Reform mit Ausnahme: Ein unnötiges Geschenk für Zeitungsverlage

Foto via Pixabay, CC0
Auf den letzten Metern wurde es noch einmal spannend um das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz, kurz: UrhWissG. Ob es das Gesetz zur Abstimmung schaffen würde, war ungewiss. Zu verhärtet schienen die Fronten. Die Kernstreitpunkte waren die Frage um einen Vorrang von Verlagsangeboten – den es nun nicht mehr geben wird – und die der Vergütung. An und für sich der Klassiker im Urheberrecht: Die Interessen der Nutzer stehen den Interessen der Rechteinhaber gegenüber.
Zwar trübte der Entwurf die Gemüter all jener, die sich für eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke eingesetzt hatten und war teils scharfer Kritik ausgesetzt. Im Ergebnis fand sich jedoch zumindest Einigkeit darüber, dass der Entwurf wohlüberlegt und fachlich gut ausgearbeitet sei.
Statt Vereinfachung: Neue Ausnahme für Presseverleger
Eine Interessengruppe sticht aus der Diskussion besonders hervor: die Presseverleger. Interessant daran ist, dass sie von dem Gesetz eigentlich nicht betroffen sind – vor allem nicht in ihrem Kernmarkt. Nichtsdestotrotz hat die Bundesregierung ihnen gut zugehört, und auch der Rechtsausschuss konnte am Ende die lautesten Schreie wohl nicht mehr überhören. Zu groß war der Druck aus der Öffentlichkeit, die über Wochen hinweg mit Schlagworten wie „Enteignung“ und „Gefährdung der Pressefreiheit“ überhäuft wurde.
Dadurch hat der wohlüberlegte Referentenentwurf, der auch von der Bundesregierung in großen Teilen unverändert gelassen wurde, zwei auf den ersten Blick kleine, aber bei genauerer Betrachtung signifikante Hiebe einstecken müssen, die an der Sinnhaftigkeit des Ganzen zweifeln lassen. Zum einen treten die Änderungen des neuen Gesetzes befristet in Kraft. Zum anderen werden Artikel aus Zeitungen und Zeitschriften von den Schrankenregelungen ausgenommen.
Die Bestimmungen für Wissenschaft und Bildung (Paragraf 60a-h in neuer Fassung) gelten zunächst nur auf fünf Jahre befristet. Nach Ablauf dieser Frist sind die neuen Regelungen nicht mehr anwendbar und auch die alten Schranken leben nicht wieder auf. Das führt zu Rechtsunsicherheit und hat sich auch in der Vergangenheit nicht bewährt. Man denke hier nur an den alten Paragrafen 52a.
Über die Befristung kann man sich ärgern, über die zweite Änderung muss man sich empören. Zeitungs- und Zeitschriftenartikel werden nicht mehr von den Schrankenregelungen für Bildung und Forschung erfasst. Das heißt im Klartext: Ein Artikel aus der FAZ über das Gesetz darf beispielsweise nicht von einer Forscherin oder einer Schülerin kopiert werden, die einen Vortrag über „Desinformation im postfaktischen Zeitalter“ halten möchte. Möchte ebendieser Mensch dagegen abends einem Freund davon erzählen, und bringt er zur Veranschaulichung eine Kopie des Artikels mit, dann greift die Schranke des Paragrafen 53 Urheberrechtsgesetz, nach der Privatkopien erlaubt sind.
Für Zeitungsartikel hätte sich fast nichts geändert
Die Forderung der Presseverlage, medienwirksam angeführt von der FAZ und der BILD-Zeitung, hat den Ursprung in dem Irrglauben, das Gesetz werde Verlage enteignen und ungerechtfertigt in die Pressefreiheit eingreifen.
Dieser Irrglaube fußt auf Fehlvorstellungen, die ein Blick ins Urheberrechtsgesetz verhindert hätte. So waren die Presseverlage der Meinung, dass durch die Reform den Zeitungen der Markt genommen werde und Nutzer kostenfrei wild kopieren dürften. Die Reform sah ursprünglich vor, dass „einzelne Beiträge“ aus Zeitungen und Zeitschriften vollständig für bestimmte gesetzlich normierte Zwecke im Bereich Bildung und Forschung genutzt werden dürfen (im Entwurf Paragraf 60a Absatz 2 und 60c Absatz 3).
Ob eine Wissenschaftlerin oder Schülerin, eine Lehrperson oder Studentin, die sich im Zuge ihrer Studien oder Forschungen einen Zeitungsartikel aus dem Feuilleton von 2015 kopieren, tatsächlich den Primärmarkt der Zeitungsverlage darstellen, darf an dieser Stelle angezweifelt werden. Im Gegenteil: Die Nutzung von einzelnen Beiträgen aus Zeitungen und Zeitschriften im Bereich der Bildung und Forschung wird regelmäßig nicht in den Primärmarkt des Verlages eingreifen.
Im Übrigen war schon nach geltendem Recht die Nutzung von einzelnen Beiträgen aus Zeitungen und Zeitschriften für die wissenschaftliche Forschung möglich. Anders als von der Presse dargestellt, hätte die Gesetzesänderung insoweit keine Veränderung gegenüber der aktuellen Rechtslage gebracht.
Wissenschafts- und Informationsfreiheit dürfen nicht eingeschränkt werden
Die Presseverleger tun sich mit ihrer Ausnahme keinen Gefallen. Ohne Frage: Streitpunkte gibt es beim Gesetz zu Genüge. Sachliche Kritik ist angemessen und notwendig, um einen fairen Kompromiss zu erarbeiten. Wer jedoch mit Schlagworten wie Enteignung und Pressefreiheit um sich wirft, sollte fundierte Gründe vorbringen können, warum sie oder er der Meinung ist, diese verfassungsrechtlichen Garantien seien gefährdet.
Andernfalls wird der Anschein erweckt, man wolle eine breite Öffentlichkeit durch gezielte Desinformation für die eigenen Ziele instrumentalisieren. Das kann nicht im Interesse der Presseverlage sein. Die nun ins Recht gegossene Ausnahme ist ihrerseits verfassungsrechtlich bedenklich. Wie im Beispiel dargestellt, drohen nun Einschränkungen der Wissenschafts- und Informationsfreiheit.
Das neue Gesetz wird voraussichtlich im März 2018 in Kraft treten und einige Verbesserungen bringen. Die langjährige Diskussion um das Urheberrecht in Bildung und Wissenschaft ist damit aber längst nicht beendet. Ob auch für die Nutzer an den Universitäten, Schulen und anderen Bildungseinrichtungen jetzt „auch ohne Jurastudium klar [sein wird], was man darf oder nicht darf“, wie Marianne Schieder (SPD) in der Anhörung sagte, bleibt abzuwarten.
Zumindest werden sie sich weiterhin fragen müssen, warum das Urheberrecht im Alltag immer wieder zu Ergebnissen führt, die wenigstens in Details unverständlich und grotesk sind. Und sie werden das neue Recht in dem Wissen anwenden, dass es womöglich nur für kurze Zeit bestand haben wird – keine gute Basis für langfristige Investitionen in neue Technologien.
Eine frühere Version dieses Beitrags ist zuerst im Blog der Humboldt Law Clinic Internetrecht erschienen.
2 Kommentare
1 Schmunzelkunst am 4. Juli, 2017 um 15:27
Ist das Beispiel mit dem Artikel aus der FAZ, den eine Forscherin oder Schülerin zur Vorbereitung eines Vortrags nicht kopieren darf, wirklich korrekt? Der wissenschaftliche Gebrauch wird zwar neu geregelt. Aber die Bestimmung über den sonstigen eigenen Gebrauch (§ 53 Abs. 2 Nr. 4 a) bleibt doch unverändert: “Zulässig ist, einzelne Vervielfältigungsstücke eines Werkes herzustellen oder herstellen zu lassen zum sonstigen eigenen Gebrauch a) wenn es sich um kleine Teile eines erschienenen Werkes oder um einzelne Beiträge handelt die in Zeitungen oder Zeitschriften erschienen sind.” Wenn es “nur” um die Vorbereitung eines Vortrags geht, können sich dann nicht auch Wissenschaftler auf den sonstigen eigenen Gebrauch berufen?
2 Eric Steinhauer am 4. Juli, 2017 um 16:13
Hallo Schmunzelkunst, das mit dem sonstigen eigenen Gebrauch stimmt. ABER: Das UrhWissG will von seiner Regelungssystematik alles zu einem Lebenssachverhalt Gehörende zusammen regeln und führt damit eine strikte Spezialität in das Urheberrecht ein, die es so vorher nicht gab. Damit kann Schule und Wissenschaft nicht mehr auf § 53 ausweichen. Die Presse-Ausnahme wird so systemisch durch die Architektur des UrhWissG in ihrer Auswirkung verstärkt. Die Politiker hatten das beim Änderungsantrag vermutlich nicht im Blick. Und jetzt haben wir den Salat: Keine Zeitung mehr in der Schule.
Was sagen Sie dazu?