Googles Anpassung an die Rechteinhaber
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Die Suchergebnisse von Google haben sich auch in diesem Jahr weiter zum Politikum entwickelt. Neben den Auseinandersetzungen des Unternehmens mit Verlegern und anderen Suchanbietern – die eine Benachteiligung eigener Produkte beklagen – ist vor allem das Urheberrecht deren Schauplatz. Am 10. August kündigte Google an, bei seinen Suchergebnissen einzubeziehen, wie oft sich Rechteinhaber über Urheberrechtsverletzungen auf einer bestimmten Website beschwert haben.
Websites, für die besonders viele Löschanfragen eingehen, werden seitdem heruntergestuft. Die genauen Kriterien dafür gab das Unternehmen nicht bekannt. Erst auf Nachfrage des Journalisten Danny Sullivan erklärte Google, dass populäre Seiten wie Twitter oder das hauseigene Youtube nicht betroffen sein würden, ohne jedoch Details zu nennen. Die Bürgerrechtsorganisation EFF kritisierte sogleich, die „opake Firmenpolitik” bedrohe auch rechtmäßige Websites, weil die Löschanfragen von Musik-, Film- und Softwareindustrie zunächst nur behauptete Rechtsverletzungen sind. Darüber hinaus untergrabe das Herabstufen auch das Vertrauen in die Suchergebnisse von Google insgesamt.
Google, die Nutzer und die Rechteinhaber
Die Entwicklung macht deutlich, dass Google in einem Zwiespalt steckt: Einerseits sieht es sich gehalten, den Wünschen der Rechteinhaber entgegenzukommen: Der Kampf gegen Urheberrechtsverletzungen hat sich von den Nutzern auf – tatsächliche oder vermeintliche – Mittelsmänner verlagert; die Rechteindustrie vertritt die Position, Google leite die Nutzer auf illegale Seiten. Durch das Vorpreschen des Unternehmens in neue Geschäftsfelder und Dienste – etwa bei der Buchsuche – ist das Verhältnis von Google und Verwertern ohnehin angespannt.
Andererseits ist es ein dem Suchalgorithmus zunächst fremdes Verfahren, beliebte Websites herunterzustufen. Der Erfolg der Google-Suche liegt nicht zuletzt darin begründet, dass die Nutzer die Ergebnisse als die besten ansehen – ohne dass Google vorab zwischen legalen und illegalen Quellen unterscheiden könnte. Aus dieser Sicht gilt: Wenn Filesharing-Blogs oder Filehoster in den Ergebnissen höher rangieren, zeigt das nur, dass diese den Bedingungen des Google-Algorithmus besser angepasst sind. Willkürliche Eingriffe drohen daher tatsächlich, das Vertrauen der Nutzer und damit den Markterfolg des Unternehmens insgesamt zu schädigen.
Entgegenkommen gegenüber der Rechteindustrie
Allerdings führt der Schritt auch eine schon länger bestehende Tendenz fort. So hat Google in den letzten Jahren unter anderem das Verfahren für Beschwerden nach dem amerikanischen DMCA-Gesetz vereinfacht und beschleunigt. Nach dem Gesetz müssen Plattformen nicht für Rechtsverletzungen haften, solange sie ein Verfahren für Löschanfragen befolgen. Der bei Google eingesetzte Mechanismus, bei dem Rechteinhaber elektronisch eine Liste inkriminierter Webadressen einreichen, hat auch zum enormen Anstieg der Anfragen beigetragen: Im Jahr 2012 haben sich die DMCA-Anfragen von Musik-, Film- und Softwareindustrie mehr als verzehnfacht. Begriffe, die im Kontext von Urheberrechtsverletzungen stehen, (wie „Torrent”, „Rapidshare” und andere) werde schon seit einiger Zeit nicht mehr als automatische Suchvorschläge angezeigt.
Neben solchen, negativen Maßnahmen für Urheberrechtsverletzer wurde für legale Anbieter von Musik eine weitere Funktion eingeführt. Sie können seit 2011 mit der Funktion „Rich Snippets” für Musiktitel eine auffälligere, übersichtliche Darstellung in den Suchergebnissen erreichen. Die jüngste Entscheidung führt also die Tendenz des Unternehmens fort, die Nutzer ein wenig mehr auf legale statt auf (mutmaßlich) illegale Seiten zu führen.
Was sind eigentlich Suchergebnis-Seiten?
Doch die Auseinandersetzung hat auch eine über das Urheberrecht hinausgehende Dimension, die den Status der Google-Suchergebnisse insgesamt betrifft: Es lässt sich zunehmend ein Hin und Her zwischen einer „objektivistischen” und einer „subjektivistischen” Selbstdarstellung Googles beobachten. Auf Kritik an den Suchergebnissen reagiert Google stets mehr oder weniger gleich. Es betont, diese seien das mathematisch-exakte, objektivierte Ergebnis seiner Algorithmen. Dem steht die Darstellung gegenüber, die Suchergebnisse seien eine „freie Meinungsäußerung“ des Unternehmens, mit der sich Google ebenfalls gegen Einflussnahme auf die Ergebnisse von außen wendet.
Diese Position hat Google in den letzten Jahren bereits in einigen Gerichtsverfahren erfolgreich vertreten und dieses Jahr mit einem Gutachten des Rechtsprofessors Eugene Volokh untermauert. Volokh vertritt dabei die Position, nach der die Suchergebnis-Seiten der redaktionellen Auswahl und Gewichtung von Zeitungen entsprechen. Daher seien auch sie als „speech product” nach dem ersten Verfassungszusatz der USA geschützt, welcher die freie Meinungsäußerung garantiert. Das soll nach Volokh wettbewerbsrechtliche Schritte gegen Google prinzipiell abblocken – eine Position, der etwa der Internetrechtler Tim Wu widersprach. Er erwiderte, dass die US-Verfassung die freie Rede von Menschen schützen solle, nicht die von Computern.
Ausweg Suchneutralität?
Braucht es also „Suchneutralität”, wie sie in letzter Zeit immer häufiger gefordert wird? Nein, denn im Unterschied zur Netzneutralität, die beim Konzept Pate stand, geht es bei Suchmaschinen immer darum, Daten ungleich zu behandeln, zu gewichten und damit im Wortsinn zu diskriminieren. Dennoch ist die Herabstufung ein Problem. Es liegt aber nicht darin, dass die Suchergebnisse nicht „neutral” sind, sondern darin, dass einige machtvolle Akteure die Suchergebnisse in ihrem Sinne beeinflussen können.
Seiten herabzustufen, die das Urheberrecht verletzen, könnte darüber hinaus als Türöffner für weitere Einflussnahme dienen: Schon jetzt gibt es Forderungen, es etwa mit vage als „terroristisch” definierten Seiten ebenso zu tun. Suchergebnis-Seiten würden damit zum Spielball nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch politischer Interessen. So führt die Herabstufung zwei Dinge vor Augen: Das Handeln von Google und seine Algorithmen gilt es ebenso zu beobachten wie die Versuche, auf die Suchergebnisse Einfluss zu nehmen. Man kann sicher sein, dass die Auseinandersetzungen darüber erst am Anfang stehen.
Das Heft „Das Netz 2012“ können Sie für 14,90 EUR bei iRights.media bestellen. Sie können auch eine E-Mail mit der gewünschten Anzahl und der Versandadresse an info@irights-media.de schicken. „Das Netz 2012 – Jahresrückblick Netzpolitik“ gibt es auch als E-Book, zum Beispiel bei Amazon, beim Apple iBookstore oder bei Beam (dort auch DRM-frei).David Pachali ist Redakteur und Autor bei iRights.info, freier Journalist zu Netzpolitik, digitaler Öffentlichkeit und Urheberrecht, konzipierte und betreute zuletzt die Publikation „Öffentlichkeit im Wandel“ (Schriftenreihe der Heinrich-Böll-Stiftung, 2012). Konzeptentwickler für Online-Formate und -Publikationen.
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