Frank Rieger: Warnhinweise würden das Abmahnwesen noch verschärfen
iRights.info: Das jetzige Modell, um Urheberrechtsverletzungen zu verfolgen, besteht darin, dass die Verwerter über Dienstleister nach illegalen Uploads im Netz suchen, IP-Adressen sammeln und am Ende Auskünfte über die Anschlussinhaber einholen. Wie würde sich das Warnhinweismodell davon unterscheiden?
Frank Rieger: Der Ansatz, wie er jetzt diskutiert wird, basiert weiterhin darauf, dass die IP-Adressen von Nutzern ermittelt werden, nur dass die Internetprovider als Hilfssherrifs eingespannt werden sollen. Sie würden den Benutzer also darauf hinweisen müssen, dass die Adresse seines Computers ermittelt wurde und er offenbar Böses getan hat. Man schickt also erst einmal nur drei Warnungen, bevor man anfängt, abzumahnen. Doch wenn man genau auf die Äußerungen von Vertretern der Verwerterindustrie hört, wird deutlich, dass es sich dabei nur um einen Anfang handeln würde. Ihnen geht es darum, den Druck auf die Nutzer zu erhöhen. Mit einem solchen Modell würden sie sich nicht zufrieden geben.
Welche weiteren Optionen oder Stufen für Warnhinweis-Modelle gibt es?
Die Option, die mit den größten Eingriffen in den Datenverkehr wie auch in Grundrechte verbunden ist, wäre die Deep Packet Inspection, wenn also einzelne Dateien oder Downloads dem Inhalt nach identifizert werden.
Doch gleich welche Option: Ein Warnhinweismodell wäre bereits heute durch die Rechteinhaber selbst umsetzbar. Schon jetzt könnten sie die IP-Adresse ermitteln lassen und ensprechende Warnungen selbst verschicken, statt Nutzer sofort abzumahnen. Warum die Verwerter das nicht tun, konnten sie auch heute im Bundestag nicht darlegen.
Auch jetzt gibt es bereits Eingriffe der Provider, etwa wenn – mit Zustimmung der Nutzer – Spamfilter für E-Mails betrieben werden. Wo liegt der Unterschied?
Bei Spamfiltern handelt es sich um eine Art, E-Mails zu sortieren. Jeder Nutzer kann sie auch selbst, zum Beispiel in seinem Postfach, vornehmen. Bei der Deep Packet Inspection müssten die Provider den gesamten Internetverkehr beobachten, nicht nur einzelne Teile. Am Ende dieses Szenarios stünde eine Überwachungsgesellschaft. Daher lehnen wir solche Optionen strikt ab.
In der Stellungnahme des CCC zur Bundestagsanhörung wird auch auf eine Privatisierung der rechtsstaatlichen Aufgaben verwiesen. Die Befürworter von Warnhinweisen wie Rolf Schwartmann widersprechen dem. Ein Warnhinweis allein habe keine Rechtsfolgen, er soll dem juristischen Prozedere ja gerade vorgelagert sein.
Das ist eine idealisierte Betrachtung der Entwicklung, die mit Warnhinweisen eingeleitet würde. Wenn ein Rechteinhaber zum Richter geht und sagt: Diesen und jenen Besitzer einer IP-Adresse wollen wir abmahnen oder verklagen, weil er schon drei oder fünf mal illegales Filesharing betrieben hat, dann ist die Wirkung auf den Richter und dann auch die Beweiswürdigung eine völlig andere, als wenn gegenwärtig die Aussage einer IP-Adressen-Ermittlungsfirma gegen die Aussage des Nutzers steht.
Die Befürworter von Warnhinweisen argumentieren auch, dass durch sie das Abmahnwesen eingedämmt werden könnte.
Wir erwarten, dass ein Warnmodell zügig weiter ausgebaut würde, um die Nachverfolgung der Benutzer durch Abmahnungen und Klagen zu perfektionieren. Eben deswegen sagen wir, dass es sich um eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung handelt, bei der dem Nutzer am Ende keine Möglichkeit mehr offen steht, zu bestreiten, dass er eine Rechtsverletzung begangen haben soll – es war dann ja anscheinend bereits drei oder fünf mal so. Da sehen wir eine große Gefahr: Die Tür zu einem Verfahren würde geöffnet, mit dem die Abmahnpraxis weiter automatisiert wird und die Zahlen weiter ansteigen werden.
Wenn solche technischen Lösungen nach Ansicht des CCC nicht funktionieren, was dann?
Die Frage ist: Wozu treibt man diesen gesamten Aufwand? Wo doch eigentlich klar ist, dass man im Zweifel damit leben müssen wird, dass es Filesharing gibt. Wie man ja auch damit lebt, dass jede Zeitung drei mal gelesen wird, dass jedes Buch fünf mal gelesen wird und DVDs untereinander verliehen werden. Hier müsste man nur sagen: Es reicht doch eigentlich vollkommen aus, wenn jemand ein Drittel oder ein Fünftel für dieses Werk zahlt, so wie jetzt schon im analogen Bereich auch; es reicht aus, dass man Mechanismen schafft, die es einfach machen, Werke zu kaufen und alternative Vergütungsmodelle wie die Kulturwertmark oder Kulturflatrate-Modelle, die dafür sorgen, dass eventuelle Einkommensausfälle ausgeglichen werden, ohne dass man die Nutzer diskriminieren müsste.
Wir müssen insgesamt zu einer neuen gesellschaftlichen Vereinbarung zwischen Urhebern, Nutzern und Verwertern kommen. Eine Vereinbarung, in der man sagt: Wir wollen Kunst und Kultur und wir wollen, dass Leute davon leben können und ein vernünftiges Auskommen haben. Wir sagen allerdings auch: Es gibt kein Recht auf Reichtum, das ist ebenfalls ein ganz wesentlicher Grundsatz. Aus diesen Gründen haben wir den Vorschlag der Kulturwertmark gemacht. Aber wir wollen nicht, dass – insbesondere zur Durchsetzung der Interessen von Majorlabels und Großkünstlern – die Rechte der Nutzer derart weit eingeschränkt werden. Ein solcher neuer Vertrag würde auch das Urheberrecht auf ein sinnvolles Maß zurückführen.
Was sagen Sie dazu?