Leistungsschutzrecht: Sachverständige im Zwist über Abschaffung
Gestern führte der Rechtsausschuss des Bundestages eine Anhörung zu einem Gesetzesentwurf von Grünen und Linken (PDF) durch, mit dem das Leistungsschutzrecht für Presseverleger wieder abgeschafft werden soll. Dazu luden Regierungs- und Oppositionsfraktionen sieben Sachverständige, die auch schriftliche Stellungnahmen einreichten. Drei Sachverständige stellten sich hinter das im August 2014 2013 in Kraft getretene Leistungsschutzrecht, vier unterstützten seine Abschaffung. (Zu den Sachverständigen zählte auch Philipp Otto von iRights.info und der Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht.)
Praktisch alle Experten leiteten ihre Stellungnahmen mit Argumenten ein, die bereits in der damaligen Debatte zur Gesetzgebung ausgetauscht worden waren. So betonten die Befürworter, dass durch das Gesetz eine urheberrechtliche „Schutzlücke“ geschlossen worden sei. Andere Bereiche der Medienbranche wie die Musikindustrie hätten vergleichbare Rechte, so Sebastian Doedens, Jurist bei Burda.
Philipp Otto machte deutlich, dass für die Einführung des Leistungsschutzrechts kein ökonomischer Bedarf bestanden habe und der Markt funktioniere. Auch Malte Stieper, Rechtsprofessor an der Universität Halle, sah keine Belege, die eine Einführung gerechtfertigt hätten. Finanzielle Einbußen der Presseverleger seien nicht zwingend auf die Tätigkeit von Suchmaschinen zurückzuführen.
Leistungsschutzrecht für Presseverlage
Das im August 2013 in Kraft getretene Presse-Leistungsschutzrecht gibt Verlagen das „ausschließliche Recht, das Presseerzeugnis oder Teile hiervon zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen“. Es zielt auf kurze Text-Anreißer (Snippets) in Suchmaschinen wie Google und bei Aggregator-Diensten, die „Inhalte entsprechend aufbereiten“. Umstritten ist unter anderem, wer wann dafür zahlen muss und wer als „Presseverleger“ gilt.
Befürworter: Einigung mit Google widerlegt Leistungsschutz nicht
Die Sachverständigen gingen besonders auf die Entwicklungen ein, seitdem das Gesetz gilt, vor allem die Aktivitäten der VG Media mit ihren Klagen gegen Google und andere Suchmaschinen und ihrem Gang zum Bundeskartellamt. Dass sich Google und Verlage bereits darauf einließen, kostenlos gelistet zu werden, sah Felix Hey, Jurist beim Otto-Schmidt-Verlag, nicht als Problem. „Ein vom Gesetzgeber geschaffenes Recht wird noch nicht dadurch widerlegt, dass ein Unternehmen mit überragender Marktstellung diese Rechtsposition faktisch ignorieren kann“.
Auch Sebastian Doedens meinte, dass das Leistungsschutzrecht seine Zielsetzung dennoch nicht verfehlt habe. Vielmehr sei es notwendig, „auch kartellrechtliche Aspekte in die Bewertung und gegebenenfalls in eine sachgerechte Fortentwicklung des Leistungsschutzrechts mit einfließen [zu] lassen“. Wettbewerbsrechtliche Bedenken zu einem Google-Monopol müssten mehr in den Fokus gerückt werden. Für ihn sei die Haltung des Bundeskartellamts hierzu offen.
Kritiker: Monopolisten gestärkt, Kleine geschwächt
Die Kritiker entgegneten erneut, dass das Leistungsschutzrecht nicht den großen Suchmaschinenbetreibern wie Google schade, sondern große Probleme für kleinere Unternehmen berge, die Suchdienste anbieten. Besonders Start-ups seien mitunter in ihrer Existenz bedroht, weil sie sich im Unterschied zu Google weiterhin den Zahlungsforderungen der VG Media ausgesetzt sehen.
Die Marktmacht von Google werde durch kostenlose Lizenzen durch die Verwertungsgesellschaft vielmehr weiter gestärkt. Rechtsanwalt Thomas Stadler nannte das eine „Wettbewerbsverzerrung zugunsten von Monopolist Google“. Das Bundeskartellamt habe ja bereits eine Klage der VG Media abgelehnt, so die Kritiker. Demnach gebe es eben keine kartellrechtliche Verpflichtung für Suchmaschinen, Presse-Snippets anzeigen zu müssen.
Mit EU-Recht und Verfassung vereinbar?
Kontrovers waren die Ansichten der Sachverständigen auch zur Frage, ob das Leistungsschutzrecht mit EU-Vorgaben und Verfassungsrecht unvereinbar ist oder nicht. Felix Hey sagte, der Wortlaut der EU-Richtlinie zum „Notifizierungsverfahren“ liefere hierfür keine Grundlage. Nur technische Vorschriften müssten der EU-Kommission vorgelegt werden, doch eine solche sei das Leistungsschutzrecht nicht, weshalb sich die Diskussion erübrige.
Gerald Spindler, Rechtsprofessor an der Universität Göttingen, sagte aber, dass für ihn ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Artikel 3, Absatz I des Grundgesetzes in Betracht kommt. Für ihn könne sich eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung daraus ergeben, dass Presseverleger durch das Leistungsschutzrecht für die von ihnen aufbereiteten Inhalte geschützt werden, während einzelne Urheber wegen der Anzeige ihrer Inhalte in Suchmaschinen keine Ansprüche geltend machen könnten.
Bei solchen verfassungsrechtlichen Bedenken müsse man erst eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abwarten, entgegnete Felix Hey: „Eine Rechtsordnung muss solide Rahmenbedingungen haben, die sich nicht alle zwei Jahre ändern können“.
Befürworter wollen abwarten
Alle drei Befürworter des Leistungsschutzrechts waren sich einig, dass eine Abschaffung des Gesetzes derzeit keine Lösung darstelle. Sebastian Doedens stellte fest, dass bislang „keine abschließende Betrachtung der neuen Rechtslage möglich“ sei. Es bleibe abzuwarten, ob die Intention des Gesetzgebers, dass Suchmaschinen und Verlage Lizenzverträge abschließen, auf diesem Wege verwirklicht werden kann.
Felix Hey nannte es eine „verfrühte Reaktion“, das Leistungsschutzrecht abzuschaffen. Inés Obergfell, Rechtswissenschaftlerin an der HU Berlin, sagte, dass „angesichts der laufenden Schiedsstellenverfahren eine ersatzlose Abschaffung des Presseverlegerleistungsschutzrechts verfrüht“ wäre. Gemeint sind die Verfahren beim Deutschen Patent- und Markenamt über den Leistungsschutz-Tarif.
Langwierige Klärungen erwartet
Die Kritiker betonten erneut, dass es viele offene rechtliche Fragen gebe, deren Klärung sich hinziehen werde. Bis auf eine verbindliche Auslegung durch Gerichte zurückgegriffen werden kann, würden nach Ansicht der Sachverständigen Thomas Stadler und Philipp Otto fünf bis zehn Jahre vergehen. Ohnehin würden sich große Suchmaschinenanbieter wie Google kaum darauf einlassen, kostenpflichtige Lizenzen von den Presseverlagen zu erwerben.
Malte Stieper wies erneut darauf hin, dass die Suchmaschinen die Presseerzeugnisse dann vielmehr aus ihren Trefferlisten entfernen oder ihren Dienst ganz einstellen würden. Die Kritiker verwiesen hier auf das neue, ähnliche Gesetz in Spanien, wo Suchmaschinen für die Anzeige von Snippets verpflichtet sind, eine Abgabe zu zahlen. Dort hat Google seinen News-Dienst eingestellt, woraufhin die Nutzerzahlen auf den Verlags-Webseiten um 10 bis 15 Prozent zurückgegangen seien. Vor einem solchen Szenario sei daher auch im Interesse der Presseverleger in Deutschland zu warnen.
Leony Ohle und Maximilian Renger sind Studierende der Humboldt Law Clinic Internetrecht (HLCI), im Rahmen ihres Praktikums arbeiten sie derzeit bei iRights mit.
2 Kommentare
1 Josef Adugna am 26. August, 2015 um 12:17
Sehr geehrte Frau Ohle, sehr geehrter Herr Renger,
Das Inkrafttreten des LSR wird im ersten Abschnitt auf August 2014 datiert. Meines Wissens nach, ist das LSR am 01. August 2013 in Kraft getreten. In ihrem grau eingefassten Text geben Sie das Jahr 2013 für das Inkrafttreten an. Habe ich den ersten Abschnit falsch aufgefasst und Sie beziehen sich nciht auf das LSR oder ist da einfach ein fehler unterlaufen? Ich frage nur nach, dass mir das Datum im Rahmen meiner Hausarbeit nicht zum Verhängnis wird.
Mit freundlichen Grüßen
Josef Adugna
2 Redaktion iRights.info am 26. August, 2015 um 12:28
Richtig ist August 2013, nun oben korrigiert. Vielen Dank für den Hinweis!
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