„Geh wählen”, Life of Brian: Zwei Geschichten über Urheberrecht und Remix
Der Urheberkongress 2013 findet ja in einem Gewerkschaftshaus statt. Außerdem sind es sind nur noch wenige Tage bis zur Bundestagswahl. Und interessanterweise ist einer der erfolgreichsten und mit Sicherheit einer der unterhaltsamsten Beiträge im Wahlkampf bislang ein Geh-Wählen-Spot der Verdi-Schwestergewerkschaft IG Metall auf Youtube.
Der knapp drei Minuten lange Spot ist ein kreativer Remix von mehr als zwei Dutzend Videoschnipsel mit dem Ziel, die Menschen zum Wählen zu motivieren, obwohl doch längst alles entschieden scheint.
Warum ich das hier erzähle?
Weil die öffentliche Zugänglichmachung dieses hochgelobten und viel geteilten Videos gleich eine mehrfache Urheberrechtsverletzung darstellt. Während dasselbe Video in den USA höchstwahrscheinlich durch die Fair-Use-Klausel des US-Copyrights gedeckt wäre, ist es in Europa illegal. Ein Umstand, der aber scheinbar nicht einmal den Verantwortlichen bei der IG Metall klar gewesen sein dürfte.
Auf eine entsprechende Anfrage antwortete deren Online-Redaktion wie folgt:
Wir haben natürlich keine Sonderrechte. Es handelt sich um freies Youtube-Material. Und die Youtube-Nutzungsbedingungen erlauben jedem Nutzer die kostenlose Nutzung, Reproduktion und Herstellung derivater Werke inklusive Vorführung auf YouTube. Mehr dazu findest du hier in den YT-Terms. Grüße aus der Online-Redaktion
Das Problem mit dieser Erklärung ist nur, dass sie falsch ist. Denn nur weil Filme auf Youtube „frei” zugänglich sind, bedeutet es noch lange nicht, dass die Rechteinhaber dieser Nutzung oder einer Weiternutzung in irgendeiner Form zugestimmt haben. Entscheidend dafür ist, dass die Rechteinhaber das Material selbst unter besagten Youtube-Nutzungsbedingungen hochgeladen oder diesem Hochladen explizit zugestimmt haben.
Dass das bei allen verwendeten Clips der Fall ist, ist völlig ausgeschlossen. So werden in dem Remix Ausschnitte aus Sendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verwendet, die sicher nicht mit offizieller Zustimmung auf Youtube hochgeladen worden sind.
Fazit: Legal ist der geniale Remix-Spot der IG Metal mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht. Dafür bräuchte es auch im europäischen Urheberrecht eine Öffnung des abgeschlossenen Katalogs an Ausnahmen („Schranken”) und die Einführung von so etwas wie einer allgemeinen Bagatellschranke nach Vorbild des US-Fair-Use.
Aber lassen Sie mich noch eine zweite Geschichte erzählen, die ich in der Woche davor erlebt habe. Und zwar hat dort ein Lehrer in mühevoller Arbeit über Wochen einen offenen Online-Kurs im Bereich Religionsunterricht zusammengestellt. Zur Bewerbung dieses Kurses hatte er schließlich die thematisch durchaus passende Idee, eine nicht einmal eine Minute Lange Szene aus dem Monty-Python-Film „Das Leben des Brian” neu zu synchronisieren – und zwar jene, in der sich die gekreuzigten anstellen und aufgefordert werden, bitte immer nur ein Kreuz mitzunehmen.
Der Content-ID-Algorithmus von Youtube erkannte das Filmmaterial auch in der Parodie einwandfrei und statt das Video zu sperren, wurde eine Werbeanzeige vorgeschaltet, an deren Einnahmen die Rechteinhaber/innen mitverdienen. Das Problem des Kursleiters war aber, dass er gerade gegenüber der jugendlichen Zielgruppe rechtlich auf der sicheren Seite sein wollte. Er schrieb also an verschiedene Stellen mit der Frage, ob diese Nutzung so rechtens sei, da ja offensichtlich auch eine Monetarisierung via Youtube Content-ID erfolge.
Die Antwort von Universal Pictures jedoch kam eindeutig und prompt:
[V]ielen Dank für Ihre Mail. Leider können wir Ihnen keine positive Antwort geben. Es ist Ihnen in keiner Weise gestattet, auf Ihrer Webseite Szenen, Sequenzen, Trailer oder Bildmaterial in irgendeiner Form zu veröffentlichen. Sie machen sich damit strafbar.
Abgesehen davon, dass sich der Lehrer durch die Veröffentlichung seiner kleinen, einminütigen Sequenz natürlich keineswegs strafbar gemacht hat, zeigt auch dieses Beispiel: die bestehende Rechtslage ist lebensfremd, behindert Kreativität und schadet letztlich sogar den Rechteinhabern selbst, weil Monetarisierung erschwert wird.
Deshalb brauchen wir schleunigst auch in Europa eine Reform der urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen und eine Ausdehnung von Zitatrechten. Kurz: ein Recht auf Remix.
Leonhard Dobusch, studierter Jurist und Betriebswirt, ist derzeit als Juniorprofessor für Organisationstheorie am Management-Department der Freien Universität Berlin tätig.
*Am heutigen 6. September veranstaltet die Initiative Urheberrecht zusammen mit dem iRights Lab den Urheberkongress 2013.
5 Kommentare
1 Alexander Koenitz am 7. September, 2013 um 13:53
“Abgesehen davon, dass sich der Lehrer durch die Veröffentlichung seiner kleinen, einminütigen Sequenz natürlich keineswegs strafbar gemacht hat, zeigt auch dieses Beispiel: die bestehende Rechtslage ist lebensfremd, behindert Kreativität und schadet letztlich sogar den Rechteinhabern selbst, weil Monetarisierung erschwert wird.”
Diese Beweisführung ist mir etwas schleierhaft. Wenn festgestellt wird, dass etwas nicht “strafbar” ist (somit angedeutet wird, dass Universal im Unrecht ist, was ich mal so nebenbei bezweifle) – wie kann dann gleich daraufhin behauptet werden, dass die Rechtslage (in der Publikation nicht strafbar wäre) “schädlich” ist? Fehlt da vielleicht ein argumentativer Zwischenschritt?
Abgesehen davon wird hier wieder etwas zusammengeworfen: einerseits das Urheberpersönlichkeitsrecht (somit das Recht von Urhebern darüber zu bestimmen, inwiefern sie (die öffentliche Zugänglichmachung) von inhaltlichen Abänderungen des Werkes (zu welchen Zweck auch immer) zulassen). Zum anderen das wirtschaftliches Verwertungsrecht, das bspw. mittels Monetarisierung wahrgenommen werden kann.
Man mag dem common sense-Argument zustimmen, dass eine Verwertung von Inhalten grundsätzlichim Interesse aller ist. Aber wenn eine inhaltliche Abänderung erfolgt, liegen die Dinge komplizierter. Und das passiert wenn die Sequenz eines Filmes anders vertont oder untertitelt wird. Wirtschaftliche Verwertbarkeit ist in diesen Fall kein Argument, dass Für oder Gegen eine solche Abänderung und deren Publikation spricht. Hier geht es vielmehr um so etwas wie den Anspruch eines Autors (oder Autorenkollektivs), dass die “richtige” oder “falsche” Interpretation eines Textes nicht durch die “Störung” Dritter beeinflusst werden soll. Diese Ansprüche werden in der Regel auch mit den Treuhändern für eine wirtschaftliche Verwertung durchgesetzt – aber sind von ökonomischen Argumenten klar abzugrenzen.
2 Leonhard Dobusch am 7. September, 2013 um 14:58
Nur kurz, bin unterwegs:
1.) Nur weil etwas nicht strafbar ist, ist es nicht legal.
2.) Persönlichkeitsrechte sind eine andere Baustelle und in beiden Beispielen nicht das Hauptproblem.
3.) In den USA wäre zumindest das IG Metall Video klar Fair Use.
3 Alexander Koenitz am 7. September, 2013 um 16:18
1. Das ist sicherlich der fehlende argumentative Zwischenschritt. ;-)
2. Mit geht es nicht um das “Persönlichkeitsrecht” – sondern um das “Urheberpersönlichkeitsrecht”, das Recht eines Urhebers, über die Nutzung eines Werkes zu entscheiden, dass prinzipiell unveräusserlich ist. Damit ist nicht (nur) die Verwertung gemeint, sondern auch die Kontrolle der umlaufenden Abänderungen und Ableitungen.
3. Copyright und Fair Use werden im englischsprachigen Raum vornehmlich unter ökonomischen und utilaristischen Gesichtspunkten diskutiert: ob sie zukünftiges wirtschaftliches Handeln fördern oder verhindern. Der Akzent beim kontinentaleuropäischen Urheberrecht liegt woanders: hier geht es um die “Werkherrschaft”, die unveräusserlich an die juristische Person des Urhebers gekoppelt ist. “Fair Use” mag der Metall-Remix im *ökonomischen Sinn* sein. Aber er ist kein “Fair Use”, wenn es um die zweckentfremdete Verwendung von “Aussagen” des Urhebers für Propaganda gilt. Wer dieses in Frage stellt, läuft auch Gefahr Urhebern die Autorität zu nehmen, die Abwandlung bspw. von Musik zu politischen Zwecken zu verhindern.
4 Leonhard Dobusch am 8. September, 2013 um 17:27
Gerade zu der Frage des Urheberpersönlichkeitsrechts, aber auch für andere Fragen empfehle ich einen Blick auf die FAQ der Initiative “Recht auf Remix“, an deren Ausarbeitung ich beteiligt war.
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