USA: Kartellklage gegen sechs Wissenschaftsverlage · Deutschland: DSGVO-Beschwerde gegen drei Verlage
Bei den beschuldigten Verlagen handelt es sich um die international agierenden Großverlage SAGE Publications, Elsevier, Wiley, Springer Nature, Taylor & Francis sowie Wolters Kluwer. Eingereicht wurde die Klage von Kanzleien aus San Francisco und New York. Eine online veröffentlichte Pressemitteilung untermauert die Kartellklage gegen die Wissenschaftsverlage im Wesentlichen mit drei Gründen:
Erstens: Unbezahlte Begutachtung durch Forschende
Es ist gängige Praxis in der akademischen Verlagswelt, die Qualitätssicherung der wissenschaftlichen Beiträge an Forschende auszulagern – und zwar unbezahlt. Die sogenannte „Peer Review“ senkt die Kosten der Verlage erheblich, weil diese kein eigenes Personal für die Qualitätssicherung ausbilden und einstellen brauchen. Die Verlage setzen auf das hohe wissenschaftliche Ethos der Forschenden. Ein breiter Widerstand gegen diese Praxis hat sich innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft bis dato nicht gebildet.
Zweitens: Wettbewerbsverzerrung der Wissenschaftsverlage
Die genannten Verlage verpflichten die Forschenden dazu, dass diese ihre Manuskripte zur gleichen Zeit nur bei einer einzigen Zeitschrift (und damit einem einzigen Verlag) zu Begutachtung und späteren Veröffentlichung einreichen. Das verringert den Wettbewerb zwischen den Verlagen wesentlich. Denn Forschende sind – sobald sie einmal ihr Manuskript eingereicht haben – an diesen Verlag gebunden.
Drittens: Kontrolle der wissenschaftlichen Kommunikation
Eigentlich könnten wissenschaftliche Manuskripte bereits während der Peer Review in Form unbegutachteter Fassungen (sogenannte „Preprints“) zirkulieren. Indem die Verlage dies unterbinden, kontrollieren sie den Informationsfluss des wissenschaftlichen Wissens. Ist ein Aufsatz schließlich fertig begutachtet und kann erscheinen (was durchaus Jahre dauern kann), sind Forschende dazu gezwungen, umfangreiche Rechte an die Verlage zu übertragen. Meist verlangen die Verlage noch hohe Gebühren, um den Aufsatz zu publizieren.
Öffentliche Mittel, private Gewinne
Als Hauptklägerin der Kartellklage gegen die Wissenschaftsverlage tritt Lucina Uddin auf. Sie arbeitet als Professorin für Neurowissenschaften an der University of California, Los Angeles, und hat nach eigenen Angaben mehr als 175 Artikel veröffentlicht sowie für mehr als 150 Zeitschriften kostenlose Peer Reviews durchgeführt.
Uddin hat sich mit einer größeren Gruppe von Forschenden zusammengetan. Sie werfen den Verlagen vor, Milliarden von öffentlichen Mitteln, die eigentlich der Forschung und dem Allgemeinwohl zugute kommen sollen, unrechtmäßig an sich zu ziehen und in private Gewinne zu überführen.
Die Klage zitiert eine Studie aus dem Jahr 2021 mit dem Titel „A Billion-Dollar Donation: Estimating the Cost of Researchers’ Time Spent on Peer Review“ (übersetzt etwa: Eine Milliarden-Dollar-Spende: Schätzung des Zeitaufwands von Forschenden für Begutachtungen). In der Studie wird die kostenlose Begutachtung von wissenschaftlichen Artikeln allein für das Jahr 2020 zusammengerechnet. Heraus kommt das Äquivalent von 15.000 Jahren Peer-Review-Arbeit. Das habe den Wert von mindestens 1,5 Milliarden US-Dollar, kostenlos abgeleistet von Forschenden.
„Sherman Antitrust Act“ (1890), um Monopole zu zerschlagen
Die Kläger*innen beziehen sich auf den sogenannten „Sherman Antitrust Act“. Das Instrument aus dem US-amerikanischen Kartell- und Wettbewerbsrecht stammt ursprünglich aus dem Ende des 19. Jahrhunderts. Es beinhaltet unter anderem ein generelles Monopolisierungsverbot und Regelungen zum Verbot horizontaler und vertikaler Marktabsprachen. Anwendung fand es in den USA unter anderem gegen unrechtmäßge Monopole und Kartelle in der Tabak-, Öl- und Filmindustrie.
Die Kartellklage gegen die Wissenschaftsverlage ging beim Bundesbezirksgericht in New York ein. Sie enthält die Forderung nach dreifachem Schadensersatz und eine Unterlassungsverfügung. Außerdem werden die Verlage dazu aufgefordert, die beanstandeten rechtswidrigen Vereinbarungen aufzulösen.
Behinderung der Forschung durch übermäßiges Profitstreben
Die Pressemitteilung der Kanzlei der Klägerpartei ist in ihrer Wortwahl recht direkt. Es ist die Rede von „vielfältigem perversem Marktversagen“ und einem „dramatischen“ Ausbremsen des wissenschaftlichen Fortschritts:
„Es wird länger dauern, bis wirksame Behandlungen für Krebs gefunden sind. Es wird länger dauern, um Fortschritte in der Materialwissenschaft zu erzielen, die das Quantencomputing unterstützen. Es wird länger dauern, technologische Werkzeuge zur Bekämpfung des Klimawandels zu finden.“ (Übs. G.F.)
Bemerkenswert in der Pressemitteilung der Kanzlei ist auch, dass sie zur Einordnung der Vorgänge ein Zitat der Deutschen Bank heranzieht. In diesem wird das Geschäftsmodell der Wissenschaftsverlage als „bizarr“ bezeichnet und – frei übersetzt – als „dreifaches Abkassieren“ („triple pay system“). Denn öffentliche Forschung werde gleich dreifach finanziert: durch die Gehälter der Forschenden und ihrer Strukuren, durch die Begutachtungen und durch die Veröffentlichungsgebühren.
Deutschland: DSGVO-Beschwerden gegen drei Verlage
Viele Wissenschaftler*innen setzen auch hierzulande auf die beschuldigten Verlage, indem sie dort veröffentlichen und begutachten. Das tun sie, weil sie sich international vor allem am angloamerikanischen System orientieren.
Insbesondere Elsevier, Springer Nature und Wiley verdienen auch in Deutschland übermäßig gut an deutschem Steuergeld. Das dürfte spätestens seit dem Projekt DEAL bekannt sein. Eine Kartellklage ist hierzulande noch nicht anhängig, wenngleich sich die Praktiken sehr ähneln.
Zügelloses Datentracking bei Wiley, Springer Nature und Nomos?
Allerdings droht in Deutschland mehreren Verlagen juristischer Ärger wegen Datenschutzverstößen. Es geht um die Verlage Wiley, Springer Nature und Nomos. Wegen übermäßigem Tracking von Nutzungsdaten reichte Björn Brembs, Professor an der Uni Regensburg, zusammen mit der auf Sammelklagen spezialisierten Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) kürzlich drei Datenschutzbeschwerden ein. Diese lassen sich auf der Website der GFF einsehen.
Brembs macht schon länger auf die fatalen Folgen des Datentrackings für die Wissenschaft aufmerksam. Zusammen mit Kolleg*innen hat er die Initiative „Stop Tracking Science“ ins Leben gerufen. Im Interview für iRights.info schilderte er 2021 seine Befürchtung, die Wissenschaft könnte zunehmend die Kontrolle über das eigene Kommunikationssystem verlieren.
Eine Sorge, die auch vor dem Hintergrund Künstlicher Intelligenz nicht unbegründet ist: Im Sommer wurde bekannt, dass Verlage wie Wiley und Taylor & Francis – ohne Kenntnis und vermutlich gegen den Willen ihrer Autor*innen – ihre Archive zum KI-Training lizenzierten. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis ähnliche KI-Lizenzgeschäfte bei anderen Wissenschaftsverlagen bekannt werden.
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