LG München: Online-Buchhändler dürfen auch kleine Ausschnitte von Rezensionen nicht ohne Erlaubnis nutzen
Wirklich überraschend fiel das gestern verkündete Urteil des Landgerichts München I (PDF) nicht aus. Die meisten Beobachter erwarteten schon im Vorfeld, dass die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Recht bekommen würde. Der Zeitungsverlag monierte mit seiner Klage, dass buch.de zahlreiche Ausschnitte von Rezensionen ungefragt und ohne Verwertungsrecht für seine Website aus FAZ-Publikationen übernahm, um diese als Werbung für die jeweiligen Bücher zu nutzen.
Der Online-Händler buch.de vertrat in seiner Verteidigung unter anderem die Auffassung, dass die verwendeten Passagen kurz und nicht individuell genug für urheberrechtlichen Schutz seien, berief sich auch auf angebliches Gewohnheitsrecht, weil Verlage und Buchhandel schon lange „branchenüblich“ solche Rezensionsausschnitte für die Werbung verwendeten, sowie auf das im Urheberrecht verankerte „Zitatrecht“.
Doch das Gericht gab dem FAZ-Verlag praktisch in allen Punkten Recht. buch.de muss die beanstandeten Rezensionsausschnitte von seiner Website entfernen und Schadensersatz in Höhe von rund 34.000 Euro bezahlen. Zudem müssen Online-Händler künftig Lizenzen für Rezensionen oder Rezensionsausschnitte erwerben.
„Auch kleinen Teilen eines Sprachwerks kommt urheberrechtlicher Schutz zu“
Für das Gericht steht außer Zweifel, dass auch der Ausschnitt und kurze Passagen einer Rezension für sich genommen urheberrechtlich geschützte Werke sind:
Die Urheberrechtsfähigeit ist auch bei bloßen Auszügen aus den betreffenden Artikeln anzunehmen, wenn sie einen gewissen Umfang erreichen und für sich gesehen selbständige persönliche Schöpfungen im Sinne des (§2 Abs. 2) Urheber-Gesetz darstellen Unter dieser Voraussetzung kann auch kleinen Teilen eines Sprachwerks urheberrechtlicher Schutz zukommen. Lediglich bei sehr kleinen Teilen – wie einzelnen Wörtern oder knappen Wortfolgen – wird ein Urheberrechtsschutz meist daran scheitern, dass diese für sich genommen nicht hinreichend individuell sind.
Bezug zum „Perlentaucher“-Verfahren
Hierbei bezieht sich das Landgericht ausdrücklich auf mehrere Urteile des Bundesgerichtshofes, etwa zum Streit um die Rezensions-Abstracts des Online-Magazins Perlentaucher (BGH NJW 2011, 761,767, Tz. 54 – Perlentaucher; BGH GRUR 2009, 1046 – Kranhäuser; EuGH 2009, 1041 – Infopaq; BGH NJW 1953 – Lied der Wildbahn I), der sich über insgesamt sechs Jahre und mehrere Instanzen hinzog und ebenfalls mit der schöpferischen Qualität einzelner Wörter und Formulierungen beschäftigte.
Nach Auffassung des Gerichts komme bei den fraglichen Rezensionen „die Individualprägung ihrer Urheber, die in feuilletonistischer Art und Weise die Originalwerke besprechen, so deutlich zum Ausdruck, dass ausreichendes individuell-schöpferisches Werkschaffem im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG festzustellen ist.“ Ausführlich setzt sich das Landgericht München in seiner Urteilsbegründung mit den Rezensionstexten auseinander, um anhand einzelner, auch kurzer Passagen zu erläutern, wie viel Eigenleistung der Journalisten darin stecke. Ein Beispiel:
Beispielsweise ist die Biographie Stefan Georges als ein Buch beschrieben, das so ‘frisch und frei‘ erzählt ist, das ‘bewusst in seinen Auslassungen‘ ist und sich folglich ‘atemlos‘ liest. Bereits in diesen wenigen Zeilen kommt die individuell-schöpferische Tätigkeiten des Journalisten zum Ausdruck, der sein Leseerlebnis, das durch die Klarheit des Buches geprägt ist, darstellt, wie es nur aufgrund eigenen persönlichen Erlebens möglich wird.
Weitere solcher Beispiele folgen. Zusammenfassend schreibt das Landgericht in seiner Urteilsbegründung:
Auch soweit Rezensionsauszüge enthalten sind, die eher kurz ausfallen, übernehmen diese aus den vollständigen Artikeln gerade die eigenschöpferischen, durch die Indiviualität der Journalisten geprägten Stellen, die in aller Regel gezielt Stilmittel enthalten und die persönlichen Erfahrungen bei der Lektüre des rezensierten Werkes samt der unweigerlich aufkommenden Emotionen wiederzugeben versuchen.
Online-Buchhandel zu jung, um Gewohnheitsrechte zu haben
Desweiteren geht das Urteil auch auf ein etwaiges Gewohnheitsrecht ein, das buch.de für sich geltend machen wollte. Hierzu stellt das Gericht fest, dass buch.de offenbar noch nie „Rechte zur Nutzung der streitgegenständlichen Rezensionsausschnitte erworben (habe).“ Und schreibt dazu weiter:
… die Beklagte beruft sich isoliert auf eine branchenübliche oder gewohnheitsrechtliche Übung, wonach die Rezensionsauszüge seit jeher auf Klappentexten und in sonstiger Werbung für belletretische Werke und Sachbücher verwandt worden seien, ohne einer Lizenzierung zu bedürfen. Diesbezüglich vermag sich die Kammer jedoch keine Überzeugung zu bilden, dass tatsächlich Gewohnheitsrecht entstanden ist.
Denn hierfür, so das Gericht, bedürfe es einer dauerhaften tatsächlichen Übung in der Rechtegemeinschaft, es müsse allgemein sein und auf der Rechtsüberzeugung der Rechtegemeinschaft beruhen: „Nach übereinstimmendem Vortrag der Parteien ist nämlich allenfalls seit 10 bis 15 Jahren überhaupt eine Verwendung von Rezensionsausschnitten im Online-Buchhandel zu verzeichnen, was ein für die Entstehung von Gewohnheitsrecht zu kurzer Zeitraum sein könnte.“
Diese Begründung mutet etwas kurios an, denn sie bedeutet im Klartext: Der Online-Buchhandel ist schlicht zu jung, um aus einer vom stationären Handel übernommenen und jahrelang offenbar nicht monierten Praxis auch das Recht der Online-Gewohnheit ableiten zu können.
Zitatrecht greift nicht mangels Zitatzweck
Schließlich weist das Gericht auch die Auffassung von buch.de zurück, die Rezensionsausschnitte seien durch das Zitatrecht abgedeckt. Hierfür fehle es den Rezensionsausschnitten schlicht an eigenem Text drumherum und damit einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Rezensionen als Zitatzweck. Stattdessen dienten die übernommenen Textpassagen allein der Werbung für das Buch auf der Händler-Website.
Dieses Urteil dürfte durchaus Folgen für die Buchbranche haben. Denn buch.de übernahm die Rezensionsausschnitte offenbar aus dem Vertriebs- und Vermarktungs-System des Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels GmbH (MVB), ein Tochterunternehmen des Gesamtverbands Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Die MVB unterhält unter anderem das Verzeichnis Lieferbarer Bücher, kurz: VLB, an das der Großteil aller Buchhändler angeschlossen ist. Wohl aus diesem Grund traten die MVB sowie die Barsortimente Koch, Neff & Volckmar und Libri im Laufe des Verfahrens als sogenannte Streitheilfer an die Seite von buch.de.
buch.de ist nicht der einzige Abnehmer
Das heißt, offenbar sorgte und sorgt die MVB dafür, Rezensionsausschnitte in ihr VLB einzupflegen und buch.de ist nicht der einzige Abnehmer dieser Texte, für die es aber (bislang) keine Nutzungrechte gibt. Mehr noch: Nach diesem Urteil könnte sich die MVB gezwungen sehen, ihre gesamte Datenbank nach derartigen Rezensionstexten zu durchforsten – und alle angeschlossenen Buchhändler bitten, übernommene Texte von ihren Webseiten zu entfernen. Zumindest gingen entsprechende Meldungen bereits Ende letzten Jahres durch die Fachpresse, etwa im Börsenblatt des deutschen Buchhandels („VLB-Daten ohne Rezensionen“).
Allerdings hat die FAZ wohl auch schon im Vorfeld des Urteils eingelenkt, wie der Buchreport berichtete. Demnach will die FAZ eine lizenzfreie und ohne gesonderte Genehmigung mögliche Nutzung von Auszügen aus Rezensionen gestatten, die „aus bis zu 25 aufeinanderfolgenden Wörtern“ bestünden. Das wäre eine Länge, die über den vom Landgericht München definierten Umfang hinausginge (siehe oben).
Zudem will die Zeitung es offenbar erlauben, dass diese Auszüge nicht nur auf Umschlagseiten und in Klappentexten sondern eben auch für die Bewerbung der besprochenen Bücher im Internet verwendet werden dürfen. „Diese Praxis soll unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits zwischen FAZ und buch.de gelten“, zitiert das Börsenblatt ein Statement aus dem FAZ-Verlag. Im Gegenteil, so heißt es, die Frankfurter Allgemeine Zeitung freue sich über „die Wertschätzung ihrer Rezensionen durch die Buchbranche.“ In Anbetracht des gestern gesprochenen Urteils hätte dieses Einlenken etwas Höhnisches, auch gegenüber dem Münchener Landgericht.
Nicht zuletzt könnte das Urteil auch abstrahlen auf weitere Kulturbereiche. Erst im Oktober vergangenen Jahres wandten sich freischaffende Musiker, Kulturschaffende, Kulturvereine, Journalisten und Kulturfreunde an die Öffentlichkeit, um eine kostenlose Nutzung von Rezensionen auf ihren Webseiten zu erreichen. Das Münchener Urteil scheint die Durchsetzung ihres Anliegens zumindest nicht zu erleichtern.
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