Kleine Lösung für ein großes Problem? Der BibBot ermöglicht Zugang zu Zeitungsartikeln
Anmerkung: Kürzlich änderte die im Artikel vorgestellte Browser-Erweiterung ihren Namen von VOEBBot zu BibBot. Wir haben den Artikel entsprechend angepasst (31.3.2022, Redaktion iRights.info).
Mit dem Streaming ist eine neue Form der Musikdistribution entstanden. Anbieter wie Spotify, Deezer, Tidal oder Apple Music bieten zentralen Zugriff auf eine riesige, geradezu unfassbare Menge an Titeln, die von großen und kleinen Musiklabels eingespeist werden. Das ist für Konsument*innen einfach und bequem: Für den nahezu unbeschränkten Musikgenuss braucht man nur noch eine einzige App beziehungsweise ein einziges Konto.
Im Filmgeschäft geht es in Sachen Streaming deutlich kleinteiliger zu. Das merken vor allem die Konsument*innen, die oft Konten bei mehreren Anbietern haben, etwa bei den Branchenriesen Netflix, Disney Plus oder Amazon Prime. Denn die Streaming-Anbieter verfügen nicht über umfassende Lizenzen; viele Anbieter produzieren auch eigene Inhalte und halten diese exklusiv.
Noch kleinteiliger ist der Markt für digitale Zeitungen und Zeitschriften. Wichtige Medien wie beispielsweise die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung oder Die Zeit gehören zu jeweils eigenen Verlagen. Ihre Inhalte erscheinen in aller Regel exklusiv: einerseits in gedruckter Form auf Papier, andererseits digital auf den Webseiten der Zeitungen – und das zu großen Teilen hinter kostenpflichtigen Paywalls.
Digitale Presseinhalte: Für jede Zeitung ein Abo
Will man einen kostenpflichtigen Artikel einer Zeitung lesen, braucht es meist ein Abo. Das läuft dann aber wochen- oder monatelang. Als Konsument*in müsste man sich also lange binden, selbst wenn man nur Zugriff auf einen einzigen Artikel haben will. Besonders den digitalaffinen, Netflix- und Spotify-Erfahrenen erscheint das nicht zeitgemäß.
Mit Blogs, Sozialen Medien, Video- und Podcast-Angeboten hat sich das Medienangebot und mit ihm die Konsumpraxis gewandelt: Viele Konsument*innen schöpfen heute aus einem vielfältigen Medienangebot, rufen täglich verschiedene Seiten auf, legen Texte mehrerer Anbieter zu einem bestimmten Thema nebeneinander oder surfen sich von Link zu Link – bis sie auf eine Paywall treffen, die sie wegen fehlenden Zugangs oder anderer Bezahlmöglichkeiten nicht überwinden.
Mittlerweile erlauben zwar einige Anbieter den zentralen Zugriff auf digitale Presseinhalte. Zum Beispiel bei Blendle: Darüber können Konsument*innen Artikel von verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften einzeln erwerben. Allerdings ist die Navigation eher umständlich und nicht alle Inhalte aller Zeitungen stehen jederzeit zur Verfügung. Man muss sehr genau wissen, welchen Text man sucht und wie man ihn finden kann.
Sie möchten iRights.info unterstützen?
iRights.info informiert und erklärt rund um das Thema „Urheberrecht und Kreativität in der digitalen Welt“. Alle Texte erscheinen kostenlos und offen lizenziert.
Wenn Sie mögen, können Sie uns über die gemeinnützige Spendenplattform Betterplace unterstützen und dafür eine Spendenbescheingung erhalten. Betterplace akzeptiert PayPal, Bankeinzug, Kreditkarte, paydirekt oder Überweisung.
Besonders freuen wir uns über einen regelmäßigen Beitrag, beispielsweise als monatlicher Dauerauftrag. Für Ihre Unterstützung dankt Ihnen herzlich der gemeinnützige iRights e.V.!
BibBot: Technische Lösung für ein rechtlich-wirtschaftliches Problem?
Der bequeme, konsumfreundliche Zugang zu Presseerzeugnissen ist kein neues Problem. Dahinter steht ein Interessenskonflikt, und das macht die ganze Angelegenheit verzwickt: Presseverlage müssen Einnahmen generieren, um die Versorgung mit redaktionell geprüften Inhalten sicherzustellen und Journalist*innen zu bezahlen. Das bewährte, möglicherweise am zuverlässigsten funktionierende Geschäftsmodell dafür scheint nach wie vor die exklusive Distribution über Abomodelle zu sein, die noch aus der prädigitalen Zeit des Printverlagswesens stammt.
Betrachtet man das Problem rein technisch, ist es durchaus lösbar. Das zeigt Stefan Wehrmeyer, Software-Entwickler und Gründer des Portals FragDenStaat. Genervt von den Paywalls der Presseverlage programmierte Wehrmeyer eine Browsererweiterung (sogenanntes Addon) für Firefox und Chrome. Das Tool namens BibBot stellt der Programmierer kostenlos zur Verfügung.
Zuerst hieß das Tool VÖBBot: Der Name leitet sich ab vom VÖBB, dem Verbund der Öffentlichen Bibliotheken Berlins, und der Abkürzung Bot (robot, englisch für Roboter). Im März 2022 wurde der Name des Programms zu BibBot geändert.
Wie der BibBot funktioniert
Der Clou: Öffentliche Bibliotheken erlauben ihren Mitgliedern Zugang zu Presseinhalten. Mit einem Ausweis der örtlichen Stadtbücherei, der sich für eine kleine Jahresgebühr erstehen lässt, kann man etwa aktuelle Tageszeitungen lesen – und zwar in den Räumen der Bibliothek. Dieses Prinzip gilt teilweise auch für den digitalen Raum: Über die Pressedatenbank GENIOS lassen sich mit einem Bibliothekskonto (etwa vom VÖBB) kostenlos Presseinhalte suchen und aufrufen. Die Suche über GENIOS ist allerdings ähnlich umständlich wie bei Blendle.
Der BibBot vereinfacht das Procedere: Das Tool macht sich das GENIOS-Angebot über die Bibliotheken zunutze und die Sache für Konsument*innen einfacher: Ist das Addon installiert, sucht das Programm in einem neuen Tab automatisch in der GENIOS-Datenbank nach dem gewünschten Text. Ist die Suche erfolgreich, wird der Volltext ins Layout der Zeitung beziehungsweise Zeitschrift überführt. Das dauert nur wenige Sekunden und geht ganz automatisch.
Im Selbstversuch funktioniert das relativ gut: Etwa bei jedem zweiten Text ist der BibBot erfolgreich. Da sich die Überschriften zwischen der digitalen und der Printausgabe der Texte oftmals unterscheiden, sucht der BibBot einen Ausschnitt aus dem ersten Absatz der Texte. Besonders bei längeren Texten (wie Reportagen, die man in der Printausgabe einer Zeitung oder Zeitschrift vermuten würde), liefert der BibBot regelmäßig Ergebnisse. Bei kürzeren Meldungen oder Agenturtexten klappt es manchmal, wenn auch deutlich seltener.
Der Datenbankdienst GENIOS gehört laut Wikipedia als Tochtergesellschaft der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Handelsblatt Media Group. Auf etwa 300 Quellen aus der Presse greift GENIOS zu, darunter circa 180 deutschsprachige Medien. Daneben bietet das Portal Unternehmensinformationen oder Dossiers zu bestimmten Themen an.
Ein bequemes Hilfsmittel, keine langfristige Lösung des Grundproblems
Wehrmeyer ist sich darüber im Klaren, dass sein Programm lediglich ein Hilfsmittel sein kann, um die Bedienung der GENIOS-Datenbank zu vereinfachen. Im Gespräch mit iRights.info sagt er: „Ich wollte journalistische Texte von mehreren Medien, die hinter einer Paywall sind, lesen. Aber ich kann und will es mir nicht leisten, überall ein Abo zu haben. Dafür ist dann der Bibliothekszugang zu der Pressedatenbank der richtige Weg. Und den wollte ich mir einfach vereinfachen.“
Heute betreibt der Entwickler das Projekt nebenbei. Im März 2021 stellte Wehrmeyer den BibBot auf das Software-Repositorium GitHub. Zur Veröffentlichung nutzte er die offene Lizenz GPL 3.0 (GNU General Public License v3.0, Näheres siehe hier).
Zwar kennt er keine Abrufzahlen und weiß auch nicht, wie viele Leute sich das Addon überhaupt installiert haben. Im Laufe des Jahres sind jedoch einige Programmier*innen und andere Interessierte auf den BibBot aufmerksam geworden: Sie helfen auf GitHub mit, die Software zu verbessern, etwa indem sie Bugs melden oder Vorschläge anbringen, beispielsweise zur Integration weiterer Bibliotheken und Nachrichtenseiten.
Wehrmeyers Wunsch, die Finanzierung eines qualitätsgesicherten Journalismus, ist hehr: „Alle Leute, die Journalismus produzieren, sollen fair bezahlt sein. Und gleichzeitig sollen sich alle Leute den Konsum von Journalismus leisten können.“
Der BibBot kann diese Spannung nicht auflösen, nur den Konsument*innen kurzfristige Erleichterung bringen. Letztlich liegt es an den Verlagen, tragfähige Geschäftsmodelle für die digitale Welt zu entwickeln. Dass dies grundsätzlich möglich ist, zeigen die Musik- und Filmbranche mit ihren Streaming-Geschäftsmodellen.
Wie Zugänge beschaffen sein sollen
Tritt man noch einen Schritt zurück, kann man den BibBot als Symptom eines tiefer greifenden Problems verstehen. Es betrifft den Zugang zu digitalen Inhalten und ist nicht auf journalistische Inhalte begrenzt: Auch Wissenschaftler*innen sind von Bezahlschranken betroffen, akademische Aufsätze und Bücher stehen oftmals hinter Paywalls – auch wenn kostenlose Versionen der Texte legal im Netz zu finden sind.
Diesen Umstand macht sich etwa die Browser-Erweiterung Unpaywall zu Nutze, die automatisch einen gewünschten Text auf legalen Repositorien heraussucht. Laut eigener Angabe arbeitet Unpaywall legal: Illegale oder zumindest urheberrechtlich fragwürdige Angebote wie SciHub oder Researchgate werden für die Suche nicht verwendet.
Dass es Workaround-Lösungen und sogar Schattenbibliotheken wie SciHub gibt (und diese offensichtlich stark nachgefragt werden), sollte also als Krisensymptom gedeutet werden: Empfinden Konsument*innen den Zugang als nicht angemessen, etwa weil er ihnen zu teuer und umständlich erscheint, entsteht Bedarf nach kostengünstigen und einfachen Lösungen.
Die Krise der Musikindustrie in den 2000er Jahren, die durch die illegalen digitalen Tauschbörsen ausgelöst wurde, ist ein gutes Beispiel für diese Mechanismus. Auch in der Wissenschaft treibt die Preispolitik und das Verhandlungsgeschick der Großverlage viele Forscher*innen derzeit in die Urheberrechtspiraterie.
Der kleine Roboter legt den Finger in die Wunde
Zurück zum BibBot: Wie sollen Zugänge zu journalistischen Inhalten, aber auch zu Informationen und Wissen beschaffen sein, damit sie beiden Seiten nutzen? Um den Konsument*innen einen einfachen, bezahlbaren Zugang zu ermöglichen – und gleichermaßen den Produzent*innen funktionierende Geschäftsmodelle und damit eine wirtschaftliche Grundlage zuzugestehen?
Stefan Wehrmeyers BibBot gibt keine Antwort auf diese Frage. Das kann eine solche Technik auch gar nicht. Aber das Addon legt den Finger in die Wunde. Denn es verleiht dem Wunsch Ausdruck, auf komfortablem Wege journalistische Inhalte zu erreichen. Realisiert über ein zentrales Konto bei einer Bibliothek.
iRights.info informiert und erklärt rund um das Thema „Urheberrecht und Kreativität in der digitalen Welt“.
Wir sind auch in den Sozialen Medien zu finden: Folgen Sie uns auf Twitter, Facebook, Telegram oder LinkedIn!
Sie möchten uns unterstützen? Das geht ganz einfach über die Spendenplattform Betterplace!
Was sagen Sie dazu?