Niemand zwingt uns zum Bereitstellen eines NSA-Zweitaccounts

Foto: NSA
Ohne Zweifel wird das Jahr 2013 im Rückblick untrennbar nicht nur mit den Enthüllungen Edward Snowdens verbunden bleiben, sondern auch mit den politischen und technischen Reaktionen darauf. Wir erfuhren über Monate häppchenweise die Namen der geheimdienstlichen Operationen und Programme und ihre Zielsetzung.
Selbst einigen der Facebook-Abhängigen ist nun bewusst geworden, dass das Programm Xkeyscore bewirkt, dass sie neben der Werbevermarktung ihrer Daten einen Zweit-Account bei der NSA dazugebucht haben, über den ebenfalls E-Mail-Inhalte, Webseitennutzung und der Facebook-Chat ausgewertet werden. Der Unterschied zur kommerziellen Auswertung ist nur, dass die Geheimdienste die Informationen untereinander ohne direkte Bezahlung weitergeben – im Falle Xkeyscore an die spionierenden Freunde aus Australien, Neuseeland, Kanada und Großbritannien.
Kolossale technische Kapazitäten
Ins Bewusstsein gerückt sind neben der Rasterfahndung die kolossalen technischen Kapazitäten, mit denen die Dienste den Daten zu Leibe rücken. Um beim Beispiel Xkeyscore zu bleiben: Auf eigens betriebenen siebenhundert Servern werden pro Monat 41 Milliarden Datensätze aufgezeichnet, also im Schnitt zwischen ein und zwei Milliarden pro Tag – allein in diesem Programm. Angesichts der Nutzungszahlen von Facebook, wonach alle zwanzig Minuten drei Millionen Nachrichten innerhalb der Plattform versendet werden, sammelt der Verbund der Geheimdienste also einen nennenswerten Anteil und gleichzeitig eine aktuelle Abbildung der Kommunikation, der Interessen, der Handlungen.
Eine dritte Ebene, die mit einem Schlag ganz neu diskutiert werden musste, ist die parlamentarische Kontrolle sowie die US-Geheimgerichte, von deren Existenz nur wenige überhaupt Kenntnis hatten. Die einst als Kontrollmechanismen konzipierten Instanzen müssen heute als das erkannt werden, was sie sind: Chimären, die weder technisch noch faktisch auf Augenhöhe prüfen können, was die Dienste treiben.
Die Opfer der Überwachung
Worüber neben den technischen Details weniger gesprochen wird, sind die Opfer dieser extensiven Datensammlungen. Der gemeine Netznutzer in Europa oder Nord- und Südamerika geht nicht mit Schweißperlen auf der Stirn ins Bett, weil seine Alltagsäußerungen tagsüber in den Datenbanken abgespeichert worden sind oder ihm ein ausländischer Geheimdienst direkt auf den Fersen sein könnte. Das sieht für jemanden jenseits der sicheren Zonen der westlichen Welt anders aus, wie die Snowden-Papiere ebenfalls ans Licht brachten: Die Aufzeichnung einer Nachricht im Netz bedeutet für einige Menschen den Tod durch US-amerikanische Drohnenschläge.
Die wirklich dunkle, allzu gern verschwiegene Seite der Kommunikationsaufzeichnung, aber auch des gezielten Hackings von Zielpersonen ist das seit Oktober durch die Washington Post bekannt gewordene Mitwirken der NSA an zielgerichteten Tötungen in Pakistan. Aus den Snowden-Dokumenten dringt nun nicht mehr nur die Dreistigkeit einer offenbar nach Allwissen strebenden, entfesselten Behörde und ihrer Partner an die Öffentlichkeit, sondern auch das aktive Unterstützen von völkerrechtlich höchst fragwürdigen militärischen Mordoperationen in nie erklärten Kriegen.
In der politischen Sphäre gab erst das im Vergleich dazu seltsam unbedeutend wirkende Ausspionieren der Mobilkommunikation der Bundeskanzlerin den Ausschlag für eine breitere Diskussion in Deutschland. Dennoch blieben konkrete politische Folgen hierzulande aus. Die Bundesregierung ließ uns noch am 14. August 2013 wissen: „Der BND arbeitet seit über 50 Jahren erfolgreich mit der NSA zusammen.“
Wir dürfen die Informationssammelei nicht dulden
Wir können nach dem Snowden-Jahr 2013 nicht zur Tagesordnung übergehen, wenn wir nicht in einer durch und durch anderen Gesellschaft leben wollen, als in der, in deren Geist die Menschenrechtskonvention, die EU-Charta oder das Grundgesetz entworfen wurden – aus den Lehren der Geschichte. Bloß weil uns eine abgeschottete Clique kontrollfreier, bestens ausgestatteter Geheimdienstler mit ihren gut verdienenden kommerziellen Vertragspartnern weismachen wollen, die ganze Informationssammelei diene der Sicherheit, müssen wir ihr Tun nicht dulden. Denn unser Privileg ist es, noch in einer Gesellschaft zu leben, in der die Menschen über die Regeln zur technischen Nutzung der Netze mitentscheiden können.
Das wird jedoch nur von Erfolg gekrönt sein, wenn wir als Bürger und auch als Konsumenten die Fakten aus den Snowden-Dokumenten nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern unser Verhalten daran orientieren. Niemand zwingt uns zum Bereitstellen eines NSA-Zweit-Accounts, wir könnten auch anders. Wir müssen nur wollen.

Foto: H. Kahl
Constanze Kurz ist promovierte Informatikerin, Sachbuchautorin und arbeitet an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin am Forschungszentrum „Kultur und Informatik“. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Überwachungstechnologien, Ethik in der Informatik sowie Wahlcomputer. Sie ist ehrenamtliche Sprecherin des Chaos Computer Clubs.
Dieser Text ist im Rahmen des Heftes „Das Netz – Jahresrückblick Netzpolitik 2013-2014“ erschienen. Sie können es für 14,90 EUR bei iRights.media bestellen. „Das Netz – Jahresrückblick Netzpolitik 2013-2014“ gibt es auch als E-Book, zum Beispiel über die Affiliate-Links bei Amazon und beim Apple iBook-Store, oder bei Beam.
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