Ansgar Koreng: Filtersysteme werden nicht lange auf Urheberrechte beschränkt bleiben
iRights.info: Was genau plant die EU-Kommission in Bezug auf Filtersysteme?
Ansgar Koreng: Die EU-Kommission hat einen Richtlinienentwurf vorgelegt, um einen digitalen Binnenmarkt in der Europäischen Union zu schaffen und zu fördern. Ein Teil dieses Entwurfs ist der Vorschlag, dass Content-Provider, die in großem Umfang urheberrechtlich geschütztes Material speichern, dazu verpflichtet werden können, Filtersysteme einzurichten. Das soll verhindern, dass urheberrechtlich geschütztes Material von Rechteinhabern, die das nicht möchten, auf den Plattformen gespeichert wird.
Man hat dabei wohl in erster Linie an das Content-ID-Programm von Youtube gedacht, welches die Google-Tochter mit großem finanziellen Aufwand entwickelt hat. Content-ID kann eine solche Filterung bereits jetzt vornehmen: Bei jedem Upload wird festgestellt, ob eventuell urheberrechtlich geschütztes Material darin vorhanden ist. Rechteinhaber haben im System die Möglichkeit, selbst einzustellen, ob sie eine Löschung bewirken oder sich lieber an den Werbeeinnahmen beteiligen lassen wollen, die mit dem Material dann von Youtube erzielt werden. Das könnte nun wohl eine Art De-facto-Standard für das Internet werden.
iRights.info: Bisher gibt es das bei Youtube, aber bei vielen anderen Diensten nicht. Was würde sich für diese an den bestehenden Regelungen zur Haftung ändern?
Ansgar Koreng: In der momentanen rechtlichen Situation – die ich persönlich auch für praktikabel halte – sieht die E-Commerce-Richtlinie vor, dass Content-Provider nicht haftbar gemacht werden können für das, was ihre Nutzer hochladen – es sei denn, sie werden auf Rechtsverstöße hingewiesen. Dann sind sie zum Handeln verpflichtet. Das heißt, sie nehmen geschütztes Material herunter, wenn der Rechteinhaber es verlangt.
Das Modell funktioniert meiner Erfahrung nach ganz gut. Es ist natürlich ein manuelles System, jemand muss sich beschweren und jemand muss tätig werden. Nach dem Richtlinienentwurf hätten wir einen regelrechten Paradigmenwechsel: Die Plattformbetreiber dürften dem, was der Nutzer hochlädt, nicht mehr gleichgültig gegenüberstehen, sondern müssten sich aktiv darum kümmern, was da passiert.
iRights.info: Was erhofft sich die EU-Kommission von der Regelung?
Ansgar Koreng: Das ist schwer zu sagen. Ich glaube, dass es vor allem darum geht, Rechteinhabern in größerem Umfang Möglichkeiten zu geben, an den Gewinnen von Plattformbetreibern beteiligt zu werden.
iRights.info: Die Musikindustrie beispielsweise spricht von einem „value gap“. Bei Host-Providern, auf denen Nutzer Inhalte hochladen, werde vor allem Gewinn für die Plattformen selbst generiert – anders als bei Streaming-Diensten oder ähnlichen Angeboten, die direkt Inhalte anbieten und Lizenzen erwerben.
Ansgar Koreng: Man darf da nicht alles über einen Kamm scheren. Der Begriff des Host-Providers beziehungsweise des Plattformbetreibers ist unfassbar weit und umfasst viele Modelle, die gar nicht viel Geld verdienen oder überhaupt nicht aufs Geldverdienen angelegt sind. Man denke beispielsweise an die Wikipedia und das freie Medienarchiv Wikimedia Commons.
Es wäre meines Erachtens auch verkürzt, Umsätze gegenüberzustellen, ohne die Kausalitäten näher zu untersuchen. So stellt sich etwa die Frage, ob die Umsätze wirklich vom einen zum anderen Akteur wandern. Und unterstellt man dies, bleibt immer noch die Frage, ob der Marktmechanismus durch einen gesetzgeberischen Eingriff korrigiert werden müsste. Da fehlt mir bislang eine tragfähige Begründung.
iRights.info: Wie sehen Sie die Pläne der EU-Kommission im Hinblick auf Grundrechte?
Ansgar Koreng: Das Problem ist, dass Filtersysteme naturgemäß bedingen, dass die hochgeladenen Inhalte durchsucht und gefiltert werden. Nach unserer grundrechtlichen Dogmatik ist das immer ein Grundrechtseingriff in die Rechte der Nutzer. Der Eingriff besteht zum einen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, weil natürlich irgendjemand feststellen muss, wer was wo hochlädt. Zum anderen wird zumindest potenziell auch massiv in die Meinungsfreiheit eingegriffen, wenn Inhalte, die der Meinungsfreiheit unterfallen, in Filtersystemen hängen bleiben und nicht veröffentlicht werden.
Man denke hier etwa an politische Memes, Remixe oder Satire. Überall wird urheberrechtlich geschütztes Fremdmaterial verwendet, was jedoch häufig aufgrund von urheberrechtlichen Schranken – Stichwort: Zitat oder freie Benutzung – zulässig sein wird. Filtersysteme können nicht erkennen, dass das Material rechtmäßig genutzt wird und sie werden sehr viele zulässige Meinungsäußerungen verhindern.
Das Problem ist unter dem Stichwort „Overblocking“ bekannt und lässt sich nicht einfach wegreden. Zudem ist absehbar: Wenn Filtersysteme eingerichtet werden und einmal vorhanden sind, wird ihre Anwendung nicht lange auf Urheberrechtsverletzungen beschränkt bleiben.
iRights.info: Können Filtersysteme prinzipiell nicht mit solchen Abwägungen umgehen? Vielleicht sind sie noch nicht schlau genug.
Ansgar Koreng: Das ist schon fast eine rechtsphilosophische Frage. Lässt sich das Recht algorithmisch abbilden? Manche Ansätze behaupten das und sagen, man könne gewissermaßen mit Normen rechnen und auf Grundlage streng algorithmischer Vorgehensweise Rechtsprobleme klären.
Das halte ich für falsch. Gerade im Bereich der Grundrechte, im Medienrecht und bei Schrankenregelungen geht es immer um Abwägungsentscheidungen, die am Ende ein Gericht zu treffen hat. Diese Entscheidung einem Automaten zu überantworten, hielte ich für einen kulturellen Bruch mit unserer Rechtsordnung. Das können wir nicht wollen. Wir überantworten hier die Kontrolle über Kommunikation im Internet an Maschinen. Das ist aus meiner Sicht der entscheidende Aspekt, der auch von vielen Kritikern übersehen wird, wenn sie die geplante Novelle allein unter urheberrechtlichem Blickwinkel betrachten.
Ein weiterer Aspekt: Ich habe überhaupt nichts gegen Google, im Gegenteil. Aber es stellt sich die Frage, ob man wirklich wollen kann, dass das Content-ID-System der Google-Tochter Youtube weltweit auch von anderen Diensten eingesetzt wird. Sollten die Pläne der Kommission Realität werden, ist das nicht unwahrscheinlich. Denn für den normalen Plattformbetreiber wird es zu teuer sein, ein eigenes System zu entwickeln. Daher liegt es nahe, dass andere Anbieter das Content-ID-System von Google lizenzieren werden.
Wenn es soweit kommen sollte, haben wir ein Unternehmen Google, das mit seinen Servern erhebliche Teile der Internet-Infrastruktur sowie die größte Suchmaschine betreibt und mit Android das größte mobile Betriebssystem anbietet. Wenn nun auch noch deren Filtersoftware für Inhalte zum faktischen Standard wird, entsteht bei mir ein Unbehagen.
iRights.info: Kritiker der bestehenden Haftungsregeln argumentieren, dass diese eingeführt wurden, um der aufblühenden Digitalwirtschaft Raum zur Entwicklung zu geben. Diese Phase sei nun vorüber. Sind die Haftungsregelungen denn sakrosankt?
Ansgar Koreng: Sakrosankt ist im Recht natürlich nichts, außer der Menschenwürde, den fundamentalen Menschenrechten und den Grundprinzipien des Völkerrechts. Natürlich muss man diskutieren, ob man Änderungen braucht, wenn man feststellt, dass es Fehlentwicklungen gibt. Aber die sehe ich hier nicht.
Eher noch scheint mir das geltende Recht in dem Fall zu streng, wenn Plattformbetreiber auf Rechtsverletzungen hingewiesen werden, dem auch Folge leisten, es aber dann zu Folgeverstößen kommt. Denn hier verlangt der Bundesgerichtshof schon jetzt, dass Filter eingerichtet werden – was oft nicht zu leisten ist.
Dabei habe ich eigentlich nicht den Eindruck, dass das bestehende System von notice and takedown nicht funktioniert. Schon jetzt werden im Gegenteil unglaublich viele Inhalte auf Zuruf heruntergenommen, die nicht heruntergenommen werden müssten. Das Problem des Overblockings besteht daher schon jetzt als „Over-Takedown“. Aber zumindest gibt es bei einem Hinweis-System immer noch jemanden, der zunächst einmal schaut, was da passiert. Das wäre bei einem rein technischen, automatisierten System nicht mehr der Fall.
Das Interview entstand am Rande der Konferenz „Das ist Netzpolitik“, auf der Ansgar Koreng über das Thema sprach.
Was sagen Sie dazu?