Katharina de la Durantaye: „Auf die grundsätzlichen Fragen zum Urheberrecht im 21. Jahrhundert bietet die EU-Richtlinie keine Antworten“
Die seit 2019 geltende EU-Richtlinie zum Digitalen Binnenmarkt (Digital Single Market, kurz DSM) setzen die EU-Mitgliedsstaaten derzeit in nationale Gesetzgebung um. Just in dieser Phase melden sich immer mehr Stimmen zu Wort, die eine grundlegende Modernisierung des Urheberrechts fordern.
So monieren elf Rechtsgelehrt*innen aus Deutschland und den Niederlanden in ihrem kürzlich veröffentlichten Memorandum „Urheberrecht 2030“ (PDF) unter anderem eine Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis. Etwa weil das derzeit geltende Recht auf den Alleinurheber fokussiere, während in der digitalisierten, vernetzten Praxis arbeitsteiliges Schaffen dominiere.
Um das Urheberrecht dem Alltag digitalisierter Medien und Kommunikation anzupassen, plädieren die Unterzeichnenden beispielsweise für eine „Pluralität von Governanceinstrumenten“: „Vieles von dem, was heute urheberrechtlich geregelt wird, könnte Markt und Technik überlassen werden (governance by technology). Voraussetzung dafür sind aber angemessene rechtliche Rahmenbedingungen (governance of technology)“, heißt es im Memorandum.
Zudem regen die Rechtswissenschaftler*innen an, zukünftig noch mehr interdisziplinär zu forschen. Sozial- und technikwissenschaftliches Wissen sei notwendig, um die „Eigenrationalitäten der vom Urheberrecht betroffenen Teilsysteme“ besser zu verstehen.
Nicht zuletzt deuten sie konkrete Regelungsvorschläge an, etwa verkürzte Schutzfristen für urheberrechtliche Werke, die jedoch registrierungs- und gebührenpflichtig verlängerbar sein sollten.
Beachtenswerter Impuls für eine lang währende Debatte
Mit ihrem Memorandum geben die Rechtsgelehrt*innen einen beachtenswerten Impuls in die gesellschaftspolitische Debatte um die grundsätzliche Modernisierung des Urheberrechts. Beiträge zu dieser lang währenden Debatte leisteten in den vergangenen Jahren unter anderem das „Berliner Gedankenexperiment zur Neuordnung des Urheberrechts“ (2015) von iRights.Law-Anwalt Till Kreutzer, sowie die kürzlich vorgelegte „Studie für ein modernes Urheberrecht“, die das iRights.Lab für die Friedrich-Naumann-Stiftung erstellte.
Das „Memorandum Urheberrecht 2030“ entstand anlässlich der EU-weiten Online-Konferenz „Datenökonomie, KI und geistiges Eigentum“, die das Bundesjustizministerium Anfang September durchführte. Zu den Unterzeichnenden zählen Katharina de la Durantaye, Karl-Nikolaus Peifer, Reto M. Hilty, Ruth Janal, Nadine Klass, Stephan Ory, Christian Handke, Michael Grünberger, Moreen Heine, Laurin Stang und Herbert Zech.
Das Interview
Zu den Motiven, Vorschlägen und Zielen des Memorandums befragten wir die Rechtswissenschaftlerin Katharina de la Durantaye.
iRights.info: Die EU-Richtlinie für den Digitalen Binnenmarkt, auch als DSM-Richtlinie bekannt, ist ein ebenso umfangreiches wie weit greifendes Mammutwerk zum Urheberrecht. Dafür benötigte die EU – seit der InfoSoc-Richtlinie von 2001 – nahezu 20 Jahre. Es ist daher zu vermuten, dass sie das Urheberrecht nicht so schnell auf die Agenda gesetzgeberischer Aktivitäten hebt. Wieso legen Sie und Ihre Wissenschaftskolleg*innen jetzt ein „Memorandum Urheberrecht 2030“ vor? An wen richten Sie sich damit?
Katharina de la Durantaye: Die DSM-Richtlinie mag ein Mammutprojekt sein, aber wirklich visionär ist sie nicht. Sie enthält Regelungen für einzelne Probleme, die in den letzten Jahren intensiv diskutiert wurden. Auf die grundsätzlichen Fragen zum Urheberrecht im 21. Jahrhundert bietet sie aber keine Antworten. Das ist verständlich. Für die Entwicklung von Visionen fehlen im politischen Alltag Zeit, Ressourcen und oft auch unabhängiger Sachverstand.
Wir sind der Ansicht, dass wir Wissenschaftler*innen dem Gesetzgeber unter die Arme greifen und ihnen ein Angebot machen sollten, und dass die öffentliche Hand gut beraten wäre, dieses Angebot anzunehmen und auch zu finanzieren. Das Memorandum richtet sich damit sowohl an die Wissenschaft als auch an die Gesetzgebung.
iRights.info: Das Memorandum deutet konkrete Regelungen an, etwa eine verkürzte Dauer für urheberrechtlichen Schutz, bei gleichzeitiger Option, den Schutz gebühren- und registrierungspflichtig zu verlängern. Ähnliche Mechanismen gibt es bereits im Patent- und Markenrecht – doch sind persönlich-geistige, künstlerische Schöpfungen und Aufführungen mit technischen Erfindungen und Marken vergleichbar?
Katharina de la Durantaye: Im Markenrecht lässt sich die Schutzdauer theoretisch beliebig oft verlängern, im Patentrecht ist die Schutzdauer grundsätzlich gar nicht verlängerbar. Für das Urheberrecht schwebt uns weder das eine noch das andere vor. Der Schutz könnte mehrfach verlängerbar sein, sollte aber sicher nicht unendlich lange andauern.
iRights.info: Die Registrierungspflicht für urheberrechtliche Werke gab es beispielsweise in den USA noch vergleichsweise lange, wurde aber auch dort bewusst abgeschafft – warum sollte sie nun wieder eingeführt werden?
Katharina de la Durantaye: Früher war Registrierung zeit- und kostspielig. Dies ist heute anders. Digitale Technologien ermöglichen es, Werke mit minimalem Aufwand zu registrieren. Es nimmt denn auch nicht wunder, dass wir für digitale Nutzungen de facto ohnehin in vielen Bereichen eine Registrierungspflicht haben. Man denke nur an die Register der Verwertungsgesellschaften oder der Plattformen, etwa an YouTubes Content ID. Wir sind der Ansicht, dass wir die Registrierung ausweiten und sicherstellen sollten, dass die Register unter staatlicher Aufsicht stehen.
iRights.info: Im Memorandum heißt es unter Punkt (5), „das Urheberrecht dient nicht dem Schutz von Geschäftsmodellen.“ Würden die Vorschläge des Memorandums umgesetzt – beispielsweise die verkürzten Schutzfristen – könnte dies Urheber*innen und Kreativwirtschaft womöglich erheblich schwächen, etwa weil Einnahmen aus den Verwertungen der Backkataloge deutlich geringer würden oder ganz entfielen.
Katharina de la Durantaye: Uns ist sehr daran gelegen, dass kreative Leistungen vergütet werden. Wir sind aber der Meinung, dass das Urheberrecht missbraucht wird, wenn es dafür verwendet wird, bestimmte Geschäftsmodelle zu fördern. Zweck des Urheberrechts ist es, Anreize zu setzen für die Schaffung kreativer Werke. Es soll Authentizität schützen und Zugangsregeln bereitstellen. Das Urheberrecht hat eine zentrale Rolle inne für unsere Demokratie, denn es stellt den Ordnungsrahmen für die gesellschaftliche Kommunikation.
Es ist aber nicht Aufgabe des Urheberrechts, zu bestimmen, über welchen Vertriebsweg diese Kommunikation erfolgt. Würden manche Rechteinhaber*innen schlechter dastehen, wenn ihre Geschäftsmodelle nicht (mehr) geschützt würden? Ja. Andere würden profitieren. Auch die Kreativen selbst würden aber vermutlich wirtschaftlich profitieren, denn wir hätten dann einen dynamischeren, innovationsfähigeren Markt für urheberrechtlich geschützte Inhalte.
iRights.info: Wie begründen Sie die verkürzten Schutzfristen gegenüber Rechteinhaber*innen?
Katharina de la Durantaye: Wir schlagen vor, die urheberrechtliche Schutzfrist – jedenfalls bei den Verwertungsrechten – zu verkürzen, Rechteinhaber*innen aber zu ermöglichen, die Frist gegen eine Gebühr zu verlängern, gegebenenfalls auch mehrfach.
Hintergrund ist: Bereits fünf Jahre nach ihrer Veröffentlichung haben die meisten urheberrechtlich geschützten Werke keinen kommerziellen Wert mehr. Ihre Rechteinhaber*innen verlieren also in wirtschaftlicher Hinsicht nichts, wenn die Werke anschließend gar keinen oder nur noch urheberpersönlichkeitsrechtlichen Schutz genießen.
Wir als Gesellschaft profitieren aber stark, wenn wir die zustimmungsfreie Nutzung ermöglichen. Werke, die kommerziell wertlos sind, können über erheblichen historischen, wissenschaftlichen, künstlerischen beziehungsweise sozialen Wert verfügen. Und wenn ein Werk länger kommerziell wertvoll ist als die breite Masse, kann die Rechteinhaberin mit geringem Aufwand dafür sorgen, dass es weiterhin Schutz genießt und sie wirtschaftlich profitieren kann.
iRights.info: In Punkt (9) schlägt das Memorandum vor, „passgenaue Regelungen für die einzelnen Teilsysteme zu entwickeln, die den vielen Umwelten des Urheberrechts besser gerecht werden“. Widerspricht dieser Ansatz nicht der Erfahrung, dass Gesetzgebung und Jurist*innen gesetzliche Regelungen meist unspezifisch verfassen, um damit Auslegungsspielräume und Entwicklungsdynamik zuzulassen?
Katharina de la Durantaye: Natürlich gilt: Wer Grenzen zieht, produziert möglicherweise Abgrenzungsschwierigkeiten. Im Moment ist es aber so, dass die unterschiedlichsten Arten von Werken – Ölbilder, Romane, Filme, Computerprogramme, wissenschaftliche Fachliteratur, Games, Blogeinträge, Instagram-Selfies – nahezu identischen Regeln unterworfen sind. Das betrifft Ausschließlichkeitsrechte, Schutzfrist und gesetzliche Erlaubnisse, Schranken.
Dabei entstammen diese Werkarten ganz unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Ökosystemen. Manche wurden nie mit dem Zweck geschaffen, wirtschaftlich verwertet zu werden, andere schon. Die Verwertungszyklen innerhalb der einzelnen kreativen Industrien unterscheiden sich stark. Wir finden es bedenkenswert, ob und wenn ja, inwiefern es möglich wäre, differenzierter zu regulieren, ohne dadurch Entwicklungen einzufrieren oder Gestaltungsspielräume zu schließen.
iRights.info: Würde so eine sektorspezifische Regelung mit sich bringen, in Zahlen gefasste Gesetze zu formulieren – so wie es das BMJV mit den – sehr umstrittenen – Grenzwerten der geplanten Bagatellschranke probiert, Sekunden- oder Kilobyte-genau?
Katharina de la Durantaye: Wir finden es wichtig, dass das Recht für die gesellschaftlichen und sozialen Umwelten sensibilisiert ist. Diesen Gedanken wollen wir mit dem Memorandum transportieren.
iRights.info: Was versprechen Sie und die Unterzeichnenden sich von diesem Memorandum?
Katharina de la Durantaye: Wir wollen zum Nachdenken und zur Diskussion anregen. Im Memorandum stellen wir keine einfachen Lösungen vor, sondern identifizieren Bereiche, in denen es sich unseres Erachtens nach lohnen würde zu forschen. Insofern lässt es sich als mögliche Forschungsagenda für die kommenden Jahre verstehen.
2 Kommentare
1 Schmunzelkunst am 6. Dezember, 2020 um 14:34
Anmerkung zum Abschnitt “Das Interview” (“…, befragten wir die Rechtswissenschaftler*in Katharina de la Durantaye”):
Ich glaub, hier darf man das Gender-Sternchen ruhig mal weglassen ;-).
2 Henry Steinhau am 7. Dezember, 2020 um 08:09
Danke für den aufmerksamen Hinweis. Das dorthin verirrte Gender-Sternchen haben wir zurückgeholt ;-)
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