Im Lizenzbaumarkt: Creative Commons als alternatives Modell
Recht zu haben und Recht zu kriegen, sind bekanntlich zwei Dinge, die nicht viel miteinander zu tun haben müssen. Und Recht zu studieren, ist schon gar nicht jedermanns Sache. Das ändert allerdings nichts daran, dass das Recht alle Lebensbereiche durchdringt und auch vor den Weiten des Netzes nicht Halt macht. Ganz im Gegenteil: Die Welt des Internet wird immer stärker reguliert und mit rechtlichen Gebilden ausstaffiert.
Ob dieser Prozess gutzuheißen ist oder eher gebremst werden sollte, ist sehr umstritten – wirklich aufzuhalten ist er wohl kaum. Darum wird es immer wichtiger, dass man als Netznutzer mit dem Recht des Netzes einigermaßen selbstbestimmt umgehen kann. Das allerdings wird dadurch erschwert, dass ein Großteil des Netzrechts einem Rechtsgebiet angehört, dass sogar unter gestandenen Juristen als kompliziert bis verzwickt gilt: Es geht um Urheberrecht und geistiges Eigentum.
Urheberrecht für alle – zwangsweise
Schuld an dieser Situation ist vor allem die Technik. Das Internet ist technisch gesehen eine große Maschine zum Vervielfältigen, Verbreiten und Vorführen nicht-körperlicher Dinge. Genau das ist die ganz klassische Materie des Urheberrechts. Dazu kommt die immer besser werdende Technik heutiger Computer. Je einfacher und schneller damit gebloggt, gerippt, gemixt und gephotoshoppt werden kann, desto öfter werden früher eher passive Konsumenten von geistigem Eigentum zu Schöpfern geistigen Eigentums. Das Urheberrecht wiederum fordert keine Registrierung als Urheber oder ähnliches, ja noch nicht einmal irgendeine innere Ambition, dass man Urheber sein will. Wer Kreatives und Neues schafft, wird deshalb automatisch zum Urheber im Rechtssinne, ob er will oder nicht. Damit fangen die Probleme aber erst an.
Sobald eine Grafik, ein Wikipedia-Artikel oder der selbstgedrehte Clip vom letzten Urlaub einmal entstanden ist, existiert ein neues „Werk“, und das Urheberrecht mischt sich ein. Dabei wissen manche der Betroffenen paradoxerweise nicht einmal, dass sie nun Urheber mit vollen Schutzrechten sind. Andere wissen es, sind aber an diesem Schutz gar nicht interessiert, und wieder andere wollen vielleicht nur davor geschützt sein, dass unerwartet jemand anderes mit ihren geschützten Werken reich wird.
Um diese unterschiedlichen Interessen aber in rechtlich einwandfreie Worte und Verträge zu fassen, bräuchte es normalerweise ausgebildete Juristen. Die zu bezahlen, kann und will sich nicht jeder leisten, schon gar nicht wenn er eher unfreiwillig zum Urheber im Rechtssinne geworden ist. Oft würde ein solcher Aufwand auch völlig außer Verhältnis zum jeweiligen Nutzen stehen. Warum sollte man sich denn auch rechtlich beraten lassen wegen einer schnell gefertigten Grafik, die womöglich niemanden da draußen interessiert?
Normalfall: Alle Rechte vorbehalten
Nun kann es aber doch mal vorkommen, dass die Grafik jemanden interessiert – bei dem sie zum Beispiel durch Zufall ganz genau für das Cover der nächsten Ausgabe seiner Vereinszeitung passt. Über Bildersuchmaschinen ist so ein zum Thema passendes Bild mitunter schnell ausfindig gemacht. Woran soll der Vereins-Chefredakteur aber nun erkennen, was er mit dem Bild machen darf? Das Urheberrecht gebietet hier im Zweifel: Alle Rechte vorbehalten, mit anderen Worten, nichts ist erlaubt! Und wenn der Urheber nun gar nichts dagegen hat, dass das Bild die Kaninchenzüchter andernorts über das Thema ihres Vereinshefts aufklärt?
Der Redakteur kann natürlich versuchen, den Urheber irgendwie per Mail zu erreichen und sich bei Absage nach und nach bei den Urhebern anderer passender Bilder durchfragen, bis jemand zustimmt. Das kostet viel Zeit, und oft sind Urheber nur mit großer Mühe überhaupt zu ermitteln. Oder er schreibt gleich ein Dutzend Anfragen auf einmal, von denen die Mehrzahl positiv ist. Dann haben sich mehrere Personen vollkommen umsonst mit der Anfrage befasst, weil ja nur eines der infrage kommenden Bilder verwendet werden soll.
Es sind noch unzählige Szenarien ähnlich dem der Vereinszeitung denkbar, die verdeutlichen, dass der Urheberrechtsschutz nicht selten über das Ziel hinausschießt. Und auch außerhalb der Welt der Laien erweist sich das Urheberrecht allzu häufig als Kreativitätsbremse, die sich oft nicht einmal wirtschaftlich rechtfertigen lässt. Ein Großteil der früheren Vertriebsstrukturen geistiger Inhalte, die sich nämlich vor allem mit physischen Trägern dieser Inhalte befasst haben, ist durch die Entstehung des Internets überflüssig geworden. Diese Strukturen bestanden beispielsweise aus einem Heer von Vertriebsmitarbeitern, die für eine einigermaßen nachfrageorientierte Versorgung von Musikgeschäften mit Tonträgern sorgten. Das war sehr teuer und zu viele gepresste CDs stellten außerdem einen ernsthaften wirtschaftlichen Schaden für die Produzenten dar.
Es waren diese wirtschaftlichen Risiken, aus denen der strikte Normalfall des Urheberrechts entstanden ist: „Alle Rechte vorbehalten“. Auch wenn häufig das Wohl der Urheber als Argument für strengen Urheberrechtsschutz angeführt wurde und wird, waren es doch meist eher wirtschaftliche Notwendigkeiten, die im Hintergrund regierten und teils sogar zur künstlerischen Entmündigung der Kreativen führten. Die Plattenfirma konnte zu Recht darauf verweisen, dass sie letztlich das wirtschaftliche Risiko einer Fehlinvestition tragen würde, und sich dann über sehr einengende Plattenverträge eine weitgehende Kontrolle über ihre Künstler sichern.
Bekanntheit statt Verknappung
Das Internet und andere Technologien haben die Regeln dieses Spiels verändert. Der reine Vertrieb beispielsweise von Musik kostet fast nichts mehr, Marketing und Werbung werden heute häufig durch die Künstler selbst übers Netz besser gemacht als durch zentralisierte Verkaufsabteilungen. Aufnahme und Produktion kosten zwar noch immer nennenswerte Beträge, aber auch wesentlich weniger als noch vor wenigen Jahren. Damit haben Urheberschutzrechte großenteils die Funktion verloren, einen adäquaten Ausgleich für wirtschaftliche Risiken zu sichern.
Dass dies sich kaum in Gesetzesanpassungen niedergeschlagen hat, erzeugt den Eindruck, dass das gesetzte Recht zunehmend einseitig althergebrachte Geschäftsmodelle schützt, anstatt sich an den Bedürfnissen von Kreativen und Allgemeinheit zu orientieren. Für die meisten Kreativen ist mangelnde Bekanntheit das größere Problem als der monopolisierte Absatz von Werkkopien. Nur wer bekannt und begehrt ist, kann überhaupt über Einnahmen aus künstlerischem Schaffen nachdenken. Eine rechtlich unterstützte Verknappung ihrer Werke ergibt daher für die große Mehrheit der Urheber wenig Sinn. Hinzu kommt, dass Untersuchungen darauf hindeuten, dass sogar bei lang etablierten Künstlern die (in der Regel illegale) freie Verfügbarkeit ihrer Werke in Tauschbörsen den Verkauf physischer Medien nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern noch fördert.
Urheberrecht für alle – aber selbstbestimmt!
All dies ist nach wie vor sehr umstritten, nicht nur in Bezug auf den Musiksektor. Aktivisten, Lobbyisten und Kreative versuchen weltweit, die Deutungshoheit über die durch Netz und Digitaltechnik ausgelösten Entwicklungen zu gewinnen. Und während im Zuge dieser Streitereien ganze Bevölkerungsschichten kriminalisiert werden, ohne dass die Politik so richtig wüsste, was am besten zu tun wäre, hat sich seit dem Jahr 2001 mit Creative Commons (kurz: CC) ein neuer Lösungsweg entwickelt. Er umgeht die träge und teilweise wirtschaftlich instrumentalisierte Gesetzgebung, die noch immer am „Alle Rechte vorbehalten“ als gesetzlichem Normalfall festhält. Das Zauberwort heißt „Privatautonomie“ (engl. „private order“).
Creative Commons bietet rechtlich solide Texte an, durch die aufgrund privater, selbstbestimmter Entscheidung jeder Urheber auch ohne juristische Ausbildung eine stufenweise Freigabe seiner Werke vornehmen kann. Es handelt sich bei diesen Texten um insgesamt sechs Standardlizenzen, die inzwischen einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht haben und jeweils von einem weiteren Dokument begleitet werden, das die Lizenzbedingungen in ganz einfachen Worten erläutert.
Durch Verknüpfung eines eigenen Werkes mit einer dieser Standardlizenzen kann jeder juristische Laie im Ergebnis den gesetzlichen Normalfall „Alle Rechte vorbehalten“ nach eigenen Wünschen durch ein „Manche Rechte vorbehalten“ ersetzen. Wer möchte, kann mittels der außerdem verfügbaren Erklärung namens CC0 (sprich „CC Zero“) sogar auf alle Urheberrechte verzichten und ein Werk dadurch in die sogenannte „funktionale“ oder „voluntative“ Gemeinfreiheit entlassen.
Lizenz für jedermann
Auf diese Weise kann man sich als Kreative oder Kreativer heute weitgehend von den urheberrechtlichen Kämpfen abkoppeln. Die Standardlizenzen werden durch Creative Commons bei einer Veränderung des jeweiligen Urheberrechtsgesetzes so angepasst, dass letztlich wieder die gewünschte Reduzierung des urheberrechtlichen Schutzes entsteht. Wohin die Gesetzgebung sich also auch entwickeln mag, man kann den eigenen Werken und ihren Nutzern diejenigen Freiheiten verschaffen, die man für richtig hält. Diese Entscheidung ist dann allerdings – im Sinne möglichst großer Rechtssicherheit – unwiderruflich und gilt gegenüber jedermann.
Ausgeübt wird sie durch eine relativ simple Kennzeichnung der betreffenden Werke mit dem passenden Lizenzhinweis. Das geschieht meist online, d. h. durch Einbettung eines Stückes HTML-Text (Standardsprache des World Wide Web, mit der maschinenlesbare Dokumente erstellt werden) mit Metadaten zu Werk und Urheber sowie ebenfalls enthaltenen Links zum Lizenztext und zu einem leicht wiedererkennbaren Lizenzbutton. Es kann aber auch offline ein physischer Gegenstand, wie etwa eine CD, mit dem Lizenzhinweis versehen werden, wobei dann der Link auf den Lizenztext durch die ausgeschriebene URL zu ersetzen ist.
Sobald dann ein Dritter ein so gekennzeichnetes Werk in einer Weise nutzt, für die normalerweise eine Erlaubnis erforderlich wäre, die aber durch die Lizenz erfasst und somit bereits erlaubt ist, entsteht zwischen dem Urheber (Lizenzgeber) und dem Nutzer (Lizenznehmer) ein Nutzungsvertrag. In anglo-amerikanischen Rechtsordnungen (Copyright) handelt es sich hierbei zwar nicht um einen gegenseitigen Vertrag, sondern um eine einseitige Lizenzgewährung, das hat jedoch in der Praxis kaum Unterschiede zur Folge. Da außer dem reinen „geistigen Konsum“ eines Werkes so gut wie alle Nutzungen erlaubnispflichtig sind, entstehen so letztlich sehr viele einzelne Nutzungsverträge, ohne dass auch nur ein einziges Aushandeln notwendig wäre, denn im Lizenztext ist ja bereits alles Wichtige geregelt.
Lizenz erlischt bei Missbrauch
All diese Verträge haben als einen Vertragspartner den Urheber. Wenn also ein erster Nutzer das Werk an einen zweiten Nutzer weitergibt, entsteht ein weiterer Vertrag zwischen diesem Zweiten und dem Urheber – und keine Kette von Verträgen. Das bedeutet: Missachtet einer der Nutzer später die Lizenzbedingungen, so erlischt sein persönlicher Nutzungsvertrag mit dem Urheber, während alle anderen Nutzungsverträge bestehen bleiben (auch wenn sie erst durch eine Weitergabe über den Lizenzbrecher möglich gemacht wurden).
Die Missachtung der Lizenzbedingungen ist faktisch der einzige Fall, in dem ein CC-Nutzungsvertrag vor Ablauf der Schutzfrist des jeweiligen Werkes enden kann. Dann „regiert“ zwischen dem Lizenzbrecher und dem Urheber wieder der gesetzliche Normalfall des „Alle Rechte vorbehalten“. Der Urheber kann dann ganz normal gerichtlich gegen den Lizenzbrecher vorgehen. Derartige Fälle hat in Europa bereits mehrfach gegeben und sie haben auch vor Obergerichten die Funktionsweisen der CC-Lizenzen bestätigt.
Man erkennt an diesem Mechanismus sehr gut, wie unbedingt alle Standardlizenzsysteme auf das gesetzte Urheberrecht als Funktionsbasis angewiesen sind. Erst der drohende Rückfall auf „Alle Rechte vorbehalten“ macht das „Manche Rechte vorbehalten“ kontrollierbar, schafft einen nicht umgehbaren Druck zur Einhaltung der vier kombinierbaren CC-Lizenzbedingungen „Namensnennung verpflichtend“ (abgekürzt BY), „Keine kommerzielle Nutzung erlaubt“ (NC), „Weitergabe von Bearbeitungen nur unter identischen Bedingungen erlaubt“ (SA) und „Keine Bearbeitungen erlaubt“ (ND).
Freiheit im, nicht Freiheit vom Urheberrecht
Genau wie der Baumarkt für Heimwerker unter anderem auf das Strafrecht angewiesen ist, um nicht sehr schnell ausgeplündert zu werden, ist der „Lizenzbaumarkt “ von Creative Commons also auf das Urheberrechtsgesetz angewiesen, um wie vorgesehen zu funktionieren. Er ist eine Ergänzung zum gesetzlichen Normalfall und darum könnten – wenn man einmal weiterdenkt – Teile der CC-Lizenzen oder auch das gesamte Set von Lizenzen überflüssig werden. Das würde nämlich in dem Moment geschehen, in dem dieselben Freiheiten im Gesetz als Standard vorgesehen werden, die Creative Commons in seine Lizenzen eingebaut hat.
Dass es soweit kommt, ist zwar schon wegen der Unterschiedlichkeit der sechs CC-Lizenzen ziemlich unwahrscheinlich, zeigt aber, dass die CC-Lizenzen nicht außerhalb des bestehenden Systems stehen oder gar „eine Alternative zum Urheberrecht“ darstellen, wie manchmal kolportiert wird. Sie stehen in enger Beziehung zum althergebrachten Urheberrecht und haben sogar sichtbare Rückwirkung auf die Gesetzgebung.
Ein Beispiel für die Wirkung, die Existenz und Verbreitung von Open-Access-Lizenzen (neben den CC-Lizenzen gehören dazu GPL, LGPL, GFDL, FAL und weitere) auf gesetzgeberischer Ebene hatten, sind mehrere Ausnahmen im deutschen Urheberrechtsgesetz. Ihnen zufolge kann der Urheber „ein unentgeltliches Nutzungsrecht für jedermann“ selbst dann dort schaffen, wo bisher entweder gar keine oder nur eine kostenpflichtige Rechtegewährung zugelassen wurde.
Internationale digitale Allmende
Ein weiterer Effekt, der allerdings spezifisch den Creative-Commons-Lizenzen zuzuschreiben sein dürfte, wird erst bei globaler Betrachtung erkennbar: Durch die Portierung der sechs CC-Lizenzen für inzwischen weit mehr als 50 verschiedene Rechtsordnungen entsteht ein weltweit vergleichbarer Rechtsrahmen für die „digitale Allmende“, die „digital commons“. Wie ein Estrich aus dem Baumarkt legt sich dieser Rahmen über die national unterschiedlichen Urheberrechtsgesetze und erzeugt eine Konstellation von Freiheiten, die beispielsweise unter brasilianischem Recht verlässlich genauso aussieht wie unter deutschem.
Diese weltweit gleiche Freiheitsstufe wird manchmal „Harmonisierung von unten“ genannt, was allerdings nur untechnisch gesprochen zutrifft. Sie ist letztlich die Grundlage, auf der ein Pool von kreativem Material entstehen kann, der von übermäßigen urheberrechtlichen Fesseln frei ist – eben die „creative commons“.
John Hendrik Weitzmann hat Rechtswissenschaften in Saarbrücken, Sydney und Trier studiert. Seit 2006 ist er Projektleiter Recht von Creative Commons Deutschland und koordiniert die Zusammenarbeit der europäischen CC-Projekte. In der Arbeitsgruppe eJustice des IT-Gipfels der Bundesregierung und im Rahmen des EU-Projekts COMMUNIA arbeitet er an politischen Lösungen mit.
Dieser Beitrag gehört zur Reihe „Copy.Right.Now! – Plädoyers für ein zukunftstaugliches Urheberrecht”, die auch als gedruckter Reader erschienen ist. Er steht unter der Creative-Commons-Lizenz BY-NC-ND.
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