Gutachten „Verbraucherschutz im Urheberrecht“ vorgestellt
In den letzten Jahren wurde das deutsche Urheberrecht in regelmäßigen Abständen reformiert. Bei den Verhandlungen und Gesetzesänderungen stand dabei immer ein möglichst harmonisches Miteinander im Vordergrund. In den letzten Jahren hat sich aber gezeigt, dass die eigentlich vorgesehene Balance und der Ausgleich zwischen Urhebern, Nutzern und Verwertern aus den Fugen geraten ist. Bislang ist es nicht gelungen, die durch die Digitalisierung massiv neu hinzugekommenen Interessen der Verbraucher und Nutzer ausreichend im Urheberrecht zu berücksichtigen. Will man jedoch den rasanten Akzeptanz- und Legitimationsverlust des Urheberrechts in der Bevölkerung stoppen, so muss hier seitens des Gesetzgebers und der politisch Verantwortlichen dringend nachgesteuert werden. Die nächste Chance dazu steht mit dem dritten Korb zur Novellierung des Urheberrechts unmittelbar vor der Tür.
Kreutzer liefert nun auf über einhundert Seiten zunächst eine ausführliche Analyse, über die wichtigsten verbraucherrelevanten Regelungen im Urheberrecht und wie sich diese in der Praxis auswirken. Bislang existiert eine solch umfangreiche Übersicht über den Status Quo nicht. Dabei geht es unter anderem um die Privatkopierfreiheit und deren Ausschluss durch Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) oder praktische technische Restriktionen, Auswirkungen der kollektiven Rechtewahrnehmung bei transnationaler Nutzung von Musikwerken, um Pauschalabgaben wie die Geräteabgabe oder die Leermedienabgabe, und um die rechtliche Frage wie und ob Nutzer in Social-Media-Anwendungen Urheberrechtsverletzungen begehen. Zudem wird auch der Stand über neue Ideen zur Pauschalvergütung und -nutzung beispielsweise durch die Idee einer Kulturflatrate nachgezeichnet.
Im zweiten Teil des Gutachtens geht Kreutzer noch einen Schritt weiter und hat konkrete Änderungsvorschläge für das Urheberrechtsgesetz ausgearbeitet und begründet. Diese dürften nicht nur für das zuständige Bundesministerium der Justiz (BMJ) sondern auch für die Entscheidungsträger im Deutschen Bundestag sowie in der Europäischen Union von höchster Relevanz sein. Spektakulär ist dabei der Vorschlag eine neue Regelung für die kreative („transformative“) Nutzung von vorbestehenden Werken“ einzuführen. Im Gutachten heißt es dazu: „Um die kreative Entfaltungskraft und neuartige Phänomene wie die Kreativität der Massen einerseits nicht mit einem zu engen Rechtsrahmen zu behindern und andererseits klar zu regeln, welche Befugnisse in diesem Zusammenhang existieren, besteht für eine gesetzliche Regelung dringender Bedarf. Denn es ist kreativen Prosumern nicht möglich, die für ihre Aktivitäten notwendigen Nutzungsrechte individuell einzuholen.“ Der Lösungsvorschlag ist dabei angelehnt an die US-amerikanische Fair-use-Regelung und richtet sich aufgrund von Vorgaben (abschließender Schrankenkatalog in Art. 5 der Richtlinie 2001/29/EG) an die Europäische Kommission und weitere europäische Gesetzgebungsorgane. Kreutzer versteht die Regelung als eine Weiterentwicklung des urheberrechtlichen Zitatrechts, die dazu dient, Kreativität durch das Urheberrecht zu fördern.
Im Rahmen der nationalen Umsetzung liefe dies sodann auf die Einführung eines „Paragraf 51a Transformative Werknutzungen“ des deutschen Urheberrechtsgesetzes hinaus. Kreutzers Regelungsvorschlag im Wortlaut: „Zulässig ist es, veröffentlichte Werke oder Werkteile zu vervielfältigen, zu verbreiten, öffentlich wiederzugeben, zu bearbeiten oder umzugestalten, wenn sie in eine selbstständige eigene geistige Schöpfung aufgenommen werden, deren Sinngehalt und geistig-ästhetische Wirkung sich von dem oder den aufgenommenen Werken unterscheidet (transformative Werknutzung). Transformative Werknutzungen dürfen die normale Auswertung des oder der aufgenommenen Werke nicht beeinträchtigen und die berechtigten Interessen des Urhebers oder Rechteinhabers unter Berücksichtigung der Interessen Dritter und der Allgemeinheit nicht ungebührlich verletzen.“
Diese Regelung soll insbesondere dazu dienen, die Massenkreativität und die neuen Formen der Nutzung im Internet durch Remixes, Mashups etc. aus dem Bereich von Urheberrechtsverletzungen zu holen. Im Gutachten findet sich darüber hinaus noch eine Vielzahl weiterer Vorschläge. So geht es unter anderem auch um die Befugnis zur „Weiterveräußerung unkörperlicher Werkexemplare“ (zum Beispiel Musikstücke, die bei iTunes erworben werden) und eine „durchsetzungsfeste Privatkopieschranke“ auch in der digitalen Welt.
Am Anfang des Gutachtens befindet sich eine „Executive Summary“ in der die wesentlichen Aspekte und Inhalte kurz zusammengefasst sind. Diese sollte insbesondere von den Verantwortlichen auf jeden Fall gelesen werden. Um tiefer in die Materie einzusteigen, empfiehlt sich dann der ausführliche Teil des Gutachtens. Denn eines ist klar, sollten die sich in einer digitalen Welt Interessen verändernden Interessen der Verbraucher und Nutzer nicht ausreichend im Dreiklang des Interessensausgleiches des Urheberrechts berücksichtigt werden, wird das bestehende System früher oder später zusammenbrechen. Ob dieses Szenario dann der Beförderung von kultureller und kreativer Innovation und dem gesellschaftlichen Fortschritt dient, ist mehr als fraglich.
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