Creative Commons im Rückblick: Lawrence Lessig über die Unterstützung der Wissensallmende
Heute startet Creative Commons also seine erste Spendensammlung. Bis jetzt haben wir von den sehr großzügigen Subventionen einiger einsichtsvoller Stiftungen gelebt. Aber das IRS (Internal Revenue Services – US-Steuerbehörde) erlaubt es nicht, dass gemeinnützige Organisationen lange ein so privilegiertes Leben führen. Um unseren gemeinnützigen Status zu behalten, fordert das IRS, dass wir einen „öffentlichen Unterstützungstest“ bestehen. Das bedeutet, dass wir zeigen müssen, dass unsere finanzielle Unterstützung von mehr als ein paar Stiftungen kommt. Aus diesem Grund starten wir diese Kampagne.
Diese E-Mail ist Werbung, eine Bitte um Ihre Unterstützung. Aber sie ist auch die erste in einer Reihe von E-Mails, in denen ich erklären möchte, was Creative Commons eigentlich ist und was wir damit wollen. Dies ist etwas, was ich schon vor langer Zeit hätte tun sollen. Es hat viele kluge (und einige nicht so kluge) Fragen dazu gegeben, wer wir sind und wohin wir wollen. Ich habe schon lange nach einer Ausrede gesucht, um sie zu beantworten. Das IRS hat mir jetzt diesen Anlass gegeben.
Sie sind auf dieser Liste, weil Sie sich eingetragen haben, Information über Creative Commons (CC) zu erhalten, oder weil Sie in der Vergangenheit CC unterstützt haben. Sollten diese wöchentlichen E-Mails von mir (sie kommen von jetzt an bis Weihnachten und sind – mit Ausnahme von dieser, die ein bisschen länger ausgefallen ist – etwa 500 Wörter lang) Ihnen zur Last fallen, bestellen Sie sie einfach unter creativecommons.org/about/newsletter ab. Dort können Sie auch Freunden und Bekannten, die am Thema interessiert sind, empfehlen diesen Newsletter unter creativecommons.org/about/newsletter zu abonnieren.
[Im Original werden die Lessigletters wöchentlich versandt, wir veröffentlichen die deutschen Übersetzungen jeweils dienstags und freitags. Die Red.]
Diese erste E-Mail hat für die gegenwärtigen Unterstützer von Creative Commons nicht allzu viele neue Informationen zu bieten. Wahrscheinlich wissen Sie bereits alles, was ich erzählen möchte. Das Ziel dieses Anfangsschreibens ist es zu erklären, was Creative Commons ist und warum wir es gegründet haben. Ich werde ein wenig damit angeben, was wir bisher geschafft haben. Keine Sorge, diese E-Mails sind von mir und nicht von einer PR-Abteilung. Später wird es auch eine ganze Menge Selbstkritik geben. Im Augenblick lassen Sie uns auf die gute Idee konzentrieren, die bei CC am Anfang stand.
Creative Commons: Die Geschichte
Die Idee zu Creative Commons entstand während einer Unterhaltung, die ich mit Eric Eldred führte. Ich war Erics Anwalt während seines Prozesses, bei dem es darum ging, den Copyright Term Extension Act des US-Kongresses anzufechten. Eric war zwar voller Energie, was den Fall betraf, aber nicht allzu optimistisch bezüglich der zu erwartenden Ergebnisse. Schon am Anfang fragte er mich, ob es nicht einen Weg gäbe, die Energie, die der Prozess frei setzte, in etwas Positives umzulenken. Keinen Angriff auf das Copyright, sondern einen Weg, das Copyright so anzuwenden, um damit die„Public Domain“ zu unterstützen.
Ich war sofort einverstanden, nicht weil ich einen Plan hatte, sondern weil ich – naiver Anwalt, der ich war – dachte, dass wir den Fall gewinnen würden, und Eric den Traum vergessen würde. Aber nichtsdestotrotz – und lange bevor das oberste Gericht überhaupt beschloss, Eldreds Gesuch anzuhören – fasste unsere Truppe den Plan, das Creative Commons zu schaffen.
Wir haben den Grundgedanken von der Free Software Foundation (FSF) gestohlen: dass man Copyright-Lizenzen frei vergeben kann. Weil Copyright Eigentum ist, verlangt das Gesetz, dass man eine Genehmigung einholt, bevor man ein geschütztes Werk „verwendet“ – es sei denn, die Verwendung stellt „Fair Use“ dar. Eine Genehmigung ist insbesondere für eine Verwendung erforderlich, die jene exklusiven Rechte berührt, die das Copyright gewährt. In der physischen Welt ist trotz dieser „exklusiven Rechte“ vieles vom Copyright unberührt. Wenn man zum Beispiel in der realen Welt ein Buch lesen, ist das kein „Fair Use“ des Buches. Es ist eine unkontrollierte Verwendung des Buchs, da das Lesen keine Kopie erzeugt (außer im Gehirn, aber sagen Sie das nicht den Juristen).
Im Cyberspace hingegen gibt es keine Möglichkeit, ein Werk zu „verwenden“ ohne simultan eine „Kopie“ herzustellen. Grundsätzlich, könnte man sagen, erfordert also jede Verwendung eines Werkes im Cyberspace zuerst eine Genehmigung (die Ausnahme bildet wieder „Fair Use“). Und dieses Merkmal (oder dieser „Fehler“, je nach Perspektive) war der kritische Punkt, an dem wir ansetzten, um Creative Commons zu starten.
Wir hatten die Idee (wieder von der FSF gestohlen), Urheberrechtslizenzen zu erstellen und anzubieten, die Künstler, Autoren, Pädagogen und Forscher verwenden konnten, um der Welt mitzuteilen, welche Freiheiten sie ihren kreativen Werken mit auf den Weg geben wollten. Wo das Copyright im Standardfall „alle Rechte vorbehalten“ vorsieht, bedeutet eine Creative-Commons-Lizenz, dass nur „einige Rechte vorbehalten“ sind. Zum Beispiel gewährt das Copyright-Gesetz den Rechteinhabern das exklusive Recht, „Kopien“ ihrer Werke herzustellen. Eine Creative Commons Lizenz könnte im Unterschied dazu festlegen, dass dieses exklusive Recht der Öffentlichkeit übertragen wurde.
Welche Freiheiten die Lizenzen anbieten, wird sowohl von uns (da wir entscheiden, welche Freiheiten durch CC gesichert werden sollen) als auch von den Schöpfern, die unter den von uns zur Verfügung gestellten Optionen eine Wahl treffen, festgelegt. Ursprünglich gab es vier Grundkomponenten:
- Attribution (Namensnennung – das bedeutet, das die Arbeit nur benutzt werden darf, wenn der Autor genannt wird),
- NonCommercial (Keine kommerzielle Nutzung – das bedeutet der Autor gestattet nur nicht-kommerzielle Nutzungen seines Werks),
- NoDerivatives (keine Bearbeitung – der Autor verlangt, dass sein Werk so benutzt wird, wie es ist, und nicht als Basis für etwas Neues), und
- ShareAlike (Weitergabe unter gleichen Bedingungen – jede Bearbeitung, die man unter Verwendung des lizenzierten Werkes erstellt, muss ihrerseits unter identischen Lizenzbedingungen freigegeben werden).
Diese vier Möglichkeiten gestatten – von denen jede einzelne gewählt werden kann – insgesamt elf mögliche Lizenzen. Als wir aber merkten, dass 98 Prozent der CC-Anwender „Attribution“ wählten, beschlossen wir, „Attribution“ als Option zu streichen. Das bedeutet, dass wir jetzt sechs Kernlizenzen anbieten:
- Attribution (Sie können das Werk verwenden wie Sie mögen, aber nennen Sie mich als ursprünglichen Autor)
- Attribution-ShareAlike (Sie können das Werk verwenden wie Sie mögen, Sie müssen mich als Autor nennen und dürfen jede Bearbeitung nur unter gleichen Bedingungen weitergeben)
- Attribution-NoDerivatives (Sie dürfen das Werk nicht verändern und müssen auf mich als Schöpfer verweisen)
- Attribution-NonCommercial (Sie dürfen das Werk nur für nicht-kommerzielle Zwecke verwenden und müssen auf mich als Autor verweisen)
- Attribution-NonCommercial-NoDerivatives (Sie dürfen das Werk nicht verändern und es nur für nicht-kommerzielle Zwecke verwenden und müssen auf mich als Autor verweisen)
- Attribution-NonCommercial-ShareAlike (Sie dürfen das Werk nur für nicht kommerzielle Zwecke verwenden, müssen auf mich als Autor verweisen und die Bearbeitung unter eine identische Lizenz stellen)
Wir bieten auch ein paar andere Speziallizenzen an, die ich in einer späteren E-Mail beschreiben werde.
Diese Optionen werden einer Basislizenz hinzugefügt. Die Basislizenz stellt sicher, dass der Autor oder die Autorin (1) ihr Copyright bewahren; (2) bestätigt, dass „Fair Use“,„First Sale“ oder das Recht zur freien Meinungsäußerung von der CC-Lizenz nicht tangiert werden und (3) die Lizenz gewährt – so lange die Lizenzbedingungen der Autoren respektiert werden – weltweit jedermann vier Freiheiten: (i) das Werk zu kopieren; (ii) das Werk zu verbreiten; (iii) das Werk anzuzeigen oder öffentlich aufzuführen und (iv) das Werk digital öffentlich aufzuführen (d.h. Webcasting).
Zuletzt verlangt die Lizenz von den Anwendern, (1) für jede Verwendung eines Werkes außerhalb der durch die Lizenzbestimmungen festgelegten Nutzungsarten eine Genehmigung einzuholen; (2) alle Copyright-Hinweise beizubehalten; (3) einen Verweis auf die Lizenz zu setzen; (4) die Lizenzbedingungen nicht zu verändern; (5) keine Technik (d.h. DRM) zu einzusetzen, die die Rechte der Lizenznehmer aus der Lizenz beschränkt.
Die Lizenzen geben Autoren eine einfache Möglichkeit an die Hand, der Welt mitzuteilen, welche Nutzungsrechte sie ihren kreativen Werken von Haus aus mit auf den Weg geben wollen. Die Lizenz ist zugleich eine Einladung, für andere Verwendungen, die über den gestatteten Rahmen hinausgehen, um Erlaubnis zu bitten. Eine „nicht-kommerzielle“ Lizenz bedeutet nicht, dass Schöpfer nie Geld für ihre Werke nehmen würden. Sie bedeutet einfach: „Fragen Sie, wenn Sie das Werk kommerziell verwenden wollen. Aber wenn Sie es nur nicht-kommerziell nutzen, müssen Sie nicht fragen.“
Wir gründeten Creative Commons im Dezember 2002. Innerhalb eines Jahres zählten wir über 1.000.000 Linkverweise zu unseren Lizenzen. Nach anderthalb Jahren war diese Zahl auf über 1.800.000 gestiegen. Nach zwei Jahren betrug die Zahl etwa 5.000.000. Und nach zweieinhalb Jahren (im Juni) war die Zahl auf etwas mehr als 12.000.000 geklettert. Inzwischen – drei Monate später – meldet Yahoo! über 50.000.000 Linkverweise zu unseren Lizenzen. „Linkverweise“ sagen zwar nicht wirklich etwas darüber aus, wie viele Objekte unter Creative-Commons-Lizenzen lizenziert sind – eine einzelne Lizenz kann zum Beispiel 100.000 Lieder in einer Musikdatenbank abdecken, oder ein einzelnes Blog mehrere Varianten der Lizenz nutzen. Aber der Anstieg dieser Zahlen sagt etwas aus: Creative-Commons-Lizenzen werden schnell aufgegriffen, viel schneller als ich jemals zu träumen wagte.
Nächste Folge: Welches Problem versuchte Creative Commons zu lösen? Welche Lehren haben wir aus der Vergangenheit gezogen?
Übersetzung: Robert A. Gehring. Englische Originalversion: creativecommons.org/weblog/entry/5661
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