Creative Commons 4.0: Neue Zeiten für Daten
Eigentlich hätte dieser Text im letztjährigen iRights-Jahresrückblick erscheinen sollen. Als beim alle zwei Jahre stattfindenden Creative Commons Global Summit im Herbst 2011 in Warschau der Startschuss für die Arbeit an der Version 4.0 der Creative-Commons-Lizenz fiel, war deren Abschluss für spätestens Ende 2012 geplant.
Gedauert hat es dann ein ganzes Jahr länger, nicht zuletzt, weil die neue Version zugleich eine kleine Zeitenwende bedeutet: Künftig lassen sich mit Creative-Commons-Lizenzen auch Datenbanken lizenzieren. Seit dem Update auf Version 3.0 im Jahre 2007 waren zumindest die für Europa angepassten Fassungen der Lizenzen kaum geeignet, Datenbanken zu lizenzieren und dadurch freizugeben. Grund hierfür war, dass Creative Commons als Organisation das in Europa Mitte der 1990er erdachte „Schutzrecht des Datenbankherstellers“ ablehnte.
Das Datenbankenherstellerrecht setzt keine schöpferische Leistung voraus
Denn als dieses neue Recht nach und nach in den EU-Mitgliedsstaaten umgesetzt wurde, löste das in den USA große Besorgnis aus. Besonders groß war diese innerhalb des Creative-Commons-Unterprojekts Science Commons, das für den Wissenschaftsbereich gegründet wurde.
Da das neue Datenbankenherstellerrecht (anders als das Urheberrecht) keine schöpferische Leistung voraussetzt und dennoch (genauso wie das Urheberrecht) automatisch entsteht, befürchtete man bei Science Commons: Wenn dieses neue Recht weltweit Schule macht, werden auch solche Daten mit einem rechtlichen Schutz überzogen, die bisher für die Wissenschaft frei nutzbar waren – was unkalkulierbare Risiken für den Fortschritt in der Forschung mit sich bringen könne.
Deshalb wurde bei Version 3.0 der Creative-Commons-Lizenzen das neue Schutzrecht aktiv mit in die Lizenz einbezogen und dann ein paar Absätze weiter unten durch Verzicht unschädlich gemacht. Das sollte es unmöglich machen, dass die Freiheiten der Lizenzen dadurch unterlaufen werden können, dass der freigegebene Content in eine Datenbank gesteckt wird. Der Mechanismus wurde anschließend in die Versionen der Creative-Commons-Lizenzen eingefügt, die an die Rechtssysteme der EU-Länder angepasst wurden. Die europäischen Portierungen der Version 3.0 neutralisieren also seither das Datenbankenherstellerrecht statt es zu lizenzieren. Die Hoffnung war, dass auf diese Weise ein klares Zeichen gegen weitere Schutzrechte für Daten und für die freie Wissenschaft gesetzt werden könnte.
Diskussionen innerhalb der CC-Aktivistengruppen
Symbolisch gelang das teilweise, praktisch jedoch blieb der neue Datenbankenschutz in der Welt und verbreitete sich sogar über Europa hinaus. Das sorgte für Diskussionen innerhalb der Creative-Commons-Aktivistengruppen: Die einen folgten der offiziellen Linie und lehnten jeden gestaltenden Umgang mit dem Datenbankenherstellerrecht strikt ab, andere wollten das neue Schutzrecht ebenso für das Anliegen der Freiheit einsetzen, wie es Open-Content-Lizenzen seit jeher mit dem Urheberrecht tun.
Die Organisation Creative Commons bekam die Folgen ihrer harten Haltung sowohl seitens Institutionen als auch seitens bestimmter Communities zu spüren: Viele Institutionen, die Daten mittels Creative-Commons-Lizenzen als Open Data freigeben wollten, stellten fest, dass sie mit den für Europa angepassten CC-Lizenzen der Version 3.0 ihr Datenbankenherstellerrecht nicht in abgestufter Weise unter bestimmten Bedingungen lizenzieren, sondern es nur zum Verschwinden bringen konnten. Das geschah, obwohl dieses Recht nicht selten das einzige Schutzrecht der jeweiligen Institution war.
Einige ließen sich zwar davon überzeugen, dass dies der richtige Weg sei, weil reine Daten nie unter rechtlichen Schutz gestellt werden sollen. Viele aber sahen sich nicht in der Lage, unter diesen Umständen CC-Lizenzen zu verwenden, und legten die Freigabepläne entweder auf Eis oder suchten nach anderen Lösungen beispielsweise selbstgeschriebenen Datenlizenzen.
Es kam zum strukturellen Bruch der Community
Die Aktivisten, die mit den Institutionenvertretern über Freigaben sprachen und über die Möglichkeiten aufklärten, bekamen diese internen Konflikte natürlich mit. Das stärkte die Position derjenigen, die der Meinung waren, dass Open-Content-Lizenzen alle verfügbaren Schutzrechte als Hebel nutzen sollten, um Freiheiten zu erzeugen, anstatt den sinnlosen Versuch zu unternehmen, bestimmte Rechte als ablehnenswert zu brandmarken. Zum strukturellen Bruch der Community kam es, als das Openstreetmap-Projekt (OSM) sich immer mehr diesem Lager der Andersdenkenden anschloss.
Die große Sorge vieler Mitglieder der OSM-Community war, dass große US-Unternehmen wie Google die mühsam durch Freiwillige gesammelten OSM-Daten übernehmen und nutzen könnten und dann nicht einmal verpflichtet wären, das OSM-Projekt als Rechteinhaber zu nennen. Diese Sorge war großenteils unbegründet, weil Landkarten-Darstellungen rechtlich keineswegs wie Fakten behandelt werden – für sie besteht auch ohne Datenbankherstellerrecht ein urheberrechtlicher Schutz.
Viele in der OSM-Community trauten dieser Rechtslage jedoch nicht. Zu groß wäre der Schaden aus ihrer Sicht gewesen und zu schnell wäre er eingetreten, falls sich der rechtliche Status der OSM-Kartendaten doch als weniger robust darstellen sollte. Deshalb beauftragte das OSM-Projekt den Entwurf einer neuen Lizenz-Familie speziell für Daten, die auf das europäische Datenbankenherstellerrecht setzen, um damit einen starken Copyleft-Effekt zu erzielen. 2010 wurden die neuen Lizenzen „Open Database License“ (ODbL) und „Open Data Commons BY“ (ODC BY) vorgestellt. Die Daten des OSM-Projekts wurden wenig später auf sie umgestellt.
Die Entwicklung neuer Datenlizenzen verfehlte ihre Wirkung nicht
Rechtstechnisch gesehen versuchen diese Datenlizenzen einen gefährlichen Kunstgriff: ODbL und ODC BY exportieren gewissermaßen das Datenbankenherstellerrecht der EU, indem sie es durch Vertragsklauseln nachbauen. Sie wollen damit erreichen, dass beispielsweise die bereits erwähnten US-Schreckgespenster wie Google sich an die in den Lizenzen enthaltenen Namensnennungs- und Copyleft-Bedingungen halten müssen – obwohl es in den USA überhaupt kein Datenbankenherstellerrecht gibt, das als Hebel in Frage käme.
Creative Commons als Organisation sieht das nach wie vor sehr kritisch, dennoch hat die Entwicklung von ODbL und ODC BY ihre Wirkung nicht verfehlt: Die inzwischen personell verjüngte Riege der Creative-Commons-Juristen hatte eingesehen, dass eine noch so gut gemeinte und gut begründbare Haltung unterm Strich mehr schadet als sie nützt, wenn sie zur Zersplitterung der Lizenzlandschaft und der zugehörigen Communities führt. So wurde schließlich die Versionierung auf Version 4.0 der Creative-Commons-Lizenzen vor allem eingeleitet, um beim bisherigen Umgang mit Daten umzusteuern.
Der gewählte Weg liegt zwischen der früheren Neutralisierung des Datenbankenherstellerrecht und dem Export dieses Rechts in Länder, in denen die Gesetze es gar nicht vorsehen. Die Creative-Commons-Lizenzen ab Version 4.0 werden das Datenbankenherstellerrecht unter Bedingungen mitlizenzieren, wie sie es mit dem Urheberrecht und weiteren, damit verwandten Schutzrechten schon lange tun. Dies wird jedoch nur in den Ländern greifen, die gesetzlich überhaupt diesen Datenbankenschutz vorsehen. In allen anderen Ländern bleibt es dabei, dass die CC-Lizenzen – anders als ODbL und ODC BY – keinen Versuch unternehmen, ein Datenbankenherstellerrecht vertraglich nachzubauen.
CC-Lizenzen nun auch für Daten so einsetzbar, wie man es fürs Urheberrecht seit Jahren gewöhnt ist
Man kann sagen, dass CC-Lizenzen nun endlich auch für Daten so einsetzbar sind, wie man es fürs Urheberrecht schon seit rund 10 Jahren gewöhnt ist. Da im Netz inzwischen fast aller Content irgendwie in Datenbanken steckt, wird es spannend sein, die Auswirkungen zu beobachten, die der Sinneswandel von Creative Commons haben wird. Dass das OSM-Projekt in absehbarer Zeit wieder auf CC-Lizenzen zurückwechseln wird, ist allerdings eher unwahrscheinlich. Zu aufwändig und zu konfliktreich war die letzte Umstellung, als dass man der OSM-Community so etwas noch einmal zumuten wollte. Dennoch könnte 2013 das Jahr des Anfangs vom Ende der Spaltung der Open-Data-Communities gewesen sein.
John H. Weitzmann hat Rechtswissenschaften mit Schwerpunkt Urheber- und Medienrecht studiert. Er arbeitet als Rechtsanwalt und Journalist bei iRights in Berlin, ist seit 2006 als Projektleiter Recht von Creative Commons Deutschland aktiv und wurde zudem zum Regionalkoordinator der europäischen Creative-Commons-Projekte ernannt.
Dieser Text ist im Rahmen des Heftes „Das Netz – Jahresrückblick Netzpolitik 2013-2014“ erschienen. Sie können es für 14,90 EUR bei iRights.media bestellen. „Das Netz – Jahresrückblick Netzpolitik 2013-2014“ gibt es auch als E-Book, zum Beispiel über die Affiliate-Links bei Amazon und beim Apple iBook-Store, oder bei Beam.
Was sagen Sie dazu?