EU-Kommission beschließt Schutzfristverlängerung für Musikaufnahmen
Experten hatten davor gewarnt, Musiker wie Udo Jürgens gemeinsam mit Lobbyisten der Musikindustrie dafür geworben: eine rückwirkende Verlängerung der Schutzfrist für Musikaufnahmen von 50 auf 95 Jahre innerhalb der EU. Der für Binnenmarkt und Dienstleistungen zuständige Kommissar Charlie McCreevy favorisierte am Ende die Befürworter einer längeren Schutzfrist. Am Mittwoch hat die EU-Kommission den Vorschlag McCreevys für eine Richtlinie zur Schutzfristverlängerung angenommen.
Rettung der europäischen Musikindustrie?
Sollte die Richtlinie für die 95-Jahresschutzfrist umgesetzt werden, könnten nun Musiker, ihre Kinder und Enkel deutlich länger von Abgaben profitieren, die für das Abspielen und Kopieren von Musikaufnahmen zu entrichten sind. Zu den Profiteuren gehörten ebenfalls die Plattenfirmen, „da ihnen der Verkauf von Platten im Einzelhandel und Internet zusätzliche Einnahmen verschaffen würde“, heißt es in einer Pressemitteilung der EU-Kommission. Charlie McCreevy erhofft sich davon, dass die Plattenfirmen den anstehenden Strukturwandel leichter bewältigen können. Dazu McCreevy: „Ich werde alles daransetzen, um sicherzustellen, dass ausübende Künstler über ein angemessenes Einkommen verfügen und es auch künftig eine europäische Musikindustrie geben wird.“
Aus für Billiganbieter
Sicher scheint jedenfalls, dass sich das Angebot an billigen CDs mit Schlager-, Blues- und Jazzaufnahmen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts deutlich verknappen würde. Unabhängigen Anbietern, die in den vergangenen Jahren eine Fülle entsprechender Kompilationen mit Musikaufnahmen, deren Schutzfrist abgelaufen war, zu Preisen von um ein Euro pro CD in den Handel brachten, würde schlicht die Geschäftsgrundlage entzogen.
Manche Anbieter haben viel Zeit und Mühe darauf verwandt, alte Aufnahmen von Schelllackplatten zu digitalisieren und zu restaurieren. Bisher mussten sie lediglich GEMA-Lizenzen für die Kompositionen und Texte erwerben und dafür entsprechende Gebühren zahlen. In Zukunft würden sie zusätzlich Lizenzen von den Rechteinhabern benötigen, die dafür Gebühren nach Gutdünken verlangen können oder Lizenzen verweigern. Das treibt die Preise hoch und macht das Geschäft mit den alten Aufnahmen unattraktiv. 50 Jazz-CDs zu 100 Euro wird es wohl in Zukunft nicht mehr geben können.
Auch Filmemacher – Profis wie Amateure – würden betroffen sein, die alte Aufnahmen kostengünstig als Filmmusik einsetzen konnten, ohne dafür aufwändig mit den großen Plattenfirmen verhandeln zu müssen. Die Rechte an alten Klassik-, Schlager-, Blues-, Jazz- und auch frühen Rockaufnahmen lagen bis zu ihrem Ablauf praktisch alle in den Händen der Majorlabels – wo sie nach McCreevys Vorstellungen auch wieder landen sollen.
Kommentar
Unterm Strich wird der Zugang zum musikalischen Erbe erschwert und verteuert. Genau davor hatten Juristen, Musiker und Ökonomen aus mehreren EU-Mitgliedsstaaten am 21. Juni in einem Brief an José Manuel Barroso gewarnt: „Die vorgeschlagene Richtlinie zur Verlängerung der Schutzfrist wird Kreativität und Innovation in Europa irreparablen Schaden zufügen.“ Niemand hat in Brüssel auf sie gehört. Dem europäischen Einigungsprozess hat McCreevy ganz sicher einen Bärendienst erwiesen. Die Europaskepsis unter denen, die die Entwicklung des Urheberrechts kritisch verfolgen, wird zunehmen. Dem verbreiteten Eindruck, dass die EU sich immer mehr zu einem „Europa der Lobbyisten“ entwickelt, hat Charlie McCreevy wenig entgegen zu setzen, im Gegenteil.
Was sagen Sie dazu?