Wann im Urheberrecht die Schutzfrist abläuft (und wann Leistungsschutzrechte Vorsicht nötig machen)

Dejan Krsmanovic unter CC-BY-2.0
„Das Urheberrecht erlischt siebzig Jahre nach dem Tode des Urhebers.“ Mit nur zehn Worten gehört der Paragraf 64 zu den kürzesten im deutschen Urheberrechtsgesetz (UrhG). Doch hat er zentrale Bedeutung: Denn die Definition der urheberrechtlichen Schutzfrist bestimmt mit, wie gut sich interessierte Kreise – zeitgenössische oder nachfolgende Künstler*innen, die Öffentlichkeit, Gedächtnisinstitutionen – mit dem kulturellen Fundus auseinandersetzen können.
Urheberrechte gelten also nicht unendlich. Endet der Urheberrechtsschutz an einem Text, einem Bild, einer Musikkomposition oder einer anderen Werkform, so geht das Werk in die „Gemeinfreiheit“ über. Beschränkungen fallen dann weg, das Werk lässt sich frei verwenden: Ohne Lizenz, Quellenangabe oder Nennung der Urheber*innen, originalgetreu oder in bearbeiteter Form, in kommerziellen oder anderweitigen Kontexten.

Gemeinfreiheit: Wie frei ist frei?
Gemeinfrei, Public Domain, freie Lizenzen – viele Werke fallen nicht unter den urheberrechtlichen Schutz, andere sind vom Urheber freigegeben. Die Unterschiede sind allerdings für Laien nicht immer nachvollziehbar. Eine Begriffsklärung. » mehr
Innerhalb der Europäischen Union ist die Gemeinfreiheit einheitlich geregelt: Sie tritt für Werke (persönlich geistige Schöpfungen) 70 Jahre nach Tod der Urheberin in Kraft. Zum 1. Januar 2023 lief hier für all jene Werke der Urheberrechtsschutz aus, deren Urheber*innen im Laufe des Jahres 1952 verstorben sind.
Werke stehen nicht unendlich, aber doch ziemlich lange unter Urheberrechtsschutz
Legt man die derzeitige Lebenserwartung als Maßstab an, erscheint die Schutzfrist vergleichsweise lange: So kann ein Werk gut und gerne 120 Jahre, unter Umständen sogar 150 Jahre lang geschützt sein (etwa wenn eine Person im Alter von 20 ein Werk schafft und 100 Jahre alt wird). Solch eine lange Schutzfrist entspricht in Industriegesellschaften einer Abfolge von bis zu sechs Generationen.
Dazu kommt noch die leistungsschutzrechtliche Ebene (siehe unten). Sie bringt je nach Werkform unterschiedliche Schutzfristen mit sich und kann unter bestimmten Umständen die Gemeinfreiheit einer Verkörperung eines Werkes hinauszögern und dadurch behindern.
Am Anfang vom Ende: Was mit gemeinfreien Werken anstellen?
Ein gemeinfreies Werk darf neu aufgelegt, gedruckt, vervielfältigt, gesendet, aufgeführt, übersetzt oder in eine andere Werkform überführt werden. Auch die Erben einer gemeinfreien Künstlerin brauchen nicht mehr ihre Zustimmung für Nutzung oder Verwertung zu geben. Damit fallen alle Aufwände weg, die sonst für Rechteklärungen, die Ermittlung von Rechtsnachfolger*innen sowie Lizenzzahlungen nötig sind.
Von gemeinfreien Werken profitieren auch Institutionen des kulturellen Erbes. Archive, Museen, Galerien, Bibliotheken und wissenschaftliche Einrichtungen können gemeinfreie Werke problemlos digitalisieren, erforschen, ausstellen, neu herausbringen, vermarkten, in ihre Bestände nehmen und so weiter.
Und schließlich ganz wichtig: Gemeinfreie Werke lassen sich ohne Beschränkungen zur Grundlage neuer Werke machen, wie Kathrin Passig vor einigen Jahren in einem lesenswerten Essay festhielt.

Wozu brauchen wir freie Werke?
Wenn Museen und Kultureinrichtungen ihre Bestände freigeben, können andere sie leichter verwenden. Was Nutzer dann damit anstellen, ist nicht immer das, was Vorzeigeprojekte und Remix-Wettbewerbe in den Vordergrund rücken. Der Nutzen freier Werke ist oft unspektakulär – doch deshalb nicht weniger wertvoll. » mehr
Leistungsschutzrechte haben eigene Schutzfristen
Es gibt in der Feststellung der Gemeinfreiheit allerdings eine weitere Ebene zu beachten: die der sogenannten Leistungsschutzrechte. Diese sind ebenfalls Teil des Urheberrechtsgesetzes, schützen aber nicht das Werk als geistige Schöpfung an sich, sondern nur seine Verkörperung(en). Ein Film beispielsweise ist eine Verkörperung eines Drehbuchs, ein Buch eine Verkörperung eines Romans.
Leistungsschutzrechte beziehen sich auf Darbietung und Aufführung eines Werks sowie verbundene wirtschaftlich-technische Aufwände von Medienunternehmen. Sie gelten daher als die kleinen Geschwister der Urheberrechte, im Gesetz firmieren sie als „verwandte Schutzrechte“. Dort sind ihnen für die verschiedenen Werkformen (Text, Bild, Film, Musik, etc.) dutzende Paragrafen gewidmet (beginnend bei § 70 UrhG).
Leistungsschutzrechte entstehen in der Musik etwa beim Einspielen und Aufnehmen der Musikspuren sowie der technischen Produktion der Songs. Bei einem Film fallen unter anderem Schauspieler*innen und Produktionsfirmen Leistungsschutzrechte zu, da sie das Drehbuch als urheberrechtlich geschütztes Werk aufführen beziehungsweise zu einem Film produzieren. Solche ausübenden, darstellerischen, technischen oder wirtschaftlichen Leistungen schützt das Leistungsschutzrecht – das Urheberrecht im engen Sinne verbleibt hingegen bei den Schöpfer*innen des Werks, hier etwa Drehbuchautoren oder Komponistinnen.
Wann die Schutzfristen von Leistungsschutzrechten über die der Urheberrechte hinausragen können
Die Schutzfristen für Leistungsschutzrechte unterscheiden sich in drei Punkten von denen des Urheberrechts an persönlichen geistigen Schöpfungen:
Erstens in der Länge (in der Regel kürzer als bei Urheberrechten); zweitens weil je nach verkörperter Werkform unterschiedliche Fristen gelten können (für ein Presseerzeugnis etwa eine deutlich kürzere als für einen Tonträger); und drittens weil sich die Fristen nach dem Erscheinungsdatum der Aufführung oder Veröffentlichung berechnen und nicht wie die Urheberrechte nach dem Sterbedatum der Urheberin richten (eine Übersicht dazu findet sich in der Wikipedia).
Oft reichen Leistungsschutzrechte nicht über die urheberrechtlichen Werkschutzfristen hinaus. Trotzdem sind Fälle denkbar, in denen ein urheberrechtlich bereits gemeinfreies Werk weiterhin in einer zeitlich späteren Verkörperung leistungsschutzrechtlichen Schutz genießt.
Fiktives Beispiel zur Veranschaulichung
Eine Komponistin erschafft im Jahr 1950 einen Popsong und den dazugehörigen Text gleich mit. Komposition wie Text erreichen Schöpfungshöhe und erlangen Urheberrechtsschutz. Die Komponistin stirbt bereits im Jahr 1952, alle ihre Kompositionen und Texte werden daher zum 1. Januar 2023 gemeinfrei und dürfen demnach lizenzlos aufgeführt und eingespielt werden (zum Beispiel bei einem Konzert oder einer Lesung in der Kneipe).
Allerdings gilt die Gemeinfreiheit nur für das Werk im engen Sinne (hier: Komposition und Textdichtung) – eine im Jahr 2010 entstandene und auf Tonträgern (CD, Schallplatte) veröffentlichte Aufnahme des Werks bleibt leistungsschutzrechtlich hingegen weiterhin geschützt. Das Leistungsschutzrecht an genau dieser Aufnahme erlischt erst 70 Jahre nach Veröffentlichung (§§ 82 und 85 UrhG), in diesem Beispiel also erst im Jahr 2081. Bis dahin müssen Interessierte für die Aufnahme aus dem Jahre 2010 eine Genehmigung bei den Rechteinhabern einholen (meist das Label sowie die aufführenden Künstler*innen). Das kann beispielsweise über die Gesellschaft für die Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) erfolgen und ist in vielen Fällen mit Kosten verbunden, die sich nach der Art der Nutzung richten. Eine frühere Aufnahme, die die Komponistin im Jahr 1950 selbst eingesungen und eingespielt hatte, ist hingegen bereits in die Gemeinfreiheit übergegangen und darf lizenzlos genutzt werden.

Leistungsschutzrecht: Was ist das eigentlich? Und wem nützt's?
Wenn es ums Urheberrecht geht, sind meist die Rechte von Autor*innen an ihrem Werk gemeint. Doch das ist nicht alles: Leistungsschutzrechte schützen die Darbietung und Aufführung eines Werks sowie die wirtschaftlich-technischen Aufwände von Medienunternehmen. Was heißt das im Einzelnen? » mehr
Ohne Urheberrechtsschutz: Amtliche Werke, Werke unter CC0 oder unterhalb der Schöpfungshöhe
Nicht immer muss man warten: Die Gemeinfreiheit muss nicht in allen Fällen durch das zeitliche Auslaufen von Urheber- und Leistungsschutzrechten zustande kommen. Es gibt auch andere Wege.
Ein Werk kann beispielsweise von vornherein keinerlei Urheberrechtsschutz haben. Das trifft beispielsweise auf sogenannte „Amtliche Werke“ zu. Dazu zählen etwa Gesetzestexte. Auch Gerichtsentscheidungen, Erlasse von Behörden, Verordnungen oder Regierungserklärungen sind von Haus aus gemeinfreie Werke. Mit einer Einschränkung: Teilen und Verbreiten ist bei ihnen kein Problem – nur verändern darf man sie nicht.
Und schließlich kann jede*r die eigenen Werke selbst so lizenzieren, dass sie ohne Genehmigung oder andere Beschränkungen für alle nutzbar werden. Das geht etwa mit der besonders liberalen Creative-Commons-Lizenz CC0 („CC Zero“), die der Gemeinfreiheit gleich kommt. Wie man selbst seine Werke per CC0 lizenziert und was das bringt, lässt sich hier und hier nachlesen.
Ein anderer Fall ist, wenn ein Werk von sich aus keine Schöpfungshöhe erreicht und daher keinen Urheberrechtsschutz genießt. Etwa weil es nicht ausreichend originell oder nicht von Menschen geschaffen ist. Vor einigen Jahren machte beispielsweise ein Makake ein Selfie von sich, als der Tierfotograf den Affen vor dem aufgebauten Equipment kurz außer Beobachtung ließ. Das Bild wurde berühmt und ging um die Welt. Ein Gericht urteilte später, dass der Affe kein Urheberrecht an dem Werk beanspruchen könne (und genauso wenig der Fotograf). Das Bild wurde daraufhin als gemeinfrei deklariert.
Ringen um die Gemeinfreiheit
Die harte Grenze, die am Ende des urheberrechtlichen Schutzes steht, macht die Gemeinfreiheit zu einer umkämpften Ressource. Auf der einen Seite stehen die Interessen der Urheberinnen und Rechteinhaber, die möglichst lange und umfassend verwerten wollen – auf der anderen Seite die Interessen der Nutzenden und der interessierten Öffentlichkeit, für die der rechtliche Zugang zu Werken möglichst einfach sein soll.
Den Kampf kann man derzeit gut in Kanada beobachten. Das nordamerikanische Land tritt in Sachen Gemeinfreiheit nämlich auf die Bremse. Denn die „Public Domain“, wie das analoge Rechtsprinzip zur Gemeinfreiheit im angloamerikanischen Raum heißt, wird in Kanada nun für 20 Jahre ausgesetzt. Der Grund: Eine Ausdehnung des Urheberrechtsschutzes von 50 auf 70 Jahre nach Tod der Urheberin oder des Urhebers.
Die Verlängerung trat in Kanada Ende Dezember 2022 in Kraft und ist Teil des internationalen Handelsabkommens „USMCA“. Dieses besteht zwischen den USA, Mexiko und Kanada; es ermöglicht freien Handel zwischen den Staaten und stärkt auf diese Weise den großen Wirtschaftsraum Nordamerikas. Die Verlängerung dient der rechtlichen Harmonisierung, soll also Einheitlichkeit im Handel mit Copyrights und Lizenzierungen schaffen.
Kanada: Eintritt in die Public Domain 1972 Verstorbener erst 2043
Die Folge: In Kanada brauchen Nutzer*innen gegebenenfalls Geduld, wenn sie gemeinfreie Werke nutzen möchten: Unter der alten Regelung wären dort zum 1. Januar 2023 all jene Werke gemeinfrei geworden, deren Urheber*innen im Jahr 1972 verstorben waren. Diese Werke gelangen nun erst im Jahr 2043 in die Public Domain.
Gleichzeitig verschiebt sich die zeitliche Grenze auch für später Verstorbene nach hinten: So werden nach der neuen Regel etwa Werke von im Jahre 1988 verstorbenen Künstler*innen in Kanada erst 2058 gemeinfrei – und nicht wie nach bisheriger Rechtslage bereits 2038.
Mit der Anhebung von Schutzfristen hat man in Nordamerika einige Erfahrung. So wurde 1998 in den USA die urheberrechtliche Schutzdauer für Urheber*innen ebenfalls von 50 auf 70 Jahre nach deren Tod verlängert. Maßgeblich vorangetrieben wurde das politische Lobbying vom Disney-Konzern, der sich auch 1976 erfolgreich für eine Ausdehnung von Schutzfristen stark gemacht hatte.

Micky Maus und die Gemeinfreiheit: Wie frei wird Disneys Trickfigur werden?
Micky Maus, die wahrscheinlich berühmteste Zeichentrick-Figur der Welt, geht Ende 2023 in die Gemeinfreiheit über – jedenfalls in ihrer ursprünglichen Version aus dem Jahr 1928. Dem Journalisten Till Krause zufolge arbeitet der Disney-Konzern allerdings daran, die Gemeinfreiheit der Trickfigur über Markenrechte zu begrenzen. » mehr
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2 Kommentare
1 Eberhard Ortland am 15. Februar, 2023 um 15:57
Vielen Dank für die informative Darstellung!
Im VICE-Magazin wurde kürzlich darauf aufmerksam gemacht, daß zahlreiche vor 1964 in den USA publizierte Werke inzwischen gemeinfrei sind, und zwar unabhängig von den Lebens- bzw. Sterbedaten ihrer Urheber, da auf eine (nach dem für sie anwendbaren Gesetz von 1909 erforderliche) Verlängerung der abgelaufenen Schutzfrist für die betreffenden Werke häufig verzichtet wurde.
Nach der in dem Bericht zitierten Erhebung der N.Y. Public Library gilt dies für 3/4 der zwischen 1923 und 1964 in den USA publizierten Bücher.
Die Klärung im Einzelfall erfordert jeweils eine Anfrage bei der Library of Congress, wo das Register der Copyright-Ansprüche verwaltet wird.
2 Schmunzelkunst am 4. April, 2023 um 18:58
Auch von mir vielen Dank für die informative Darstellung. Nur ein kleiner Hinweis zum Satz: “Auch Gerichtsentscheidungen, Erlasse von Behörden, Verordnungen oder Regierungserklärungen sind von Haus aus gemeinfreie Werke. Mit einer Einschränkung: Teilen und Verbreiten ist bei ihnen kein Problem – nur verändern darf man sie nicht.”
Die Vorschrift über die Quellenangabe und das Änderungsverbot in § 5 Abs. 2 UrhG gilt nicht für die amtliche Werke des § 5 Abs. 1 (also nicht für Gesetze, Verordnungen, amtliche Erlasse und Bekanntmachungen sowie Entscheidungen und amtlich verfaßte Leitsätze zu Entscheidungen). Und das ist gut so. Das Abschreiben muss erlaubt sein. Geradezu absurd wäre es, wenn Behörden für gleiche oder fast gleiche Inhalte unterschiedliche Texte entwerfen würden, um Quellenangaben und Änderungsverboten aus dem Weg zu gehen.
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