzers erfordert.
Diese Zwischenspeicherung stellt eine Vervielfältigung dar, die grundsätzlich nur mit Zustimmung des jeweiligen Rechtsinhabers zulässig ist – diese Zustimmung hat der Nutzer bei einem rechtswidrigen Streamingangebot nicht. Von der Zustimmungsbedürftigkeit macht der Paragraf 44a des Urheberrechtsgesetzes nur unter sehr engen Voraussetzungen eine Ausnahme für „vorübergehende Vervielfältigungen“, die einen „integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens“ darstellen. Letzteres wird man auch für die technisch notwendigen Zwischenspeicherungen beim Streaming annehmen können.
iRights.info: Finden Zwischenspeicherung und vorübergehende Vervielfältigung nicht auf tieferen technischen Ebenen statt, die für für den Nutzer weitgehend unsichtbar beziehungsweise unbrauchbar sind?
Malte Stieper: Es geht vor allem um den Zweck der Zwischenspeicherung. Der muss darin bestehen, eine „rechtmäßige Nutzung“ des Werkes zu ermöglichen. Und hier liegt der Streitpunkt: Von Seiten der Rechtsinhaber wird argumentiert, das Ansehen eines gestreamten Films sei ohne Zustimmung des Urhebers keine rechtmäßige Nutzung. Ich halte diese Argumentation für falsch: Die Zwischenspeicherung dient dem privaten Werkgenuss, der als solcher urheberrechtsfrei und damit immer rechtmäßig ist. Für den Empfang einer Satellitensendung hat der Europäische Gerichtshof bereits ausdrücklich entschieden, dass die Wiedergabe der empfangenen Sendung im privaten Kreis eine rechtmäßige Nutzung in diesem Sinne darstellt und die damit einhergehenden Zwischenspeicherungen im Satellitendecoder daher keine Urheberrechtsverletzung begründen. Das ist auf das Streaming von Werken übertragbar.
iRights.info: Sie teilen also die Auffassung von Professor Spindler, dass es für die urheberrechtliche Bewertung darauf ankommt, ob der normale Nutzer ohne Weiteres an etwaig zwischengespeicherte Dateien herankommen und sie nutzen kann?
Malte Stieper: Damit spielt Herr Spindler auf die in Paragraf 44a des Urheberrechtsgesetzes genannte Voraussetzung an, dass die Vervielfältigung keine eigenständige – sprich: über die Ermöglichung des Werkgenusses hinausgehende – wirtschaftliche Bedeutung für den Nutzer haben darf. Ich teile insoweit seine Auffassung, dass Zwischenspeicherungen, auf die der Nutzer keinen Einfluss nehmen kann und deren er sich meist gar nicht bewusst sein wird, keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung in diesem Sinne zukommt.
iRights.info: Noch einmal zur Formulierung „vorübergehende Vervielfältigung“. Streaming basiert im technischen Sinne darauf, dass die Software die angelegten Zwischenspeicherungen mehr oder weniger umgehend löscht. Die „Vervielfältigungen“ haben also eine kurze Lebensdauer – ist das nicht eindeutig für die Rechtsprechung?
Malte Stieper: Laut Paragraf 44a des Urheberrechtsgesetzes darf das Vorliegen einer solchen „vorübergehenden“ Vervielfältigung nur „flüchtig oder begleitend“ sein. Das ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes nur dann der Fall, wenn die zwischengespeicherten Daten automatisch gelöscht werden, sobald ihre Funktion erfüllt ist. Für das Streaming folgt daraus, dass Paragraf 44a des Urheberrechtsgesetzes mangels einer „vorübergehenden“ Vervielfältigung aber genau dann nicht greift, wenn Teile des gestreamten Films auch nach dem Abspielen des Streams auf der Festplatte gespeichert bleiben.
Die rechtliche Beurteilung des Streamings hängt daher maßgeblich von der Funktionsweise der verwendeten Abspielsoftware ab. Das mag insbesondere für technisch nicht versierte Nutzer unbefriedigend sein, entspricht aber der engen Fassung des Paragrafen 44a, der nur technisch bedingte Vervielfältigungen privilegieren will.
iRights.info: Im Zusammenhang mit den Redtube-Streamings taucht auch die Frage des Streamings von rechtswidrig agierenden Plattformen auf – ist das relevant?
Malte Stieper: Vervielfältigungen zu privaten Zwecken sind gemäß Paragraf 53 des Urheberrechtsgesetzes grundsätzlich zulässig. Das gilt auch für das Speichern gestreamter Inhalte auf der Festplatte des Nutzers. Diese Vorschrift spielte in der bisherigen Diskussion um das Streaming nur deshalb eine untergeordnete Rolle, weil es bislang in erster Linie um die Nutzung illegaler Plattformen wie kino.to ging. Von einer „offensichtlich“ rechtswidrigen Quelle darf man Werke nämlich nach dem Wortlaut des Paragrafen 53 auch dann nicht vervielfältigen, wenn dies ausschließlich zu privaten Zwecken erfolgt.
Bei Plattformen wie Youtube oder Myvideo, die auch von den Rechteinhabern selbst für Marketingzwecke genutzt werden, ist für den Nutzer dagegen in der Regel nicht erkennbar, ob ein Film mit Zustimmung des Rechtsinhabers eingestellt wurde oder nicht. Die Rechtswidrigkeit des Angebotes ist dann jedenfalls nicht „offensichtlich“, so dass ein Download zu privaten Zwecken nach Paragraf 53 erlaubt ist. Auf den Paragrafen 44a kommt es in diesen Fällen gar nicht an.
iRights.info: Das klingt kompliziert. Wodurch könnte in dieser Frage Ihrer Auffassung nach Klarheit geschaffen werden?
Malte Stieper: Die Rechtslage ist nicht so unklar, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Der EuGH hat die Voraussetzungen für eine zulässige Zwischenspeicherung bereits in mehreren Urteilen präzisiert. Offen ist lediglich, ob sich der Nutzer auch dann auf die Rechtmäßigkeit des Werkgenusses berufen kann, wenn er den Stream wie im Fall kino.to aus einer offensichtlich rechtswidrigen Quelle bezieht. Auch diese Frage ist aktuell beim Europäischen Gerichthof anhängig, eine Entscheidung wird für 2014 erwartet. Wenn die Rechtswidrigkeit des Angebotes für einen durchschnittlichen Internetnutzer nicht offensichtlich ist, sind die beim Streaming erfolgenden Zwischenspeicherungen jedenfalls als Privatkopie von Paragraf 53 des Urheberrechtsgesetzes gedeckt. Eine Urheberrechtsverletzung begeht hier nur derjenige, der die betreffenden Inhalte öffentlich zugänglich macht.
iRights.info: Der Europäische Gerichtshof wird sich in seinen Beurteilungen auf die EU-Richtlinie zur Informationsgesellschaft beziehen. Sehen Sie hier Änderungsbedarf?
Malte Stieper: Die Infosoc-Richtlinie stammt aus dem Jahr 2001, in Bezug auf die technische Entwicklung des Internets also aus der Steinzeit. Die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten des Web 2.0 finden in der Richtlinie keine Berücksichtigung. Gerade die Regelungen zu den Schranken des Urheberrechts bedürfen daher der Anpassung beziehungsweise der Präzisisierung, um auch den Informationsinteressen der Nutzer angemessen Rechnung zu tragen, ohne dass dadurch auf der anderen Seite die berechtigten Verwertungsinteressen der Urheber beeinträchtigt werden.
iRights.info: Wie schätzen Sie die Chancen für eine Verbesserung der EU-Richtlinie im Laufe des nächsten Jahres ein?
Malte Stieper: Die Europäische Kommission hat am 5. Dezember 2013 eine öffentliche Konsultation zur Überarbeitung des europäischen Urheberrechts eingeleitet. Darin wirft sie auch die Frage nach einer Anpassung der Verwertungstatbestände und der Schranken des Urheberrechts an die spezifischen Nutzungsgewohnheiten im Internet auf. Die Änderung einer Richtlinie ist jedoch ein langwieriger Prozess, der sicherlich nicht im Lauf des nächsten Jahres abgeschlossen sein wird.
iRights.info: Bewirken solche Abmahnwellen Ihrer Meinung nach eine mittel- und langfristige Sensibilisierung der Internetnutzer für digitale Urheberrechtsverletzungen – oder bringt sich die Abmahnwirtschaft mit derart zweifelhaften Aktionen weiter in Miskredit?
Malte Stieper: Jedem Internetnutzer sollte klar sein, dass die unbeschränkte kostenlose Verfügbarkeit urheberrechtlich geschützter Werke über das Internet auf lange Sicht dazu führen würde, dass niemand mehr bereit wäre, in die Produktion und Verbreitung solcher Werke zu investieren. Wer bewusst das Risiko eingeht, ein rechtswidriges Angebot zu nutzen, muss daher auch bereit sein, die rechtlichen Konsequenzen zu tragen. Wenn aber Massenabmahnungen missbraucht werden, um die Empfänger einzuschüchtern und aus deren Unsicherheit Kapital zu schlagen, ist dies schädlich für die Akzeptanz des geistigen Eigentums und wird sich auf lange Sicht gegen die Rechtsinhaber wenden.
iRights.info: Wird dieser Redtube-Streaming-Fall Ihrer Meinung nach Folgen in Gesellschaft und Communities haben?
Malte Stieper: Die Abmahnungen, über die aktuell in der Presse berichtet wird, beziehen sich auf pornographische Filme, die regelmäßig nicht urheberrechtlich geschützt sind, sondern nur einen eingeschränkten Schutz als „Laufbilder“ genießen. Ich traue der Internetgemeinde zu, dass sie hier differenzieren kann und dieses Vorgehen nicht zum Anlass nimmt, ein pauschales Urteil über die „Urheberrechtsindustrie“ im Ganzen zu fällen.
iRights.info: Ließe sich das Abmahn-Unwesen als Nischen-Problem von der Gesamt-Anwaltschaft isolieren?
Malte Stieper: Der missbräuchliche Einsatz von Abmahnungen wird sich nie ganz vermeiden lassen. An die Wirksamkeit einer Abmahnung und damit die Verpflichtung zum Ersatz der Abmahnkosten stellt das Urheberrechtsgesetz in Paragraf 97a aber schon jetzt hohe Anforderungen. Wer abgemahnt wird, sollte daher in jedem Fall prüfen lassen, inwieweit die Abmahnung berechtigt ist, bevor er die geltend gemachten Gebühren bezahlt.
1 Kommentar
1 Schmunzelkunst am 20. Dezember, 2013 um 22:57
Es ist schwierig, das Problem in Interviewform zu erklären. Das Ansehen eines Filmes und das Lesen eines Buches sind nicht nur als privater Werkgenuss urheberrechtsfrei. Das Ganze ist leichter zu verstehen, wenn man zunächst einmal erklärt, dass z. B ein Fernsehkritiker sich die Filme, die Grundlage für seine professionellen Kritiken sind, erlaubnisfrei auch im Internet anschauen darf, sofern die Bedingung des § 44a erfüllt sind. Dann erklären, dass der über die Bestimmungen des § 44a hinausgehende Download (also das langfristige Abspeichern) solcher Beiträge nur privaten Nutzern erlaubt ist, und das auch nur dann, wenn die Filme nicht aus offensichtlich illegaler Quelle stammen (§ 53 I). Dann erklären, dass das reine Betrachten auch bei illegaler Quelle erlaubt ist. Und fertig ist die Laube.
Noch ein Hinweis zu dem m. E. irreführenden Satz, das pornographische Filme regelmäßig nicht urheberrechtlich geschützt sind, sondern nur einen eingeschränkten Schutz als „Laufbilder“ genießen:
Selbst wenn ein Pornofilm nur eine Folge von Laufbildern (§ 95 UrhG) ist, hat neben dem Recht des Laufbildherstellers die Rechte an den als Lichtbilder (§ 72) geschützten Einzelbildern einer solchen Laufbildfolge der Lichtbildner. Das ist in der Regel der Kameramann oder bei Pornos vielleicht auch die Kamerafrau. Ich kenn mich da nicht so aus. In dem Fall, auf den in diesem Zusammenhang immer wieder hingewiesen wird, war das Erscheinen der Laufbilder auf Bildträgern in körperlicher (!) Form Voraussetzung für den Laufbildschutz. Diese Voraussetzung war offenbar nicht erfüllt und der Laufbildhersteller ging deswegen leer aus. Ein Lichtbildner kann seine Recht aber auch dann geltend machen, wenn seine Lichtbilder noch nicht in Form von körperlichen Vervielfältigungsstücken erschienen sind. In dem besagten Fall wurde, soweit ich weiß, vielleicht weil die Kläger sich nicht besonders gut auskannten, nur auf den Laufbildschutz abgestellt.
MfG
Johannes
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