GEMA-Urteil: Die Künstler haben die Macht
Ein weiterer schwerer Schlag für die Verwertungsindustrie: Das Kammergericht Berlin hat in einem Berufungsverfahren entschieden, dass die GEMA nicht berechtigt ist, die den Künstlern als Urhebern zustehenden Verwertungsanteile um sogenannte Verlegeranteile zu kürzen. Die gängige Praxis der GEMA, den Musikverlagen einen pauschalen Anteil an den Einnahmen aus den Urheberrechten zukommen zu lassen, ist demnach illegal. Dieser Anteil liegt bei etwa 40 Prozent bei den mechanischen Rechten zum Beispiel bei CDs, bei einem Drittel bei den Aufführungs- und Senderechten.
Geklagt gegen dieses Verfahren haben der Musiker und Politiker Bruno Kramm und sein Bandkollege Stefan Ackermann („Das Ich“). Die Musiker argumentieren, dass im digitalen Zeitalter eine pauschale Vergütung für die Musikverlage obsolet sei. Das Kammergericht gab den Klägern Recht und betonte, dass es für die Zahlungen der GEMA entscheidend sei, wem die Urheber ihre Rechte wirksam übertragen haben. Wenn dies zuerst an die GEMA geschehen sei, stehe den Verlegern keine Zahlung zu und der bisherige Verlegeranteil sei an die Urheber auszuzahlen. Das Gericht hat die GEMA dazu verurteilt, den Klägern Auskunft über die Verlegeranteile zu erteilen. Wie hoch der Betrag ausfällt, den die GEMA den Künstlern bezahlen muss, ist noch offen. Die Piratenpartei, die die Klage finanzierte, spricht von einem Millionenbetrag.
Das Berliner Kammergericht betont in seiner Presseerklärung, dass mit dieser Entscheidung „die Rechte von Musikern/Künstlern gestärkt“ worden seien – was zweifelsohne tatsächlich der Fall ist. Allerdings gibt es keinen Automatismus der kompletten Tantiemenzahlung an die Künstler, denn auch darauf weist das Kammergericht hin: Falls die Urheber zugunsten der Verleger konkrete Zahlungsanweisungen getroffen haben oder ihre Ansprüche auf das GEMA-Entgelt ganz oder teilweise an die Musikverlage abgetreten haben, können die Verleger auch weiterhin an den Einnahmen aus den Nutzerrechten beteiligt werden. Dies dürfte der Regelfall sein, besonders bei erfolgreichen und in die Musikindustrie eingebundenen Musikern.
GEMA und VG Wort: Gestörtes Verhältnis zur Rechtslage
Wichtig und erfreulich aus Urhebersicht sind zwei Dinge: Erstens hat das Berliner Kammergericht betont, dass „den Verlegern kein eigenes Leistungsschutzrecht zusteht“. Ein Faustschlag ins Gesicht der Verwertungsindustrie und ihrer Lobbyisten, die der Öffentlichkeit seit Jahren weiszumachen suchen, dass sie einen wesentlichen Anteil an der Herstellung eines Kunstwerkes leisten. Die Verwerter fordern in der gesamten Urheberrechtsdebatte mit größter Chuzpe den Dienst an ihren Besitzrechten zu Ungunsten der schlechtergestellten Kreativen ein und behaupten eine Partnerschaft, ja sogar eine „Symbiose“ zwischen Urhebern und Verwertungsindustrie.
Doch schon im Urteil zur VG Wort hat das Gericht so entschieden wie nun in Sachen GEMA: Die Verwertungsindustrie verfügt über kein eigenes Leistungsschutzrecht, Urheberrechte stehen eben einzig den Urhebern zu, wie der Name schon sagt. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, und es zeigt, in welche Schieflage die gesamte Debatte längst geraten ist, wenn ein Gericht die Verwerter eigens auf die Gesetzeslage hinweisen muss. Die Tatsache, dass sowohl die VG Wort als auch jetzt die GEMA einfach bei ihrer offensichtlich nicht den Gesetzen entsprechenden Rechtsauffassung bleiben, beweist zumindest ein gestörtes Verhältnis der Verwertungsgesellschaften zu den einschlägigen Gesetzen und offenbart, dass sie sich im hiesigen System eher der Verwertungsindustrie denn den Kreativen verpflichtet fühlen.
Unabhängige Künstler gestärkt
Zweitens stärkt die höchstrichterliche Entscheidung gegen die GEMA langfristig gesehen die Position der unabhängigen Künstler, die bisher hauptsächlich deswegen Verträge mit Musikverlagen eingehen, weil diese ihnen helfen, die Einnahmen aus den Verwertungsrechten einzusammeln – und das ist für Musiker und Komponisten in der Regel ein Buch mit mehr als sieben Siegeln.
Mit der aktuellen Berliner Gerichtsentscheidung können künftig die Musiker und Urheber selbstbewusst direkt Verträge mit Verwertungsgesellschaften wie der GEMA eingehen, weil sie wissen, dass ihnen dann der komplette Anteil ihrer Tantiemen (minus des GEMA-Anteils, versteht sich) ausgezahlt werden muss. Da mag sich in der digitalen Realität so mancher Künstler fragen, warum er noch einen Verlagsvertrag eingehen soll – und wenn er dies aus guten Gründen dennoch tut, wird seine Verhandlungsposition gegenüber den Verlagen jedenfalls eindeutig gestärkt sein.
GEMA wird sich ändern müssen
Nicht zuletzt wird dieses Urteil Konsequenzen für die Struktur der GEMA haben, die Stichworte lauten Transparenz und faire Verteilung der Tantiemen. Und die Sperrminorität, über die die Verleger derzeit in der GEMA verfügen, ist durch das Urteil letztlich in Frage gestellt. Ein bloßes „Weiter so!“ der GEMA ist angesichts der Rechtslage ausgeschlossen.
Eine Revision zum Bundesgerichtshof hat das Berliner Kammergericht übrigens nicht zugelassen und auch gleich angemerkt, dass eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision voraussichtlich nicht zulässig sein wird – die bundesdeutschen Verwertungsgesellschaften werden sich also mit der neuen Realität auseinanderzusetzen haben. Und die Realität heißt: Die Künstler haben die Macht. Jedenfalls bis zur nächsten Urheberrechtsreform, die die Verwertungsindustrie durchzusetzen versuchen wird.
10 Kommentare
1 Huflaikhan am 15. November, 2016 um 18:26
Was ich gerne mal wüsste: Welche Bereiche sind davon jetzt betroffen, Sämtliche Einnahmen, resp. Erträge? Oder nur die aus Vergütungsansprüche nach § 54 UrhG?
Was ist mit Verlagsverträgen, sind die jetzt unwirksam?
Wieso ist das eine Entscheidung gegen die GEMA, in der GEMA sind doch Urheber, ich denke, nach ihrer Deutung bekämen die jetzt mehr?
Was steht denn im Urteil jetzt genau drin?
Viele Grüße
Martin Hufner
2 David Pachali am 15. November, 2016 um 18:51
Da werden wir wohl die Urteilsgründe (und ggf. ein zweites Teilurteil) abwarten müssen.
3 Huflaikhan am 15. November, 2016 um 19:11
Das denke ich ja wohl auch. Denn in der Musik gibt es ja beim Großen Recht auch eine Mixtur von Beteiligungen zwischen Urhebern und Verlagen – sowieso in der Regel an der GEMA vorbei.
Mechanische Vervielfältigung (CD) etc. anders als Aufführung in einem Konzert zum Beispiel.
Und dann diese ominöse Frage danach, wer zuerst die Recht bei der GEMA einbringt. Daher bin ich nicht sicher, wie weit das Urteil ja über die Vogel-Sache hinausgeht, oder eben nur einen bestimmten umgrenzten Bereich betrifft. Die Antwort darauf kenn bisher nur das KG und der Wind, wie mir scheint.
4 Chris am 15. November, 2016 um 19:43
Werden denn als Konsequenz des Urteils endlich die CD-Regale aus den Kaufhäusern verschwinden? Kein Mensch kauft dort mehr was, das ist definitiv ein Verlustgeschäft…
5 aggrotroll am 16. November, 2016 um 10:39
Falsch, es wird sich nichts ändern müssen, in der PM steht eindeutig:
“Etwas Anderes könne zwar gelten, wenn die Urheber zugunsten der Verleger konkrete Zahlungsanweisungen getroffen oder ihre Ansprüche auf ein Entgelt gegen die GEMA an die Verleger (zumindest teilweise) abgetreten hätten.”
Da in jedem Musikverlagsvertrag die Aufteilung der Tantiemen zwischen Verlag und Urheber geregelt ist (und der Verleger für den Urheber treuhänderisch den ganzen GEMA-Kram administriert), hat das Urteil also für die Praxis so gut wie keine Auswirkungen. Außer natürlich für Urheber wie jenen Pirat, der offenbar einen Verlagsvertrag unterschrieben hat, ohne diesen wichtigen Punkt dort festzuschreiben.
6 Nadja am 22. November, 2016 um 21:09
Duch dieses Urteil wird der unabhängige Künstler gestärkt… das ist ja schön und gut, aber dadurch verlieren Menschen ihre eigene Existenz. Leute die bei Verlagen arbeiten verlieren ihren Job. Und dann auch noch die bis 2012 eingenommenen Beträge zurück zahlen müssen? Dadurch landen vor allem Besitzer von kleinen Verlägen auf der Straße. Ich verstehe nicht wie man so etwas bewilligen kann? Musik ist sowieso schon ein hartes Berufspflaster.
7 Michi am 29. November, 2016 um 17:19
Tja, das könnte durchaus ein Fehlurteil sein: http://www.mediabiz.de/musik/news/schockzustand-der-musikverleger-haelt-an/413380?NL=mwd&uid=m24481&ausg=20161129&lpos=Main_1
8 Fair Use For All am 9. Dezember, 2016 um 15:32
Das Urteil ist besonders zu betrachten, und daher nicht auf alle Verlagsverträge anzuwenden da diese völlig individuell sein können.
Im Urteil steht klar, wenn die Rechte erst von einem Urheber in die GEMA eingebracht, können diese nicht an einem Verlag übertragen werden. Das bedeutet dann aber auch im Umkehrschluss das Rechte die erst auf einen Verlag übertragen worden sind eigentlich nicht mehr von dem Urheber an die GEMA übertragen werden können…. ob jetzt so oder so finde ich egal denn in einem Vertrag legt man ja **eigentlich** das Interesse beider Parteien fest.
Außerdem worauf sich das Urteil auch noch stärker bezieht ist das der Verteilungsplan der GEMA gegen das Willkürverbot verstößt, da die GEMA die Aufteilung der Tantiemen bestimmt.
Das ist nachvollziehbar und auch absolut verständlich, der Urheber sollte immer frei entscheiden zu welchen Prozenten er wen an seinen Tantiemen beteiligt.
Der eine mag sagen, 15% für den Verlag ist fair, der andere ist der Meinung der Verlag sollte für seine super Leistung 50% bekommen, all diese Optionen sind mit dem **Pauschalen Verteilungsplan der GEMA** gar nicht möglich und verstoßen somit gegen das Willkürverbot.
In dem Vertrag von Bruno Kramm, bezieht sich die Aufteilung der Tantiemen nach dem Verteilungsplan der GEMA, was so gesehen illegal ist, da die GEMA wie oben genannt gar nicht bestimmen darf was wer bekommt und es sich somit auch nicht ableiten lässt wie welche Aufteilung sein mag.
Mit anderen Worten, Verlagsverträge die sich nur auf den Verteilungsplan der GEMA beziehen sind illegal, Verlagsverträge die klare Angaben zu der Verteilung der Tantiemen haben (z.B. Performance: 50% Urheber, 50% Verlag) sind legal.
9 Rolf am 21. Dezember, 2016 um 12:35
Schlimmer noch sind die Umstände, unter denen ein Verlagsvertrag zustande kommt. Ich kenne einen Filmkomponisten, der die Musik für einen Film ohne Honorar sowohl komponiert als auch finanziert hat. Nach einiger Zeit bekommt er einen Verlagsvertrag ins Haus, den er nie unterschrieb. Dennoch zieht ihm die GEMA einen Verlagsanteil ab. Der Zusammenhang: Verlag und Filmfirma sind “zweckbefreundet”. Ohne diesen Verlagsvertrag, bekommt der Filmkomponist keinen Job mehr. So einfach ist das.
10 Rolf am 21. Dezember, 2016 um 14:00
Am Beispiel Filmmusik ist der Sinn- und Nebensinn des Verlagswesens zu erkennen. Eine Titelmusik ist für eine Weitervermarktung durch einen Verlag sinnvoll und demnach unter bestimmten Kriterien “anteilsgerecht”. Dagegen ist der Anteil an Szenen und Untermahlungsmusiken größtenteils vermarktungs unfähig und daher nebensinnig, abzöglich (Abzoge) refundierend, rückvergütend, Interessen ausgleichend auf Kosten des Urhebers.
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