Freie Kultur in einer teuren Welt

„Frei wie in ‚freie Rede’, nicht wie in ‚Freibier’“.
Wie oft hat man diese Erklärung für freie Software gehört? Sie ist nett, eingängig und etwas zu schnell dahergesagt. Denn letztlich liegen die Dinge nie so einfach. Die Wendung vereinfacht nicht nur über die Maße, die Metapher führt in die Irre, da sie die Bewegung für eine freie Kultur verkennt.
„Meinungsfreiheit“ und „Bier“ – diese Wahl der Metaphern spricht Bände. Wenn wir freie Software mit freier Meinungsäußerung vergleichen, so nehmen wir an, dass es dabei um ein naturrechtlich begründetes Freiheitsrecht geht, nicht um ein gesetzlich verankertes Recht auf Grundlage des Eigentums. Diese Betrachtungsweise liegt für US-Amerikaner nahe, vor allem für die techno-libertäre Szene. Ich bin selbst aus den USA – dieser Artikel ist aus meiner Perspektive geschrieben und mag nicht für andere Kulturen oder Länder gelten. Wir jedenfalls sind vernarrt in die freie Meinungsäußerung, den berühmtesten Teil unseres ersten und beliebtesten Verfassungszusatzes.
„Freibier“ ist da schon eine Metapher, die schwerer zu schlucken ist. Doch eine Betrachtung in Begriffen der Meinungsfreiheit macht die Auswirkungen der freien Kultur auf Eigentumsrechte nicht ungeschehen. Sie verschleiert sie nur, wie ein genauerer Blick zeigt.
Freie Kultur und „geistiges Eigentum“
Der erste und der zweite Bestandteil der Definition freier Software betreffen tatsächlich die Freiheit (– die Freiheit, ein Programm für beliebige Zwecke auszuführen, zu untersuchen und zu verändern, Anm. d. Red.). Die dritte und vierte Bedingung erfordern es, dass der Urheber Benutzern erlaubt, Kopien und Bearbeitungen seiner Werke zu verbreiten. Will man eine Lizenz im Sinne der freien Kultur verwenden, wie sie zum Beispiel Creative Commons definiert, muss man in ähnlicher Weise Bearbeitungen des eigenen Werkes für kommerzielle Zwecke zustimmen.
Diese Lizenzen spiegeln zum einen die Forderung der Wissenschaft nach dem offenen Zugang zu Methoden und Ergebnissen anderer Forscher wider, zum anderen das Beharren aus der Sharing-Kultur um Musik oder Fan-Fiction, Inhalte, die man besonders mag, kopieren, ändern und remixen zu dürfen.
Es versteht sich, dass Entwickler, Forscher, Musiker und Schriftsteller etwas Wertvolles schaffen. Die Bewegung um freie Kultur ermahnt sie, diesen Wert preiszugeben. Wir mögen sagen, es sei eine Frage der Freiheit – aber die Mehrheitskultur nimmt eine andere Perspektive ein und beruft sich auf das „geistige Eigentum“.
Anhänger der freien Kultur dagegen lehnen die Idee des „geistigen Eigentums“ oft ab. Sie argumentieren, dass es leicht ist, digitale Produkte zu kopieren, im Gegensatz zu Lebensmitteln, Schränken oder Autos. In einer einzigen Sekunde kann man tausende Kopien von Emacs oder Harry Potter erzeugen. Ohne Knappheit gebe es keine Notwendigkeit für Eigentum.
Knappheit und Eigentum
Aber Knappheit ist kein natürliches Phänomen, das vollständig durch technische Möglichkeiten bestimmt wird. Wie so viele Dinge wird sie gesellschaftlich erschaffen. Die Menschheit produziert genügend Nahrung, um die ganze Welt zu versorgen, genügend Impfstoff, um ein Dutzend Krankheiten auszurotten, und zumindest in den USA genügend Behausungen, um sechshunderttausend obdachlose Mitmenschen zu beherbergen. Warum sollten wir gerade gegen künstliche Verknappung in der Kultur angehen, wenn künstliche Verknappung anderswo fundamentalen Schaden anrichtet?
Es ist daher nicht verwunderlich, dass viele Mitglieder der Bewegung um freie Kultur, so wie ich, ungeheuer privilegiert sind. Als Kind einer Familie aus der oberen Mittelklasse, Bürgerin der Vereinigten Staaten, als weiße, cis-geschlechtliche College-Absolventin habe ich keine Angst, jemals hungrig, obdachlos oder ohne lebenswichtige Gesundheitsversorgung dazustehen. Ohne mir ständig solche künstlichen Verknappungen vor Augen zu führen, kann ich mich unbeschwert auf freie Kultur konzentrieren. Ich kann Eigentum ignorieren, weil ich genug davon habe.
Wie viele andere Aktive für freie Software habe ich den Satz „Frei wie in ‚freie Rede‘, nicht wie in ‚Freibier‘“ viele Jahre gebraucht. Aber ich bin zum Verständnis gekommen, dass sie keine Erklärung, sondern ein begrifflicher Bluff ist. Eine freie Kultur hat Auswirkungen auf das Eigentum, die ins Auge gefasst werden müssen.
„Open Source“ und „freie Software“
Die Spaltung zwischen den Anhängern „freier Software“ und denjenigen der „Open Source“-Software“ kann mit unterschiedlichen Antworten auf dieses Problem erklärt werden. Verfechter freier Software tendieren dazu, Freiheitsrechte zu betonen, denken aber lieber nicht über Eigentum nach und meiden auch den Gedanken an „geistiges Eigentum“ so weit wie möglich. Dennoch halten sie zum größten Teil am Konzept des Eigentums als solchem fest.
Open-Source-Befürworter wiederum wollen die Auswirkungen des Eigentums auf freie Software mit der Kultur der Marktwirtschaft in Einklang bringen, in der sie produziert wird. Open Source, so argumentieren sie, werde den Wert des Eigentums erhöhen.
Wie Mako Hill in seinem Aufsatz „When Free Software Isn’t Better“ bemerkt, betont etwa die Open-Source-Initiative die höhere Qualität und die niedrigeren Kosten für Open-Source-Software. Aber, so fährt er fort, freie oder Open-Source-Software ist für Privatpersonen und Unternehmen manchmal von geringerer Qualität und niedrigerem Wert. Die Versöhnung von freier Software und Marktkultur, ein ohnehin zerbrechliches Gebilde, fällt dann auseinander.
Natürliche und gesellschaftliche Allmende
Aber der Open-Source-Ansatz ist nicht der einzige Weg, um zum Freibier zu gelangen. Auch das private Kapital von Unternehmen, die Open Source verwenden, ist nicht die einzige Art von Eigentum. Es gibt und gab immer die Gemeingüter, die Allmende.
Es ist leicht, die Argumente für freie Kultur an der Allmende auszurichten. Aus der offenen Wissenschaft wird das öffentliches Wissen, die freie Verbreitung von Kunst und Literatur wird zur geteilten Kultur, freie Software wird zur gemeinsam erschaffenen, gemeinsam geprüften Technologie. Unter diesem Blickwinkel ist freie Kultur eine Bewegung, die sich für den universellen Zugang zu einem Gemeingut einsetzt.
Dies ist natürlich keine neue Sichtweise. Creative Commons, eine der bekanntesten Organisationen, die sich für freie Kultur einsetzt, bedient sich genau dieses Ansatzes. Aber viele andere lehnen ihn ab, und auch diejenigen, die eine digitale Allmende befürworten, ignorieren oft die drängende Bedrohung unserer natürlichen und gesellschaftlichen Allmende. Sie treten für freie Kultur ein, nicht aber für öffentliche Bildung, allgemeine Gesundheitsversorgung, garantierte Unterkünfte, ein Grundeinkommen oder äquivalente Dinge.
Hier geht es nicht lediglich um Moral: Ist die natürliche und soziale Allmende nicht ausreichend geschützt, ist auch die digitale Allmende gefährdet. In einer von Knappheit geprägten Gesellschaft müssen wir unsere Arbeit sorgfältig einteilen. Menschen haben keine Zeit, etwas über ihre Computer zu lernen, Patches für Softwareprojekte einzureichen oder freie Musik zu suchen, statt sie sich unerlaubt anzueignen. Sie haben nicht die Sicherheit, in Open-Access-Zeitschriften zu veröffentlichen, gegen Überwachung zu protestieren und ihre Kunst oder Software zu verschenken und dabei auf eine Belohnung in der Zukunft zu hoffen.
Viele, die liebend gerne zu freier Kultur beisteuern würden, können es nicht, wie Ashe Dryden in ihrem Artikel über „The Ethics of Unpaid Labor and the OSS Community“ gekonnt darlegt. Ebenso wie unbezahlte Praktika in Politik und Kultur wirken unbezahlte Beiträge zu Software als Filter, der nur Privilegierte daran teilhaben lässt.
Kosten der Freiheit
Man kann hier leicht abwinken und einwenden, dass weniger privilegierte Menschen eher Zugang zu freier Kultur haben als zu proprietären Kulturprodukten. Schließlich wird sie meist verschenkt. Aber Zugänglichkeit steht bei freier Kultur selten an erster Stelle. Bei freier Software sind viele Projekte für andere Entwickler gemacht und die Selbsthilfe bei auftauchenden Problemen wird betont. Sich auf weniger privilegierte Menschen zu konzentrieren, ist auch nicht notwendig besser. Es kann tief herablassend sein, ohne wirklich zu helfen.
Doch diese Argumente gehen an der Sache vorbei. Unterrepräsentiert sind Gruppen in der freien Kultur weniger durch einen Mangel an Zugang zur digitalen Allmende. Sie werden vielmehr durch Bedrohungen der natürlichen und gesellschaftlichen Gemeingüter gelähmt. Verbundenheit im Handeln beim Ringen um physische Sicherheit und gegen andere Missstände ist nicht nur richtig, sie nützt uns allen. Wenn die Bewegung für freie Kultur die Fülle menschlicher Vielfalt repräsentiert, würde auch der Ansatz der Selbsthilfe zufriedenstellen. Wenn die freie Kultur jeden umfasst, der ihre Werte teilt, ergeben sich Ressourcen und Reichweite, um für eine lebendige und breit anerkannte digitale Allmende zu sorgen.
Aber wir leben in alarmierenden Zeiten. Die Computer, mit denen wir digitale Geschenke machen, werden oft von Menschen hergestellt, die den erniedrigenden Bedingungen ihrer Produktion nicht entkommen können. Ihre Herstellung zerstört zudem oft die ursprüngliche, natürliche Allmende. Diese Tatsachen lassen sich nicht wegabstrahieren – der Einsatz für eine freie Kultur findet nicht in einem Vakuum statt. Die Allmende in all ihren Formen – digital, sozial, wirtschaftlich, ökologisch – benötigt unsere Fürsprache, bevor die Kosten der Freiheit zu hoch werden, um sie tragen zu können.
Der Artikel entstammt dem Buch „Cost of Freedom“, deutsche Übersetzung für iRights.info von Sylvia F. Jakob. Das Buch befasst sich mit den „bekannten und unbekannten Kosten der Freiheit“ und ist gemeinfrei unter CC0-Widmung erschienen. Es ist dem syrischen Entwickler und Netzaktivisten Bassel Khartabil gewidmet. Khartabil war 2012 wegen angeblicher Gefährdung des Staates inhaftiert worden und wurde Berichten zufolge im vergangenen Jahr zum Tode verurteilt.
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