Creative Commons und Fair use
Worum es in der vergangenen Woche ging:
Ein weit verbreitetes DRM würde Interoperabilität beseitigen. Oder zumindest würde es Interoperabilität beseitigen, ohne dass man vorher um Erlaubnis fragen muss. „Fair use“ stellt eine gesetzlich festgeschriebene Ausnahme von dieser Kontrolle dar. DRM-Technologien, wie wir sie heute kennen, können „Fair use“ nicht ermöglichen. Warum ist das so? Und wie macht Creative Commons „Fair use“ möglich?
Die Geschichte geht weiter …
Ich habe diese Serie mit einigen Hintergrundinformationen zu Creative Commons begonnen. Diese Mail ist die letzte dieser Hintergrund-E-Mails.
In der ersten Woche habe ich die Grundidee von Creative Commons beschrieben – freie Lizenzen, die die Welt wissen lassen, welche Freiheiten ein Autor seinem Werk mitgeben will. In der zweiten Woche haben wir zugegeben, dass wir die Idee von der Bewegung für Freie-Software geklaut haben. Wir beide nutzen freie Lizenzen – in völlig unterschiedlichen Zusammenhängen –, um die negativen und einschränkenden Effekte einer übermäßig restriktiven Kontrolle zu vermeiden. Wie diese Kontrolle aussieht, war das Thema der E-Mail der vergangenen Woche – die technischen Sperren, die den Zugang zu Inhalten und deren Nutzung kontrollieren, und die als DRM bekannt sind. Wir befürchten, dass DRM eine Ebene der Restriktion ins Internet einziehen wird, die die Interoperatibilität von Inhalten, den Austausch zwischen verschiedenen Plattformen, verhindern und „Fair use“ schwächen wird.
„Fair use“: Kein anderer Begriff wird in den Debatten über das Copyright mit weniger Verständnis verwendet. Was ist „Fair use“ (in Amerika, im Rest der [englischsprachigen, Anm. d. Ü.] Welt meist „Fair Dealing“ genannt) und wie wird es von DRM bedroht?
Das Gesetz kennt drei Arten von „Nutzungen“ von urheberrechtlich geschütztem Material:
- Freie Nutzungsarten (Nutzungen, die vom Copyright nicht geregelt sind, wie zum Beispiel das Lesen eines gedruckten Buches)
- regulierte Nutzungsarten (Nutzungen, die im Copyright-Gesetz geregelt sind, wie zum Beispiel, wenn man ein Buch wieder veröffentlichen will)
- Fair uses – „angemessene Nutzungen“ (Nutzungen, die vom Gesetz geregelt sind, die aber trotzdem „frei“ sind, weil das Gesetz sie als „angemessen“ ansieht – wie zum Beispiel im Rahmen einer Rezension aus einem Buch zu zitieren (im deutschen Rechtssystem vergleichbar mit den Schrankenregelungen, Anm. d. Ü.)
Digitale Technologien verändern das Gleichgewicht zwischen diesen drei Arten von Nutzungen. Während immer größere Teile des Alltags online stattfinden, schrumpfen die Spielräume für freie Nutzung von Inhalten. Jede Handlung in einem digitalen Netz stellt eine Kopie her, und da „Kopien“ vom Copyright geschützt sind, gibt es im digitalen Raum im Vergleich zum analogen Raum wesentlich weniger „freie Nutzungen“.
Dieses Schrumpfen bedeutet, dass „Fair use“ zusätzlich diejenigen Nutzungsarten, die vorher frei waren, ermöglichen muss. Es gibt jedoch wenig Präzedenzfälle, die zeigen, auf welche Weise diese neuen „Fair uses“ geschützt werden sollen. Zum Beispiel gibt es keinen Fall, der besagt, dass ein Buch zu verleihen „Fair use“ ist. In der analogen Welt hatte die Weitergabe eines Buches mit Copyright nichts zu tun, also musste niemand „Fair use“ anführen, um diese Weitergabe zu rechtfertigen. Aber wenn man in der digitalen Welt ein Buch weitergibt, bedeutet das automatisch, dass man eine Kopie macht. Wenn diese Kopie nicht explizit erlaubt ist, dann kann nur „Fair use“ die Freiheit der Weitergabe sichern. Und diejenigen, die versuchen diese Freiheit des Gebens zu verteidigen, müssen sich mit einem „Fair-use“-System auseinander setzen, das für eine andere Welt geschaffen wurde.
Dieser Punkt ist wichtig: wir stützen uns auf ein schwerfälliges und teures juristisches Mittel („Fair use“), um Freiheiten zu schützen, die vorher selbstverständlich waren. Wenn wir viel Zeit und Geld hätten, könnten wir uns zweifellos vorstellen, dass „Fair use“-Freiheiten mit den geschützten Nutzungsarten ein Gleichgewicht finden könnten. Aber hier kommt DRM ins Spiel und stellt uns vor ein besonders gefährliches Problem.
Bevor man darauf Anspruch erheben kann, dass eine Nutzungsart „Fair use“ ist, muss man erst einmal die technischen Möglichkeiten haben, ein Werk auf bestimmte Weisen zu nutzen. „Fair use“ ist eine Verteidigung; man muss in der Lage sein, das Material auf eine Art und Weise zu nutzen, die vom Copyright reguliert wird, bevor man sich verteidigen kann.
Wenn aber DRM so eingeführt wird, wie es zu großen Teilen entworfen ist, dann wird es durch die verwendete Technologie nicht möglich sein, das Werk so zu nutzen, dass „Fair use“ überhaupt eine Rolle spielt. „Fair use“ würde also nicht auf dem Gesetzesweg beseitigt werden, sondern durch Computerprogramme. Und in den USA jedenfalls ist es eine Straftat Werkzeuge herzustellen, die diesen Code verändern – auch wenn der Zweck „Fair use“ ist. Sie beginnen hoffentlich, die Gefahren von DRM zu erkennen: Digitale Technologien haben den Umfang an „freien Nutzungsarten“ verkleinert (da jede Nutzung eine Kopie produziert); die neue Generation digitaler Technologien (DRM) wird das Angebot an „Fair use“-Nutzungen weiter einschränken, indem es die Möglichkeit beseitigt, Inhalte so nutzen, die normalerweise unter „fair“ fallen würden.
Das ist das Problem, das DRM für „Fair use“ darstellt. Was kann Creative Commons zur Lösung diese Problems beitragen?
Da gibt es zwei wichtige Möglichkeiten:
- Indem wir einen Grundstock kreativer Arbeiten herstellen, die unter Creative-Commons-Lizenz stehen, vergrößern wir das Angebot an Werken, die keine DRM-Sperre brauchen.
- Indem wir verbieten, dass DRM genutzt wird, um die Freiheiten, die unsere Lizenz garantiert, einzuschränken. Dadurch sorgen wir dafür, dass die Freiheiten, die wir in unseren Lizenzen festschreiben, nicht durch DRM eingeschränkt sind. „Fair use“ ist die wichtigste dieser Freiheiten. Der zweite Absatz jeder Lizenz besagt: „Creative-Commons-Lizenzen beschränken keine Nutzungsarten, die unter ‚Fair use’ fallen, noch modifizieren sie sie.“
Folglich nutzen wir unsere Lizenzen, um die Freiheiten, die Autoren wünschen, auf ein stärkeres Fundament von „Fair use“-Freiheiten aufzubauen. Creative Commons ist daher „Fair use“-Plus: Ein Versprechen, dass die Freiheiten, die CC gibt, immer zusätzlich zu den Freiheiten bestehen, die das Gesetz garantiert.
Soviel zum Hintergrund. Nächste Woche beschreibe ich einige der aufregenden Dinge, die Creative Commons angestoßen hat, und sage etwas mehr über das, was wir vorhaben.
Übersetzung: Valie Djordjevic. Englische Originalversion: creativecommons.org/weblog/entry/5681
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