Wichtige Freiheiten
Aus der letzten Folge:
In der nächsten Woche werde ich mich mit einigen Kritikern von Creative Commons auseinander setzen. Doch in dieser Woche, genau jetzt, benötigen wir immer noch Ihre Unterstützung.
Die Geschichte geht weiter …
Creative Commons ist eine junge Organisation. Und obwohl wir mehr Erfolg hatten, als ich es je erwartet hatte, haben wir auch Fehler gemacht. Einige dieser Fehler haben wir korrigiert. Bei anderen hoffe ich, dass ich das Projektteam dazu überreden kann, sie noch zu korrigieren. Aber im Laufe der drei Jahre, die seit unserem Start vergangen sind, haben wir hart daran gearbeitet, eine solide und nachhaltige Infrastruktur von Freiheiten für Autoren aufzubauen.
Unterwegs haben wir einige Kritik auf uns gezogen. Hier ist nicht der Raum, auf jede einzelne Kritik einzugehen. In dieser E-Mail werde ich nur auf zwei von ihnen antworten – eine, die sich gegen unsere „Keine kommerzielle Nutzung“-Lizenzoption richtet, und eine andere, die zwei CC-Lizenzen betrifft, die nicht zu unserem Kernbereich gehören. Aber ich werde diese Diskussion im nächsten Jahr in einem neuen Forum fortsetzen, das wir eigens für diesen Zweck ins Leben rufen werden. Mein Vorbild ist Mark Shuttleworth und ich werde an der Diskussion teilnehmen, so oft ich kann.
Aber in der Zwischenzeit, mehr zu unseren Kritikern.
(1) Die Kritik an unserer nicht kommerziellen Lizenz
In einem Artikel auf intelligentdesigns.net argumentiert Erik Möller gegen die Nutzung der Creative Commons „Keine kommerzielle Nutzung“-Lizenz (NonCommercial – NC). Seine Erörterung hat fünf Teile, aber im Zentrum steht die Sorge um Inkompatibilitäten. Er sagt: „Freie Inhalte sind keine Randerscheinung mehr.“ Er verweist auf Wikipedia als offensichtliches Beispiel und moniert zu Recht, dass Inhalte, die unter einer NC-Lizenz veröffentlicht sind, nicht in Wikipedia aufgenommen werden können. Das sei, so argumentiert er, vor allem in „Gemeinschaftsprojekten“ ein Problem. Denn, so Möller: „Es ist fast unmöglich, in einem Gemeinschaftsprojekt Bereiche von Inhalten als nicht kommerziell zu kennzeichnen und in der Folge diese Eingrenzungen durchgängig zu beachten.“
Möller hat völlig recht. Die NC-Lizenz behindert tatsächlich diese Art von Zusammenarbeit. Sie schafft in der Tat mögliche Inkompatibilitäten. Natürlich gibt es diese auch ohne die Einschränkung der kommerziellen Nutzung: Wie ich in der vergangenen Kolumne beschrieben habe, ist es nicht möglich, sogar Inhalte, die unter der FDL (Free Document Licence) freigegeben sind, mit Inhalten, die unter einer äquivalenten CC-Lizenz stehen, zu mischen. Das passiert deshalb, weil beide Lizenzen, so wie sie gegenwärtig aufgebaut sind, Interoperabilität blockieren. Das ist ein echtes Problem für das Ökosystem der freien Kultur. Aber, wie ich letztes Mal geschrieben habe, ist das ein Problem, das Creative Commons zu lösen beabsichtigt. Zu diesem Zweck wird es ein Projekt ins Leben rufen, das die freien Lizenzen mit einander verbünden soll, um Interoperabilität zwischen gleichartigen Lizenzen herzustellen.
Aber selbst wenn wir mit diesem Bündnis Erfolg haben, wird das Problem, das Möller beschreibt, weiter bestehen. Einige Lizenztypen sind mit anderen nicht kompatibel. Und unter den Inkompatibilitäten, die am meisten Schwierigkeiten bereiten werden, ist genau die Art, die Möller aufgezeigt hat: Die NC-Einschränkung wird verhindern, das solche Inhalte in Projekte wie Wikipedia, die die Weitergabe unter gleichen Bedingungen verlangen, aufgenommen werden.
Was ist die Lösung? Meine Empfehlung ist so ziemlich die gleiche wie Möllers – dass man die am wenigsten einschränkende Lizenz nutzt, die möglich ist. Aber ich sage nur „so ziemlich die gleiche“, weil ich den Eindruck habe, dass Möller es am liebsten sähe, wenn niemand mehr die NC-Lizenz benutzen würde, und ich daran glaube, dass es angesichts der vielen unterschiedlichen Autoren, die CC-Lizenzen benutzen, wichtige Fälle gibt, wo eine NC-Lizenz sinnvoll ist.
Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie sind in einer Band und Sie haben einen neuen Song aufgenommen. Sie sind glücklich darüber, dass er im Internet verbreitet wird. Aber Sie sind nicht scharf drauf, dass Sony ihn auf einen CD-Sampler mit aufnimmt – wenigstens nicht, ohne dass Sie zuvor gefragt werden. Wenn Sie den Song unter einer simplen Namensnennung-Lizenz veröffentlichen, dann gibt es keinen Grund, dass nicht Sony – oder jeder andere – den Song nimmt und weiter verkauft. Und ich persönlich habe kein Problem damit, wenn Sie Ihre kommerziellen Rechte zurückhalten wollen, damit Sony um Erlaubnis fragen (und zahlen) muss, bevor es von Ihrer Musik profitiert.
Möller schlägt vor, dieses Problem zu vermeiden, indem man den Song zu gleichen Bedingungen freigibt, zum Beispiel dadurch, dass man eine Creative-Commons-ShareAlike-Lizenz benutzt. Er begründet das damit, dass „jede Firma, die versucht, Ihr Werk zu verwerten, im Ergebnis ihr Produkt und die eigene Arbeit, die sie rein gesteckt hat, für jedermann freigeben müsste. So gesehen, verwandelt sich das Risiko der Ausnutzung in einen möglicherweise fruchtbaren Vorteil.“
Das stimmt aber nicht ganz. Die „ShareAlike“-Bedingung (dass man ein Werk unter gleichen Bedingungen weitergeben muss) gilt nur, wenn der Nutzer eine Bearbeitung des Songs vornimmt. Den Song lediglich auf einen Sampler mit aufzunehmen, ist keine Bearbeitung. Also wäre das kein ausreichender Schutz gegen diese spezielle Form der Missbrauchs. Und genau für solche Fälle wurde die „Keine kommerzielle Nutzung“-Klausel geschaffen.
Es stimmt sicherlich, dass es für einen Großteil der kreativen Werke, die ins Netz gestellt werden – vor allem im Kontext von Gemeinschaftsprojekten – nicht notwendig ist, die kommerziellen Rechte gesondert zu schützen. Mein Blog zum Beispiel ist unter einer einfachen Namensnennungslizenz freigegeben. CNET Japan übersetzt das Blog und schaltet bezahlte Kleinanzeigen auf der Webseite. Für meine Zwecke ist das völlig in Ordnung. Ich schreibe, um Ideen zu verbreiten; ich versuche, Lizenzgebühren möglichst zu vermeiden. Aus meiner Sicht hat Möller sicherlich recht: eine möglichst offene Lizenz reicht mir. Und ich möchte diesen Punkt verallgemeinern: Wir sollten alle, je nach Zielsetzung, die am wenigsten einschränkende Lizenz benutzen.
Wir haben nicht genug dafür getan, dass unsere Nutzer dies verstehen. Möller hat Recht, Creative Commons darauf hinzuweisen, dass es sich verbessern kann. Wir werden genau das tun. Die Lektion, die Möller uns lehrt, ist, dass wir alle die Konsequenzen unserer Entscheidungen bedenken sollen. Manche Leute wollen gerade, dass ihre Inhalte nur zur nicht-kommerziellen Nutzung zur Verfügung stehen. Für sie ist die NC-Lizenz eine sinnvolle Wahl. Aber andere wollen einfach, dass ihre Werke genutzt und in den Remix des Netzes aufgenommen werden. Für sie würde die NC-Option mehr Schaden als Nutzen bringen.
(2) Kritik an der Sampling- und Entwicklungsnationen-Lizenz
Creative Commons bietet sechs Kernlizenzen. Jede dieser Lizenzen gibt den Leuten das Recht, das Werk „zu vervielfältigen, zu verbreiten, öffentlich zu zeigen und aufzuführen“. Aber zusätzlich zu diesen Kernlizenzen bietet Creative Commons zwei Lizenzen, die diese Freiheiten nicht bieten. Das ist die „Sampling“-Lizenz und die „Entwicklungsnationen“-Lizenz (DevNat-Lizenz).
Die Sampling-Lizenz wurde von der Band Negativland und einem der bekanntesten Musiker und jetzigen Kulturminister Brasiliens, Gilberto Gil, inspiriert. Vereinfacht dargestellt, besagt die Lizenz folgendes: Diesen Inhalt darf man remixen oder samplen. Die Standardeinstellung der Sampling-Lizenz erlaubt sogar Remixe für kommerzielle Zwecke. Aber die Sampling-Grundlizenz besagt auch, dass man nicht die Erlaubnis zum Vervielfältigen, Verbreiten, öffentlich Zeigen und Aufführen der zugrunde liegenden Arbeit hat. Diese Rechte sind vorbehalten. Das einzige Recht, das frei gegeben ist, ist das Recht, eine bestimmte Art der Bearbeitung anzufertigen.
Die „Entwicklungsnationen“-Lizenz funktioniert anders. Sie wurde von den Aktivisten der Access2Knowledge-Bewegung inspiriert – vor allem Jamie Love. Sie wollten eine Lizenz, die Informationen innerhalb von Entwicklungsländern vollkommen freigeben, die Regeln außerhalb dieser Länder aber nicht antasten würde. Also besagt die „Entwicklungsnationen“-Lizenz, dass ein Inhalt in Entwicklungsländern freigegeben ist – sogar für kommerzielle Zwecke. Aber außerhalb von Entwicklungsländern gelten die üblichen Regeln. Für die entsprechenden Werke bedeutet das, dass sie außerhalb von Entwicklungsländern weder vervielfältigt, verbreitet, öffentlich gezeigt oder aufgeführt werden dürfen.
Richard Stallman kritisiert eine Gemeinsamkeit dieser beiden Lizenzen: Während sie wichtige Freiheiten sichern, entziehen sie gleichzeitig (bestimmten Gruppen) das Recht, das ursprüngliche Werk zu vervielfältigen. Für Stallman ist dieses Recht grundlegend. Also verdient für ihn jegliche Lizenz, die dieses grundlegende Recht vorenthält, nicht die Unterstützung von Creative Commons. Er hat uns daher aufgefordert, diese beiden Lizenzen entweder ganz aufzugeben oder uns von ihnen zu trennen.
Es ist überaus wichtig zuerst klarzustellen, worum es bei dieser Meinungsverschiedenheit nicht geht. Einige erinnern sich vielleicht an die Kämpfe zwischen der „Freie Software“-Bewegung und der „Open Source Software“-Bewegung. Für einige war das eine Auseinandersetzung zwischen einer Bewegung, die an bestimmte Werte glaubte, und einer Bewegung, die an pragmatische Lösungen glaubte. Der Streit zwischen Creative Commons und Richard Stallman gehört nicht zu dieser Sorte. Wir haben die Sampling- und DevNat-Lizenz (Developing Nations-Lizenz) nicht aus Pragmatismus eingeführt. Es geht um unterschiedliche Wertvorstellungen. CC wird nie Lizenzen anbieten, die einfach beliebige Freiheiten sichern; wir glauben daran, dass CC-Lizenzen nur wichtige Freiheiten sichern sollen. Und das ist genau das, was diese zwei Lizenzen unserer Ansicht nach tun – sie sichern wichtige Freiheiten, auch wenn sie das Vervielfältigungsrecht nicht einschließen. Das bedeutet nicht, dass das Recht zur Vervielfältigung in bestimmten Zusammenhängen und für manche Schöpfer kein wichtiges Recht ist. Aber das Vervielfältigungsrecht ist nicht in allen Zusammenhängen ein wichtiges Recht – jedenfalls nicht, wenn es mit anderen wichtigen Werten in Konflikt tritt.
Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie wären Lehrer in Nigeria. Sie brauchen für Ihre Schüler Algebra-Lehrbücher in der Landesprache Fulani. Dass Sie ein bestimmtes englischsprachiges Lehrbuch vervielfältigen können, nützt Ihnen nicht viel. Was Sie brauchen, ist das Recht, das Buch zu übersetzen. In diesem Kontext ist das Bearbeitungsrecht wesentlich, das Vervielfältigungsrecht ist unerheblich.
Diesen Punkt kann man verallgemeinern. Wir sind der Ansicht, dass die erforderlichen Freiheiten in den verschiedenen kreativen Bereichen nicht notwendigerweise die gleichen sind – dass Musik sich von Software unterscheidet, Software von Film. Wir haben während dieses Projekts führende Persönlichkeiten aus den verschiedenen Bereichen, die sich der Bedeutung einer freien Kultur bewusst sind, befragt, damit sie uns helfen zu verstehen, welche Werte innerhalb ihrer Sparten von Bedeutung sind. Gil und Negativland kennen sich in der Musikszene aus. Wenn sie sagen, dass die Freiheit zum Remixen wichtig ist, aber die Freiheit zum Vervielfältigen nicht, dann wird es nicht einfach sein, uns davon zu überzeugen, dass sie im Unrecht sind.
Dasselbe gilt für die DevNat-Lizenz. Angesprochen sind hier Kreative, die auf einen Binnenmarkt angewiesen sind, aber nicht davon ausgehen, dass sie ihr Produkt in einem Entwicklungsland-Markt anbieten werden. Eines der großartigsten Beispiele sind Architekten, die billige Fertighäuser entworfen haben. Sie haben ihren Entwurf mit der DevNat-Lizenz freigegeben. Das bedeutet, dass Leute in Entwicklungsländern mit ihm tun können, was sie wollen. Aber nach Ansicht der Designer können sie die Entwürfe nicht einfach an ihre direkten Wettbewerber weitergeben.
Mag sein, dass diese Kreativen im Unrecht haben. Gil, Negativland und Jamie Love können falsch liegen, welche Rechte die betroffenen Schöpfer für sich behalten müssen. Aber was notwendig ist, ist eine sachkundige Auseinandersetzung unter den Kreativen selbst, welche Freiheiten sie wirklich brauchen. Wir hoffen, dass wir eine solche Auseinandersetzung anregen können. Doch in der Zwischenzeit werden wir uns weiterhin an der Richtschnur jener Werte orientieren, die die entsprechenden Gemeinschaften uns aufgezeigt haben.
Wie ich schon zu Beginn sagte, gibt es noch viel, was ich über andere durchdachte Kritik sagen könnte. Diese E-Mail ist schon jetzt zu lang. Wir werden das Diskussionsforum Anfang 2006 vorstellen. Und bleiben Sie auch nächste Woche dran, wenn ich einige der speziellen Projekte vorstelle, an denen wir gerade arbeiten – und Sie weiterhin um Ihre Unterstützung bitte.
Übersetzung: Valie Djordjevic. Originalversion dieses Textes: creativecommons.org/weblog/entry/5719
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