Extremismus im Netz: „Wir sollten den Zugang erschweren”
Zur Person:
Dr. Asiem El Difraoui ist Senior Fellow am Institut für Medien- und Kommunikationspolitik. Bis Oktober 2012 war der Politologe wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Naher/ Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Für das EU-geförderte Projekt Clean-IT zur Bekämpfung illegaler Inhalte im Internet ist El Difraoui beratend tätig. 2012 veröffentlichte El Difraoui die Studie „Jihad.de“ zur jihadistischen Online-Propaganda.
iRights.info: Das Clean-IT-Projekt hat für viel Aufsehen gesorgt. Die EU plane die Zensur des Internets, so ein häufiger Vorwurf. Sie haben an Treffen des Forums teilgenommen. Ist die Kritik berechtigt?
Asiem El Difraoui: Ich kann den Wirbel nicht verstehen. Das in den Arbeitspapieren zunächst mal viel Unausgegorenes steht, ist normal. Innerhalb des Projekts werden die teils kontroversen Vorschläge ganz sicher auch kontrovers diskutiert. Da wird auch gestritten. Das ist ein offener Meinungsaustausch, keine Geheimverhandlung. Am Ende des Projekts legt Clean-IT dann ein Policy-Paper vor, also Anregungen zum Nachdenken, Handlungsoptionen für die Politik. Über konkrete Maßnahmen müssen dann die Volksvertreter entscheiden.
iRights.info: Was ist Ihre Rolle in im Clean-IT-Forum?
Asiem El Difraoui: Meine Rolle ist es, die Teilnehmer über den Jihadismus im Internet zu informieren. Wir müssen erst mal lesbar machen, was da stattfindet. Ich persönlich bin gegen jede Zensur. Wir haben allerdings zu Recht Gesetze, die Volksverhetzung und den Aufruf zur Gewalt verbieten. Sie gelten auch im Internet.
Keine Deutungshoheit für die Radikalen
iRights.info: Wie groß ist das Problem Jihadismus im Netz?
Asiem El Difraoui: Wir müssen zunächst trennen. Es gibt operative terroristische Aktivitäten im Internet wie die Vorbereitung von Anschlägen. Sie laufen im sogenannten Deep Dark Net ab, in geschlossenen Foren oder über versteckte Briefkästen, davon bekommt die Öffentlichkeit nichts mit. Hier sind die Sicherheitsbehörden laufend gefordert.
Was mich beschäftigt, ist allerdings die Propaganda für extreme jihadistische Gruppen. Sie hat eine lange Tradition und ist gefährlich, nicht nur in der arabischen Welt. Sie erreicht zunehmend auch Menschen im Westen, etwa junge Konvertiten. Im Internet stoßen Nutzer heute sehr schnell auf extremistische Webseiten. Oft reicht es schon, nur nach dem Wort „Islam“ zu suchen, und schon gelangen sie relativ schnell auf radikale Seiten, etwa von extremen Salafisten – wobei dazu gesagt werden muss, dass die Mehrheit der Salafisten nicht gewaltbereit ist. Wenn sie noch Wortfolgen wie „Leiden der Muslime“ oder „Verschwörung gegen den Islam“ hinzufügen, werden die Ergebnisse immer radikaler. Auf Youtube findet man unter „Jihad“ auch extremistische Videos, die sehr radikalisierend wirken können, weil sie Emotionen ansprechen, etwa, indem sie leidende Muslime zeigen.
iRights.info: Haben Sie konkrete Beispiele für eine Radikalisierung über das Internet?
Asiem El Difraoui: Es gibt keine genauen empirischen Untersuchungen hierzu. Aber man weiß, dass sämtliche Jihadisten, die Anschläge planten oder verübten, intensiv das Internet nutzten. Das Internet scheint ein wichtiger Radikalisierungsfaktor, aber natürlich nicht der einzige zu sein.
iRights.info: Nun gibt es diese extremistische Propaganda im Netz. Wie sollte die Gesellschaft damit umgehen?
Asiem El Difraoui: Zunächst einmal müssen wir zur Kenntnis nehmen, was alles im Internet verbreitet wird. Es gibt viele jihadistische Interpretationen islamischer Konzepte, die zur Radikalisierung führen können, etwa das angebliche Verbot, mit Ungläubigen befreundet zu sein. Diese Inhalte müssen wir überhaupt registrieren und verstehen. Wichtig ist es dann, solche Ideologien zu entlarven. Das sollte an den Schulen passieren, aber natürlich auch im Internet selbst. Die Gegenauslegung des Islams muss im Netz an prominenter Stelle präsent sein. Die Radikalen dürfen nicht die Deutungshoheit über den Islam erlangen. Reine Überwachungsmaßnahmen können diese Prävention nicht ersetzen.
Ein Mordaufruf muss sehr schnell gefunden und entfernt werden
iRights.info: Ist der gemäßigte Islam im Internet nicht sichtbar genug?
Asiem El Difraoui: Nicht nur der gemäßigte Islam, auch die vielen Einzelinitiativen gegen jihadistische Tendenzen treten dort nicht gebündelt und koordiniert auf. Es gibt zum Beispiel kein öffentlich zugängliches, objektives Nachschlagewerk im Internet zu wichtigen islamischen Begriffen und Konzepten. Das ist noch jahrzehntelange Arbeit. All dies wirft die große Frage nach der immer noch mangelnden Integration deutsche Muslime auf.
iRights.info: Braucht es neue Gesetze, um gegen jihadistische Webseiten vorzugehen?
Asiem El Difraoui: Meiner Ansicht nach nicht. Wir haben gesetzlich definiert, wann etwas Volksverhetzung ist, zur Bildung einer terroristischen Vereinigung beiträgt oder gegen den Jugendschutz verstößt. Aber die Überwachung kann verbessert werden. Es gibt ja schon das gemeinsame Internetzentrum in Berlin, an dem auch Islamwissenschaftler Internetseiten beobachten, auch der Verfassungsschutz macht das. Aber auch sie finden nicht alles. Ein Aufruf zum Mord, zum Rassenhass, zur Gewalt muss sehr schnell gefunden und entfernt werden. Das gilt genauso wie für den Aufruf, Muslime oder Angehörige irgendeiner anderen Volksgruppe zu töten.
iRights.info: Welche Rolle sollen die Internet-Provider hierbei spielen?
Asiem El Difraoui: Man kann schon von Providern wie Google oder Facebook erwarten, dass sie eindeutig rechtswidrige Inhalte erkennen und entfernen. Ein Mordaufruf muss auch nicht acht Wochen lang auf Youtube zu sehen sein. Auf der anderen Seite bin ich kein Freund von groß angelegten Filter-Systemen. Wie die arabischen Revolutionen gezeigt haben, ist das Internet wichtig für freiheitliche Bewegungen. Es hat ein enormes Potenzial als politische Infrastruktur und als Demokratisierungs-Instrument. Systematische Eingriffe sind riskant.
Debatte über die Internetfreiheit und Konzerne
iRights.info: Ganz lassen sich Inhalte sowieso nicht aus dem Netz verbannen. Zensurbehörden wie in China kann niemand wollen…
Asiem El Difraoui: Wir bekommen ultra-extreme Seiten nicht dauerhaft weg, das stimmt. Wir sehen das am Beispiel des Ex-Rappers “Deso Dogg”. Youtube-Videos mit seinen „Jihad-Raps“ wurden zwar gelöscht, aber mit ein wenig Geschicklichkeit kann sie jeder im Netz wiederfinden. Aber man kann den Zugang erschweren. Auch Google kann natürlich sein Ranking so verändern, dass gewalttätige Angebote eben nicht sofort ganz oben auftauchen.
iRights.info: Wann immer Provider wie Google anfangen, den Zugang zu Inhalten zu erschweren, setzen sie sich dem Vorwurf der Zensur aus…
Asiem El Difraoui: Deshalb muss man bei all diesen Maßnahmen sehr vorsichtig, aufrichtig und transparent sein. Darüber muss öffentlich diskutiert werden.
iRights.info: Das heißt, Provider wie Google oder Facebook sollten offen sagen, zu welchen Inhalten sie den Zugang erschweren?
Asiem El Difraoui: Sie sollten ihre Politik völlig offenlegen. Sie sollten klar sagen, welche Maßnahmen sie ergreifen. Der Jihadismus ist hier nur ein Präzedenzfall für eine allgemeine Debatte über die Internetfreiheit sowie die Rolle der Mega-Internetkonzerne, die wir schon lange führen müssen.
Alle Karten offen legen, in allen Bereichen
iRights.info: Besteht nicht die Gefahr, dass Provider beispielsweise die Clean-IT-Anregungen freiwillig übernehmen, und aus einer Art voreilendem Gehorsam Inhalte unterdrücken – etwa um sich mit staatlichen Behörden gut zu stellen, die ja auch Aufträge zu vergeben haben? Das wäre demokratietechnisch bedenklich…
Asiem El Difraoui: Provider-Dienste sind demokratietechnisch sowieso bedenklich. Mir macht der Umgang mit meinen Daten bei Facebook oder Google mehr Sorgen als vieles andere. Wir müssen von dieser ganzen Industrie mehr Transparenz verlangen. Sie sollen helfen, rechtswidrige Inhalte zu identifizieren, dabei aber völlig transparent vorgehen. Sie sollen sagen: das ist unsere Politik gegenüber Nazis, gegenüber Jihadisten, auch gegenüber chinesischen Dissidenten. Sonst kann im Hintergrund Unerträgliches und Freiheitsgefährdendes passieren. Diese mächtigen Konzerne in privater Hand sollen ihre Karten offen legen, in allen Bereichen.
iRights.info: Nun ist eine zentrale Stärke der Demokratie, Fragen zu diskutieren und Gegenargumente hervorzubringen, statt unliebsame Ideologien einfach totzuschweigen und zu zensieren…
Asiem El Difraoui: Völlig einverstanden. Ideologie soll nicht totgeschwiegen und zensiert werden, außer es handelt sich um den Aufruf zu Gewalt und zum Rassenhass. Hier ist die Demokratie sogar verpflichtet, einzugreifen. Das ist bei mir die konkrete Trennlinie. Wenn Muslime von einer globalen Verschwörung gegen den Islam schreiben, ist das Meinungsfreiheit. Wenn zu Anschlägen aufgerufen wird, ist Schluss.
iRights.info: Nun konnten sich Extremisten in der analogen Welt auch austauschen, ohne dass man deswegen etwa den Telefon- oder Briefverkehr beschränkt hätte. Besteht im Internet wirklich Handlungsbedarf?
Asiem El Difraoui: Es besteht konstanter Handlungsbedarf. Das Phänomen wurde lange vernachlässigt. Die Behörden waren unerfahren und wurden von den Terroranschlägen am 11. September 2001 überrascht. Extremisten schaukeln sich im Internet gegenseitig hoch. Das hat ganz reale Folgen, etwa wenn junge Männer nach Afghanistan in den Jihad ziehen, am Hindukusch sterben wollen. Zumindest müssen solche Tendenzen überwacht werden.
Jihad der Geheimdienste
iRights.info: Sie weisen in Ihrer Studie darauf hin, dass saudische und US-Geheimdienste selbst jihadistische Webseiten betrieben haben, um Extremisten zu überwachen und ihnen auf die Spur zu kommen. Für die Ermittler ist das Internet also nicht nur Fluch, sondern auch Segen…
Asiem El Difraoui: Die Amerikaner dürfen sogenannte Sting-Operationen durchführen. Diese werden regelmäßig in Terror-Prozessen dokumentiert. Das heißt, das FBI liefert beispielsweise einem Extremisten Anschlagspläne, der beißt an und wird verurteilt. Das geht in Deutschland zu Recht nicht. Aber man kann natürlich verstehen, dass amerikanische und saudische Geheimdienste solche Mittel auch im Internet ergreifen. Die Saudis haben hier eine Kernkompetenz, weil sie einer Glaubensrichtung nahestehen, die in begrenztem Umfang auch mit dem Jihadismus verbandelt ist. Sie können solche Foren aufziehen und so nachrichtendienstliche Erkenntnisse gewinnen, die ich selber nicht beurteilen will. Die Logik ist klar, man zieht solche Angebote selbst hoch und weiß dann, wer mitmacht, und was dort los ist.
Der Jihadismus als Beispiel
iRights.info: Macht es Sinn, extremistische Seiten zu tolerieren, um die Szene im Blick zu behalten?
Asiem El Difraoui: In begrenztem Umfang schon. Das ändert aber nichts daran, dass man den Zugang erschweren sollte. Nicht jeder Jugendliche muss in wenigen Sekunden auf einer Jihad-Seite landen, wenn er nach dem Islam sucht.
iRights.info: Wenn die Jihad-Videos nicht mehr auf Youtube sind, dann laufen sie eben woanders. Dann wirken sie vielleicht noch exklusiver und anziehender. Der Zuschauer darf sich als Teil einer verschworenen Gemeinschaft fühlen. Wäre das nicht kontraproduktiv?
Asiem El Difraoui: Nein, es würde den Kreis der Adressaten dieser Botschaften einschränken. Wir würden es auch nicht wollen und dulden, wenn in jedem Schaufenster rechtsextreme Bücher ausliegen würden, die zum Völkermord aufrufen, oder?
iRights.info: Muss man nicht fürchten, dass im Zuge der Terrorabwehr Überwachungsmethoden etabliert werden, die jederzeit für alle möglichen Zwecke und gegen alle möglichen unliebsamen Akteure missbraucht werden können?
Asiem El Difraoui: Das liegt in der Natur der Sache. Deshalb ist es ja so wichtig, am Beispiel Jihadismus eine Debatte zu führen. Welche Maßstäbe sollen gelten? Welche Rolle sollen Provider spielen? Welcher Datenschutz ist unantastbar? Vielleicht wäre das ja das Gute am Wirbel um Clean-IT, das hier endlich eine breite Diskussion in Gang kommt.
Was sagen Sie dazu?