CC im Rückblick: Interoperabilität
Aus der letzten Folge:
Wie die Freie-Software-Bewegung glaubten wir, dass ein solches rechtliches Instrument helfen würde, die Kreativität von einem Großteil der Last des Copyright-Gesetzes zu befreien. Aber im Gegensatz zur Freie-Software-Bewegung war es nicht unser Ziel, die „proprietäre Kultur“ zu beseitigen (so wie einige in der Freie-Software-Bewegung proprietäre Software beseitigen möchten). Stattdessen glaubten wir, durch die Förderung freier Kultur (das heißt Kultur, die wenigstens für einige wichtige Zwecke frei verwendet werden kann) den Trends widerstehen zu können, die in die entgegengesetze Richtung drängen. Damit meinten wir vor allem jenen Trend, der vom Wettrennen zum „digitalen Rechtemanagement“ (DRM) vorangetrieben wird.
Was stimmt nicht mit DRM? Und was ist mit „Fair Use“? Gute Fragen. Schalten Sie nächste Woche wieder ein für erste Antworten.
Die Fortsetzung der Geschichte:
Stellen Sie sich folgendes glückliche Bild vor: Ihre 14-jährige Tochter soll einen Schulaufsatz über die jüngste Flutkatastrophe in New Orleans schreiben. Das vorgegebene Thema lautet: „Wie unterschieden sich die Ansichten der Leute über das Desaster je nach ihrem Hintergrund?“ Also macht sie das, was viele Kinder immer häufiger tun: Sie geht ins Internet, um mit ihrer Arbeit zu beginnen. Sie sucht mit Google Nachrichten über die Flut. Und sie fängt an, Webseiten zu sammeln, um ihre Recherche zu vervollständigen.
Stellen Sie sich vor, sie findet ein Archiv mit Tonaufnahmen von den Opfern der Flut. Dann findet sie Sammlungen von Nachrichtenprogrammen, die über die Flut berichten. Schließlich findet sie Umfragedaten darüber, wie die amerikanische Regierung auf die Flut reagieren sollte, und Ansichten darüber, wie die Reaktionen der Regierung bislang einzuschätzen seien.
Dann stellt ihre Tochter unter Verwendung der verschiedenen Stimmen, Filme und Beschreibungen einen eigenen kurzen Film zusammen. Sie nimmt die Stimmen aus dem Tonarchiv als Tonspur und fügt kurze Ausschnitte aus den Nachrichtenprogrammen hinzu, um so verschiedene Sichtweisen zu zeigen. Und als sie fertig ist, zeigt sie Ihnen stolz ihr Werk, und Sie glauben (wie zu erwarten), dass sie den nächsten George Lucas vor sich haben.
Interoperabilität. Vielleicht das Wichtigste, was uns das Internet gebracht hat, ist, dass es eine Plattform bietet, durch die Erfahrungen interoperabel werden, das heißt kommuniziert und ausgetauscht werden können. Zuerst war das Ziel der Computer- und Netzwerkgenies einfach, einen Weg zu finden, Computer miteinander kommunizieren zu lassen. Dann haben die Genies der Anwendungssoftware Wege gefunden, wie die Inhalte, die auf unterschiedlichen Geräten laufen, auf einer einzigen digitalen Plattform zusammenspielen können. Wir sind einer Welt nahe, in der jedes Audioformat mit jedem Videoformat gemischt und dann durch jedes Format von Text und Bild ergänzt werden kann. Natürlich gibt es Ausnahmen. Es gibt einige, die dieses Interoperabilitätsspiel nicht mitspielen. Doch durch den Druck des Netzwerks ist eine Welt entstanden, in der jeder so ziemlich alles ausschneiden und neu kombinieren kann, um daraus etwas Neues zu schaffen. Genauso wie die Sinne viele verschiedene Arten von Erfahrungen verarbeiten (Geräusche, Bilder, Gerüche, Gefühle) und diese dann für die Übersetzung auf eine einzige Plattform (das Gehirn) anbieten, so haben auch digitale Netzwerke es möglich gemacht, verschiedene Formen von Medien zu verknüpfen und auf einer einheitlichen Plattform nutzbar zu machen.
Diese Konvergenz ermöglicht die kreative Arbeit Ihrer Tochter. In einem gewissen Sinne macht sie natürlich nichts anderes, als was Filmemacher seit fast einem Jahrhundert machen. Der Unterschied ist, dass sie keine Filmemacherin ist und Sie keine Ausrüstung im Wert von Hunderttausenden von Dollars kaufen mussten. Die digitalen Technologien und das Internet haben diese Art sich auszudrücken demokratisiert. Und wir fangen gerade erst an, die schöpferischen Kräfte zu erkennen, die dieser Wandel freigesetzt hat.
Nun überlegen Sie für einen Moment, was es Ihrer Tochter ermöglicht hat, diesen Film zu produzieren. Es war nicht allein die Existenz bestimmter Technologien – Digitaltechnologie und besonders das Internet. Es war auch die Abwesenheit anderer Technologien – nämlich solcher Technologien, die kontrollieren, ob und wie sie die Inhalte verwenden kann, die sie gefunden hat. Als Ihre Tochter die Tonaufnahmen von Überlebenden kopiert hat, fragte ihr Computer nicht: „Für welchen Zweck?“ Als sie diese Aufnahmen in ihren Film einfügte, verlangte die Software keinen Beweis dafür, dass sie die Erlaubnis dazu hat. Sie konnte all die Dinge tun, die sie getan hat, weil es der Technologie egal ist, ob sie dafür eine Genehmigung hat oder nicht. Das Internet ist nicht gebaut worden, um Erlaubnisse abzufragen. Freier Zugang war die Regel.
Dieser freie Zugang schafft viele Probleme für viele – im Grunde könnte er uns allen Probleme bereiten. Platten- und Filmunternehmen sind berüchtigt dafür, sich über diese Eigenschaft des Internet zu beklagen. So, wie das Netz ursprünglich entworfen wurde, könnte man seine gesamte Platten- und Filmsammlung mit seinen 100.000 ‚besten Freunden teilen.‘ Es überrascht nicht, dass die Industrie das als einen Designfehler ansieht. Aber ich würde sagen, dass jeder von uns unter bestimmten Umständen diese Eigenschaft des Netzes bedauern dürfte. Behagt es Ihnen wirklich, dass jemand eine persönliche E-Mail nehmen und sie an seine 100 besten Freunde weiterschicken kann?
Auf den Punkt gebracht: Wie wertvoll freier Zugang im allgemeinen auch sein mag, es glauben immer einige, dass er für sie nicht sehr gut ist. Und deshalb haben sich die Mächtigsten unter diesen Einigen für Technologien stark gemacht, die über das Internet gelegt und sie – oder Inhalte-Eigentümer im Allgemeinen – in die Lage versetzen würden, zu kontrollieren, wie digitale Inhalte benutzt werden. Wenn Sie also einen Song von einem Online-Musikshop kaufen, können Sie ihn vielleicht auf vier oder fünf Ihrer Geräte kopieren, aber Sie können ihn nicht zwanzig mal kopieren oder ihn für andere zugänglich ins Internet stellen. Oder falls Sie einen vertraulichen Bericht zugeschickt bekommen, könnte es Ihnen die Technologie unmöglich machen, den Bericht zu drucken oder auf einen anderen Rechner zu kopieren. Die Möglichkeiten der Kontrolle sind im Grunde unbegrenzt. Wenn Sie sich ein beliebiges Kontrollverfahren vorstellen, dann gibt es da draußen jemanden, der bereits daran arbeitet, dieses Verfahren in die Netztechnologien einzubauen.
Nennen wir diese Technologien ganz allgemein „digitale Rechtemanagement“-Technologien (DRM). Am Ende des Sendschreibens von letzter Woche hatte ich behauptet, dass es einen starken Druck gebe, eine DRM-Schicht über das Internet zu legen, und dass dieser Druck eine schlechte Sache sei.
Doch ich halte DRM nicht für schlecht, weil ich denken würde, dass es gut sei, die Rechte anderer zu verletzen. Das Schlechte an DRM ist, dass wir, wenn es universell eingesetzt wird, von einem negativen Extrem ins andere fallen würden. Ohne Frage könnte DRM es für Plattenfirmen einfacher machen, die illegale Verbreitung ihrer Inhalte zu stoppen. Aber es würde auch die Chancen für die Art von Nutzungen zunichte machen, von denen in dieser (bereits viel zu langen) E-Mail am Anfang die Rede war: kreative, unerwartete, kritische Nutzungen. Wir würden uns von einer Welt, in der die freie Verwendung die Regel ist, in eine Welt bewegen, in der für jegliche Verwendung eine Erlaubnis einzuholen wäre.
Wie würden nun die Creative-Commons-Lizenzen helfen, dieses Problem zu lösen? Unserer Ansicht nach würden sie dabei helfen, ein gewisses Gleichgewicht zwischen beiden Extremen wieder herzustellen. Wir glaubten, wenn wir Kreativen auf einfache Weise ermöglichen würden auszudrücken, mit welchen Freiheiten sie ihre Inhalte ausstatten möchten, wäre das für viele Kreative bereits genug. Nicht genug für Hollywood vielleicht, um einen neuen Film zu veröffentlichen. Aber genug für viele Kreative, die die Ergebnisse ihres Schaffens im Netz zugänglich machen.
Anders gesagt, wir wollten eine Technologie anbieten, die es einfach macht festzulegen, welche Rechte vorbehalten sein sollen und welche nicht. Das macht es, so hoffen wir, überflüssig, Technologien einzuführen, um die vorbehaltenen Rechte durchzusetzen. Digitale Rechte auszudrücken („Digital Rights Expression“, DRE), war unser Ziel. Wir hofften, dass gutes DRE zumindest einen Teil des Bedarfs nach simplem DRM stillen würde.
Aber warum den durch Creative-Commons-DRE festgelegten Rechten nicht noch DRM zufügen? Was ist schlecht an einem billigen System zur Durchsetzung der Rechte, die weiterhin vorbehalten bleiben?
Damit gibt es mindestens zwei Probleme. Das erste können wir erkennen, wenn wir uns noch einmal in Erinnerung rufen, was dieses Netzwerk so bemerkenswert gemacht hat – die Interoperabilität. Ein weit verbreitetes DRM würde diese Interoperabilität beseitigen. Oder zumindest würde es Interoperabilität beseitigen, für die man nicht erst um Erlaubnis gebeten hat. Wir könnten digitale Inhalte nur remixen oder ergänzen oder damit kritisch umgehen, wenn wir die Erlaubnis des Inhalte-Kontrolleurs bekommen haben. Und diese Auflage, erst eine Erlaubnis einzuholen, würde gewiss einen großen Teil des Potentials ausschalten, das das Internet ermöglichen könnte.
Das zweite Problem betrifft „Fair use.“ Das Copyright-Gesetz hat Rechteinhabern nie das Recht auf eine perfekte Kontrolle über ihr Werk verliehen. „Fair use“ stellt eine gesetzlich festgeschriebene Ausnahme von dieser Kontrolle dar. DRM-Technologien, wie wir sie heute auf dem Markt sehen, können „Fair use“ nicht respektieren.
Warum das so ist? Und wie respektiert Creative Commons „Fair use“? Schalten Sie nächste Woche wieder ein, um die Antworten zu erfahren.
Übersetzung: Volker Grassmuck
Englische Originalversion:
creativecommons.org/weblog/entry/5676
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