Kritik von allen Seiten an Urheberrechtsnovellierung
In einer Anhörung, zu der nur Vertreter der so genannten „beteiligten Kreise“ zugelassen waren, hatte Zypries die Eckpunkte „zweiten Korbs“ präsentiert. Damit ist der zweite Teil der Urheberrechtsnovellierung gemeint, die notwendig geworden war, um das deutsche Urheberrecht an die Vorgaben der EU-Urheberrechtsrichtlinie anzupassen. 2003 sind im ersten Schritt diejenigen Teile in deutsches Recht umgesetzt worden, die nach Ansicht der Bundesregierung durch die EU-Richtlinie zwingend vorgeschrieben waren. Der zweite Korb kümmert sich nun um die Teile, deren Gestaltung die EU den Mitgliedsländern überlässt.
Den ersten Referentenentwurf für den zweiten Korb hatte das Bundesjustizministerium (BMJ) bereits im Jahr 2004 vorgestellt; er konnte aber wegen der vorgezogenen Neuwahlen nicht mehr verabschiedet werden. Da die nun vorgestellte Fassung gegenüber der ersten keine grundlegenden Änderungen enthält, war auch die Kritik daran weit gehend bereits bekannt.
Die aus Verbrauchersicht wichtigsten Punkte sind die Regelungen für private Kopien, Kopierschutz, Pauschalvergütungen und den Umgang mit Archiven.
Privatkopie weiter erlaubt – oder doch nicht?
Die Bundesregierung will an der Zulässigkeit der Privatkopie nichts ändern. Wenn privates Kopieren durch technische Mittel – durch Digital Rights Management (DRM) – verhindert wird, will das Ministerium den Nutzer allerdings keine Handhabe geben, um eine Privatkopie einzufordern. „Wie in der analogen Welt wären Verbote oder Beschränkungen der Privatkopie nicht durchsetzbar und damit sinnlos, weil Urheber und Verwerter diejenigen, die Privatkopien herstellen, auch in der digitalen Welt nicht umfassend überwachen könnten“, schreibt das Ministerium dazu. Verbraucherschützer wie der Bundesverband der Verbraucherzentralen und die Initiative „Rettet die Privatkopie“ hatten sich für den Erhalt der Privatkopie eingesetzt. Die deutsche Landesgruppe der phonographischen Industrie (IFPI) hatte dagegen gefordert, die so genannte Privatkopieschranke ersatzlos abzuschaffen.
Weiterhin will das BMJ verbieten, urheberrechtlich geschützte Inhalte ohne Erlaubnis der Rechteinhaber aus Tauschbörsen abzurufen. Bisher gehen viele Juristen – und auch das Ministerium – davon aus, dass es zwar verboten ist, derartige Werke in Tauschbörsen anzubieten, aber nicht, sie abzurufen. Denn verboten ist bisher lediglich, offensichtlich rechtswidrig hergestellte Vorlagen abzurufen. Dem normalen Nutzer ist es jedoch üblicherweise nicht offensichtlich, wie eine Vorlage hergestellt wurde.
Im zweiten Korb soll nun festgelegt werden, dass Nutzer auch von offensichtlich rechtswidrig angebotenen Vorlagen keine Kopien machen dürfen. Die Bundesregierung geht davon aus, dass es in vielen Fällen offensichtlich ist, wenn eine Vorlage rechtswidrig angeboten wird – etwa wenn ein Kinofilm in einer Tauschbörse oder auf DVD gebrannt auf dem Flohmarkt auftaucht, bevor er im Kino angelaufen ist.
Bagatellklausel kommt
Allerdings sollen nicht alle Urheberrechtsverletzungen verfolgt und bestraft werden, so zum Beispiel wenn sie privaten – also nicht gewerblichen – Zwecken dienen und eine gewisse Bagatellgrenze nicht überschreiten. Diese Bagatellgrenze ist nicht genau definiert. „Wer etwa Hunderte von Musiktiteln unerlaubt aus dem Internet herunter lädt, darf nicht mit Straffreiheit rechnen“, schreibt das Ministerium.
Diese Klausel trifft vor allem bei Rechteverwertern und CDU/CSU auf Kritik. Günter Krings, Berichterstatter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für „geistiges Eigentum“ im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages, und Steffen Kampeter, Vorsitzender des Dialogforums Musikwirtschaft der CDU, schreiben in einer Stellungnahme, es sei Aufgabe des Gesetzgebers, durch das Urheberrecht den Schutz des geistigen Eigentums genauso sicherzustellen wie beim körperlichen Eigentum: „Die Straffreiheit bei bestimmten Urheberrechtsverletzungen setzt ein unnötiges und falsches Signal.“ Ministerin Zypries hatte den Passus damit begründet, dass man keine „Kriminalisierung der Schulhöfe“ wolle.
Kopierschutz umgehen verboten
Weiterhin verboten wird es bleiben, einen wirksamen Kopierschutz zu umgehen, auch wenn das zu dem Zweck geschieht, eine Privatkopie von einem Werk herzustellen. Das BMJ ist der Ansicht, dass es kein Recht auf eine Privatkopie gibt. Kritiker argumentieren, dass sich ein Recht auf die Privatkopie aus dem Grundrecht auf Informationsfreiheit ableiten lässt. Dem widerspricht das Zypries-Ministerium: „Eine Privatkopie schafft keinen Zugang zu neuen Informationen, sondern verdoppelt lediglich die bereits bekannten.“
Pauschalvergütung bleibt – aber anders als bisher
Erhalten bleiben soll die so genannte Pauschalvergütung. Das bedeutet, dass Hersteller – und damit letztlich auch die Kunden – eine Vergütung auf Geräte und Speichermedien zahlen müssen, die „tatsächlich und in nennenswertem Umfang für zulässige Privatkopien genutzt werden“, also etwa CD-Rohlinge oder Drucker. Bisher gilt die Regel, dass diese Geräte und Speichermedien zur Vervielfältigung bestimmt sein müssen. Von nun an soll durch Marktforschung herausgefunden werden, ob und in welchem Umfang sie genutzt werden. „Mit der Umstellung wird schneller geklärt werden können, ob eine Vergütungspflicht besteht“, schreibt das BMJ.
Die Höhe der Abgabe sollen die beteiligten Parteien selbst aushandeln, also die Hersteller und die Verwertungsgesellschaften, die für die Urheber und Rechteinhaber die Vergütungen einnehmen und verteilen. Gleichzeitig sollen die Abgaben in keinem Fall mehr als fünf Prozent des Verkaufspreises des jeweiligen Geräts betragen.
Vertreter der Urheber, wie etwa die Verwertungsgesellschaften, kritisieren diese Beschränkungen. So würden etwa Druckerhersteller die Kosten für ihre Geräte senken, die Preise für Toner oder Tinten aber stark erhöhen, so dass das Geld mit dem Verkauf von Toner und Tinte verdient wird. Auf diese Verbrauchsmaterialien werden aber keine Abgaben erhoben, so dass die Urheber nicht angemessen an den Gesamterlösen beteiligt würden. Die Bundesregierung geht stattdessen davon aus, dass mehr Geld in die Kassen komme, da Abgaben auf mehr Geräte- und Leermedientypen als früher erhoben werden und der Gesamtumsatz, der dadurch abgabepflichtig wird, steigen wird.
Gerätehersteller und der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) lehnen eine pauschale Vergütung von Urhebern grundsätzlich ab. Mithilfe von technischen Systemen zur Nutzungskontrolle von Inhalten (DRM) könnten sich Musiker und Autoren die Nutzung ihrer Werke individuell vergüten lassen. Bisher ist allerdings kein DRM-System auf dem Markt, welches das unerlaubte Kopieren von Inhalten effektiv verhindert. Darüber hinaus werden DRM-Systeme von Datenschützern kritisiert, da sie die Gefahr sehen, dass Nutzer dadurch zu stark überwacht werden könnten.
Dokumentenversand der Bibliotheken
Schließlich soll der digitale Dokumentenversand von Bibliotheken beschränkt werden. Entgegen den Forderungen von Wissenschaft und Bibliotheken ist es Bibliotheken bislang nur eingeschränkt erlaubt, beispielsweise Kopien von Aufsätzen, die sich in ihrem Bestand befinden, zu verschicken: nämlich als Fax. Ob sie Artikel auch als elektronische Datei, etwa als E-Mail, verschicken dürfen, wird derzeit gerichtlich geklärt. Beide Varianten sollen in Zukunft nur noch dann erlaubt sein, wenn Verlage das Dokument nicht ebenfalls elektronisch zur Verfügung stellen. Dabei spielt es keine Rolle, wie teuer ein Verlag das Dokument anbietet. Auch, wenn ein Aufsatz beim Verlag 50 Euro kosten würden, die Bibliothek ihn aber zu einem Preis von fünf Euro versenden könnte, dürfte die Bibliothek das Dokument nicht anbieten. „Ein unbegrenzter elektronischer Kopienversand würde die wirtschaftliche Grundlage des Verlagsgeschäfts massiv beeinträchtigen“, schreibt das Justizministerium als Begründung.
Das Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ ist demgegenüber der Ansicht, dass derartige Regelungen allein die Interessen der großen Rechteverwerter berücksichtigen, nicht aber die der Bibliotheksnutzer und der Wissenschaft im Allgemeinen. „Dass den großen Verlagsorganisationen quasi Monopolrechte auf die elektronische Dokumentlieferung zugebilligt werden, kann nicht Sinn eines Gesetzes im Geltungsbereich des deutschen Grundgesetzes sein, da der Informationsmarkt für die Wissenschaft eindeutig von großen, global und im Interesse ihrer Stakeholder agierenden internationalen Unternehmen bestimmt wird“, heißt es in einer Stellungnahme des Bündnisses. Ihm gehören neben der Fraunhofer-Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft, der Hochschulrektorenkonferenz, der Max-Planck-Gesellschaft, der Leibniz-Wissenschaftsgemeinschaft und dem Wissenschaftsrat 260 weitere wissenschaftliche Fachgesellschaften, Informationseinrichtungen und Verbände und mehr als 3600 Einzelpersönlichkeiten an.
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