Kurt Caviezel: „Die Authentizität dieser Bilder finde ich extrem spannend“
Im Interview erklärt der Züricher Künstler, wie er an mittlerweile 50.000 Webcams herangekommen ist, warum er für Fotos von fremden Kameras eigene Urheberrechte beansprucht, welche Risiken hinsichtlich Persönlichkeitsrechten er in Kauf nimmt und welche Intentionen er mit seinen durchaus auch sozialkritischen Werken verfolgt.
irights.info: Sie sammeln und kuratieren seit Jahren Webcamfotos aus aller Welt – was fasziniert Sie an diesen Bildern so?
Kurt Caviezel: Es sind Bilder, die man mit einer eigenen Kamera nicht machen würde. Wer montiert schon Kameras auf Straßenleuchten? Da kommt man ja nicht so einfach hin.
Erstens finde ich die Blickwinkel der Überwachungs- und Beobachtungskameras spannend. Zweitens fasziniert mich dieses stetige aufzeichnen. In 99 Prozent der Fälle sieht man immer das gleiche Bild – im Wechsel der Jahreszeiten natürlich.
Aber zufällig passiert dann doch etwas, was eine andere Aussage haben kann. Etwa, dass eine Spinne ihr Netz vor der Kamera aufzieht. Oder ein Vogel lässt sich direkt auf der Kamera nieder und man sieht die Schwanzfedern ins Bild hineinragen.
Diese Zufälligkeiten interessieren mich, aber diese Momente kann man nur mit Kameras festhalten, die automatisch und geduldig aufzeichnen. Und man kann diese Bilder eigentlich nicht erfinden sondern man findet sie. Erst wenn es hunderte, tausende Kameras sind, ergeben sich diese Fundstücke.
iRights.info: Wie kommen Sie denn an die Webadressen dieser vielen Kameras?
Kurt Caviezel: Einfache Google-Suchen nach „Webcam“ liefern schon mal Ergebnisse, es gibt zahlreiche Verzeichnisse, auf die man zugreifen kann. Zudem habe ich verschiedene Dienste abonniert, die neue Kameras aufspüren – das sind vor allem touristische Dienste, die bestimmte Regionen abgrasen. Mittlerweile verfüge ich über rund 50.000 Links zu Webkameras, wobei jeden Tag welche verschwinden und neue hinzukommen.
Man kann ans Internet gekoppelte Kameras auch gezielter finden, weil die meisten eine bestimmte Zahlen- und Buchstabenfolge in der URL haben, die man über die Webseite der Hersteller herausbekommt. Etwa die Hälfte der so auffindbaren Webcams ist über ein Passwort geschützt – die andere Hälfte nicht.
iRights.info: Haben Sie schon mal eigene Webcams aufgestellt, etwa um sich selbst per Webcam zu beobachten?
Kurt Caviezel: Nein, ich weigere mich, das zu machen, weil ich weiß, was die Leute damit anstellen könnten (lacht). Das ist eine konzeptionelle Frage. Ich will nicht in die Bildfindung eingreifen sondern nur Bilder von Kameras nutzen, die irgendjemand aufgestellt hat.
iRights.info: Unter fotografischen Gesichtspunkten liefern Webcams miserable Bilder: oft mit ungünstigen Unschärfebereichen, geringe Auflösungen – stört Sie das nicht?
Kurt Caviezel: Für mich repräsentieren diese Überwachungskameras gerade deswegen eine ganz eigene Ästhetik. Im Grunde galt ja lange Zeit bei Fotografien: je größer und besser die Auflösung, je schärfer das Bild, desto realistischer ist es.
Dann kam in den 90ern der Irankrieg und der embedded Journalism. Da haben Journalisten zwischen den Soldaten mit wackeliger Handkamera gefilmt und diese grünstichigen Bilder geliefert – plötzlich galt das als absolute Realität: verwackelte, unscharfe, schlecht aufgelöste Bilder.
Die Webcams machen das gleiche: sie sind eingebettet in den Lebensalltag der Welt, sage ich mal, und nehmen solche Bilder auf. Es gibt heute noch aktive Webcams, die eine Auflösung von gerade einmal 640 mal 480 Pixel haben. Deren Bilder sind technisch gesehen Datenwölkchen, regelrecht winzig. Aber mit ein paar Werkzeugen und Software kann man sie auf eine Größe von ein paar Metern hochpusten, und da entwickeln sie eine sehr eigene Ästhetik.
„Wer sagt, dass man das nicht darf?“
iRights.info: Was halten Sie von Webcams, bei denen man aus der Ferne auf die technischen Einstellungen zugreifen kann?
Kurt Caviezel: Da gibt es ja verschiedene Arten. Bei manchen startet man übers Web ein Applet und kann sich dort einloggen – wobei das ein bisschen dauern kann, je nachdem, wie beliebt diese Kameras sind, wie viele sich da gerade gleichzeitig einwählen wollen. Aber nach einer Wartezeit, vielleicht einer halben Stunde, hat man zwei, drei Minuten Zeit – diese Zeitspanne definiert der Betreiber – , um die Steuerung der Kamera zu übernehmen, man kann hinein zoomen und so weiter.
So ähnlich funktioniert das auch mit sogenannten IP-Kameras, die bieten ein Benutzer-Werkzeug, mit dem man aus der Ferne Einstellungen vornehmen kann, wie Helligkeit, Schärfe, Zoomfaktor, schwenken.
Eigentlich sollten die Aufsteller solche Kameras per Passwort schützen, aber wenn man das werkseitig eingestellte Passwort des Herstellers ausfindig macht – die meisten Leute sind zu faul, ein neues Passwort zu setzen – kann man sich einloggen und hat vollen Zugriff auf die Kamera.
iRights.info: Das grenzt doch an illegales einwählen. Haben Sie da keine Skrupel?
Kurt Caviezel: Wer sagt, dass man das nicht darf? Klar, es ist ein Graubereich. Es geht mir aber nicht darum, Personen in die Pfanne zu hauen oder irgendwelche Peinlichkeiten auszustellen.
Mir geht es darum, darzustellen, was in der Welt passiert, wie sie so funktioniert und warum. Das will ich fotografisch festhalten. Und es geht mir auch um eine Art Authentizität. Diese Kameras liefern authentische Bilder in einem gewissen Sinn.
iRights.info: Meine Frage meinte, dass Sie eine fremde Kamera nutzen, die eigentlich mit einem Passwort geschützt ist …
Kurt Caviezel: Das Passwort kann man eigentlich nicht ernst nehmen, weil es der Hersteller vorgegeben hat und nicht der jeweilige Besitzer der Kamera. Der hat das nicht verändert, weil ihn das offenbar nicht interessierte. Deshalb nehme ich mir das Recht heraus, da hineinzuschauen.
Die Frage nach dem „darf ich das oder nicht“ stellt sich natürlich. Ich habe mich daran gewöhnt, dass ich das darf und es rechtlich abklären lassen. Eine Juristin in Zürich sagte mir, als Künstler darf man sich ziemlich viel erlauben – jedenfalls solange ein künstlerisches Konzept dahinter steckt und man es als Kunst definiert und nicht als kommerzielle Werbung missbraucht.
Ich finde die Intention der Nutzung wichtig, also die Frage, was ich mit diesen Bildern dann mache. Verkaufe ich die für teures Geld an eine Werbefirma, die damit Werbung macht oder gebrauche ich sie, um damit künstlerische Aussagen zu treffen?
Hinzu kommt, dass das Bild, das ich abspeichere, höchstwahrscheinlich vom Kamerabetreiber nicht gespeichert wurde – nehme ich jedenfalls an.
Wenn es ein Bild ist, das ich beispielsweise vor fünf Jahren gemacht habe, dann stellt sich die Frage, ob dieses Bild – das der Kamerabesitzer nicht hat – nun sein oder mein Bild ist? Die Aufnahmen der Kamera werden im Zwischenspeicher ständig überschrieben. Ich gebe mir quasi selbst das Recht, da hinein zu schauen und Bilder herauszuziehen.
iRights.info: Wie sehr bearbeiten Sie die Bilder für Ihre Kunst?
Kurt Caviezel: Ich verändere sie nicht, wähle höchstens einen Ausschnitt, aber stelle nichts hinein. Ich bearbeite sie lediglich so, wie man früher im Labor gearbeitet hat: ein bisschen am Kontrast ändern oder die Farbigkeit erhöhen, so dass sie in eine Serie hineinpassen. Das ist mir wichtig, dass die Serie stimmt, ich arbeite oft in solchen Bildfolgen, und die müssen eine Kohärenz ergeben.
iRights.info: Hat sich schon mal ein Webcam-Betreiber bei Ihnen gemeldet, weil er oder sie sich als Urheber*in der von Ihnen veröffentlichten Bilder sieht?
Kurt Caviezel: Nein, bislang noch nicht. Weil die von mir genutzten Kameras ja weltweit verstreut sind, wäre das auch ein großer Zufall, wenn jemand eine meiner Ausstellungen oder meine Webseite besucht und dort Bilder seiner Kamera entdeckt.
Aber es könnte natürlich mal passieren. Beispielsweise bei einer Arbeit, die ich in Deutschland am Blausee gemacht, bisher aber noch nicht ausgestellt habe. Dort sieht man Leute, die sich an einer alten Schleuse fotografieren. Immer die gleiche Szenerie, die Leute treten dort auf wie in einem Theater, sie haben dort eine Bühne mit diesem alten Stausee.
Da ist geografisch relativ nah und wer schon mal dort war erkennt den Ort auch relativ schnell – da könnte es gut sein, dass sich da jemand auf einem Bilder erkennt.
Aber auch in diesem Fall sehe ich mich rechtlich auf der sicheren Seite, denn ich habe tausende Bilder gesammelt, die ich – etwa in einem Buch – als große Serie anordne.
„Das einzelne Bild gehört bei mir immer zu einer Serie“
iRights.info: Angenommen, eine Person entdeckt sich auf einem dieser Bilder und will nicht, dass ihr Aufenthalt an diesem Ort öffentlich wird. Sie könnte sich auf das Persönlichkeitsrecht beziehungsweise das Recht am eigenen Bild berufen und Ihnen die Veröffentlichung untersagen.
Kurt Caviezel: Das kann nur im Nachhinein passieren, also wenn das Buch bereits produziert ist, dann müsste ich die ganze Auflage zurückziehen, das könnte mir blühen. Aber dieses Risiko will ich eingehen.
iRights.info: Erheben Sie denn auf „Ihre“ Bilder Urheber- oder Schutzrechte?
Kurt Caviezel: Ja, auf die Serie. Ich bin nicht nur der Fotograf sondern auch der Kurator, der diese Bilder zusammenstellt, bündelt, in einen Kontext bringt, mit einem Titel versieht.
Manchmal fühle ich mich wie ein menschlicher Algorithmus, der eine Idee hat und dann sagt, jetzt schaue ich mal im Netz und meinem Archiv, was ich zu dieser Idee an Bildern finde. Und alle, die diese Kriterien erfüllen, die ich im Kopf habe, stelle ich zusammen und mache ein Buch oder eine Ausstellung daraus. Und dann schauen wir mal, ob das funktioniert.
iRights.info: Das hieße, dass Sie auf das einzelne Bild kein Urheberrecht beanspruchen können?
Kurt Caviezel: Das einzelne Bild gehört bei mir immer zu einer Serie und deswegen sage ich schon, dass es meins ist. Weil es ein langwieriger Prozess ist, es auszuwählen. Rechtlich gesehen ist diese Auswahl ein künstlerischer Prozess. Daher reklamiere ich das Einzelbild für mich.
iRights.info: Anders gefragt: Würde jemand eines Ihrer Einzelbilder für eigene Zwecke veröffentlichen – mit der Begründung, dass es ein Webcambild ist, das frei im Netz sichtbar war – würden Sie dann Ihre Urheberschaft verteidigen?
Kurt Caviezel: Ja, das würde ich sicher machen. Juristen erläuterten mir, dass dies rechtlich funktionieren würde – sofern ich die Bilder nicht kommerziell nutze sondern als Künstler.
iRights.info: Aber ein Buch, das Sie verkaufen, ist doch kommerziell?
Kurt Caviezel: Ja, aber es steht in einem künstlerischen Kontext. Das Ziel ist nicht nur der Verkauf, sondern es ist eine Intention dahinter. Ich will ja niemanden mit einem Waschmittel glücklich machen, das wäre eine schwache Intention. Etwas mit einem künstlerischen Konzept dahinter zusammenzustellen ist eine stärkere Intention, ein Überbau, der hier relevant wird.
iRights.info: Welchen Intentionen folgen denn Ihre Ausstellungen und Bücher?
Kurt Caviezel: Mich interessieren diese Bilder nicht aus voyeuristischen Gründen, sondern wegen der Inhalte und Kontexte. Mir geht es auch nicht um einzelne Personen, die da irgendwelche Faxen machen oder komisch ausschauen. Jedes Bild ist eingebettet in eine Serie, die einzelne Person ist dementsprechend kein Hauptakteur sondern ein Akteur unter vielen.
Ich will aufzeigen, wie es sich als User in der Welt lebt, wo auch immer, in Japan, Brasilien, Deutschland, egal wo. Wie verhalten sich die Leute?
Unter dem Computernutzer stellt man sich häufig einen properen jungen Mann vor, der da souverän durch’s Netz surft und alles im Griff hat. Das stimmt natürlich so nicht. Aus allen Schichten und allen Regionen hängen sich Leute ins Netz und filmen sich selber und zeigen sich damit als User.
Das ist so ein bisschen wie – den Vergleich erlaube ich mit jetzt – The Family of Man, diese Geschichte von Edward Steichen. Das ist eine berühmte Fotoserie, die ein echtes Bild der Menschen der Welt machen wollte, indem er durch die Welt gereist ist und fotografiert hat. So etwas in dieser Art schwebte mir bei diesen Bilderserien vor.
iRights.info: Könnten Sie solche Serien nicht auch als Dokumentar- oder Straßenfotograf anfertigen?
Kurt Caviezel: Nein, denn das Paradoxe ist: würde ich das als Fotograf mit meiner eigenen Kamera machen, dann müsste ich diese Leute finden, anfragen, Vereinbarungen treffen und unterschreiben, das Vertrauen der Leute gewinnen, und im entscheidenden Moment müsste ich sagen, „jetzt tu mal so, als ob ich nicht da wäre“ … das ist alles unmöglich.
Wenn ich extrem distanziert bin, durch das Netz, weit weg, hinter einer kleinen Webkamera, dann bin ich den Leuten extrem nahe: weil sie sich eben nur zu einer Kamera verhalten, nicht zu einer Person.
Und mit der Zeit steigert sich das Authentische auch hier wieder: Je länger die Leute die Kamera einschalten und laufen lassen, desto authentischer wird es, weil sie die Kamera mehr und mehr vergessen, das ist eigentlich der Idealfall. Die Kamera läuft und die Leute verhalten sich so, wie sie sich eben zu Hause verhalten. Und das gibt Einblicke, die ich sehr spannend finde.
iRights.info: Also das Gegenstück zum Selfie, bei dem die Menschen gezielt in die Kamera schauen und sich inszenieren. Das hat nicht die Authentizität, die sie suchen …
Kurt Caviezel: Richtig. Das Authentische zieht sich durch meine ganze Arbeit, die Authentizität dieser Bilder finde ich extrem spannend.
„Meine Arbeit hatte einen aufklärerischen Aspekt“
iRights.info: Geht es Ihnen mitunter auch um mehr als Authentizität? Etwa mit Ihrer Bilderserie von Demenzkranken von Überwachungskameras. Verfolgten Sie damit ein Anliegen?
Kurt Caviezel: Ja. Man könnte die Arbeit auch eine Sozialreportage nennen. Die Bilder zeigen, wie Demenzkranke behandelt werden – und die Fernüberwachung durch Webcams spricht dabei für sich.
Sie steht für den Personalnotstand in den Pflegeheimen, das Entziehen von Persönlichkeitsrechten, darauf wollte ich hinweisen. Viele äußerten Unverständnis, weil sie meinten, die Bilder würden die Personen entwürdigen.
iRights.info: Waren die Menschen nicht bereits dadurch entwürdigt, dass man sie vernachlässigt und durch eine Kamera überwacht hat?
Kurt Caviezel: Ja, und ich war eigentlich nur der Überbringer der Botschaft. Die Kameras findet man alle im Netz, das wissen viele Leute nicht. Ich habe ja nichts inszeniert, sondern nur festgehalten und dokumentiert, was real passiert.
Manche Leute reagierten aber auch anders und gaben zu, dass sie es ähnlich gemacht haben, doch nun davon absehen oder auch ihre Kameras besser absichern. Meine Arbeit hat ein bisschen was ausgelöst, sie hatte einen aufklärerischen Aspekt.
iRights.info: Inwiefern?
Kurt Caviezel: Viele Pflegende und Leute, die Pflegende ausbilden, haben sich gemeldet. Manche sagten, ihnen sei bewusst geworden, was in der Pflege mit den Menschen passiert. Ich habe aufgrund dieser Arbeit auch schon Vorträge gehalten und aufgezeigt, wie das funktioniert.
Es geht darum, das Bewusstsein zu schärfen, was man anders machen kann – etwa auch Druck aufbauen, damit mehr Personal angestellt wird – um derartiges Überwachen mit Kameras zu verhindern.
iRights.info: Hat Sie das bestärkt, zukünftige Projekte mit Anliegen zu verbinden, die gesellschaftlich diskutiert werden und was bewegen könnten?
Kurt Caviezel: Diese Art der Fotografie kann auch Bestandteil meiner Arbeit sein. Ich will mich aber nicht festlegen lassen auf eine Art der Fotografie, etwa die sozial engagierte.
Ich denke, die Zeit ist langsam reif dafür, das man wahrnimmt, was meine Kunst erzählt. Ich habe vor 20 Jahren damit begonnen, als die ersten Kameras auf den Markt kamen und als Webcams aufploppten …
iRights.info: … so wie die Beobachtung der Kaffeemaschine an diesem amerikanischen Uni-Institut, die Mutter aller Webcams …
Kurt Caviezel: (lacht zustimmend) Mit meinen ersten Arbeiten stieß ich auf völliges Unverständnis: Was sind das für Kameras, hast Du die selber aufgestellt, wie kann man da hinschauen?
Heute sind Überwachungskameras generell mehr im Gespräch – auch im Zuge von Datenschutzgesetzen und der Problematik von Datenkraken – und da will ich aus meinen Erfahrungen heraus schon auch darauf hinweisen, was man da mitunter sieht und mit welchem Ansinnen die Kameras gehandhabt werden.
Mir geht es auch darum zu zeigen, wie es im Großen ist, wo man per Webcam hinkommt und wohin nicht. China ist abgeschottet, da kommt man nicht rein. In Schwarzafrika gibt es keine Infrastruktur.
Vor etwa zehn Jahren gab es in Brasilien einen Boom von Webcams, es ploppten hunderte Kameras auf, die zeigten private Szenen im Garten, im Haus, da wurden Feste gefeiert. Seinerzeit ging es den Brasilianern wirtschaftlich besser, die Infrastruktur wurde ausgebaut und die Menschen feierten das, indem sie ihre Webcams anschalteten und sagten, „hey, ich bin jetzt auch dabei!“
Wenn man das aus Big-Data-Perspektive betrachtet, schimmern wirtschaftliche Entwicklungen durch und das finde ich sehr spannend.
iRights.info: So eine Art soziografische Seismografie … begreifen Sie Ihre Arbeit wie die eines Journalisten oder Rechercheurs, der nach versteckten Wahrheiten sucht?
Kurt Caviezel: Es kommt immer wieder etwas Investigatives ins Spiel, das stimmt. Ich will mit meinen Serien aufzeigen, was in der Welt abgeht und man nur hinschauen muss, um es zu sehen.
In Russland habe ich vor etwa fünf Jahren Kameras in einer Stadt namens Norilsk entdeckt. Die liegt in Sibirien und genießt den zweifelhaften Ruf, eine der dreckigsten Städte der Welt zu sein, dort wird Nickel abgebaut.
Es eine gesperrte Stadt, man kann da nicht hinreisen. Dort standen aber 15 Webcams, die auch immer das Gleiche gezeigt haben, die waren rund drei Jahre online und die habe ich über die diese Zeit kontinuierlich abgegrast, zu verschiedenen Jahreszeiten und Tageszeiten.
Das ist ein Blick in eine ziemlich dreckige Stadt, in der die Lebenserwartung nur 55 Jahre ist, glaube ich, weil die Luft so derart schlecht ist. Aus diesem Bildmaterial will ich nun eine Arbeit entwickeln.
iRights.info: Das klingt wie guter Rohstoff für interessante Reportagen. Sind Journalisten schon mal auf sie zugekommen, um mit Ihnen zusammen zu arbeiten?
Kurt Caviezel: Nur so ansatzweise kamen Leute, die sich interessiert haben, woraus sich aber nichts ergab. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Journalisten, auch von Zeitungen, schnell zurückschrecken wenn es um die juristischen Fragen geht. Die fragen, ob sie die Bilder in ihrer Zeitung veröffentlichen dürfen, und ich sage „ja, die gehören mir“.
Doch dann fragen sie die hauseigene Rechtsabteilung und die sagt: „Nein, das dürfen wir nicht, die Herkunft der Bilder ist nicht so ganz klar, selbst wenn sie aus Australien oder Amerika oder aus Japan stammen, das geht überhaupt nicht“ – und dann ist die Geschichte gestorben. Die Juristen haben regelrecht Angst davor.
Was sagen Sie dazu?