Kommt die EU-Richtlinie entweder ganz oder gar nicht – oder geht auch „halb“?
Seit die EU-Kommission im September 2016 ihren ersten Entwurf für eine „Richtlinie zum Urheberrecht“ (Copyright Directive) vorlegte, durchlief sie die vielen, für ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren vorgesehenen Stufen. Am Ende von zahlreichen Konsultationen, Alternativentwürfen, Experten- und Bürgeranhörungen, überarbeiteten Vorlagen, Zwischenberichten und Zwischenabstimmungen stand die Arbeit eines Vermittlungsausschusses, der zu je einem Drittel mit Vertretern aus EU-Kommission, Ministerrat und Parlament zusammengesetzt war.
Aus diesen Verhandlungen – auch als „Trilog“ bezeichnet – ging dann ein Kompromissvorschlag hervor, der seit 20. Februar 2019 als finaler Entwurf vorliegt. Ihm stimmten sowohl die Kommission als auch 21 von 28 Regierungen des Europarats sowie der federführende Ausschuss für Rechtsfragen (JURI) bereits zu. Der letzte fehlende Schritt, um die Richtlinie zu verabschieden, ist nun die dritte Lesung und Schlussabstimmung im EU-Parlament.
Im Lauf der vergangenen Wochen entwickelte sich jedoch immer mehr Unmut gegen einzelne Artikel der Richtlinie. Dieser Unmut drückt sich in einer mitunter erhitzt ausgetragenen öffentlichen Debatte aus und führte zu breiten Protesten. Auch die Befürworter des Entwurfs meldeten sich zu Wort, etwa mit gemeinsam von Verbänden und Organisationen verfassten Stellungnahmen und Aufrufen. Vor allem deswegen steht die nahende Abstimmung des EU-Parlaments unter einer ungewöhnlich genauen Beobachtung der Öffentlichkeit.
So sorgte allein die Ankündigung der EVP-Fraktion, die Abstimmung auf die Parlamentssitzung am 19.3. vorverlegen zu wollen, für Ad-hoc-Demonstrationen in mehreren Städten. Die Protestierenden wähnten hinter dem formalen Manöver die Absicht, den für den 23.3. geplanten, europaweiten Kundgebungen von Artikel-13-Gegnern zuvor zu kommen. Das hat von den Abgeordneten zwar niemand bestätigt, doch womöglich trugen die spontanen Widerstandsbekundungen dazu bei, dass sie ihr Ansinnen zurückzogen. Die bisherige Terminplanung wird beibehalten, das EU-Parlament stimmt Ende März oder Anfang April über die Richtlinie ab.
Streit um Artikel 13, 12 und 11 beeinträchtigt gesamte Reform
Im Fokus der Diskussionen um die geplante Urheberrechtsreform steht insbesondere der Artikel 13, der die Plattformbetreiber in die Haftung für Urheberrechtsverletzungen nehmen will und von ihnen technische Schutzmaßnahmen abverlangt (die berüchtigten Uploadfilter). Auch Artikel 11 und 12 ernten viel Kritik. Artikel 11 sieht ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage vor, während Artikel 12 die in Deutschland seit 2016 nicht mehr erlaubte Verlegerbeteiligung an Privatkopievergütungen erlauben will.
Angesichtes der hohen Wellen, die diese drei Artikel schlagen, gerät aus dem Blickfeld, wofür die gesamte Urheberrechtsreform ursprünglich gedacht war: Das Urheberrecht in den EU-Staaten zu harmonisieren, den Binnenmarkt und die Stellung der Urheber zu stärken. Tatsächlich enthält die Richtlinie einzelne Regelungen, die dem ursprünglichen Reformziel prinzipiell zu entsprechen scheinen.
Artikel 3 beispielsweise soll das sogenannte Text- und Datamining erleichtern. Es soll dann erlaubnisfrei möglich sein, von großen Datenbanken auch dann Arbeitskopien anzufertigen, wenn deren Inhalte geschützt sind. Diese Ausnahme kann es unter anderem Forschern erleichtern, etwa in der Medizin oder zu Klimaentwicklungen, große Datensammlungen zu analysieren. Kritiker monieren, die Regelung würde zu viele ausschließen, beispielsweise Journalisten, die sich bei etwaigen Datenrecherchen (investigativ recherchiert oder geleakt) nicht darauf berufen könnten.
Artikel 4 enthält neue, erweiterte oder verbesserte Ausnahmeregelungen, damit Einrichtungen sämtlicher Bildungsbereiche geschützte Materialien einfacher nutzen können.
Ähnliches gilt für Artikel 5, 7 und 8, hier sollen Einrichtungen des kulturellen Erbes – Bibliotheken, Museen, Archive – leichter mit geschütztem Material umgehen können, etwa Digitalisate anfertigen und zum Teil auch zum online stellen. Kritiker betonen aber, bei dieser an sich begrüßenswerten Regelung hätte die Richtlinie im Detail einiges besser ausgestalten können.
Ähnliche Regelungen, die in den Artikeln 3 bis 8 vorkommen, hat der deutsche Gesetzgeber mit der im März 2018 in Kraft getreten Urheberrechtsreform adressiert, an der es ebenfalls einige Kritik gab.
Artikel 14, 15 und 16 der EU-Richtlinie betreffen die sogenannten Urhebervertragsrechte, die in Deutschland ebenfalls kürzlich angepasst wurden, mit der Reform, die zum 1. März 2017 in Kraft trat. Die EU-Richtlinie will mit ähnlich gearteten Regelungen die Stellung der Urheber gegenüber Verwertern verbessern, zum Beispiel durch erweiterte Transparenzpflichten der Verwerter, Nachverhandlungsrechte für Urheber, etwa um Verträge anpassen oder früher auflösen zu können. Kritiker, wie etwa der Internationale Journalistenverband IJF bemängeln, dass hier manche Regelungen zu kurz greifen würden – insbesondere weil die für Urheber problematischen Total-Buy-out-Verträge nicht explizit verboten wären.
Die Richtlinie enthält also eine Reihe von Neuregelungen, deren Intentionen von vielen als überfällig betrachtet werden. In Folge des insbesondere auf Artikel 13 und drohende Uploadfilter zugespitzten Streits droht die gesamte Reform zu kippen – oder nicht?
Es ließen sich noch einzelne Artikel ändern oder streichen
Laut bisherigen Planungen und Sitzungskalender wollen die 751 Parlamentarier*innen des Europaparlaments entweder vom 25. bis 28. März, am 4. April oder vom 15. bis 18. April über die Richtlinie beraten und abstimmen. Der genaue Termin hängt wohl auch vom Verlauf der jeweiligen Sitzungen ab, mitunter verschieben sich Tagesordnungspunkte aus Zeitgründen in nachfolgende Zusammenkünfte. [Update: Die EP-Abgeordnete Julia Reda twittert, dass die Plenardebatte für die Urheberrechtsreform für den 26.3. angekündigt sei].
Was passiert bei der dritten, abschließenden Lesung?
Rein formal gesehen kann das Plenum dem Gesetzentwurf qua Mehrheit zustimmen oder ihn komplett ablehnen. Das Parlament hat aber auch die Möglichkeit – laut Auskunft des Verbindungsbüros des Europäischen Parlaments in Berlin auf Anfrage von irights.info – während der Lesung nochmals Änderungen einzubringen oder auch Artikel zu streichen, und sogleich über die Neufassung abzustimmen. So oder so, ob nun eine solche geänderte oder die ursprünglich vorgelegte Fassung eine mehrheitliche Zustimmung bekommt, sie müsste abschließend dem EU-Ministerrat vorgelegt werden. Der Rat kann die Richtlinie dann – gegebenenfalls mitsamt den jüngsten Änderungen des Parlaments – annehmen oder ablehnen. Stimmt er zu, muss die EU-Kommission schlussendlich ebenfalls darüber entscheiden.
Nach bisherigen Erfahrungen ist es ungewöhnlich und selten, dass das EU-Parlament in der dritten Lesung einzelne Artikel erneut inhaltlich verhandelt oder auch ganz streicht, um eine zu einer mehrheitsfähigen Fassung zu kommen. Gleichwohl wäre es möglich – und ist angesichts der momentan lebhaften Debatte nicht unwahrscheinlich –, dass sich das Parlament auf diese Weise damit beschäftigt.
Sollte die Richtlinie am Ende nicht durchkommen, also vom Parlament mehrheitlich abgelehnt werden, müsste für eine Urheberrechtsdirektive ein ganz neuer Anlauf genommen werden. Da im Mai EU-Wahlen sind, werden Parlament und Gremien neu besetzt. Zudem ist es nicht vorgesehen, gescheiterte Gesetzesvorlagen aus der vorhergehenden Legislaturperiode weiterzuführen. Vielmehr müsste ein ganz neuer Entwurf (der zumindest auf bisherige Vorlagen als Ausgangsbasis zurückgreifen könnte) den Anfang machen – und dann wieder den langen Weg eines ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens gehen.
Es ist wohl Ansichtssache, ob man darin dann das Scheitern für ein modernisiertes Urheberrecht erkennt – oder eine Zwischenstation auf dem Weg dorthin.
Was sagen Sie dazu?