Google Scholar: Was das neue Open Access-Feature kann und welche offenen Alternativen es gibt
In der Pandemie ist der Ruf nach freiem Wissen lauter geworden: „Die gegenwärtige Krise zeigt die Dringlichkeit, den Informationsaustausch durch Open Science zu verstärken”, erklärte kürzlich Audrey Azoulay, Generaldirektorin der UNESCO, gegenüber den für die Wissenschaft zuständigen Ministerien aus der ganzen Welt.
Auch Unternehmen wie Google wollen den öffentlichen Zugang zu Forschung fördern: Mitte März 2021 stellte Google Scholar dafür eine neue Funktion vor. Das neue Public-Access-Feature trackt, ob Forschungsarbeiten, die unter ein Public Access-Mandat von Förderorganisationen fallen, frei verfügbar sind. Beispielsweise zeigt das Profil von Christian Drosten 166 unter Public-Access-Mandat veröffentlichte Artikel an. Davon sind 161 grün markiert und fünf in grellem Rot.
„Wie eine Art To-do-Liste für die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen“ beschreibt die freiberufliche Wissenschaftlerin Kathrin Ganz ihren ersten Eindruck. „Damit sehen die Autor*innen: Diese Publikation habe ich noch nicht frei verfügbar gemacht, darum sollte ich mich mal kümmern.“
Die Suchmaschine ermutigt die Autor*innen, die rot markierten Artikel in Repositorien oder auf die eigene Google Drive Ablage hochzuladen.
Google und Open Access: Wie (gut) geht das zusammen?
Was will Google mit so einem Feature? „Wir dachten, dass Autoren den Überblick behalten und wissen wollen, was von ihnen erwartet wird”, sagte Anurag Acharya, Mitgründer von Google Scholar, gegenüber dem Magazin Nature. Weiter wolle man transparenter machen, was wirklich Teil des Publikationsprozesses ist.
Ross Mounce, Open Access-Direktor bei der NGO Arcadia Fund, ist etwas zurückhaltender: „Das Tool bietet keinen Open Access per se“, stellt er gegenüber Research Professional News klar. Denn darunter verstehe man die Gewährleistung der uneingeschränkten Wiederverwendung von Inhalten, also eine Verfügbarkeit mit Lizenz zur freien Nutzung und Vervielfältigung.
„Aber“, so Mounce weiter, das Feature von Google Scholar „erhöht den öffentlichen Zugang zu Wissen.“ Es könne die Open-Access-Bewegung fördern, indem es kostenpflichtige Zeitschriftenabonnements „weiter entwertet“.
Die Verfügbarkeit des Artikels wird mit Mandaten abgeglichen – eine potentielle Fehlerquelle
Auch in der Forschung selbst ist man offenbar noch nicht ganz überzeugt: Der Wissenschaftler Michael Schatz beschreibt das Feature auf Twitter als „Wall-of-Shame”. Laut vielen weiteren Erfahrungsberichten ist das Tool fehleranfällig: Es macht falsche Angaben zur Verfügbarkeit oder weist ältere Artikel falschen neuen Fördermandaten zu.
Der Grund: Das Feature beruht auch auf nutzergenerierten Daten – es liegt also an den Wissenschaftler*innen selbst, falsche Angaben zu korrigieren.
Google Scholar analysiert, welche Förderorganisationen als Unterstützer*innen einer Forschungsarbeit genannt werden. Die Suchalgorithmen durchsuchen den publizierten Volltext nach Formulierungen wie „gefördert von“ oder „finanziert von”. Die Verfügbarkeit des Artikels wird dann mit den Mandaten der Förderung abgeglichen. Das Ergebnis landet auf dem Google Scholar-Profil.
Irene Barbers hält das für ein fehleranfälliges Auswahlkriterium. Sie ist interne Projektleiterin des Projekts Open Access Monitor Deutschland am Forschungszentrum Jülich. All ihre wissenschaftlichen Beiträge sind mit Open Access-Lizenzen in Repositorien oder in Open Access-Zeitschriften erschienen.
Google Scholar listet davon 21 in ihrem Profil auf, aber ordnet nur zwei als „öffentlich zugänglich“ ein. In ihren wissenschaftlichen Arbeiten untersucht sie Fördereinrichtungen und zitiert zum Beispiel die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Diese weist Google darauf hin fälschlicherweise als Organisation aus, die den Artikel gefördert hat.
Open Access-Forscher: Community sollte mehr einbezogen werden
Auch in anderen Google Scholar-Profilen bildet das Feature die Forschungsleistung der Autor*innen nicht richtig ab, zum Beispiel bei Sozial- und Geisteswissenschaftler*innen.
Das liege daran, dass die Publikationskultur eine andere ist als in den STEM-Fächern, vermutet Kathrin Ganz. Publikationen seien in ihrem Forschungsfeld weniger eindeutig bestimmten Förderungen zuzuordnen. Außerdem publiziere man überwiegend in Monografien. Die Methoden, die Google Scholar verwendet, funktionierten im Bereich der Sozial- und Geisteswissenschaften nicht, stellt Ganz fest.
Sind manche Public-Access-Publikationen im Google Scholar Profil nicht aufgezählt, fordert Google die Autor*innen auf, ihre Verlage auf die „Inclusion Guidelines“ von Google Scholar aufmerksam zu machen. Nur wenn diese berücksichtigt sind, kann das Indizierungssystem die Publikationen finden.
Diesen Datenaustausch hält Marcel Wrzesinski, Open Access-Officer am Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft Berlin, erstmal für eine gute Sache. Die Frage sei aber: Warum muss das einseitig stattfinden? Solche Standards sollten nach seinem Erachten immer im wechselseitigen Austausch und unter Einbezug der Communities erarbeitet werden müssen.
Wrzesinski folgert: „Vielleicht ist es nicht der richtige Weg, dass sich die Förderer und Verlage an den Datenaggregator anpassen, sondern dass man ins Gespräch darüber kommt, was von wem umsetzbar ist.”
Wrzesinski zufolge ist es wichtig und in der Open-Access-Bewegung auch selbst angelegt, dass Autor*innen sich mehr mit der Frage des Publizierens beschäftigen sollten. Seiner Einschätzung nach sollten allerdings die Autor*innen nicht zum Mediator zwischen Funding-Organisationen, Verlagen und Google gemacht werden.
Repositorien statt Google Drive
Jeroen Bosman und Bianca Kramer von der Universität Utrecht kritisieren, dass Google Scholar vorschlägt, die nicht verfügbaren Artikel auf Google Drive hochzuladen. Sie fordern, dass Google die Funktion komplett zurücknimmt. Auf Google Drive wären die Texte dann zwar für Google Scholar zugänglich, aber nicht für andere Suchmaschinen.
Und sie geben zu bedenken: Das Public Access-Feature könnte zwar mehr Aufmerksamkeit auf die Zugänglichkeit von Publikationen lenken und Autor*innen dazu anstoßen, den Zugang zu den eigenen Publikationen zu verbessern. Aber den beiden Wissenschaftler*innen geht es nicht weit genug, da es die Lizenzfreigaben nicht abbildet.
Laut Google Scholar ist eine Übersicht über die lizenzfreien Zugriffsmöglichkeiten auf die Artikel technisch nicht umsetzbar. Nach Wrzesinski stimmt das nur eingeschränkt. Ein zentrales Arbeitspaket der Open Access-Community arbeite schon länger an maschinenlesbaren Lizenzangaben. Damit könnten Suchende bei jedem PDF auslesen, unter welcher Lizenz es steht. „Man muss es halt wollen”, fügt Wrzesinski hinzu.
Im Bildbereich war dieser Wille offenbar vorhanden: Im vergangenen Sommer hatte Google bei seiner Bildersuchmaschine ein Feature eingeführt, mit dem sich beispielsweise Creative Commons-lizenziertes Material leicht finden und nach Lizenzart filtern lässt.
Forderungen nach mehr Offenheit
Werden Wissenschaftler*innen die von Google Scholar vorgegebenen To-do-Listen abarbeiten? Barbers bezweifelt, dass das Tool von der Wissenschaft angenommen werde: „Als Hilfe würde ich das nicht sehen”, so Barbers. Statt Google Drive zu nutzen, empfiehlt sie, die Arbeiten auf anerkannten Repositorien oder auf denen der eigenen Institution zu veröffentlichen.
Um das Feature im Sinne der Open Access-Bewegung zu verbessern, sollte Google nach Bosman und Kramer den Ratschlag, Artikel in institutionellen oder fachlichen Repositorien zu hinterlegen, prominenter platzieren.
Weiter wäre es nach ihnen hilfreicher, Informationen zur freien Zugänglichkeit für alle Publikationen bereitzustellen – und nicht nur für solche, die einem Open Access-Mandat eines Geldgebers unterliegen.
Außerdem fordern sie von Google, eine Anwendungsschnittstelle (API) für den Zugriff auf die Metadaten von Google Scholar zu gewähren und die Metadaten mit einer CC0-Lizenz freizugeben.
Offene Alternativen
Dass Google Scholar die gesammelten Metadaten für die Open Access-Bewegung freigibt, bleibt unwahrscheinlich. Dagegen bieten Open Source-Initiativen aus der Wissenschaftscommunity transparente Alternativen an.
Die Browsererweiterung Unpaywall etwa findet über den Digital Object Identifier (DOI) heraus, ob ein Artikel auf legalem Weg frei verfügbar ist. Informationen zu Open Access-Mandaten bietet die ROAR Map (Registry of Open Access Repository Mandates and Policies), die nicht nur die Angaben über Förderorganisationen, sondern auch über Forschungseinrichtungen und Repositorien bereitstellt.
Eine Möglichkeit, Wissenschaftler*innen auf den fehlenden Zugang zu ihren Artikeln hinzuweisen, bietet Dissem.in. Das Tool erkennt Publikationen hinter Bezahlschranken und lädt ihre Verfasser*innen dazu ein, sie mit einem Klick in ein offenes Repositorium hochzuladen. Und Shareyourpaper.org zeigt auf, wo Publikationen aufmerksamkeitswirksam veröffentlicht werden können.
Fazit
Das Public Access-Feature von Google Scholar zeigt auf, welche wissenschaftlichen Texte frei und offen zugänglich sind. Zusätzlich vergleicht es die Verfügbarkeit der Texte mit den Vorgaben der Fördermandate. Das funktioniert derzeit noch nicht immer fehlerfrei.
Die Übersicht im Google Scholar-Profil könnte Forscher*innen ermuntern, den öffentlichen Zugang ihrer Arbeiten zu überprüfen. Zuträglich für die Open Access-Bewegung wäre die Funktion allerdings besonders dann, wenn auch die Lizenzvorgaben mitaufgeführt werden.
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