Europäischer Gerichtshof: Streaming-Nutzung kann Urheberrechte verletzen

Foto: Ginny, movie night, CC BY-SA
Was hat der EuGH entschieden?
Der Europäische Gerichtshof hat heute im Kern über zwei Fragen entschieden (Aktenzeichen C–527/15, Pressemitteilung). Die erste betrifft den Verkauf von Streaming-Boxen, die zweite die Nutzung solcher Angebote:
- Wer technisches Zubehör wie eine Streaming-Box anbietet, die die Nutzung illegaler Quellen für breite Kreise erleichtert, kann damit Urheberrechte verletzen. Dass die Anbieter solcher Streams die Verwertungsrechte der Film- und Fernsehindustrie verletzen, war unstrittig. Doch auch der Verkauf wie in dem entschiedenen Fall kann in das Recht zur „öffentlichen Wiedergabe“ von Filmen und Fernsehsendungen eingreifen, so der Europäische Gerichtshof im ersten Teil seiner Entscheidung.
- Daneben können auch die beim Streaming entstehenden flüchtigen Kopien – etwa im Arbeitsspeicher auf dem Gerät des Nutzers – Urheberrechte verletzen, so der zweite Teil des Urteils. Das EU-Recht sieht zwar eine Ausnahme vor, die solche, bei digitaler Übertragung unvermeidbaren Kopien erlaubt (Artikel 5 der EU-Urheberrechtsrichtlinie). Zumindest bei den Streaming-Boxen gelte sie aber nicht, da die Nutzer freiwillig und in Kenntnis der Sachlage auf illegale Quellen zugriffen.
Was war der Anlass des Urteils?
In den Niederlanden bot der Verkäufer Jack Frederik Wullems eine vorkonfigurierte Streaming-Box („Filmspeler“) an. Wer sie an den Fernseher anschließt, kann darüber auf viele Streaming-Quellen im Netz zugreifen. Die Geräte bestanden aus handelsüblichen Komponenten, einem Minicomputer und dem Abspielprogramm XBMC, heute bekannt als „Kodi“. Über Erweiterungen war das Abspielprogramm so eingerichtet, dass es auch auf eine Reihe dubioser oder illegaler Streaming-Seiten zugreifen konnte.
Der Verkäufer bewarb sein Angebot unter anderem damit, Käufer müssten „nie mehr für Filme, Serien und Sport bezahlen“ und „nie mehr ins Kino gehen“, Netflix sei „damit Vergangenheit“. Der niederländische Antipiraterieverband BREIN versuchte, den Verkauf zu stoppen und klagte gegen ihn. Im Herbst 2015 entschied ein Regionalgericht in den Niederlanden, den Europäischen Gerichtshof anzurufen, um die Auslegung des EU-Rechts in diesem Fall zu klären.
Was hat der Streit um den Verkauf mit dem Betrachten der Streams zu tun?
Der Verkäufer bewarb sein Angebot mit der Aussage, das Streaming sei im Gegensatz zum Download klar erlaubt. Ob die Kopien beim Anschauen illegaler Streaming-Quellen tatsächlich erlaubt sind, war unter Rechtsexperten aber umstritten. Der Antipiraterieverband BREIN wollte vor Gericht zugleich erreichen, ihn wegen irreführender Werbung und unlauterer Geschäftsmethoden zu verurteilen. Mit seiner Auslegung des EU-Rechts beim Zwischenspeichern zielt der Europäische Gerichtshof darauf, ob diese Werbeaussagen zulässig sind. Darüber muss dann das Gericht in den Niederlanden entscheiden.
Wie begründet der EuGH sein Urteil?
Der Europäische Gerichtshof knüpft an seine Rechtsprechung an, nach der auch Links Urheberrechte verletzen können. Das gilt zumindest, wenn ein Linksetzer von der Rechtswidrigkeit der verlinkten Quelle wusste oder gewusst haben müsste. Links auf illegale Streaming-Quellen, die als Verzeichnis in einer Software hinterlegt sind, bewertet er letztlich ebenso wie Links auf einer Webseite. Die Hauptattraktion des „Filmspelers“ liege gerade darin, dass viele Nutzer damit leicht auf kostenlose illegale Quellen zugreifen könnten. Den dort angebotenen Werken werde durch das Angebot ein „neues Publikum“ eröffnet.
Beim Streaming aus illegalen Quellen wie im Fall des „Filmspelers“ greife auch keine Ausnahme vom Vervielfältigungsrecht für flüchtige Kopien, wie sie die EU-Urheberrechtsrichtlinie vorsieht. Der EuGH verweist unter anderem darauf, dass die Käufer der Streaming-Box diese im vollen Wissen nutzten, damit auf unerlaubte Angebote zuzugreifen und das Angebot entsprechend beworben wurde. Erlaubt sind die flüchtigen Kopien nur unter einer Reihe von Voraussetzungen, die er im konkreten Fall nicht als gegeben ansah. So dürfen sie unter anderem die „normale Verwertung“ der Werke nicht beeinträchtigen.
Wurden Nutzer bereits für illegales Streaming abgemahnt?
Bislang war das Streaming aus illegalen Quellen zwar auf Nutzerseite in einer Grauzone, es ist aber nicht bekannt, dass Rechteinhaber erfolgreich gegen Nutzer vorgegangen sind.
Ein Sonderfall war die Abmahn-Affäre um das Porno-Portal Redtube im Jahr 2013, die von vielen Ungereimtheiten begleitet wurde. Dabei wurde Nutzern vorgeworfen, durch das Abspielen eines Clips per Streaming Verwertungsrechte verletzt zu haben. Bis heute ist nicht völlig geklärt, wie die Absender an die IP-Adressen der Nutzer gelangten, um ihre Abmahnungen zu verschicken. Möglicherweise waren dabei manipulierte Webseiten oder -Adressen im Spiel. Der Versuch, mit Streaming-Abmahnungen ein Geschäft zu machen, ging für den ehemaligen Anwalt Thomas Urmann und andere Beteiligte am Ende nach hinten los.
Im Verlauf der Abmahn-Affäre hatte unter anderem die Bundesregierung die Einschätzung geäußert, „das reine Betrachten eines Videostreams“ sei keine Urheberrechtsverletzung. Allerdings hatte sie auch darauf verwiesen, dass die Frage letztlich nur vom Europäischen Gerichtshof entschieden werden kann.
Was bedeutet das Urteil für Nutzer?
Rechteinhaber dürften sich mit dem Urteil in ihrer Auffassung bestätigt sehen, dass der Abruf von Inhalten per Streaming aus illegalen Quellen verboten ist. Dann könnten sie gegen die Nutzer illegaler Streaming-Seiten vorgehen und sie abmahnen oder verklagen. In der Praxis ist das unwahrscheinlich, vor allem durch technische Gegebenheiten. Beim unerlaubten Anbieten von Dateien – etwa über Torrents – hinterlassen Nutzer meist eine Datenspur, weil ihre IP-Adresse sichtbar ist. Über den Provider können Rechteinhaber Auskunft erhalten, über welchen Internetanschluss die Dateien angeboten wurden.
Anders beim Streaming: Dort lässt sich für Außenstehende normalerweise nicht erkennen, wer das Angebot nutzt. Es sind eher diese Hürden – und weniger die rechtliche Grauzone – die etwa die Filmindustrie bislang davon abgehalten haben, gegen die Nutzer illegaler Streaming-Seiten vorzugehen.
In jedem Fall riskant war es schon bisher, wenn Nutzer spezielle Streaming-Programme auf Peer-to-Peer-Basis wie Popcorn Time und dessen Varianten einsetzen, um illegale Quellen zu nutzen. Denn sie basieren ebenfalls auf der Torrent-Technologie, bei der die abgerufenen Filme zugleich öffentlich angeboten werden. Wer sie verwendet, handelt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Abmahnung ein.
Was bedeutet das Urteil für Rechteinhaber?
Für die Rechteinhaber von Filmen und anderen Werken ist das Urteil ein Erfolg, auch wenn ein Vorgehen gegen Nutzer der Streaming-Box oder in vergleichbaren Konstellationen eher unwahrscheinlich ist. Das Urteil könnte es ihnen aber zum Beispiel auch erleichtern, vor Gericht gegen Internetanbieter in unterschiedlichen Ländern vorzugehen und – unter Verweis auf massenhafte Rechtsverletzungen – bestimmte Streaming-Seiten sperren zu lassen. Auch gegen die Anbieter von vergleichbarem Streaming-Zubehör, das die Nutzung illegaler Quellen erleichtert, dürfte die Filmwirtschaft nun leichter vorgehen können.
1 Kommentar
1 Schmunzelkunst am 7. Mai, 2017 um 20:31
Durch die Diskussionen im Internet und Recherchen in der Fachliteratur bin ich auf den Erwägungsgrund 33 der InfoSoc Richtlinlie Art 5 gestoßen. Die Problematik erschließt sich, wenn man den letzten Satz daraus betrachtet: „(33) … Eine Nutzung sollte als rechtmäßig gelten, soweit sie vom Rechtsinhaber zugelassen bzw. nicht durch Gesetze beschränkt ist.“ Der letzte Teil „bzw. nicht durch Gesetze beschränkt ist“ kann auch auf das Streamen vom Filmen aus illegaler Quelle zutreffen. Wenn z. B. die Nutzung eines Werks lediglich in der bloßen Betrachtung besteht, sind die flüchtigen Kopien immer erlaubt. Denn die bloße Betrachtung ist urheberrechtsfrei. Sie ist nicht durch Gesetze beschränkt.
So jedenfalls kann man es sehen. Auch der EuGH ist diesem Satz aus der Richtlinie bereits mehrmals gefolgt, versucht allerdings jetzt einem Weg zu finden, davon abzuweichen (vgl. die Rn. 62ff des neuen EuGH-Urteils). Deshalb macht er keine Aussage zum Streamen an sich, sondern nur zum Streamen „auf einem multimedialen Medienabspieler wie dem im Ausgangsverfahren fraglichen“.
Zitat aus Rn. 69: “Dagegen ist unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens – insbesondere unter Berücksichtigung des Inhalts der in Rn. 18 des vorliegenden Urteils geschilderten Werbung für den in Rede stehenden multimedialen Medienabspieler und des in Rn. 51 des vorliegenden Urteils angeführten Umstands, dass der Hauptanreiz des Medienabspielers für die potenziellen Erwerber in der Vorinstallation der fraglichen Add-ons liegt – festzustellen, dass der Erwerber eines solchen Medienabspielers sich grundsätzlich freiwillig und in Kenntnis der Sachlage zu einem kostenlosen und nicht zugelassenen Angebot geschützter Werke Zugang verschafft.”
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