Ich hatte nichts gegen Werbung, aber dagegen, überallhin verfolgt zu werden
Vor einigen Wochen ging ich ins hiesige Einkaufszentrum, um nach einem Thermometer zu suchen. Als ich mich in einem Laden umsah und ihn wieder verließ, ohne etwas zu kaufen, wurde mir ein Tracker zugeteilt. Zuerst habe ich mir nicht viel dabei gedacht, aber er folgte mir auf Schritt und Tritt durch das ganze Einkaufszentrum und vermerkte mit großer Sorgfalt, wo ich entlanglief.
Wann immer ich einen Laden betrat, notierte er das in seinem kleinen schwarzen Buch. Er bezeichnete es immer wieder als mein Profil, wollte mir aber nicht zeigen, was drin stand. Also nahm ich an, dass es eigentlich sein und nicht mein Profil war. Jeder der von mir besuchten Läden wies mir natürlich jeweils einen weiteren Tracker zu, und es dauerte nicht lange, bis ich meine ganz persönliche Eskorte an unscheinbaren Typen mit kleinen schwarzen Notizbüchern im Schlepptau hatte.
Nach dem Einkaufen ging ich nach Hause. Zu meiner Überraschung kamen sie mit und erwarteten sogar, hineingelassen zu werden und bei mir zu Hause zu bleiben, wogegen ich natürlich Einwände erhob. Aber das hielt sie nicht davon ab, trotzdem ins Haus zu kommen. Nicht durch die Vordertür: Sie verschafften sich gewaltsam Zutritt durch die Hintertür und ließen sich ungeniert an meinem Tisch nieder.
Einer von ihnen hatte mein Handy entdeckt und ging meine Kontakte durch. Dabei fügte er die Namen und Telefonnummern der Leute, die ich kannte, zu einem Ding hinzu, das sie „Social Graph” nannten. Offensichtlich war ihnen das sehr wichtig. Mir gelang es zunächst, ihm das Handy wegzunehmen und ihn dazu zu bringen, die kopierten Daten wieder zu löschen, aber mir wurden zwei Dinge bewusst: Erstens, dass sie den Großteil dieser Informationen vermutlich ohnehin schon hatten, wenn sie dasselbe mit meinen Freunden machten, die sich vermutlich nicht so heftig gegen die Tracker wehren würden wie ich. Und zweitens, dass ich gar nichts dagegen tun konnte. Wer mich besuchen kam, musste erst einmal einen ganzen Haufen persönlicher Fragen beantworten. Taten die Leute das nicht, wurden ihre Fotos dazu verwendet, die Lücken in ihren oder in meinem Profil zu schließen.
Die Nacht über führten die Tracker offenbar auch etwas im Schilde, denn am nächsten Morgen war meine Zeitung zerschnitten und überall klafften leere Stellen zwischen den Artikeln. Sie versicherten mir, dass all das vollkommen legal sei, aber selbst wenn das so war, hinterließ das bei mir das ungute Gefühl, dass diese anonymen Wesen mehr über mich wussten als meine eigene Mutter.
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Etwas verstimmt von den Ereignissen beschloss ich, meine Zeitung im Park zu lesen, wo ich mir zumindest ein wenig mehr Privatsphäre erhoffte. Ich hätte es wohl besser wissen müssen. Die Tracker folgten mir in den Park und veranstalteten aus dem Stehgreif eine Versteigerung der leeren Stellen in meiner Zeitung. Jedes Mal, wenn ich umblätterte, kam die nächste Lücke unter den Hammer, und der Tracker, der die Stelle ersteigerte, klebte in Windeseile eine Werbeanzeige, die er zufällig dabei hatte, auf diese Stelle. Merkwürdigerweise waren nicht wenige dieser Anzeigen für Thermometer, obwohl ich gar keins mehr brauchte (ich hatte am Vorabend noch eins in der Schublade im Bad gefunden).
Der von der Zeitung angeheuerte Auktionator war in seinem Element und spornte die Tracker zu immer höheren Geboten an, wobei er ihnen als Gegenleistung auch immer mehr über mich erzählte. Die weitergegebenen Informationen enthielten neben meinem aktuellen Standort auf der Parkbank auch alles, was in „meinem“ Profil stand. Einiges davon überraschte mich, beispielsweise, dass er wusste, wieviel ich in etwa verdiene, dass ich Kinder habe – und eine ganze Palette anderer Details, die ihn meines Erachtens überhaupt nichts angingen. Bis heute habe ich keine Ahnung, wie er an diese Informationen gekommen ist.
Einige der emsigeren Tracker schrieben sich das Zeug, das der Zeitungstyp ihnen über mich erzählte, in ihre eigenen schwarzen Notizbücher und begannen auch bald damit, diese Informationen an andere Tracker zu versteigern und im Grunde an jeden zu verscherbeln, der bereit war, dafür in die Tasche zu greifen. Rund um meine Parkbank kam schnell eine ziemliche Meute zusammen, genauer gesagt bildete sich eine Mini-Wall-Street. Die Stimmung verschlechterte sich zusehends und bald stellte sich bei mir das Gefühl ein, dass der Aufenthalt im Park mir nichts mehr bringt.
Ich überlegte mir, irgendwo in der Nähe Mittagessen zu gehen. Die Tracker hatten schon längst meine Handynummer und mithilfe eines kleinen Codes, der in ein Spiel auf meinem Smartphone eingebettet war, lasen sie mein Handy und all seine Sensoren immer weiter aus und riefen bei ihrem Mutterschiff an, wann immer es ging. Das Spiel hatte ich mal heruntergeladen, aber nur zweimal gespielt, weil es nicht besonders gut war.
Es hätte mich wohl nicht überraschen sollen, als auf meinem Handydisplay eine Werbung erschien, die mich darauf hinwies, dass es in der Restaurantkette, an der ich just in dem Moment vorbeiging, mein Lieblingsgericht zum Sonderpreis gab. (Woher wussten sie, was mein Lieblingsgericht ist? Weil ich ein paar Wochen zuvor im Internet nach einem Rezept dafür gesucht hatte?)
Ich widerstand der Versuchung und entschied, irgendwo essen zu gehen – bloß nicht da. Selbst wenn das bedeutete, dass ich weiter unter dem Einfluss der Tracker stand , mussten sie nun zumindest all ihre kleinen Pläne umschmeißen.
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Nach ein paar Wochen hatte ich schließlich genug von dem Ganzen. Den Rest gab mir ein Tracker, der in meinem Bett zwischen mir und meiner Frau auftauchte, als ich gerade nach dem kürzesten Weg zu einer Konferenz am nächsten Morgen suchte. Das brachte das Fass zum Überlaufen. Die Werbeindustrie hatte einfach kein Recht, sich in diesem Ausmaß in mein Privatleben einzumischen, jeden meiner Schritte zu verfolgen und detaillierte Informationen über meinen Alltag und meine Interaktionen in der realen Welt zu sammeln und zu speichern. Und der letzte Ort, an dem ich die Tracker um mich haben wollte, war mein Schlafzimmer.
Ich heuerte ein paar harte Jungs aus der Türsteherszene an. Ihr Job war einfach: Sie sollten mir die Werbetypen – notfalls mit Gewalt – vom Hals halten, denn ich hatte wirklich genug von ihnen. Ein positiver Nebeneffekt davon war, dass auch Einbrecher und andere zwielichtige Gestalten ab sofort draußen bleiben mussten. Diese hatten es mit ganz anderen Tricks auf mich abgesehen, bedienten sich aber der von den Trackern gesammelten Informationen.
Nach den ersten Zusammenstößen mit den Türstehern kapierten die Tracker die neue Sachlage, und die meisten ließen mich in Ruhe. Einige versuchten es weiter, aber größtenteils schien es, dass ich zumindest ein bisschen sicherer vor neugierigen Blicken war. Es gibt noch wirkungsvollere Methoden, die Tracker loszuwerden, viele Variationen mit unterschiedlichen Funktionen stehen zur Auswahl, denn offensichtlich gibt es Tracker, bei denen nicht mal die Türsteher dafür sorgen können, dass sie einen in Frieden lassen. Zudem waren einige Rausschmeißer etwas zu clever für meinen Geschmack. Sie versuchten, einfach selbst den Platz der Tracker einzunehmen, die sie blockierten.
Geschieht mir recht, wenn ich so leichtfertig harte Jungs anheure, dachte ich mir und bin seitdem vorsichtiger, wen ich damit beauftrage, sich zwischen mich und die Tracker zu stellen. Selbst mit den Türstehern um mich herum, gibt es immer noch Möglichkeiten, mich zu tracken. Aber das scheinen die meisten respektablen Unternehmen, die Tracker einsetzen – zumindest derzeit noch – für inakzeptable Praktiken zu halten.
Einige Veranstaltungsorte ließen mich mit den harten Jungs auf den Fersen nicht herein. Da ging ich dann eben nicht mehr hin. Ich hatte gar nichts gegen ihre Werbung, aber ich hatte etwas dagegen, überallhin verfolgt zu werden. Und wenn sie nicht ihre Gewohnheiten änderten, dann musste ich eben meine ändern.
Irgendwie ist das alles auch schade, denn einige der Läden sind zu einem gewissen Maß auf mich als Kunden angewiesen. Aber ich denke, es gibt nicht genug Leute, die sich um Datenschutz scheren, um wirklich etwas ausrichten zu können. Oder vielleicht doch?
Update, 18.4.2016: Diese Erzählung gibt es jetzt auch in einer Hörfassung von Fabian Neidhardt.
Zuerst veröffentlicht auf jacquesmattheij.com. Deutsche Übersetzung und Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Jacques Mattheij, aus dem Englischen von Ina Goertz. (Dieser Artikel steht nicht unter der CC-Lizenz).
5 Kommentare
1 jhb am 1. April, 2016 um 08:19
Super Geschichte, Danke fürs Übersetzen
2 Al am 3. April, 2016 um 10:30
“Ich hatte gar nichts gegen ihre Werbung, aber ich hatte etwas dagegen, überallhin verfolgt zu werden.”
Dieses Argument wird immer vorgeschoben. Wenn was dran wäre, würden die Adblocker Trackerblocker heißen. Ich habe was gegen werbung _und_ tracker. Scheiß Werbung!
3 Abs am 4. April, 2016 um 10:43
Ich brauche doch keinen der mir hinterher läuft. Ich ziehe einfach überall meine Payback-Karte durch und tracke mich einfach selbst.
4 nein am 4. April, 2016 um 12:25
@Al Ghostery ist so ein Trackerblocker.
5 Klaus Meyer am 6. April, 2016 um 18:32
Ich nutze den eBlocker und der blockt Werbung und Tracker – und das Ding funktioniert mit allen meinen Endgeräten.
Was sagen Sie dazu?