Im Maschinenraum der digitalen Gesellschaft: Monika Dommann über Datencenter in der Schweiz
Als im März ein großes Datencenter in Straßburg niederbrannte, waren tausende Menschen von Datenverlust betroffen: Sie hatten ihre digitalen Daten auf dortigen Servern, in der sogenannten „cloud“, abgespeichert.
Wo solche Datencenter stehen, wie sie aussehen und funktionieren, das ist Verbraucher*innen selten bewusst. Ein Interview über die (oft unsichtbare) Infrastruktur der digitalen Gesellschaft, die Schweiz als Speicherstandort und den Einfluss der Strompreise auf die Ortswahl.
iRights.info: Frau Prof. Dr. Dommann, für das Buch Data Centers und die Ausstellung Wired Nation haben Sie sich intensiv mit der digitalen Infrastruktur beschäftigt und verschiedene Orte dieser kritischen Infrastruktur in der Schweiz besucht.
Monika Dommann: Ja, für das Buch sind wir an Orte gegangen, die im weiten Sinn zur digitalen Infrastruktur gehören. Wir haben nicht nur auf data centers geschaut, auf Kabelknotenpunkte und Kabelschächte. Stattdessen wollten wir herausfinden, was an Standorten passiert, die irgendwie verbunden sind mit dem, was man heute gerne „cloud“ nennt. Das waren vor allem Orte auf dem Land, nicht in den Städten.
Wir haben dabei auch mehr von den Rändern geschaut. Das heißt, wir sind nicht zu Amazon, Google oder Alibaba gegangen. Das wäre auch nicht so einfach gewesen, denn das sind ja sehr verschlossene und security-gesicherte Firmen.
Dabei haben wir ganz Unterschiedliches, manchmal auch Unerwartetes gefunden. Vor allem aber, und das wollten wir auch zeigen, weil einige von uns Historikerinnen und Historiker sind, dass die Digitalisierung schon länger geht. Diese Geschichte hat nicht einfach irgendwie nach 2000 angefangen, sondern da gibt es bereits länger verschiedene Schübe. Manche Standorte sind schon wieder aussortiert und zu Industrieruinen geworden, wie das Beispiel des ERZ Ostermundigen bei Bern zeigt.
Monika Dommann ist Historikerin an der Universität Zürich und hat schon zur Geschichte des Urheberrechts und der Entwicklung der Logistik geforscht. Mit Hannes Rickli und Max Stadler hat sie Ende 2020 das Buch „Data Centers. Edges of a Wired Nation“ bei Lars Müller Publishers herausgegeben. In Essays und Fotografien widmen sich verschiedene Autor*innen der digitalen Infrastruktur in der Schweiz, ihren Orten und ihrer Geschichte.
Wie sahen die Orte aus, die Sie besichtigt haben?
Wir kennen ja die Symbolbilder von Server-Rack-Anlagen und Hyperscaler-Rechenzentren, die clean sind, groß und menschenlos, letztlich austauschbar. Wir sind da aber auf eine größere Diversität gestoßen. Auf temporäre oder improvisierte Anlagen, zum Beispiel für das Schürfen von digitalen Währungen in einem kleinen Dorf im Wallis. Das stammt noch aus der kurzen Zeit zwischen 2008, als Bitcoin lanciert wurde, und 2018, als der Energieverbrauch rapide anstieg, in der Leute mit spezifischem Know-How und ohne viel Kapital so viel Geld verdienen konnten. Das gibt es heute in der Schweiz nicht mehr.
Wir sind aber auch an Orte gegangen, wo man vordergründig gar nicht so viel sieht. Das ist mir auch wichtig: dass man nicht die Vorstellung hat, immer was zu sehen oder gleich zu wissen, wonach man sucht.
Etwas zu suchen, ohne genau zu wissen, was man sucht – das klingt interessant. Und ein bisschen paradox. Wie genau meinen Sie das? Können Sie ein Beispiel geben?
Ich habe mich zum Beispiel mit dem Cryptovalley in Zug beschäftigt. Zug ist eine Stadt, in der schon seit den 1960er und 1970er Jahren sehr viele Wirtschaftskanzleien angesiedelt sind. Die haben dann auch den ganzen Bitcoin- und Blockchain-Technologien ihre Dienste angeboten. Das Cryptovalley ist also eine Marketing-Idee oder klassische Standortpolitik, aber trotzdem ist da etwas passiert, was wiederum eine Geschichte hat: die Geschichte dieser Anwaltskanzleien und dass das mal ein kleiner Industriestandort war, den es jetzt so nicht mehr gibt.
Gleichzeitig ist das auch eine Geschichte von Recht und Regulierung. Denn obwohl die cloud in unserer Vorstellung etwas Standortloses ist und etwas, das Nationen überschreitet, dockt sie letztlich wieder an ganz konkreten Standorten an. Dass diese Standorte wieder mehr in Anschlag gebracht werden, das können wir ja gegenwärtig auch beobachten: dass Nationen ihre Rechtsgebilde wieder in den Ring werfen im Buhlen um die Player der New Economy.
„Erst wenn sie nicht mehr laufen, werden diese Systeme wahrnehmbar.“
Vor wenigen Wochen hat es bei dem französischen Cloud-Anbieter OVH in Straßburg gebrannt. So wurde deutlich, wie angreifbar die digitale Infrastruktur sein kann – und damit auch unsere Daten. Warum wissen wir so wenig darüber, wo unsere Daten gespeichert werden, wie sie transportiert werden und wie vulnerabel die Infrastruktur dahinter ist?
Mit jeder Technologie ist es so: Wenn sie einmal installiert ist und läuft, braucht man sich als Nutzer scheinbar nicht mehr darum zu kümmern. Das ist ein altes Argument der Science and Technology Studies, dass man diese Technologien erst dann wieder sieht, wenn etwas nicht läuft, wenn es Unfälle, Pannen oder Störungen gibt. „Ah, da läuft was nicht mehr, die Daten sind weg!“ Wie das Centre Pompidou, das ja anscheinend auch von dem Brand betroffen war. Das sind black boxes, geschlossene Systeme, die laufen, und erst, wenn sie nicht mehr laufen, werden sie wahrnehmbar.
Gibt es bestimmte Aspekte und Folgen digitaler Infrastruktur, wo Verbraucher*innen genauer hinsehen sollten?
Da sind zum einen die Rohstoffe, die in den Geräten drinstecken. Das ist verbunden mit einer alten Globalgeschichte von Rohstoffen, die im globalen Süden gewonnen werden und irgendwo anders auf der Welt, zum Beispiel in Asien, in Riesenfabriken verarbeitet werden, bevor sie distribuiert und konsumiert werden.
Das zweite ist die Frage der Energie, des Energieverbrauchs und des Klimas, die durch eine neue Generation von, ja, Usern wieder knallhart auf den Tisch gelegt worden ist. Da gibt es mittlerweile viel Forschung dazu, wie man die Superrechner und Clouds energieeffizienter machen könnte. Es ist eben nicht folgenlos, wenn gestreamt wird, denn die Energie dafür muss ja irgendwo herkommen. Sie hat einen Preis und vielleicht ist der zu niedrig, weshalb sie so verschwendet werden kann.
Das dritte ist die rechtliche Dimension, also die Frage der Regulierung von digitalen Infrastrukturen. Das wurde bisher nur von Nerds verstanden oder von ganz spezifischen Rechtskanzleien, mittlerweile gibt es aber auch aktivistische Juristinnen oder NGOs, die sich da engagieren. Am Ende muss die Öffentlichkeit sich überlegen, wie sie diese Technologien organisieren möchte: ob in privater oder öffentlicher Hand und wo sie regulativ einschreiten möchte.
Der Mythos vom alpinen Wunderland
Beim Lesen Ihres Buches gewinnt man den Eindruck, dass die digitale Infrastruktur stark auf bereits bestehender Infrastruktur aufbaut.
Ja, das führt unter anderem zu dem, was wir in der Geschichte Pfadabhängigkeiten nennen. Denn die Standorte digitaler Infrastruktur sind meist nicht zufällig gewählt. Sie setzen da an, wo schon Anlagen vorhanden sind, zum Beispiel, weil da im 20. Jahrhundert Eisenbahninfrastrukturen hochgezogen worden sind und Elektrizitätskraftwerke gebaut wurden. Oder indem man für die Notstromaggregate wieder einen ganz alten Motor nimmt, den Dieselmotor.
Es ist nicht rein zufällig, wie die Digitalisierung vonstattengeht; wie sie organisiert wird, wo sie stattfindet und wo sie nicht stattfindet.
Auf den Fotos aus dem Buch wirken die data centers oft unscheinbar, funktional und als ob sie an jedem Ort der Welt stehen könnten. Was macht die Schweiz so attraktiv als Standort?
Da muss man unterscheiden zwischen Narrativen, wie sie auch durch Medienberichte zustande kommen und den realen Praktiken. Nach Ende des Kalten Krieges stellte sich die Frage, wie sich die Schweiz, die neutral war und die spezielle Dienste zur Verfügung stellte – zum Beispiel auf dem Parkett der Diplomatie, aber auch auf dem Gebiete von Steuern – positionieren sollte.
Ab den Nullerjahren, als der Plattform-Kapitalismus so richtig an Fahrt aufnahm, wurden alte Narrative, die wir aus der Geschichte kennen, wieder dominant: Die Schweiz, das Bergland mit Bunkern, in dem materielle, aber eben jetzt auch immaterielle Dinge sicher aufbewahrt werden können, weil das ein Ort der Sicherheit und der Neutralität ist.
Das andere ist natürlich der Versuch, mit sehr schnellen und flexiblen Regulierungen einen Standortvorteil zu haben. Da ist die Schweiz nicht allein, zum Teil ist sie dabei auch wieder überholt worden. Deutschland, Großbritannien, Island, Irland und Singapur beispielsweise sind auch wichtige Player. Im Moment sehen wir da eine Nationalisierung oder Renationalisierung des Internets und der cloud.
Fraglich ist, ob die geographischen Bedingungen in der Schweiz wirklich so optimal sind. Denn diese Großanlagen stehen heute anderswo, an Orten, an denen es kälter und wo vielleicht der Strom günstiger ist, in China, in der Mongolei oder in nordeuropäischen Ländern. Der Standort spielt zwar eine Rolle in Sachen Preis, besonders der Strompreis ist da wichtig. Aber wichtiger als der physisch-geographische Standort scheinen mir die politischen und rechtlichen Umgebungen zu sein.
Menschen und Maschinen
In Ihrem Buch sind Räume voller Server, Maschinen und Kabel zu sehen, aber kaum Menschen. Auch bei Ihren Recherchen haben Sie nur wenige Personen angetroffen. Spielen Menschen keine Rolle in der digitalen Infrastruktur?
Am Anfang hatten wir tatsächlich die romantische Idee, mit den Menschen zu reden, die in den data centers arbeiten. Aber sind sie natürlich nicht mehr vor Ort, denn da konnte man sie weitgehend ersetzen.
Das ist der Witz von Infrastrukturen: Sie sind sehr arbeitsintensiv, wenn sie errichtet werden, aber wenn sie mal laufen, dann benötigen sie nicht mehr viele Menschen. Wenn data centers gebaut werden, sind extrem viele Menschen mit sehr vielen verschiedenen Berufen nötig, aber nachher werden sie ersetzt. Auch die Sicherheit ist längst an Maschinen delegiert und selbst in der vorgelagerten Infrastruktur, zum Beispiel in Wasserkraftwerken, finden Sie nicht mehr viele Menschen.
Wo wird denn die menschliche Arbeitskraft dann benötigt? Wie werden data centers von Menschen gewartet?
Tatsächlich sind sehr viele Menschen damit beschäftigt, die cloud am Laufen zu halten. Zum Beispiel die Rack-Anlagen, die müssen maßgeschneidert montiert werden und das sind oft kleine und mittlere Unternehmen oder Handwerksbetriebe, die so etwas herstellen. Das wird nicht standardmäßig geliefert.
Daneben gibt es viele weitere Berufsgruppen. Für das Buch habe ich ja die Rolle der Anwaltskanzleien für die digitalen Währungen untersucht. Daneben müsste man sich noch die Zertifizierungsunternehmen anschauen, denn die data centers werden zertifiziert (wie beispielsweise beim Datenzentren-Betreiber green, Anm. d. Red.) und die wollen natürlich alle die höchste Zertifizierung kriegen. Oder die Wissenschaft, die versucht, die Prozessoren energieeffizient zu machen.
Werfen wir noch einen Blick nach vorne: Wie sieht die Zukunft der (digitalen) Infrastruktur-Forschung aus?
Eigentlich wissen die wenigsten Menschen, was die digitale Infrastruktur überhaupt bedeutet. Das sollten wir viel mehr erforschen. Ganz unaufgeregt und mit ganz simplen Fragen einsteigen.
Als Historikerin bin ich schon von Berufs wegen sehr unaufgeregt, weil ich weiß, das ist nicht die erste technische Revolution. Aber dass es ein Riesenbedürfnis gibt, darüber mehr zu wissen, das haben wir auch bei unserer Ausstellung erfahren. Viele Besucher haben mir später gesagt, sie hätten von dieser Welt keine Ahnung gehabt.
„Data Centers. Edges of a Wired Nation“ von Monika Domman, Hannes Rickli und Max Stadler, erschienen bei Lars Müller Publishers. 344 Seiten mit 125 farbigen Bildern, 35,- €.
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