Der Kampf um die Cookies: Teil 2 – Wie sich die Tracking-Industrie entwickelt

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Der Werbe-Cookie hat ausgedient. Dies liegt allerdings nicht nur an den gesetzlichen Problemen, die ich im ersten Teil beschrieben habe, sondern auch an der Umorientierung der großen IT-Konzerne. So verkündete Google im Januar 2020, dass der Browser Chrome innerhalb von zwei Jahren keine Third Party Cookies mehr akzeptieren werde.
Der Schritt kam nicht ganz unerwartet. Schon länger hatte etwa Mozilla Firefox Tracking-Techniken auf Nutzerwunsch eingeschränkt. Wichtiger noch: Apple hatte bereits 2017 in seinem eigenen Browser Safari die „Intelligent Tracking Protection“ eingeführt, die Werbenetzwerke daran hindert, im Hintergrund die Surfhistorie der Nutzer zu erfassen.
Das bedeutet: Der Browser interagiert nur mit Elementen, die zur Darstellung auf der Website notwendig sind und ignoriert viele Abfragen im Hintergrund, die dazu dienen, Interessenprofile anzulegen. Mit den Jahren hat Apple diesen Trackingschutz immer weiter verstärkt.
Apple boykottiert Tracking-Technologien
Für die Werbewirtschaft hatte Apples Cookie-Boykott erhebliche Auswirkungen. So sind Apple-Nutzer als konsumfreudige Zielgruppe bei werbetreibenden Unternehmen besonders beliebt. Können sie nicht mehr zielgenau anvisiert werden, sinkt der Umsatz bei Adtech-Unternehmen wie zum Beispiel Criteo, die sich auf die zielgenaue Werbung spezialisiert haben. Auch Onlinemedien mussten verminderte Einnahmen hinnehmen.
Apple will die Tracking-Blockade inzwischen auch auf den eigenen App-Store ausweiten. In der kommenden Version des iPhone-Betriebssystem iOS soll der Zugriff auf die Werbe-Kennung IDFA, den „Identifier for Advertisers“, nur erlauben, wenn die Nutzer ausdrücklich zustimmen. Damit bezeichnet Apple eine Funktion seines eigenen Betriebssystems iOS, das zum Tracking von Nutzern durch Werbetreibende dient – quasi ein Cookie-Ersatz für Apps.
Unternehmen wie Facebook warnen, dass dieser Schritt zu Lasten der App-Entwickler gehe: So spielt der Konzern nicht nur auf der eigenen Plattform Werbung aus, sondern über das „Facebook Audience Network“ auch Werbung auf unabhängigen Websites oder Apps. Die Betreiber dieser Angebote könnten allenfalls noch die Hälfte der Einnahmen erwarten, wenn die App-Entwickler die Nutzungsprofile ihrer Nutzer nicht mehr abgleichen können.
Nach harschen Protesten hat sich Apple inzwischen zumindest entschlossen, den App-Entwicklern eine längere Übergangszeit zu lassen. Für den kalifornischen Digitalkonzern kommt die Diskussion zur Unzeit, da mehrere Wettbewerbsbehörden die Kontrolle des Konzerns über den App-Markt bereits auf Missbrauch untersuchen.
Wenn Apple mit der Einschränkung des Trackings gleichzeitig sein eigenes Werbenetzwerk bevorzugt, könnte dies als Missbrauch der Marktmacht ausgelegt werden. Apple bestreitet dies: Die Änderungen dienten ausschließlich dazu, die Privatsphäre der Nutzer zu schützen. Das eigene Werbenetzwerk sei von den Einschränkungen lediglich deshalb nicht betroffen, weil hier keine Daten mit Drittquellen ausgetauscht werden.
Googles Kompromissvorschlag heißt „Turtledove“
Google – dessen Werbegeschaft ebenfalls in Europa und den USA von Kartellwächtern überprüft wird – versucht im Konflikt um die Tracker im Browser unterdessen eine Kompromisslösung durchzusetzen. So hat der Konzern einen Vorschlag namens Turtledove vorgelegt.
Turtledove soll so funktionieren: Statt Nutzerdaten in Persönlichkeitsprofile in Werbenetzwerken abzulegen, soll dieses Interessenprofil künftig direkt im Browser vorgehalten werden. Parallel wird den Verlagen eine besondere Rolle zugedacht: Sie können Werbetreibenden eine zielgerichtete Werbung anbieten, die sich nach den Inhalten der abgerufenen Webseiten richtet – also zum Beispiel Werbung für eine Autoversicherung neben einem Autotest. Beide Profile werden in Werbenetzwerken dann zur Werbezuteilung angeboten.
Die Initiative Googles stößt nicht auf ungeteilte Begeisterung. So hat sich in den USA die sogenannte „Partnership for Responsible Addressable Media“ gebildet – ein Zusammenschluss aus Werbeverbänden und Unternehmen. Das Ziel der neuen Allianz: Sie will das Rad zurückdrehen und die Konzerne dazu verpflichten, die jetzigen Tracking-Möglichkeiten nicht anzurühren.
Falls sich dies nicht durchsetzen lässt, sollen neue Standards gesetzt werden, die das bisherige Tracking weitest möglich erhalten sollen. So arbeiten Adtech-Unternehmen daran, das Tracking ganz auf die Server der Website-Betreiber zu verlagern. An den grundsätzlichen Problemen der derzeitigen Tracking-Praxis würde sich damit allerdings nichts ändern.
In Deutschland stößt der Vorstoß Googles immerhin auf verhaltene Zustimmung. So hat die Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM) nach einer Branchenumfrage zumindest das Grundkonzept gutgeheißen. „Wir werden sehr genau beobachten, ob Google – die ja immer wieder betonen, dass es sich um einen offenen Standard handelt, an dessen Entwicklung man mitarbeiten könne und solle – die Interessen der Werbetreibenden ausreichend berücksichtigt“, so OWM-Vorstand Arne Kirchem Anfang September.
Notbremse bei Fehlentwicklungen: „Coalition for Better Ads“ will Branchenstandards etablieren
Google hatte bereits einmal im Werbemarkt zur Notbremse gegriffen. Als immer mehr Internetnutzer Werbeblocker in ihren Browsern installierten, initiierte der Konzern das Branchenbündnis „Coalition for Better Ads“, um die abschreckendsten Werbeformen zu unterbinden. Dabei suchte Google einen Branchen-Konsens über den globalen Werbeverband IAB. Nach Nutzerumfragen wurde beispielsweise Werbung mit automatisch abgespielten Videos samt Ton zum Tabu erklärt.
Durchgesetzt wurde dieser neue Standard aber durch die Marktmacht Googles. So integrierte der weltweit größte Werbekonzern in seinen Browser seinen eigenen Adblocker. Endnutzer konnten damit aber nicht kurzerhand jede Werbung blockieren, wie es bei vielen Konkurrenz-Browsern der Fall ist, Googles „Adfilter“ schaltete sich nur ein, wenn der Konzern auf einer Webseite eine gewisse Anzahl unzulässiger Werbung gefunden hatte.
Obwohl dieser Adblocker in der Praxis selten anschlug, war die Aktion ein Erfolg: Die meisten von der Coalition verbannten Werbeformate sind inzwischen aus dem Internet verschwunden und werden auch von den großen Werbenetzwerken nicht mehr angeboten.
Doch damit hatte sich der Erfolg des Google-Bündnisses auch schon wieder erschöpft. Eigentlich hatte die Coalition for Better Ads darauf gesetzt, dass sich auch andere Browser-Anbieter dem Bündnis anschließen würden und sich darauf verständigen, den Gebrauch von Adblockern einzuschränken. Doch kein anderer Browser-Hersteller konnte dafür gewonnen werden, der Werbeindustrie eine Zustellgarantie für ihre Werbung zu geben. Augenscheinlich waren die Mitglieder der „Coalition“ auch nicht gewillt, nun gegen das Tracking vorzugehen.
Nicht nur Google, sondern auch Verlage entdecken neue Wege jenseits des Trackings
Deshalb geht Google in diesem Fall einen anderen Weg. Statt ein neues separates Bündnis zu schließen, hat Google seine Vorschläge für ein Privatsphäre-freundlicheres Tracking-System beim Web-Standardisierungs-Organisation W3C eingereicht. Werden die Vorschläge angenommen, könnten sie damit für alle anderen Browser verbindlich werden.
Zumindest in der Theorie. So hatte das W3C auch einen Do-Not-Track-Standard auf den Weg gebracht, mit dem Nutzer pauschal dem Tracking widersprechen können. Der Modus wurde zwar in vielen Browsern integriert, wird aber von der Werbeindustrie fast komplett ignoriert und erwies sich damit als wirkungslos.
Mittlerweile entdecken auch Verleger, dass es in ihrem Interesse ist, das Tracking im Interesse ihrer Leser einzuschränken. So hat die Washington Post ein eigenes Werbesystem entwickelt; auch die New York Times will ab kommenden Jahr seine Werbung ganz ohne Werbenetzwerke vermarkten.
Auch diesseits des Atlantiks beginnt das Umdenken. So hat etwa der niederländische Rundfunkvermarkter NPO im vergangenen Jahr ein neues Werbesystem aufgebaut, das ebenfalls ohne Datenweitergabe an Tracking-Unternehmen auskommt.
In Deutschland benötigen solche Projekte noch Zeit, aber der Widerstand gegen das bestehende System wächst. So etwa die Berliner Zeitung: „Wir dürfen daher zeigen, wie reformfähig wir sind, an uns selbst beweisen, was wir selbstverständlich von anderen in Politik, Industrie und Gesellschaft fordern“, schreibt die das Blatt in eigener Sache: „Daher spielen wir keine personalisierte Werbung aus, wir wollen personalisierten Journalismus anbieten.“
Fazit
Die Entwicklungen zeigen: Große Digitalkonzerne wie Google und Facebook haben ein System mitgeschaffen, das auf dem freien Fluss von Nutzerdaten beruht – je weniger die Nutzer davon wissen, desto besser.
Dieses System zu ändern, liegt nicht mehr in der Hand einzelner Firmen oder Institutionen. Da niemand aus eigenen Stücken vom Status Quo abrücken will, sind die notwendigen Reformen zum Machtkampf ausgeartet.
Der Ausgang dieses Machtkampfes entscheidet, wie die Online-Welt der 2020er-Jahre aussehen wird: Wird es ein Internet der Paywalls, der Privatsphäre für die Wenigen? Oder findet sich ein tragfähiger Kompromiss, der auch die Interessen der Nutzer berücksichtigt? Die Weichenstellungen des kommenden Jahres werden dafür wichtig werden.
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