EU-Kommission veröffentlicht Konsultationsbericht zum Urheberrecht, uneins über weiteres Vorgehen (Update)
Der am Mittwoch veröffentlichte Bericht der Generaldirektion Binnenmarkt (PDF) fasst die rund 11.000 bei der Kommission eingegangen Antworten zusammen, geordnet nach Themenbereichen und Interessengruppen. Genaue statistische Auswertungen zu inhaltlichen Fragen enthält der Bericht nicht, er gibt aber einen Überblick über Tendenzen. Die Kommission kann sich dabei einerseits auf die methodischen Eigenarten der Konsultation berufen, die zwischen quantitativem und qualitativem Ansatz schwankte und keinen repräsentativen Querschnitt anstrebt. Andererseits vermeidet die Kommission dadurch, neue Zahlen in die Welt zu setzen, die leicht ein politisches Eigenleben entwickeln könnten.
Urheberrecht polarisiert weiter
Beim ersten Durchblick zeigen die Ergebnisse zunächst ein weiteres Mal, wie unterschiedlich, ja festgefahren die Einschätzungen zur Zukunft des Urheberrechts bei Nutzern, Urhebern, Verwertern und anderen Interessengruppen sind. Während Nutzer und ihre Verbände zum Beispiel beklagen, dass digitale Inhalte und Dienste je nach Land verfügbar oder nicht verfügbar sind, machen die Antworten von Verwertern deutlich, dass diese weithin an nationalen Verwertungsmodellen festhalten wollen oder viele zumindest kaum urheberrechtliche Hindernisse für EU-weite Angebote sehen.
Wieviel politische Sprengkraft in Urheberrechtsreformen liegt, zeigt sich besonders deutlich beim Fragenkreis „Respekt für Urheberrechte“ (S. 83ff.). Für viele Nutzer und ihre Verbände ist die Balance zwischen der Rechtsdurchsetzung und den Grund- und Freiheitsrechten so weit aus dem Ruder geraten, dass jede weitere Maßnahme „die gesellschaftliche Akzeptanz des Systems als solches nur weiter unterminieren“ würde, heißt es im Bericht. Viele Urheber wiederum sehen sich im digitalen Raum weithin schutzlos; Buchverlage etwa fordern effizientere und schnelle Verfahren für „Notice and take-down“, „Automated takedown without notice“ und „Notice and stay-down“ bei Rechtsverletzungen.
Barnier vs. Kroes: Kommission uneins
Zugleich zeigt sich, dass die in der Konsultation aufgeworfenen Fragen deutlich über das hinaus gehen, was Binnenmarktkommissar Michel Barnier laut dem kürzlich bekannt gewordenen Weißbuch-Entwurf zum Urheberrecht angehen will. Wie die Seite „European Voice“ berichtet, hat er damit besonders Digitalkommissarin Neelie Kroes gegen sich, die sich Anfang Juli auf der Amsterdamer „Information Influx“-Konferenz noch einmal deutlich für weitergehende Reformen ausgesprochen hatte. Während Barnier dem Entwurf nach nur einzelne EU-weite „Harmonisierungen“ bei Detailfragen angehen will und auf individuelle Lizenzen statt gesetzlicher Regelungen setzt, sprach sich Kroes unter anderem für einheitliche Ausnahmeregelungen bei Bildung und Forschung, Archiven und nutzergenerierten Inhalten aus.
Der Streit innerhalb der Kommission soll demnach auch dafür verantwortlich sein, dass sich die für den Sommer erwartete offizielle Vorstellung des Weißbuchs weiter verzögert. Inwieweit die endgültige Fassung sich dann vom ersten Entwurf unterscheidet und sich auf die Konsultationsergebnisse beruft, muss sich zeigen. Längerfristige Vorhaben wie ein – in der Konsultation ebenfalls erwähnter – EU-weiter Werkschutz dürften aber wahrscheinlich so oder so weiter außen vor bleiben, selbst wenn Barnier vom Weg des geringsten Widerstands abkommen sollte.
Viel hängt dabei natürlich auch von den Mitgliedsstaaten ab, die in der Konsultation gleichsam als eigene Interessengruppe auftauchen und mögliche Reformen mittragen müssen. Auch unter den elf Regierungen, die auf die Konsultation antworteten, gibt es viele Unstimmigkeiten. Bislang offen ist zudem, in welcher Generaldirektion der neuen Kommission von Jean-Claude Juncker das Thema Urheberrecht angesiedelt sein wird, und wer dafür verantwortlich sein soll. Die Konsultationsergebnisse jedenfalls dürften sich in den kommenden Auseinandersetzungen als umfangreiches Argumente-Reservoir erweisen, aus dem alle Beteiligten schöpfen können, um ihre Forderungen zu untermauern.
Update, 25.7.2014: Leonhard Dobusch hat in einem Beitrag bei netzpolitik.org auch eine grafische Darstellung der Positionen zu den behandelten Themengebieten erstellt. Die Polarisierung entlang der meisten Fragen wird hier besonders gut deutlich:
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