Fernsehen an der Schnittstelle von Mensch und Internet
1992 versprach Nokia „Connecting People“ und setzte mit dem visionären Slogan vorsichtig einen Fuß in die sich anbahnende Ära der globalen Massenkommunikation. Fast ein Vierteljahrhundert ist das her. Microsoft hatte damals gerade Apple auf dem Personal-Computer-Markt verdrängt und niemand konnte sich nur im Entferntesten vorstellen, dass mobile Endgeräte einmal die Art und Weise, wie Menschen durch ihren analogen Alltag navigieren, beeinflussen würden.
Im selben Jahr wurde in England die erste SMS versendet (was die zweite Generation von Mobilfunktechnologie einleitete), ein Jahr drauf brachte Nokia mit dem Modell 1011 das erste Mobiltelefon auf den Markt, das Textnachrichten senden und empfangen könnte.
Mit der Prophezeiung „Connecting People“ war implizit das Versprechen verbunden, dass digitale Technologie den Menschen nicht weiter von sich entfremdete, sondern im Gegenteil die Kommunikation über Sprachen, Kulturen und Kontinente hinweg erleichtern würde. So einfach und so universal klang die Botschaft, dass man in Finnland noch an ihr festhielt, als ein Unternehmen aus dem kalifornischen Silicon Valley längst die Markenhoheit über unsere mobile Kommunikation erlangt hatte.
Es liegt eine mythische Dimension in diesem historischen Moment, in dem Computer begannen, unseren Alltag zu durchdringen und besetzen. Es ist deshalb nur folgerichtig, dass Kino und Fernsehen in den vergangenen Jahren verstärkt diesen neuralgischen Punkt, die Schnittstelle von Mensch und digitalem Leben, in den Fokus genommen haben.
Apple hat das Mensch-Maschine-Interface alltagstauglich gemacht, die sozialen Medien laufen als Informationsquelle den traditionellen Nachrichtenkanälen längst den Rang ab und der NSA-Skandal war wohl nur das bekannteste Beispiel für die Verletzlichkeit des Bürgers in unserer vernetzten Welt.
Die Leben von Mark Zuckerberg („The Social Network“), Alan Turing („The Imitation Game“) und Steve Jobs („Jobs“) als weltanschauliche Entrepreneure des Geistes dienen hier als Vorzeigebiografien, um vielleicht auch unsere eigenen Kommunikationsbedürfnisse besser zu verstehen.
Serien beziehen in der Frage, wie Computer unser Leben prägen, ganz unterschiedliche Positione
Doch während das Kino in seiner dramaturgischen Komprimierungslogik (ein Leben auf zwei Stunden heruntergebrochen) noch stark zum längst aus der Mode gekommenen Geniekult neigt, hat das Fernsehen dank der zunehmenden Proliferation und Vernischung im Serienformat ganz andere Möglichkeiten, um von der Symbiose Mensch-Computer zu erzählen.
Vor allem hat es die Fernsehserie nicht mehr nötig, soziale Prozesse an singulären Großbiografien zu exemplifizieren. Es kann auf offenere – auch populäre – Erzählformate wie das period drama, das procedural und die Sitcom zurückgreifen.
Serien wie „Halt and Catch Fire“, „Mr. Robot“ oder „C.S.I. Cyber“, um nur einige Beispiele zu nennen, beziehen in der Frage, wie Computer unser Leben prägen, ganz unterschiedliche Positionen. Am alleroffensichtlichsten ist der Zusammenhang bei der Serie „C.S.I. Cyber“, die auf vermeintlich neuesten digital-forensische Erkenntnissen in der Verbrechensbekämpfung beruht (die am Ende aber doch wie billige Science Fiction aussehen).
„Halt and Catch Fire“ kehrt zu den Anfängen der Revolution des Personal Computer, in die mittleren Achtziger Jahre, zurück und nimmt somit eine historische Perspektive ein. Was die Serien verbindet, ist der Umstand, dass sie sich mal mehr, mal weniger explizit um die Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Computer drehen – beziehungsweise um die Suche nach neuen Kommunikationsformen, die die althergebrachten ablösen oder zumindest erleichtern könnten.
Womit wir wieder beim Nokia-Klassiker „Connecting People“ wären, der auch gut als Werbeslogan für „Halt and Catch Fire“ und „Mr. Robot“ herhalten könnte. Die HBO-Sitcom „Silicon Valley“ ist dagegen schon einen Schritt weiter, weil der Fortschrittsglaube und die heile Welt der Internet-Start-ups bereits wieder einer Skepsis platzmacht, die ins Lächerliche kippt. Der Idealismus von Pied-Piper-Gründer Richard Hendriks, eine Art Anti-Steve-Jobs, kollidiert ständig mit den monetären Interessen von Techkonzernen und Investmentkapitalisten.
Dass „Silicon Valley“ auf persönlichen Erfahrungen des Serienschöpfers Mike Judge (Beavis & Butthead) aus den Achtzigerjahren beruht, die Manierismen und habituellen Verblendungen aber den schönsten Klischees von selbstbestimmter Arbeit und Geniekult unserer Gegenwart entsprechen, deutet ganz nebenbei vielleicht auch an, das sich die sogenannten Zukunftstechnologien schneller wandeln als die Mentalität im Silicon Valley.
Die Hauptrollen gehören den Programmieren, Entwicklern und Codern
„Halt and Catch Fire“ ist in diesem Zusammenhang die interessanteste Serie, und das nicht nur, weil sie im Verlauf ihrer bislang drei Staffeln eine erstaunliche Wandlung vollzieht. Ursprünglich war die von Christopher Cantwell und Christopher C. Rogers geschriebene Show als Nachfolger der immens erfolgreichen Serie „Mad Men“, die in den 1960er-Jahren spielt, konzipiert worden.
„Halt and Catch Fire“ hat jedoch nichts mit der glamourösen Werbewelt der New Yorker Madison Avenue gemein. Die ersten beiden Staffeln spielen in der texanischen Silicon Prairie der Achtzigerjahre, der anderen Geburtsstätte des amerikanischen Computerbooms.
Ums Verkaufen von visionären Ideen geht es auch hier, doch die Hauptrollen gehören den Programmierern, Entwicklern und Codern, die sich an der Schönheit eines Programmierbefehls erfreuen können und eher die technischen Möglichkeiten einer Software-Applikation sehen als die moralischen Implikationen.
„Halt and Catch Fire“ ist also, erstaunlich genug für eine Fernsehserie, ausgesprochen akribisch in der Beschreibung von technischen Prozessen. Dieses Nerdtum erscheint in dramatischer Hinsicht sogar schlüssig, weil sich die Macher eben auch für die soziale Anwendbarkeit interessieren. Die Seriendramaturgie fungiert gewissermaßen als Betriebssystem für grundsätzliche Fragen über die Rolle des Computers in unserem Alltag.
So verhandelt das historische Setting implizit Probleme von brennender Aktualität – wie etwa die Organisation des Arbeitsplatzes oder ethische Fragen in der praktischen Anwendung von neusten Entwicklungen. Wilder Gründergeist ist vor blühender Naivität nicht gefeit.
Dramaturgische Dynamik entsteht in „Halt and Catch Fire“ nicht zuletzt dank einer sukzessiven thematischen Schwerpunktverlagerung. Der Entrepreneur Joe MacMillan, in der ersten Staffel noch ein Charismatiker im Stil des „Mad Man“-Protagonisten Don Draper, tritt in Staffel Zwei in den Hintergrund, um sich in der dritten Staffel (nun ins Silicon Valley abgewandert) als Sicherheits-Guru mit deutlichen Steve-Jobs-Anleihen neu zu erfinden.
An seiner Stelle beginnen in der zweiten Staffel die Frauen langsam das Ruder zu übernehmen. Die Coderin Cameron Howe, immer mit einem obskuren Punksong auf den Kopfhörern, hat mit der Computeringenieurin Donna Clark eine Online-Plattform entwickelt, die zum Chatten, möglicherweise aber auch schon zum Privatverkauf von Waren genutzt werden könnte.
„Connecting People“ ist hier ganz wörtlich zu verstehen. In seiner optimistischeren Erzählung handelt „Halt and Catch Fire“ von versprengten Communities, die sich in der Urform des World Wide Web aufgrund ähnlicher Bedürfnisse bilden. Im zynischen, meint: realistischeren, Handlungsstrang der Serie heißen diese User bereits Kunden.
Hacking ist eben auch eine spezifische Kulturtechnik
Eine ähnliche Motivation wie die Protagonisten in „Halt and Catch Fire“ hat der Hacker Elliot Alderson in der NBC-Serie „Mr. Robot“. Der junge Programmierer leidet unter einer dissoziativen Identitätsstörung, was sich nachteilig auf den Umgang mit seinen Mitmenschen auswirkt (damit ist er – zumindest in der Mainstreamvorstellung – die perfekte Verkörperung eines IT-Autisten), verfügt aber über einen hohes Maß an sozialer Intelligenz. Wenn er nicht für eine Sicherheitsfirma die IT-Systeme globaler Konzerne wie „Evil Corp“ überprüft, hackt er die Computer von Freunden und Kollegen, um sie zu beschützen.
Dieses Social Hacking ist in „Mr. Robot“ die stärkste Metapher für die Durchlässigkeit von sozialen und Computersystemen. Elliot entwickelt in seinen elaborierten Monologen, die das Publikum als Komplizen in seine schizophrenen Gedankengänge einbeziehen, immer wieder plausible Wortspiele, die die affektive mit der technischen Arbeit eines Hackers kurzschließen.
In den ersten Folgen spricht er zum Beispiel von seinen Dämonen und vergleicht diese – seine Wahnvorstellungen, seine zwanghaften Angewohnheiten – mit Systemdiensten (DAEMON), die seine Handlungen bestimmen. Die menschliche Psyche als Betriebssystem. Elliots Verstand wird zum Computermonitor (mind = screen), auf den die Welt zusammenschrumpft. Seine IT-Skills sind die einzigen Werkzeuge, mit denen er noch mit Menschen in Kontakt treten kann.
„Mr. Robot“ wäre aber nur halb so interessant, wenn Showrunner Sam Esmail Hacking lediglich als soziale Metapher verstehen würde. Denn Hacking ist eben auch eine spezifische Kulturtechnik – beziehungsweise eine Culture-Jamming-Technik: In der ersten Staffel geht es um nicht weniger als den Zusammenbruch des globalen Finanzkartenhauses. Esmail legt großen Wert auf die realistische Darstellung der prozessualen Abläufe eines Hacks, bis hin zur konkreten Formulierung von Programmierbefehlen, die mit der Hilfe von Cybersecurity-Experten geschrieben wurden. Der Blick auf Computermonitore ist ein integraler Aspekt der Dramaturgie.
In der dystopischen Realität werden Computer zu einer kapitalistischen Kommodität
Diese Genauigkeit macht „Mr. Robot“ nicht nur zu einer faszinierenden Charakterstudie, sondern eben auch zu einer klugen Reflexion über den Zusammenhang von technischen und sozialen Skills. In diesem Punkt liegt der wesentliche Unterschied zu einer Serie wie „C.S.I. Cyber“, in der das Cyber sehr pauschal gleichgesetzt wird „mit allem, was mit elektronischen Geräten zu tun hat“ (so die Hauptprotagonistin Avery Ryan, gespielt von Patricia Arquette). „Mr. Robot“ liefert eine differenziertere Gegendarstellung zu diesem limitierten, letztlich reaktionären Verständnis des Cyber-Begriffs, in dem auch eine gefährliche Dosis Technikskeptizismus mitschwingt.
Wenn man so will, stellt auch die HBO-Serie „Westworld“, der jüngste Zuwachs unter den Mensch-Computer-Fernsehserien, die Kehrseite dieser sozialen Utopie dar. Im titelgebenden Freizeitpark können Reiche für viel Geld in einen vollcomputerisierten Wilden Westen eintauchen und in „Grand Theft Auto“-Manier wahllos humanoide Roboter abknallen. Doch nach einem Fehler im letzten Software-Update entwickeln die Maschinen plötzlich einen eigenen Willen.
In der dystopischen Realität von „Westworld“ haben Computer längst ihre soziale Funktion verloren, sie sind – Albtraum von Idealisten wie Cameron Howe, Elliot Alderson und Richard Hendriks – zu einer kapitalistischen Kommodität geworden. Kein Wunder, dass dieser vorläufige Höhe- und Endpunkt der Computerfaszination in US-Fernsehserien ausgerechnet aus der Feder des Technikskeptikers Michael Crichton stammt. Die Idee zu „Westworld“ ist fast fünfzig Jahre alt.
Dieser Beitrag ist auch im Magazin „Das Netz 2016/17 – Jahresrückblick Digitalisierung und Gesellschaft“ veröffentlicht. Das Magazin ist gedruckt und als E-Book erschienen, zahlreiche Beiträge sind zudem online zu lesen.
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