GEMA nach Hause: Verloren zwischen Club und Youtube
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Es hätte ein gutes Jahr für die GEMA werden können. Breit wurde über die Existenzsicherung der Kreativen diskutiert. Doch die Wertschätzung für die GEMA, die auch für Musikurheber Geld einsammelt, wuchs in der Debatte nicht. Im Gegenteil, die Verwertungsgesellschaft stand 2012 im Kreuzfeuer der Kritik, die im Fall der umstrittenen Tarifreform sogar zu Demonstrationen in ganz Deutschland mit zehntausenden Teilnehmern führte. Das Motto: „GEMA nach Hause“.
1. Die Tarifreform
Die GEMA plant eine neue Tarifstruktur bei Musikveranstaltungen, die mittlerweile auf April 2013 verschoben wurde. Einfacher und gerechter soll es laut GEMA zugehen. Statt elf soll es künftig nur noch zwei Tarife geben: einen für Live-Musik, einen für Tonträgermusik. Die Clubs sollen nicht mehr Pauschalabgaben zahlen, sondern je nach Höhe des Eintrittspreises und nach Fläche – allerdings unabhängig von der Zahl der tatsächlichen Gäste. Speziell die großen Clubs will die GEMA stärker zur Kasse bitten.
Die Clubbetreiber zückten die Taschenrechner und kamen auf Tarifsteigerungen zwischen 500 und 2.600 Prozent. Ein großer Club könnte künftig statt 20.000 Euro jährlich 150.000 Euro an die GEMA abführen. Schnell machte das Wort vom „Clubsterben“ die Runde. Politiker aller Lager sprangen den Clubs zur Seite. „Das was die GEMA vorgelegt hat, ist inakzeptabel“, sagte Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU). Die Tarife führten zu „ruinösen“ Verhältnissen.
Für die GEMA war es ein Desaster. Aber warum? Vielleicht sind die GEMA-Forderungen völlig überzogen, ohne Rücksicht auf die Finanzkraft der Clubs. Andererseits verhält sich die GEMA nicht anders als eine Tarifpartei: Sie versucht das Maximum herauszuholen. Was ihre Position offensichtlich schwächte war die Unklarheit, an wen ihre Gebühren am Ende fließen. Profitieren tatsächlich die Urheber von Clubmusik oder doch eher Schlagerstars, die noch nie in einem Berliner Techno-Keller gespielt wurden?
Sollte sich die GEMA mit den Clubbetreibern nicht einigen, muss die Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt entscheiden, ob ihr neues Tarifsystem angemessen ist. Die ist bereits eingeschaltet.
2. Der Streit mit Youtube
Auch im Konflikt mit der Google-Tochter Youtube konnte die GEMA in der Öffentlichkeit kaum punkten. Auch hier geht es ums Geld: Welche GEMA-Tantiemen sind fällig, wenn ein Lied in einem Video erklingt? Was Youtube bietet, ist der GEMA viel zu wenig. Solange der Konflikt ungelöst ist, sperrt Youtube die Videos. Je nach Ausgang drohen dem US-Unternehmen Nachforderungen in Millionenhöhe.
Der Streit ist verfahren. Youtube lässt sich grundsätzlich nicht auf das GEMA-Tarifmodell für Musikstreaming-Dienste ein. Man biete bloß die Plattform, auf der Nutzer Videos hochladen, und sei selbst kein Anbieter von Inhalten, so das Argument. Youtube will die GEMA am Werbeumsatz beteiligen, nicht aber pro Klick zahlen. Die GEMA dagegen sieht mit Google einen Konzern am Werk, der mit Werbung Milliarden verdient und Verwertungsgesellschaften in anderen Ländern mit Mini-Beträgen abspeist.
Doch als David im Kampf gegen den Goliath Google wird die GEMA von der breiten Öffentlichkeit nicht wahrgenommen, vielmehr gilt sie als unflexibler Blockierer. Millionen von Youtube-Nutzern ärgern sich wegen gesperrter Videos. Das juristische Tauziehen im Hintergrund durchdringt kaum jemand. Beide Seiten haben gute Argumente.
Sie fechten einen Streit aus, der typisch scheint für den digitalen Umbruch. Millionen Nutzer werden auf Youtube plötzlich selbst zum Fernseh- und Musiksender. Können deshalb die GEMA-Regeln zur öffentlichen Nutzung urheberrechtlich geschützter Musik nicht mehr gelten? Oder darf es eine werbefinanzierte Hosting-Plattform wie Youtube gar nicht geben, weil sie nicht ins GEMA-System passt?
3. Verkrustete Strukturen und Realitätsverweigerung
Vielleicht stünde die GEMA besser da, wenn ihre Strukturen nicht so erstarrt wären. Die Liste der Kritikpunkte ist lang: Kleine Musikurheber würden zugunsten von etablierten Künstlern benachteiligt, sowohl finanziell als auch bei der Mitbestimmung. Die Entscheidungsstrukturen seien elitär und intransparent. Die Verwaltungskosten und Vorstandgehälter seien zu hoch. Die GEMA blockiere die Nutzung von Creative-Commons-Lizenzen.
Oft scheint es in der Debatte, als habe die GEMA den Anschluss verloren, als verweigere sie sich neuen Realitäten. Dabei ist ihre Grundidee eigentlich einfach und sinnvoll: Kommerzielle Nutzer müssen nicht jeden Komponisten und Textdichter einzeln fragen, wenn sie Musikstücke verwenden. Radiostationen, Clubs, Bars und Fernsehsender führen Gebühren an die GEMA ab, die sie an Musikverlage und Kreative weiterverteilt.
Als Ausgleich dafür, dass man Musikstücke für private Zwecke kopieren kann, zahlt man Gebühren auf Festplatten, USB-Sticks oder CD-Rohlinge. Gäbe es die GEMA nicht, in der aktuellen Diskussion um das Auskommen von Urhebern würde man sie vielleicht erfinden.
Weil einige Akteure der Musikszene nicht mehr warten wollen, bis sich die GEMA nach 80 Jahren neu erfindet, planen sie 2013 den Start einer alternativen Verwertungsgesellschaft. Die Cultural Commons Collecting Society (C3S) will vieles besser machen als die GEMA. Über ihre Strukturen und Regeln diskutiert Initiator Meik Michalke nicht in einem grauen Bürogebäude in West-Berlin, sondern auf Barcamps in Berlin-Mitte.
Alexander Wragge ist freier Journalist in Berlin und arbeitet unter anderem für iRights.?info. Neben digitalen Themen beschäftigt ihn die Europapolitik.
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