Jimmy Schulz (FDP) zum Online-TV: „Wir brauchen ein Wertesystem“
iRights.info: Sie haben Ende 2012 eine Diskussion zum Thema Internetfernsehen veranstaltet. Warum sollte sich die Politik damit beschäftigen?
Jimmy Schulz: Wir erleben derzeit eine dramatische Veränderung. Das Online-Fernsehen wird den Markt in den kommenden Monaten komplett aufrollen. Die Fernseher, die jetzt verkauft werden, sind fast alle online-tauglich. Schon mit dem Weihnachtsgeschäft eroberte das Internet die Wohnzimmer. Neue Angebote wie GoogleTV starten. Die Politik ist gut beraten, den Durchbruch des Online-Fernsehens zu begleiten und nicht erst im Nachhinein mit den Folgen konfrontiert zu werden.
Wie schnell alles geht, zeigt das Internetradio. Es ist inzwischen normal, mit den neuen Geräten aus 30.000 Sendern auswählen zu können. Ich selbst höre online in Berlin jeden Morgen den Bayerischen Rundfunk, um zu wissen, was in meinem Wahlkreis passiert. Über das normale UKW-Radio könnte ich den nicht empfangen. Im Online-Fernsehbereich sind wir aber immer noch in einer Findungssphase. Es gibt unterschiedliche technische Standards, etwa den „Hybrid Broadcast Broadband TV“-Standard (HBBTV), aber noch keine flächendeckende Lösung. Doch das kommt alles noch.
“Grenzen spielen keine Rolle mehr”
iRights.info: Welche Entwicklungen müsste die Politik denn im Auge behalten?
Jimmy Schulz: Wir müssen den Wandel verinnerlichen. Bisher durften nur zugelassene Sender ein Programm ausstrahlen. Erst seit Mitte der 80er gibt es überhaupt Privatsender, auch sie brauchen eine Lizenz. Durch das Internet-Fernsehen ist allerdings prinzipiell alles zu sehen. Die große Frage ist nun, ob noch jemand darüber bestimmt, was wir sehen. Bislang entschieden die Landesmedienanstalten, welche Sender ins Netz eingespeist werden. Sie beanstanden auch mal ein Programm.
Bald sind aber in jedem Wohnzimmer Inhalte verfügbar, für die niemand eine Lizenz beantragt hat oder braucht. Die nationalstaatlichen Grenzen spielen technisch keine Rolle mehr. Das ist ja eigentlich gerade das Schöne am Internet, an der digitalen Globalisierung, dass sich die Grenzen auflösen. Allerdings gibt es rechtliche Fragen, die beispielsweise das Urheber- und Persönlichkeitsrecht betreffen, die diese Grenzauflösung vor große Herausforderungen stellen, da jedes Land der Welt eigene Gesetze hat. Hier steht die Politik vor einer großen Herausforderung. Der Gesetzgeber muss jetzt sehen, wie er damit umgehen kann und muss.
iRights.info: Man könnte einfach sagen: Nein. Wir brauchen niemanden mehr, der knappe Sendeplätze vergibt, denn es gibt unendlich viele davon. Konflikte mit dem Urheber- und Persönlichkeitsrecht sollen die Beteiligten unter sich ausmachen. Die Gesetze sind ja da….
Jimmy Schulz: Man kann natürlich zu dem Schluss kommen, nein, es sollte überhaupt keine staatliche Kontrolle geben. Für mich als Liberalen erscheint mir diese Idee, betrachtet man die Seite der Inhalteanbieter, auch erst einmal attraktiv. Dann bräuchten wir auch die entsprechenden Behörden und Gremien nicht mehr. Aber es geht nicht nur um den Wettbewerb zwischen den Sendern, sondern auch um die Rechte und den Schutz der Empfänger: Es wird beispielsweise wenn es um den Jugendschutz geht Widerstände geben.
“Auf Internet-Sender im Ausland haben wir aber keinen Einfluss”
iRights.info: Seit seinen Anfängen ist das Internet auch eine Art Rund-um-die-Uhr Pornokino. Es wirkt etwas schizophren, wenn die lizenzierten Fernsehsender gleichzeitig Filme ab 18 erst spät in der Nacht senden dürfen. Die Büchse der Pandora steht seit 15 Jahren offen…
Jimmy Schulz: Ja. Wir hatten ja auch schon die Diskussionen um eine Sendezeit für Internetangebote. Die wären aber sicherlich keine Lösung. Denn, das Internet lässt sich nicht national beschränken. Doch nun haben wir mit dem Online-Fernsehen nochmal eine neue Dimension. Jetzt erreichen Netzinhalte auch die nicht-internet-affinen Menschen, jeden Abend, im Wohnzimmer. Sie treten in direkte Konkurrenz mit den klassischen Medien und Kanälen. Die Mediennutzung wird sich deshalb radikal verändern. Die Politik kann das Internet nicht weiter ignorieren wie bisher und sich nur an den alten Kanälen, den etwa 40 Sendern in Deutschland, orientieren. Das heißt nicht, dass wir jetzt überhaupt keine Regelungen mehr brauchen. Wir benötigen eine verbesserte internationale Zusammenarbeit, müssen mit den Sendern der Inhalte in Dialog treten und Lösungen diskutieren, Medienkompetenz in alle Haushalte in Deutschland bringen und die politische und gesellschaftliche Debatte darüber anstoßen. Hier liegt noch viel Arbeit vor uns.
iRights.info: Das freie Internet ist zwangsläufig auch ein nichtreguliertes Weltfernsehen. Mit dem anti-islamischen Mohammed-Video haben wir erlebt, dass die Regierungen eben keinen Einfluss darauf haben. Soll eine deutsche oder amerikanische Medienanstalt zu Google sagen dürfen: ‚nehmt das runter‘? Aus dem Netz würde man es sowieso nicht bekommen….
Jimmy Schulz: Jeder Staat hat seine eigenen Regeln, gesellschaftlichen Normen und Moralvorstellungen. Viele Länder sind weit weniger freiheitlich orientiert als Deutschland. Bei Inhalten, wie dem Mohammed-Video, wird das tatsächlich zur Gradwanderung. Das ist übrigens kein Film, sondern erbärmlicher Trash. Und ich verstehe sehr gut, dass sich Menschen davon beleidigt fühlen. Nur rein rechtlich und technisch sehe ich einfach keine Chance für den Staat, die Veröffentlichung im Internet zu unterbinden. In diesem Fall bestimmt mit der Google-Tochter Youtube letztlich eine amerikanische Firma, was wir sehen und was nicht. Diese Fragen werden immer wieder auftreten. Wir werden uns auch fragen, was wir mit rechtsradikalen, etwa antisemitischen Filmen machen. Hier in Deutschland können wir sie verbieten, auf Internet-Sender im Ausland haben wir aber keinen Einfluss.
Stärkung der Medienkompetenz
iRights.info: Was fordern Sie?
Jimmy Schulz: Wir müssten letztlich eine weltweite Debatte über die Zukunft des Fernsehens und des Rundfunks führen. Wir müssen über gesetzliche Leitplanken reden. Auf internationaler Ebene müssten wir eine Art Common Sense bekommen, ein Wertesystem, wie wir mit dem Internetfernsehen umgehen. Eine institutionalisierte Plattform dafür könnte das Internet Governance Forum (IGF) der Vereinten Nationen bieten. Aber auch in Deutschland brauchen wir den Dialog mit den Sendern der Inhalte und die Stärkung der Medienkompetenz muss in möglichst allen Haushalten in Deutschland vorangebracht werden.
Sender in jedem Kinderzimmer
iRights.info: Kommen wir zu den ökonomischen Aspekten. Schon jetzt geht bei den Sendern die Angst um, sie könnten ihre Werbeeinnahmen an Plattformen wie Google TV verlieren. Wird es hier Konflikte geben wie bereits in der Musik- und Verlagswirtschaft?
Jimmy Schulz: Der Umbruch wird noch lange nicht in seiner ganzen Tragweite erfasst. Nehmen wir das Beispiel TV-Serien. Nichts hindert die US-Studios daran, die Serien selbst in Deutschland zu vermarkten. Sie brauchen die Infrastruktur und Lizenzen der Sender nicht mehr. Es war früher ein großer technischer und auch rechtlicher Aufwand, einen Sender aufzubauen und einer Serie in alle Haushalte zu transportieren. Das ist heute nicht mehr so. Heute steht die technische Möglichkeit, einen Inhalt in alle Haushalte zu senden in nahezu jedem Kinderzimmer. Jeder kann Sender sein. Das ist ja längst Realität. Es stellt sich die Frage: Brauche ich als Verbraucher noch jemanden, der mir ein Programm plant und den Tag über vorsetzt? Eigentlich nicht. Ich kann online jederzeit selbst auswählen, was ich wann sehen möchte. Gebraucht werden eigentlich nur Institutionen, die Inhalte vorfinanzieren, produzieren und vermarkten. Das müssen nicht die heutigen Sender sein.
Zur Person:
Jimmy Schulz (MdB) ist Netzpolitiker und Obmann der FDP-Fraktion in der Enquête-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestages.
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