Google: Viacom greift Internet-Kommunikation an
Der Medienkonzern Viacom hatte Anfang März 2007 die Google-Tochterfirma Youtube auf mehr als eine Milliarde US-Dollar Schadensersatz verklagt, weil die Firma „Technologie einsetzt, um vorsätzlich in einem gewaltigen Ausmaß Urheberrechte zu verletzten“, wie es in der Klageschrift heißt, und damit nicht nur Viacom, sondern „die ökonomischen Grundlagen eines der wichtigsten Teile der US-Wirtschaft“ gefährde. Der Anlass: Mehr als 150.000 seiner urheberrechtlich geschützten Videos hatte Viacom beim Video-Anbieter Youtube ausgemacht.
In einem Gastkommentar für die Washington Post hatte Michael Fricklas, Viacom-Justiziar, am vergangenen Samstag das Vorgehen der Firma verteidigt. Youtube versuche, eine Bestimmung des US-Rechts in Anspruch zu nehmen, die auf den aktuellen Fall nicht passe. Der Digital Millennium Copyright Act (DMCA), das US-Urheberrecht, schützt Dienstanbieter, die urheberrechtlich geschütztes Material ausschließlich „auf Anweisung der Nutzer“ („at the direction of a user“) speichern. Diese Regelung, so Fricklas, könne nur von Nutzern in Anspruch genommen werden, die keine Kenntnis von einer Verletzung haben, oder die das Material augenblicklich („expeditiously“) entfernen, sobald sie wissen, dass es Urheberrechte verletzt. Nicht in Anspruch genommen werden könne dieser Schutz von jemandem, der mit dem Material einen finanziellen Vorteil erziele, wenn er das Recht und die Möglichkeit hat, es zu kontrollieren. Beides sei bei Youtube der Fall.
Viacom: DMCA deckt nicht, was Youtube tut
Fricklas lobt den DMCA, eines der umstrittensten US-Gesetze, als ein „vernünftiges Gesetz“, das es dem Web erlaubt habe, sich zu entwickeln und zu erblühen. Viele Copyright-Experten kritisieren den DMCA als zu freundlich der Urheberrechtsindustrie gegenüber. In ihm ist beispielsweise der Artikel 1201 verankert, der den Schutz von „technischen Maßnahmen“ festlegt, also DRM-Systemen. Nach Meinung von Fricklas hat es der DMCA E-Mail- und Web-Hosting-Anbietern ermöglicht, ihre Dienste anzubieten, ohne alle auf ihren Systemen gespeicherten Nachrichten oder Dateien auf Urheberrechtsverletzungen hin zu untersuchen. Doch der DMCA decke nicht, was Youtube tue.
Denn Youtubes Geschäftsmodell bestehe nicht darin, den Nutzern einen Speicherplatz für Inhalte anzubieten, sondern nutze diese Inhalte, die das Unternehmen nicht selbst herstellt oder bezahlt, um ein Unterhaltungsangebot daraus zu machen und dadurch Geld mit Werbung zu verdienen. Dabei wisse Youtube sehr wohl, was auf seiner Website vorhanden ist, und habe auch das Recht und die Möglichkeit, dieses Angebot zu kontrollieren. Daher sei es auch fair, Youtube dazu zu verpflichten, diese Inhalte daraufhin zu untersuchen, ob sie Urheberrechte verletzen. Denn es könne nicht von den Rechteinhabern verlangt werden, eine immer größere Anzahl von Web-Angeboten zu überwachen, auf denen ihre Rechte verletzt werden könnten.
„Würde es Innovationen verhindern, wenn Google und Youtube gezwungen würden, das Gesetz zu beachten?“ fragt Fricklas am Ende seines Artikels in Anspielung auf oft geäußerte Kritik, dass zu starke Eigentumsrechte an immateriellen Gütern Kreativität verhindern. Seine Antwort: Im Gegenteil. „Geistiges Eigentum zu schützen regt Investitionen an und damit die Entwicklung neuer Technologien und kreativer Unterhaltung. Das schafft Jobs und Nutzen für Konsumenten. Google und Youtube gäbe es nicht ohne Investitionen in Software und Technologien, die angeregt wurden von Patent- und Urheberrechtsgesetzen. Es ist an der Zeit, dass die Firmen sie respektieren.“
Google: Internet kein „neuer Veranstaltungsort für Rechtsstreitereien“
In einem Leserbrief an die Washington Post widerspricht nun Michael Kwun, Googles Klage-Beauftragter, dieser Auffassung. Mit dem DMCA habe der US-Kongress eine gute Balance geschaffen zwischen den Rechten der Urheber und dem Schutz des Internets als einem „innovativen Entwicklungsraum für die Kommunikation“ („an innovative communication frontier“), nicht als einem neuen Veranstaltungsort für Rechtsstreitereien.
Firmen wie Youtube, Craigslist und Myspace, die Inhalte ihrer Nutzer bereit halten, könnten die „Safe Harbour“-Regeln des DMCA nur in Anspruch nehmen, wenn sie urheberrechtsverletztende Inhalte entfernen würden, sobald es der Rechteinhaber verlangt. Das sei eine schnelle Lösung für die Rechteinhaber, die sie davor bewahrt, jedes Mal vor Gericht gehen zu müssen. Dafür hätten aber die Rechteinhaber die Pflicht, diese verletzenden Inhalte zu identifizieren. „Viacoms Anwälte haben dieses Gesetz mitgeschrieben“, so Kwun mit einem Seitenhieb darauf, wie Unterhaltungsunternehmen durch massives Lobbying Einfluss auf den DMCA-Gesetzgebungsprozess genommen hatten, „aber nun mögen sie es doch nicht. Sie wollen sich vor der Verantwortung drücken, die der Kongress ihnen übertragen hat.“
Im Februar 2007, nachdem Verhandlungen zwischen Youtube und Viacom gescheitert waren, habe Viacom verlangt, dass 100.000 Videos vom Netz genommen würden, so Kwun. Dem habe Youtube innerhalb eines Wochenendes entsprochen. Später habe Viacom einige dieser Gesuche zurück gezogen, nachdem die Firma offenbar erkannt habe, dass die Videos doch keine Urheberrechte verletzen. „Obwohl Viacom nicht in der Lage scheint zu bestimmen, welche Inhalte Urheberrechte verletzen, glauben die Anwälte der Firma, dass wir die Verantwortung und die Möglichkeit haben, es für sie zu tun. Zum Glück ist das Gesetz eindeutig – und auf unserer Seite.“
Lessig: Mit Klage umgeht Viacom den Kongress
In einem Kommentar für die New York Times hatte der prominente Urheberrechtler Lawrence Lessig am 18. März 2007 die gleiche Auffassung vertreten wie nun Googles Kwun in der Washington Post. Dass Viacom vor Gericht geht, um seine Auffassung durchzusetzen, sieht Lessig als gefährliches Signal.
In wichtigen Urheberrechtsentscheidungen habe der Supreme Court, das höchste US-Gericht, immer wieder betont, dass es Sache des Kongresses – also des Gesetzgebers – sei, das Urheberrecht auf der Höhe der Zeit zu halten, so Lessig. Von dieser Haltung sei der Supreme Court in seinem Grokster-Urteil aus dem Jahr 2005 abgewichen, in dem es Hersteller von Tauschbörsensoftware mitverantwortlich gemacht hatte für Urheberrechtsverletzungen der Nutzer. Dabei habe der Kongress genau in dieser Zeit darüber beraten, per Gesetz eine solche Haftung einzuführen, erinnert Lessig. Mit dem Urteil habe das Gericht allen Anwälten eine deutliche Nachricht geschickt: „Ihr dürft zweimal zulangen, wenn es ums Urheberrecht geht: einmal im Kongress, einmal im Supreme Court. Aber im Kongress braucht Ihr hunderte Stimmen. Vor Gericht braucht Ihr nur fünf.“ Viacom habe erkannt, dass es keine politische Unterstützung habe für die Änderungen, die die Firma wünscht. Daher wende es sich an einen Regulierer, der keine politische Unterstützung braucht: das höchste Gericht.
Nun sei das Internet konfrontiert mit einer Jahre währenden Unsicherheit, bis der Streit um ein Jahrzehnte vorher ausgehandeltes Gesetz entschieden ist. „Keine Frage: Die Richter sind klug“, so Lessig, „vielleicht sogar klüger als der Kongress. Aber so klug sie auch sein mögen, es fällt schwer zu glauben, dass ihre Ansichten die Millionen wert sind, die verschwendet werden, bis sie ihre Entscheidung bekannt geben.“
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