Gerald Spindler: Bei Streaming handelt es sich um keine Urheberrechtsverletzung
iRights.info: Der Fall um die Abmahnwelle gegen Redtube-Nutzer zeigt: die Auseinandersetzungen um etwaige Urhberrechtsverletzungen scheinen immer diffiziler zu werden. Müssen sich Gerichte nun tatsächlich mit technischen Feinheiten wie Zwischenspeicherung im „Hauptspeicher“ des Computers oder in temporären Dateien beschäftigen?
Gerald Spindler: Das hängt davon ab, wie technisch man den Paragraf 44a des deutschen Urheberrechtsgesetzes beziehungsweise den Artikel 5 der europäischen Richtlinie zur Informationsgesellschaft versteht. Stellt man auf das Ziel der Norm ab, dass rein technisch bedingte Zwischenspeicherungen im Wege der Schranke vom Vervielfältigungsrecht ausgenommen sein sollen, kommt es nicht auf Haupt- oder temporären Speicher an, sondern nur darauf, was der Durchschnittsnutzer dauerhaft an Kopie herausziehen kann. Wenn der normale Nutzer nicht in der Lage ist, die an sich temporär gefertigten Kopien weiter zu verwenden, liegt die Schranke nach Paragraf 44a Urheberrechtsgesetz meines Erachtens vor. Die vom Amtsgericht Leipzig geäußerte Rechtsmeinung steht hier im Gegensatz zur wohl herrschenden Meinung in Deutschland.
iRights.info: Sollte aus Anlass dieser komplizierten Zwischenspeicher-Problematik umso mehr an pauschalisierenden Vereinfachungen des Urheberrechts gearbeitet werden?
Gerald Spindler: Nein, die Regelung des Paragraf 44a beziehungsweise der EU-Richtlinie – wenn schon, dann müsste diese geändert werden – ist hier meines Erachtens ausreichend. Es bedürfte lediglich eines klärenden Urteils, wenn solche Rechtsunsicherheiten erzeugt werden.
iRights.info: Sehen Sie ein Abstrahlen dieser Abmahnungen auf das Verhältnis zu Streamingdiensten generell? Steigt nun die Verunsicherung der Internet-Nutzer gegenüber populären Portalen, wie Youtube, Myvideo und so weiter?
Gerald Spindler: Objektiv gesehen nein. Natürlich werden andere Abmahnanwälte auch auf dieser Welle zu reiten versuchen; vermutlich ist gerade deshalb die Pornografie-Industrie gewählt worden, weil hier sich kaum ein Empfänger öffentlich dagegen wehren will.
iRights.info: Wie ließe sich dieser wachsenden Verunsicherung von Verbrauchern auf urheberrechtlicher Ebene wirksam entgegentreten?
Gerald Spindler: Das ist eine philosophische Frage – denn solange es Abmahnungen gibt, werden immer wieder findige Abmahnanwälte versuchen, scheinbare Rechtslücken zu nutzen. Dieses Phänomen konnte man schon früher im „Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb“ für Wettbewerbssachen beobachten.
iRights.info: Das erst kürzlich erlassene „Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken“ sollte durch eine Deckelung von Abmahngebühren das Abmahn-Unwesen zurückdrängen. Ist dieses Ziel nun verfehlt?
Gerald Spindler: Das kann man so nicht sagen – schon gar nicht, ohne die genauen Abmahnschreiben zu kennen. Berichtet wird jedenfalls aus der Praxis, dass eher unseriöse Abmahnanwälte versuchen, über Schadensersatzforderungen zu operieren, die nicht vom Gesetz erfasst sind. Die eigentliche Crux liegt in der für Deutschland typischen Pflicht, auch schon die erste Abmahnung bezahlen zu müssen – wenn dies aufgehoben würde und erst die zweite Abmahnung kostenpflichtig ist, würde wie in vielen anderen Rechtsordnungen auch das Phänomen verschwinden. Ansonsten müsste man wohl Straftatbestände bis hin zu Berufsregelungen einführen, um dem Phänomen Herr zu werden.
iRights.info: Wie schätzen Sie – aus urheberrechtlicher Sicht – die Erfolgsaussichten ein, sich als betroffener Verbraucher gegen die Abmahnung zur Wehr zu setzen?
Gerald Spindler: Das schätze ich sehr hoch ein, da es sich meines Erachtens bei den meisten Fällen des Streaming schlicht um eine Schranke nach Paragraf 44a Urheberrechtsgesetz handelt, mithin keinerlei Verletzungshandlung vorliegt.
iRights.info: Wie es nach jüngsten Meldungen aussieht, steckt womöglich hinter dieser Abmahnwelle eine konzertierte Aktion, bei der sich beteiligte Protagonisten die Adressen der Internetnutzer auf (partiell) illegalem Wege beschafften und das Kölner Gericht folglich betrogen haben. Wenn sich diese Mutmaßungen als wahr herausstellen, was würde daraus folgen?
Gerald Spindler: Das ist von außen kaum zu beurteilen, ohne dass man den Sachverhalt näher kennt. Bei Verwendung eines sogenannten „Honigtopfes“ (Honey Pots) würde es sich um eine Art Agent Provocateur handeln, so dass weder Daten herausgegeben werden dürften noch überhaupt eine relevante Verletzungshandlung vorliegt.
iRights.info: Und etwas weiter gedacht, nach Abklingen der Aufregung: Welche Schlüsse kann die Urheberrechts-Community aus diesem Fall dann ziehen?
Gerald Spindler: Eigentlich keine großen – allenfalls das Problem an der Wurzel zu packen und keinen Anspruch auf Kostenerstattung bei Abmahngebühren mehr anzuerkennen, zumindest nicht gegenüber Verbrauchern.
Gerald Spindler ist Professor für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Multimedia- und Telekommunikationsrecht, Rechtsvergleichung an der Georg-August-Universität Göttingen.
6 Kommentare
1 Schmunzelkunst am 19. Dezember, 2013 um 16:24
Wenn man sich in diesem Fall an den Fähigkeiten eines Durchschnittsnutzers orientiert, läuft etwas in die falsche Richtung. Es geht nicht darum, was ein Durchschnittsnutzer tun oder nicht tun kann, sondern darum, was ihm und jedem anderen Nutzer auf Grund der Bestimmungen der Urheberrechtsgesetzes (UrhG) erlaubt oder verboten ist. Selbst wenn es dem Durchschnittsnutzer gelingt, die temporär gefertigten Kopien weiter zu verwenden, heißt das ja nicht, dass er das auch tun darf. Auch die legal gem. §44a zwischengespeicherten Daten dürfen nur im Rahmen der Regelungen des UrhG genutzt werden. Die Bestimmungen reichen vollkommen aus. Wer sich an den Fähigkeiten eines Durchschnittsnutzers orientiert, darf auch die unterschiedlichen Fähigkeiten der Betriebssysteme und Browser nicht unberücksichtigt lassen. Davon könnten einige schnell in eine Lage versetzt werden, die einem Durchschnittsnutzer keinen Zugriff mehr auf die temporären Speicher ermöglicht. Und dann gibt es für das Streamen und Cachen privilegierte und nicht privilegierte Systeme. Im Browser, den ich dienstlich nutze, habe ich die Frist für die Speicherung der besuchten Seiten in den Temporary Internet Files vorsichtshalber schon einmal auch Null Tage gesetzt. 20 dürften ja wohl bei weitem zu viele sein ;-).
Wenn das Cachen im privaten Bereich ein Problem sein kann, gilt dies für das Cachen im Dienst erst recht. Da kann man nicht mit dem Durchschnittsnutzer argumentieren.
MfG
Johannes
2 John Do am 19. Dezember, 2013 um 23:57
Ich finde die Argumentation mit dem “Durchschnittsnutzer” und der möglichen Weiterverwendung von Cache-Inhalten auch arg unvorsichtig. M.M.n. gibt es z.B. für einen Internetbrowser ein Dings – nennen wir es Zusatzprogramm – dieses Dings kann Streams, die für den Durchschnittsnutzer nur im Cache landen, weiterverwerten. Keine Frage, durch aktives Tun meiner selbst würde ich vom reinen Streamkonsum, der womöglich derzeit noch durch das Gesetz geschützt ist, zu einer anderen Konsumform, die eben nicht mehr geschützt ist, wechseln. Böse Gedanken. Schluss.
3 Lelala am 20. Dezember, 2013 um 00:04
Also quasi Advokaten, die mangels Auftragslage besser den Weg des schnellen Geldes wählen, in der Hoffnung dass es der Standard-User nicht versteht?
Grüße
4 gundel am 20. Dezember, 2013 um 03:25
Hört sich vernünftig an was der Professor da sagt. Dann hat sich das mit den Abmahnungen ja noch vor Weihnachten erledigt :-)
5 Kurt am 20. Dezember, 2013 um 14:59
Hallo,
ich verstehe folgendes nicht.
Nach § 53 UrhG habe ich ein Recht auf Privatkopie. D.h. ich kann von dem „Werk“ – diese Privatkopie nicht nur erstellen, d.h.downloaden sondern ich darf diese auch noch in bestimmten Umfang weitergeben.
D.h. ich kann mir das Werk so oft ansehen wie ich will.
Wo ist das Problem?
Wieso dieser Streit um streamen oder downloaden?
Kann mir das mal jemand erklären? Danke
6 Joe Völker am 1. Dezember, 2015 um 16:37
Die Überschrift “Bei Streaming handelt es sich um keine Urheberrechtsverletzung” ist unpräzise. Gemeint ist “Streaming ist keine Urheberrechtsverletzung durch denjenigen, der den Stream nutzt”. Das ist etwas anderes. Der “Sender” des Streams könnte sehr wohl ein Urheberrechtsproblem haben.
Was sagen Sie dazu?