EU-Reform des Urheberrechts: Proteste bevor es losgeht

Der Konflikt um die Zukunft des Urheberrechts erreicht Brüssel. Die EU-Kommission startet einen jahrelangen Prozess, um Anpassungen für das digitale Umfeld vorzunehmen. Bis Ende 2013 läuft zunächst ein Dialog mit den beteiligten Interessengruppen. 2014 sollen Studien, Marktforschungen und möglicherweise Reform-Initiativen folgen, so der jetzt vorgestellte Zeitplan. Verantwortlich sind Binnenmarktkommissar Michel Barnier, Kulturkommissarin Androulla Vassiliou und Kommissarin Neelie Kroes, zuständig für die Digitale Agenda.
Anti-Copyright-Lobbyisten auf EU-Ebene?
Bereits im Vorfeld gibt es Kritik. In einer rechtlich nicht bindenden Online-Petition warnt die Gesellschaft Audiovisueller Autoren (Society of Audiovisual Authors / SAA), eine europäische Vereinigung von Verwertungsgesellschaften, vor Angriffen auf das Urheberrecht. Die deutsche Gewerkschaft Verdi, der Journalistenverband DJV und die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) rufen ihre Mitglieder auf, die Petition zu unterstützen.
Die Autoren kritisieren „eine Menge Unfug“ in der europäischen Urheberrechtsdebatte, beobachten Verbindungen zwischen „Anti-Copyright-Lobbyisten“ mit einigen Abteilungen der EU-Kommission und fragen: „Müssen wir das schlimmste befürchten?“. Alle Einkommensmöglichkeiten, die Autoren haben, würden laufend attackiert und in Frage gestellt, so der allgemeine Befund. Die Urheber würden deshalb die Positionen und Entscheidungen der EU-Kommissare „aufmerksam“ verfolgen.
Wo macht das Urheberrecht Probleme?
Noch steht die EU-Initiative ganz am Anfang. Aufsehen erregte allerdings ein internes Arbeitspapier der Kommission, das der Informationsdienst „Intellectual Property Watch“ veröffentlichte. Das Papier stammt vom Generalsekretariat der EU-Kommission, das Präsident José Manuel Barroso zuarbeitet, und diente diesem als Vorlage für eine erste „Orientierungsdebatte“ mit den beteiligten Kommissaren am vergangenen Mittwoch (5. Dezember). Darin werden die Herausforderungen der neuen EU-Initiative zum Urheberrecht konkretisiert.
Sechs Themen erfordern laut Arbeitspapier schnelle Fortschritte:
1. Inhalte sollen grenzüberschreitend verfügbar und übertragbar sein. Hier geht es um das Problem, dass Nutzer zum Beispiel Abos für Streaming-Dienste nicht unbedingt in ein anderes EU-Land ‚mitnehmen‘ können, weil dem Anbieter dort die entsprechenden Lizenzen fehlen.
2. Nutzergenerierte Inhalte: Wenn private Nutzer und Unternehmen neue Werke auf Grundlage von bestehenden schaffen – etwa ihr Video auf Youtube mit fremder Musik unterlegen – wissen sie laut Kommission oft nicht, wie sie die nötigen Rechte einholen. Hier soll es laut Arbeitspapier mehr Klarheit geben.
3. Data- und Text-Mining: Hier geht es um die automatisierte Informationsgewinnung aus Daten und Texten. Die Kommissionsbeamten sehen offenbar urheberrechtliche Hürden für die neuen Analyse-Techniken. Es bedürfe der Zustimmung des jeweiligen Rechteinhabers, wenn beim Data- und Text-Mining Inhalte kopiert und neu formatiert werden, heißt es im Arbeitspapier. Gegenmaßnahmen werden allerdings nicht genannt.
4. Privatkopie-Abgaben: Bislang regeln die EU-Staaten national, welche Abgaben als Ausgleich für das Recht auf Privatkopie erhoben werden – beispielsweise auf MP3-Player, DVD-Rohlinge und Festplatten. Die Hersteller der abgabepflichtigen Produkte drängen auf eine europäische Lösung, während die Rechteinhaber am bisherigen System festhalten wollen. Das Arbeitspapier verweist darauf, dass der ehemalige EU-Kommissar Antonio Vitorino noch bis Ende des Jahres einen Bericht zum Thema vorlegen werde.
5. Der Online-Zugang zu Filmen und Serien: Das Arbeitspapier stellt fest, dass die Online-Verfügbarkeit von audiovisuellen Werken im Vergleich zu Musik und Büchern hinterherhinkt. Als eine Ursache identifizierte die EU-Kommission bereits 2011 das komplexe Verfahren für die Lizenzierung von Urheberrechten (siehe Grünbuch: „Online-Vertrieb von audiovisuellen Werken in der EU“). Anders als in den USA haben sich in Europa zum Beispiel noch keine großen legalen Streaming-Plattformen etabliert, die Filme und Serien verschiedener Studios und Rechteinhaber bieten. Auch das EU-Parlament drängt in einer Entschließung (September 2012) darauf, die grenzübergreifende Lizenzvergabe zu vereinfachen, um ein attraktiveres Online-Angebot von Filmen und Serien in der EU zu ermöglichen.
Die Kommission hat bereits einfachere Nutzungsrechte für Musik auf dem EU-Binnenmarkt vorgeschlagen. Anbietern von EU-weiten Diensten soll der Lizenzerwerb leichter fallen. So sollen Verwertungsgesellschaften, die Online-Nutzungsrechte für ihr Repertoire vergeben, europäische Standards einhalten. Das Arbeitspapier deutet an, dass eine ähnliche Initiative auch für den Filmbereich folgen soll.
6. Der Zugang zum kulturellen Erbe. Die EU-Kommission stellt fest, dass die EU-Staaten Ausnahmeregelungen für Kulturinstitutionen unterschiedlich handhaben, wenn es um das Urheberrecht geht. „Im Ergebnis bleiben viele Werke in kulturellen Institutionen verborgen”, heißt es im Arbeitspapier. Speziell Europas Filmerbe sei für die Bürger nicht ausreichend online verfügbar. Konkrete Lösungsansätze finden sich im Arbeitspapier nicht.
Wertschöpfungskette der Internetwirtschaft
Parallel zu den sechs dringlichen Punkten will die Kommission das langfristige Ziel angehen, das Urheberrecht in den EU-Staaten zu vereinheitlichen – und zum Beispiel gemeinsame Ausnahmeregelungen für das digitale Umfeld finden. Bis 2014 soll eine „vollständige Überprüfung“ des Rechtsrahmens stattfinden. Bislang gilt die sogenannte EU-Copyright-Richtlinie (2001/29/EG) von 2001, die den Mitgliedsstaaten viel Spielraum für nationale Regelungen einräumt.
Die EU-Staaten geben der Kommission Rückendeckung für Reformen. Die EU-Staats- und Regierungschefs verabschiedeten Ende Juli den „Pakt für Wachstum und Beschäftigung“. Darin heißt es (s. S.10), die „Modernisierung der Urheberrechtsregelung in Europa“ und die „Erleichterung der Lizenzvergabe“ seien von entscheidender Bedeutung, um einen „gut funktionierenden“ digitalen Binnenmarkt in der EU bis 2015 zu vollenden. Gleichzeitig müsse ein „hohes Maß an Schutz der Rechte des geistigen Eigentums“ garantiert werden.
Die EU-Kommission führt ebenfalls wirtschaftliche Argumente für eine Revision der Urheberrechts an. „Wir brauchen eine gemeinsame europäische Lösung, um die Fragmentierung zu vermeiden und Vorteile für einen europäischen digitalen Binnenmarkt zu nutzen“, forderte EU-Kommissarin Kroes jüngst in einer Rede bei der liberalen Denkfabrik „The Lisbon Council“ in Brüssel, die der Internetwirtschaft nahe steht. Kroes sieht erheblichen Handlungsbedarf in Punkto Copyright-Reform: „Jeder Tag, an dem wir nicht reagieren, ist ein vertaner Tag“, so Kroes. Die Verbraucher verpassten einen einfachen, legalen Zugriff auf ihre Lieblings-Produkte, die Kreativwirtschaft verpasse den Zugang zu neuen Märkten und Innovationen und die gesamte Wirtschaft verpasse Wachstumschancen.
Das Arbeitspapier fordert explizit, die Wertschöpfungskette der Internet-Wirtschaft zu berücksichtigen, argumentiert aber auch politisch. Der Ruf von Verbrauchern und Unternehmen nach einem flexibleren Urheberrecht sei bei der Ablehnung des Antipiraterie-Abkommens ACTA ein „wichtiger Faktor“ gewesen. „Das Wachstum der Piraten-Partei in einigen Mitgliedsstaaten ist ein weiterer Indikator für diesen Trend.“
Verleger stören sich an Analysen der Kommission
Nicht nur die Gesellschaft Audiovisueller Autoren fürchtet hinter noch recht vagen Reformplänen der Kommission Angriffe auf das Urheberrecht. Verwertungsgesellschaften und Verleger-Verbände wenden sich gemeinsam in einem Brief an Kommissionspräsident Barroso. Die International Federation of Reproduction Rights Organisations (IFRRO) und Verlegerbände wie die European Newspaper Publishers Association (ENPA) kritisieren die Analysen im geleakten Arbeitspapier des Generalsekretariats. So stört man sich am Verweis auf die Erfolge der Piratenpartei. Die wachsende Frustration über die Piraten solle genauso Beachtung finden wie der Rückgang ihrer Unterstützer in Deutschland und Schweden.
Auch die These des Arbeitspapiers, wonach es das Internet den Urhebern erleichtert, ihre Produkte ohne den Umweg über die traditionellen Vermittler zu vermarkten, stößt den Interessenvertretern der Verwertungsgesellschaften und Verleger sauer auf. „Diese Vorwürfe, die implizieren, dass zum Beispiel Verlage nicht mehr benötigt werden, sind unbegründet“, heißt es in dem Brief. „Auch täuschen sie darüber hinweg, dass Studien zeigen, dass sich die meisten selbst verlegten Werke weniger als 100 – 150 Mal verkaufen.“
Die Autoren des Briefes lehnen die Analysen im Arbeitspapier ab. Als Diskussionsgrundlage für den geplanten Stakeholder-Dialog brauche es ein neues Dokument.
Besteht Reformbedarf?
Das Arbeitspapier schließt nicht aus, dass den dringenden sechs Probleme auch mit Gesetzesänderungen zu begegnen ist. Das sehen die Verwertungsgesellschaften und Verleger anders. Das derzeitige Urheberrecht sei kein Hindernis. An der eingeschränkten Übertragbarkeit von Inhalten in der EU seien beispielsweise in der Regel nicht die Rechteinhaber schuld, sondern die Internet-Einzelhändler.
Die Autoren des Briefes kommentieren ironisch die von der Kommission ausgemachte Unklarheit, ob und wie fremde Inhalte bei der Schaffung neuer Werke zu lizenzieren sind: „Nur weil wir nicht wissen, ob der Alkohol-Grenzwert beim Autofahren bei einem oder zwei Gläsern Wein überschritten ist, sagen wir ja auch nicht, lasst uns den Grenzwert aufgeben und so viel trinken wie wir wollen.“ Man arbeite bereits daran, Lizenzverfahren zu vereinfachen und die Information der Nutzer zu verbessern, beispielsweise mit den Initiativen Linked Content Coalition (LCC) und „Accessible Registries of Rights Information and Orphan Works“ (ARROW). Dasselbe gelte auch für das Data-Mining.
Die europäischen Verbände der Verwertungsgesellschaften, Verlage und Urheber scheinen sich einig: es gibt keinen Bedarf für eine grundlegende EU-Copyright-Reform. Sie widersprechen damit Digital-Kommissarin Kroes, die eine Reform für den „richtigen Weg“ hält, um den Kreativsektor in der EU zu unterstützen. Die liberale Niederländerin ist sich der Widerstände bewusst. „In der Debatte über das Urheberrecht gibt es oft extreme Positionen, starre Ansichten und emotionale Argumente“, so Kroes in ihrer Rede im September.
Bürgerrechtler und Verbraucherschützer prägen Agenda
Den Gegenpart der Verwertungsgesellschaften und Verwerter-Verbände bildet auf EU-Ebene die die Vereinigung „Copyright For Creativity“ (C4C). Sie versammelt Organisationen wie die Electronic Frontier Foundation (EFF), European Digital Rights (EDRi) sowie Bibliotheken- und Verbraucherschutzverbände. In einem Brief an die EU-Kommission führen sie Gründe für ein flexibleres Urheberrecht in der EU an. Bibliotheken bräuchten Ausnahmeregelungen, um digitale Werke verfügbar zu machen. Verbraucher müssten Werke grenzübergreifend nutzen können.
Nationale Regelungen wie das deutsche Leistungsschutzrecht für Presseverleger könnten dem Medienpluralismus schaden, indem sie dazu führten, dass tausende von kleineren Publikationen aus Suchmaschinen und Aggregatoren entfernt werden. Ein flexibles System, das konsequent in der gesamten EU gilt, sei für den Abschluss des digitalen Binnenmarktes unerlässlich. Text- und Data- Mining seien wie die „Data-driven Innovation“ insgesamt Treiber des Wachstums und des wissenschaftlichen Fortschritts. Entsprechende Tätigkeiten sollten nicht dem Urheberrecht und der Lizenzpflicht unterliegen.
Fast alle Punkte, die C4C Ende November der Kommission übersandte, finden sich im Arbeitspapier des Generalsekretariats. Die Bürgerrechtsorganisationen und Verbraucherverbände scheinen die Agenda geprägt zu haben.
„Lizenzierung“ – Reizwort für Internetaktivisten
Kritik übt C4C an EU-Kommissar Barnier. Die Vereinigung stört sich am Titel einer neuen Partnerschaft, die der Binnenmarktkommissar mit der Industrie im Urheberrechtsbereich starten will: „Licensing Europe“. C4C kommentiert: „Lizenzierung muss eine wichtige Rolle spielen, aber eine auf Fakten basierende Bewertung und Alternativen zur Lizenzierung, insbesondere von Ausnahmen und Beschränkungen, ist auch erforderlich, um eine angemessene Balance herzustellen.“ Ausnahmen dienten dem Ziel, den Zugang zu digitalen Inhalten zu sichern. Hierbei solle man sich nicht vollständig auf den Markt verlassen.
Barnier versuchte in einer Rede Anfang November, zwischen den gewohnten Fronten in der Urheberrechts- und Netzdebatte zu vermitteln. „Ich bin nicht dabei, dem Urheberrecht an allem Schuld zu geben, was im Internet nicht funktioniert“, so Barnier. „Aber ich bin auch nicht dabei zu bestreiten, dass die Regeln dort modernisiert und angepasst müssen, wo das bewiesenermaßen notwendig ist.“ Auch auf EU-Ebene wird es also um den – aus der deutschen Debatte wohlbekannten – Interessenausgleich gehen.
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