Lehren aus Clean-IT: „Wir brauchen Grundrechte im digitalen Raum“
Nach öffentlicher Empörung über Vorschläge des EU-geförderten Clean-IT-Projekts fordert der grüne Netzpolitiker Jan Philipp Albrecht eine Grundsatzdebatte. „Wir müssen uns über einheitliche Grundrechte und rechtstaatliche Prinzipien im digitalen Raum verständigen, bevor wir zum Beispiel Anti-Terrormaßnahmen im Netz ergreifen“, so Albrecht am Freitag gegenüber iRights.info. Der Trend zur privaten Internetregulierung ohne gesetzlichen Rahmen sei gefährlich, denn die Internetkommunikation sei ein Gut der öffentlichen Daseinsvorsorge. Zudem werde das Netz zunehmend von monopolistischen Strukturen geprägt.
Ende September waren Vorschläge zur Terrorismusbekämpfung im Internet bekannt geworden, die europäische Sicherheitsbehörden, Software-Firmen und Internet-Provider im Rahmen des EU-geförderten Clean-IT-Projekts diskutieren. Darunter die Idee eines Klarnamen-Zwangs für Nutzer von Chats, Foren und sozialen Netzwerken und ein Filtersystem, mit dem Internet-Provider Inhalte, IP-Adressen, Namen, E-Mail-Adressen, Hyperlinks und Schlüsselwörter bekannter Terrororganisationen erkennen und löschen. Die Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights (EDRI) hatte die Liste der Vorschläge öffentlich gemacht und warnte vor einer „groß angelegten, undemokratischen Überwachung jeglicher Kommunikation“ im Internet.
„Am Ende könnten Internetprovider Clean-IT in den AGB verankern“
Allerdings handelt ist es sich bei Clean-IT um keine gesetzgeberische Initiative. Clean IT sei weder als “Gesetzesgrundlage” noch als “politische Entscheidungsgrundlage” gedacht, erklärte eine Kommissionssprecherin gegenüber iRights.info. Man fördere den „Austausch von öffentlichen und privaten Interessierten, die sich an der Debatte über Terrorismus im Internet beteiligen wollen“. Auch Vertreter der Zivilgesellschaft können an den Treffen teilnehmen. Die 2013 erwarteten Ergebnisse würden die Meinung der Autoren und nicht die Meinung der EU-Kommission wiedergeben, so die Sprecherin.
Der grüne EU-Abgeordnete Albrecht hält jedoch gerade den nicht-gesetzgeberischen Ansatz des Projekts für einen Skandal. Die diskutierten Regelungen würden in Parlamenten und vor Gericht scheitern, wolle man sie gesetzlich verankern. Deshalb versuchten die Initiatoren bewusst, den Gesetzgeber und die Öffentlichkeit mit einer „privaten Internetregulierung“ zu umgehen. „Am Ende könnten Internetprovider beispielsweise in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen festlegen, dass sie bestimmte Inhalte filtern oder löschen, weil sie ihnen nach irgendwelchen Kriterien kriminell oder verdächtig erscheinen.“
Der Verbraucher als Spielball der Behörden und Provider
Der Netzpolitiker bezweifelt zudem, dass Unternehmen tatsächlich freiwillig fragwürdige Anti-Terrormaßnahmen umsetzen würden. Unter den geleakten Vorschlägen findet sich auch die Idee, öffentliche Aufträge an Internet-Provider davon abhängig zu machen, wie gut sie die Clean IT-Richtlinien umsetzen.
Albrecht fordert auch als Lehre aus dem Clean-IT-Projekt eine neue unabhängige europäische Behörde für die Internetregulierung. „Sie muss die Einhaltung gesetzlich festgelegter Standards überwachen, etwa beim Datenschutz und einer verhältnismäßigen Rechtsdurchsetzung im Internet.“ Sonst werde der Verbraucher zum Spielball von Unternehmen, die sich in Hinterzimmern mit Sicherheitsbehörden auf irgendwelche Standards geeinigt hätten. „Da das Internet immer mehr von monopolistischen Strukturen geprägt wird, etwa von geschlossenen Provider-Netzwerken, kann er sich nicht gegen solche Eingriffe wehren.“ Es könne nicht sein, dass rechtsfreie Räume im digitalen Bereich mit Vereinbarungen zwischen der Exekutive und privaten Unternehmen aufgefüllt würden. „Der Verbraucher muss endlich wissen, auf welche Rechte er sich im digitalen Raum berufen und verlassen kann.“ Für entsprechende die Festlegung von Grundrechten fehle der EU-Kommission allerdings der Mut.
Eine Debatte über Grundrechte im Internet fordert auch die CSU-Netzpolitikerin Dorothee Bär. „Wenn wir zulassen, dass Clean IT Realität wird, haben wir als Parlamentarier nur noch unsere Bankrotterklärung anzubieten“, so die CSU-Netzpolitikerin in einem Gastbeitrag für iRights.info. „Wir müssen uns über das Grundziel im Klaren sein und Grenzen der Freiheitsbeschränkung definieren, die als Fundament einer Gesellschaft im digitalen Zeitalter (…) bestehen.“
„Wir überwachen ja auch nicht alle öffentliche Plätze“
Die vorgeschlagenen Maßnahmen kritisiert der grüne Netzpolitiker Albrecht scharf. Filtermaßnahmen zur automatischen Löschung von Inhalten oder Hyperlinks seien völlig unangemessen. „Wenn US-Ermittlungsbehörden das Netz bereits automatisiert nach Schlüsselwörtern durchsuchen, um zu Verdachtsmomenten zu kommen, missachten sie meines Erachtens schon heute vielfach den Datenschutz der Betroffenen.“ Auch am Erfolg der Internetüberwachung zweifelt Albrecht. „Wir sollten nicht mit viel Geld Überwachungszentren für das Internet aufbauen und gleichzeitig die klassische Ermittlungs- und Polizeiarbeit unterfinanzieren, die immer noch am erfolgreichsten ist.“ Es sei absurd zu glauben, die Sicherheit vor Terroranschlägen mit riesigen Internet-Archiven zu erhöhen.
„Ich verstehe, dass man die Radikalisierung von Menschen im Internet fürchtet“, so Albrecht. „Aber auch in der analogen Welt radikalisieren sich Menschen, und wir überwachen deshalb nicht alle öffentlichen Plätze oder den gesamten Briefverkehr.“ Man müsse sich vielmehr darüber Gedanken machen, woher die Radikalisierungstendenzen kommen, und wie die Gesellschaft gegensteuern kann. „Man kann nicht ernsthaft glauben, dass Internet-Analysezentren uns diese eigentliche Aufgabe im Kampf gegen den Terror abnehmen.“
FDP-Politiker drängen Friedrich zur Aufklärung
Auch aus der FDP kommt inzwischen Kritik am Clean-IT-Projekt, an dem das Bundesinnenministerium beteiligt ist. „Es darf nicht sein, dass das Innenministerium an Plänen mitarbeitet, die gegen deutsches Recht verstoßen“, sagte Sebastian Blumenthal (FDP), Vorsitzender des Unterausschusses Neue Medien, am Mittwoch gegenüber der Rheinischen Post. In einem Brief an Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) fordert Blumenthal mit drei Fraktionskollegen Aufklärung über die Beteiligung des Ministeriums. „Das Parlament darf bei so weit reichenden Plänen nicht übergangen werden“, so Blumenthal.
Clean-IT geht auf eine Initiative des niederländischen Justizministeriums zurück. Beteiligt sind neben Deutschland weitere EU-Länder wie Großbritannien und Griechenland sowie die europäische Polizeibehörde Europol. Der Anti-Terror-Experte und Projektmanager But Klaasen weist die Kritik zurück. Der veröffentlichte Maßnahmen-Katalog sei nur eine „Stoffsammlung aus frühen Diskussionsrunden der Projektgruppe“. Die Bürgerrechtsorganisation EDRI verteidigt sich gegen Klaasens Vorwurf, man habe sich in die Diskussion einbringen sollen. Klaasen sei nicht auf ihre Bedingungen für eine Teilnahme eingegangen, zuvorderst die “Identifizierung der spezifischen Probleme”, die überhaupt gelöst werden sollen.
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